Laufende Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte des Elsass

Laufende Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte des Elsass

Organisatoren
Historisches Seminar, Abteilung Landesgeschichte, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Ort
Freiburg im Breisgau
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.11.2012 - 01.12.2012
Url der Konferenzwebsite
Von
Johannes Waldschütz, Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg; Olivier Richard, Maître de conférences en histoire médiévale, Université de Haute-Alsace

In Anschluss an ein im Herbst 2009 abgehaltenes Kolloquium zu neuen Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte des Elsass wollte die am 30. November / 1. Dezember 2012 im Freiburg im Breisgau von Thomas Zotz und Jürgen Dendorfer abgehaltene Tagung erneut aktuelle Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte des Elsass präsentieren. Dabei trafen deutsche, französische und englische Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aufeinander, die jeweils in ihrer Muttersprache die Ergebnisse von Qualifikationsarbeiten oder geplante Projekte zur Diskussion stellten.

Den Auftakt machte BORIS DOTTORI (Straßburg), der aus archäologischer Perspektive die Besiedlung von Piémont und Vogesen zwischen den elsässischen Flüssen Zorn und Bruche vom Mittelalter bis in die Moderne (6.–18. Jahrhundert) behandelte und verschiedene Etappen intensivierten Besiedelns aufzeigte. Dabei betonte er die Rolle der Klöster von Marmoutier (Maursmünster) und Haslach, hob aber auch die der isoliert liegenden Feldkirchen als Anziehungspunkte für Siedler hervor. Seit dem 14. Jahrhundert habe dann eine durch das Verschwinden von zahlreichen Siedlungen gekennzeichnete Phase des Niedergangs eingesetzt: Während alte Siedlungen im allgemeinen im Rahmen der Konzentration des Siedlungsraums verschwunden seien – so habe ein Großteil der durch Rodung im 12. und 13. Jahrhundert entstandenen Siedlungen wieder dem Wald weichen müssen –, sei das Ackerland weiterhin kultiviert worden.

Der Bergbaupolitik Karls des Kühnen zwischen Burgund und Oberrhein widmete sich DAVID BOURGEOIS (Mulhouse), der die Bemühungen des burgundischen Herzogs darstellte, von den Bodenschätzen der ihm im Rahmen des Vertrags von Saint-Omer 1469 zugefallenen Bergbauregionen in den Vogesen des Oberelsass zu profitieren. Um die Bergwerke zu kontrollieren, habe sich der Herzog zunächst bemüht, eine aus Vertrauensleuten bestehende Verwaltung zu installieren. Den Konzessionsinhabern, die aus seinem engsten Umfeld entstammten, seien vereidigte Beamte zugeordnet worden. Darüber hinaus habe Karl der Kühne die Eigentümerschaft all jener Bergwerke angefochten, die nicht seinem Einfluss unterlagen, beispielsweise jener von Plancher-les-Mines, die im Besitz der Abtei Lure waren. Vielleicht wollte Karl der Kühne damit die Stadt Basel angreifen, die starkes Interesse an den Bergwerken in den Vogesen gehabt habe.

TOBIE WALTHER (Freiburg / Limoges) präsentierte sein Projekt einer kritischen Edition des Chronicon Ebersheimense. Diese aus Ebers(heim-)münster stammende Chronik wurde von zwei anonymen Autoren des 12. und 13. Jahrhunderts geschrieben. Zwar wurde sie durch Ludwig Weiland in den MGH ediert, doch Walther zeigte durch die Erstellung eines Stemmas der überlieferten Handschriften, wie lückenhaft diese Edition ist. Auch wenn die drei mittelalterlichen Handschriften durch den Brand der Straßburger Bibliothek 1870 vernichtet wurden, existieren fast 10 verschiedene Kopien des 17. und 18. Jahrhunderts, die lange Passagen der Chronik enthalten. Zwar wurden diese von Hermann Bloch zu Beginn des 20. Jahrhunderts ediert, jedoch unter Verzicht auf einen kritischen Apparat, sodass eine Neuedition der Chronik notwendig sei. Indem Walther die erstaunliche Gelehrsamkeit und Vorstellungskraft der Autoren vorführte – sie setzten Ebersheim mit dem babylonischen Prinzen Trebeta ebenso in Verbindung wie mit dem als Begleiter des
heiligen Petrus dargestellten Maternus – konnte er die Vorstellungen von der Entstehung der Chronik modifizieren. So sei die Chronik nicht, wie die bisherige Forschung annahm, gegen den Bischof von Straßburg gerichtet, sondern vielmehr gegen andere Institutionen, zum Beispiel die Klöster Murbach und Marmoutier (Maursmünster), mit denen Ebersheim wegen einiger Schenkungen im Streit gelegen habe.

Die Reihe stadtgeschichtlich geprägter Vorträge eröffnete DUNCAN HARDY (Oxford), der in seinem Vortrag die Tendenz der Forschung kritisierte, das Bündniswesen des Spätmittelalters als städtisches Phänomen wahrzunehmen. Vielmehr habe es neben den zahlenmäßig gar nicht so vielen rein städtischen Bündnissen auch zahlreiche gemischte Bündnisse gegeben. In diesem Zusammenhang sprach sich Hardy dafür aus, Landfriedensbündnisse nicht „as a kind of Reichsgesetz“ wahrzunehmen, sondern als regionale Bündnisse, die mit Zustimmung des Königs entstanden seien. Darüber hinaus habe es weitere durch gegenseitige Verpflichtungen und „lateral ties“ geprägte Zusammenschlüsse gegeben, wie die Münzbünde und Rittergesellschaften. Ausgehend von dieser Bestandsaufnahme plädierte Hardy dafür, die Bündnisse als Form einer insbesondere im Oberrheingebiet bestehenden „associative political culture“ zu sehen, die zur Verteidigung gegen Feinde und zur Friedenssicherung sowohl für Städte als auch für den Adel das bevorzugte Mittel waren.

BETTINA FÜRDERER (Freiburg / Zürich) gab Einblicke in die Beziehungen zwischen der Stadt Straßburg und den Straßburger Bischöfen im Spätmittelalter. Ausgehend von der Schlacht von Hausbergen 1262, die zu einer weitgehenden Unabhängigkeit der Stadt von ihrem bischöflichen Stadtherrn geführt hatte, blickte sie zunächst auf die Ebene der Stadtherrschaft. Nachdem im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts „informelle Einflussmöglichkeiten“ des Bischofs auf die Ratsherrschaft geschwunden seien, hätten die Bischöfe in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts immer wieder versucht, ehemalige Rechte zu restituieren. Eine zweite Ebene bildeten die territorialpolitischen Bemühungen von Stadt und Bischof. Obwohl die Stadt weitgehend auf den Erwerb eines eigenen Territoriums verzichtet habe1, hätte die territoriale Nachbarschaft ein Konfliktpotential (beispielsweise durch Neubürgeraufnahmen) mit sich gebracht, aber auch – durch bilaterale Bündnisse – zu Kooperation geführt. Eine dritte Ebene der Beziehungen verortete Fürderer im Anspruch des Rates, an der Regelung kirchlicher Angelegenheiten mitzuwirken, beispielsweise indem dieser durch Petitionen an die Kurie den Ausgang von Bischofsernennungen zu beeinflussen suchte.

Dem städtischen Gesandtschaftswesen am Beispiel der Stadt Straßburg wandte sich SIMON LIENING (Trier) zu.2 Dabei konnte er aufzeigen, dass die Straßburger Gesandten im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts den städtischen Führungsgruppen entstammten und zahlreiche Gesandte zugleich Mitglied in dem für die Außenbeziehungen der Stadt zuständigen Ausschuss der Neun waren. So sei in den häufig aus Zünften und Patriziat paritätisch besetzten Gesandtschaften immer mindestens ein Mitglied des Neuners vertreten gewesen, häufig ein Straßburger Altammeister, nie jedoch der amtierende Ammeister. Neben diesem personalen Aspekt der Gesandtschaften fragte Liening nach dem Ablauf von Gesandtschaften und der Kommunikation mit der Stadt. Während die Gesandten häufig nach den Verhandlungen ausführlich über deren Verlauf berichtet hätten, dienten Boten als Bindeglieder, die mit Gedächtniszetteln oder in kurzen mündlichen Berichten den Rat informiert hielten. Am Beispiel des Marbacher Bundes mit den Markgrafen von Baden machte Liening deutlich, dass die ausführlichen Berichte der Gesandten vor allem der Information der Ratsherren und weniger der politischen Rücksprache dienten. Gesandte seien deshalb nicht, wie dies noch die ältere Forschung vermutet hatte, reine Befehlsempfänger des Rates gewesen, sondern hätten in hohem Maße eigenständig gehandelt, was auch die hochrangige Besetzung der Straßburger Gesandtschaften erkläre.

Ausgehend vom Verlust des gemeinsamen Ratssitzes der Straßburger Zunft der Bader und Scherer im Rahmen der Ratsreduktion von 1482 suchte KRISTIN ZECH (Bochum) unter Rückgriff auf das viergegliederte Modell der Zunft nach Sabine von Heusinger3 die Gründe für den Verlust des Ratssitzes und darauf folgende Bewältigungsstrategien zu erläutern. Anders als in anderen Städten hätten die Bader in Straßburg nicht per se an einem schlechten Ruf gelitten, vielmehr habe der Konkurrenzkampf der in einer politischen Zunft vereinten Scherer und Bader zu einem Rückgang der Badestuben und einem niedrigen Einkommen der Bader geführt, sodass in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Anforderungen als städtische Schutz- und Verteidigungseinheit und als politische Zunft für die Bader zur Belastung geworden seien. Doch nicht im Verlust des Ratsmandats, sondern in der bereits um 1470 erfolgten Schließung der für ihre Identität konstitutiven Trinkstube sei der Verlust der Eigenständigkeit der Bader begründet gewesen, sodass der gemeinsame Ratssitz nach 1470 ausnahmslos von den Scherern wahrgenommen wurde. Nach der Schließung der Trinkstube habe die wohl relativ neu gegründete Bruderschaft der Bader den Identitätsverlust aufzufangen versucht.

Das Konzept, verschiedene laufende mit einem spezifischen Raum des mittelalterlichen Reiches verbundene Arbeiten in einer Tagung zu bündeln und zur Diskussion zu stellen, ermöglichte es den Teilnehmerinnen und Teilnehmern mit ausgewiesenen deutschen wie französischen Kennern der elsässischen Geschichte in Kontakt zu treten, und führte zu einer von anregenden Diskussionen und weiterführenden Ideen geprägten Atmosphäre. Wenn im Rahmen dieser Tagung auch der dem Straßburger Archivar Bernhard Metz aus Anlass seines 65. Geburtstags gewidmete Tagungsband des Vorgängerkolloquiums ‚Neue Forschungen zur elsässischen Geschichte des Mittelalters‘ von 2009 vorgestellt wurde 4, so lässt dies auf eine künftige Fortführung der Tradition der länderübergreifenden Elsasskolloquien hoffen.

Konferenzübersicht:

Boris Dottori (Strasbourg): Le peuplement du Piémont et des Vosges entre Zorn et Bruche au Moyen Âge et au début de la période moderne (6e–18e siècles), aperçu historique et archéologique

Tobie Walther (Freiburg / Limoges): Das Editionsprojekt Chronicon Ebersheimense

David Bourgeois (Mulhouse): La politique minière bourguignonne entre Bourgogne et Oberrhein sous Charles le Téméraire

Duncan Hardy (Oxford): The alliances of Imperial Cities in Alsace as evidence for an associative political culture on the late medieval Upper Rhine (ca. 1300–1500)

Bettina Fürderer (Freiburg / Zürich): Die Beziehungen der Stadt Straßburg zu den Bischöfen von Straßburg als Stadtherren, Territorialherren und Schirmern der Straßburger Kirche im Spätmittelalter

Simon Liening (Trier): Überlegungen zum Gesandtschaftswesen der Stadt Straßburg zu Beginn des 15. Jahrhunderts

Kristin Zech (Bochum): Das Baderhandwerk in Straßburg im Spätmittelalter

Anmerkungen:
1 Dieser Einschätzung ist die ältere Darstellung von Gerhard Wunder entgegenzuhalten: Gerhard Wunder, Das Straßburger Landgebiet. Territorialgeschichte der einzelnen Teile des städtischen Herrschaftsbereiches vom 13. bis zum 18. Jahrhundert, Berlin 1967.
2 Zum Straßburger Gesandtenwesen Bastian Walter, Informationen, Wissen und Macht. Akteure und Techniken städtischer Außenpolitik; Bern, Straßburg und Basel im Kontext der Burgunderkriege (1468–1477) (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 218), Stuttgart 2012.
3 Sabine von Heusinger, Die Zunft im Mittelalter. Zur Verflechtung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Straßburg (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 206), Stuttgart 2009.
4 Laurence Buchholzer-Remy, Sabine von Heusinger, Sigrid Hirbodian, Olivier Richard und Thomas Zotz (Hrsg.), Neue Forschungen zur elsässischen Geschichte im Mittelalter (Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte 56), Freiburg / München 2012.


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