Bild(er)geschichte(n)

Bild(er)geschichte(n)

Organisatoren
Mirco Melone / Tanja Hammel, Basel Graduate School of History; eikones NFS Bildkritik, Basel
Ort
Basel
Land
Switzerland
Vom - Bis
13.05.2013 - 14.05.2013
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Von
Elisabeth Wingerter, Faculté des Lettres, des Sciences humaines, des Arts et des Sciences de l’Éducation (FLSHASE), Université du Luxembourg

Die Auswertung von Bildmaterial als Mittel zur Erforschung von Geschichte stellt für Historiker/-innen sowohl eine Chance als auch eine Problematik dar. Der Graduiertenworkshop „Bild(er)geschichte(n)“ beschäftigte sich mit dieser Thematik: Welche Methodik ist im Umgang mit Bildern die sinnvollste und wie verändert sich diese je nach Bildgattung? Wissenschaftshistoriker, Historikern aus den Bereichen der neueren und neusten Geschichte, der osteuropäischen Geschichte, Filmwissenschaftler, Medienwissenschaftler und Kunsthistoriker/-innen zeigten anhand ihrer spezifischen Forschungsbereiche auf, wie erkenntnisreich und spannend der Forschungsgegenstand „Bild“ sein kann.

Im ersten Teil des Workshops wurde das Medium der Illustration in der Wissenschaftsgeschichte betrachtet. AMREI BUCHHOLZ (Potsdam) referierte über die Handzeichnungen Alexander von Humboldts und kam zu dem Schluss, dass dessen Illustrationen Natur und Kultur vermischen, da sie einerseits naturgetreue Aspekte besitzen und andererseits durch die ästhetischen Sehgewohnheiten der damaligen Zeit geprägt sind. Folglich muss das Verhältnis dieser wissenschaftlich-orientierten Darstellungen zu ihren Urhebern, zum Sachverhalt und zu den Akteuren, die diese Bilder weiterverwendeten, geklärt werden. In der Diskussion wurde diese Interaktion zwischen bildlicher Darstellung und äußeren Faktoren nochmals deutlich: Gehen wir letztlich von Bildern oder Konventionen aus? Schließlich macht die Multikodierung der Bilder deren Deutung nicht gerade einfacher, insbesondere nicht für einen zeitlich weit entfernten Betrachter. Bei einer solchen Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen Illustrationen kann man Erkenntnisse über die Vorstellungen der damaligen Wissenschaftler/-innen über Zeit, Entwicklung und Natur erschließen. Somit ist das Bild in diesem Fall eher eine Visualisierung von Sehgewohnheiten und Wertvorstellungen als ein authentisches Abbild der natürlichen Umgebung des Menschen. Diese Wechselwirkungen wurden auch im Vortrag von TANJA HAMMEL (Basel) deutlich, die sich mit botanischen Bildkonventionen in den Zeichnungen Mary Barbers beschäftigte. Die Auseinandersetzung mit dem Werk dieser Naturphilosophin ist ein hervorragendes Beispiel für die Interaktion von Gender-, Natur- und Wissenschaftsgeschichte.

Im Rahmen des Panels „Bewegte Bilder“ wurden sowohl Spielfilme als auch historische Videodokumente vorgestellt. SIMON KÖNIG (Basel) stellte sein Projekt zum Thema „Dunkelheit im Film: Michael Manns Ali (2001)“ vor. Anhand des Filmbeispiels wurde gezeigt, dass das Fehlen eines Bildes auch insofern ein Bild sein kann, als dass es eine bestimmte Aussage, ein Motiv oder einfach nur eine Stimmung im Film darzustellen vermag. Bei der Diskussion wurden viele „blinde Flecken“ in der Filmanalyse deutlich: So muss man zum Beispiel Dunkelheit im Kino und Film unterscheiden, da die Wahrnehmung der schwarzen Bildfläche in einem Kinosaal eine andere ist als auf dem Computerbildschirm. Wenn der Medienwissenschaftler jedoch einen Film Schritt für Schritt analysieren muss, dann ist er gezwungen diesen anzuhalten, damit er seine Eindrücke schriftlich festhalten kann. Jedoch muss in diesem Fall darauf hingewiesen werden, dass man auf diese Weise gearbeitet hat. Die Verknüpfung zur Geschichtswissenschaft bildete dann das Projekt „Medienaktivismus und Alternativmilieu“ von DOMINIQUE RUDIN (Berlin). Er betrachtete die Selbstdarstellung von politischen Aktivisten der Schweiz in ihren selbstgedrehten Videos („Züri brännt“, 1981), in denen er eine „Subjektivierung als Stabilisierungsvorgang“ feststellen konnte, also den Versuch der Aktivisten, durch die Videos ihre eigene Weltsicht darzulegen und damit ihre Gemeinschaft zu mobilisieren und zu einen. In der darauffolgenden Diskussion kamen verschiedene Thesen zu der Verbindung von Film und Geschichte zur Sprache. So wurde beispielsweise der Genrebegriff mehr als „Marketingstrategie“ denn als theoretischer Begriff wahrgenommen. Engt eine Genrebezeichnung unsere Wahrnehmung von Filmmaterial somit von vorne rein ein?

Außerdem wurde die Problematik der Geschichtsdarstellung im Fernsehen angesprochen, leider ohne weiter vertieft zu werden. Das Interesse lag dabei an der Transformation von fiktionalen Filmbildern in „Beweisstücke“ der Zeitgeschichte, was z.B. in Guido Knopps Dokumentation „Weltenbrand“ nachgewiesen werden konnte, da dort oftmals Archivmaterial verfälscht wird. Jedoch sollte die mediale Repräsentation von Geschichte durch die Unterhaltungsbranche noch weiter diskutiert werden, weil diese das dominierende Geschichtsbild in unserer Gesellschaft konstituiert.

Das Thema „Fotografie“ wurde in einem umfangreicheren Maße besprochen, wobei sehr unterschiedliche Themen aufgegriffen wurden. Nach einer allgemeinen Einführung über die Veränderlichkeit von Bilddeutungen durch BENJAMIN SCHENK (Basel) wurde veranschaulicht, dass Bilder eine „konzentrierende“ und „kondensierende“ Funktion haben können, da sie Denk- und Anschauungsweisen bestimmter Gesellschaftsschichten implizieren. Deshalb ist es möglich durch einen Vergleich von Abbildungen mit demselben Motiv in verschiedenen Epochen Veränderungen in der Mentalitätsgeschichte festzustellen. Fotografien sind in dieser Hinsicht noch problematischer, weil sie zunächst eine gewisse Authentizität zu implizieren scheinen. Trotzdem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der Fotograf seinen Bildausschnitt bewusst auszusuchen vermag und sein Endprodukt auf verschiedene Weise manipulieren kann, um eine bestimmte Botschaft an den Betrachter zu übermitteln. Nach diesen theoretischen Überlegungen kamen konkrete Beispiele zur Sprache: LENKA FEHRENBACH (Basel) stellte ihr Dissertationsprojekt über die Repräsentation der Industrie in vorrevolutionären russischen Fotografien vor und NADINE FREIERMUTH SAMARDŽIĆ (Basel) sprach über die Kriegsfotografie zur Zeit des Bosnienkrieges 1992 bis 1995. Dabei wurden weitere schwierige Aspekte der Bildanalyse sichtbar. Zum einen ist es wichtig, den „Weg“ der Bilder nach zu verfolgen, so wurden die russischen Fotografien beispielsweise in Illustrierten in einem anderen Format abgedruckt als im Original. Warum wurden die Fotos verändert? Welche Aussage sollte damit unterstrichen werden? Zum anderen kam wieder die Genre-Problematik auf, denn man stellte sich die Frage, ob die Kriegsfotografien austauschbar und eben nicht länderspezifisch seien. Dieser Punkt konnte nicht geklärt werden, da manche Fotografien durchaus charakterisierende Elemente ihrer Standorte zeigen, wobei andere Leid und Tod im Allgemeinen repräsentieren, an die Sympathie beim Betrachtenden appellieren und somit auch auf andere Kriegsgebiete passen können.

Dass der Umgang mit Bildern nicht nur geistig, sondern auch materiell ist, demonstrierte die Fragestellung von MIRCO MELONE (Basel), die sich auf die Mediengeschichte kommerzieller Fotoarchive zwischen 1970 und 2010 bezog. Was geschieht mit dem Fotomaterial und wie wird es für die Nachwelt konserviert? Mit der Digitalisierung der Archive ändert sich auch der Umgang mit diesem Material erheblich. Interessant ist auch, dass je nachdem wie die Bilder kategorisiert werden, gleichzeitig auch bestimmte Deutungen schon vor dem Betrachten entstehen. Wenn eine Fotografie beispielsweise unter dem Oberbegriff „Architektur“ eingeordnet wird, könnte man andere Motive im Bild unter Umständen als weniger relevant erachten. Aber wie die ideale Kategorisierung von Bildmaterial in Archiven aussehen muss, kann man letztlich nicht genau sagen.

JENS RUCHATZ (Marburg) thematisierte nochmals die Rolle des Kontextes für jede Art von Bildmaterial. Schließlich kann die Kontextualisierung ebenso interpretationsbedürftig sein wie das Bild selbst und somit für die Analyse eines Bildes manchmal sogar ein Hindernis darstellen. Außerdem kann der Kontext bewusst oder unbewusst von der Forschung selbst selektiert werden. Viele Hinweise zum Kontext eines Bildes befinden sich zudem auf dem Bildträger selbst. Gehen diese Informationen mit der Digitalisierung also zwangsläufig verloren? Und ist diese allmähliche Loslösung vom Ursprungskontext manchmal sogar ein Vorteil, welcher erlaubt das Bild an sich zu deuten?

Die anschließende Schlussdiskussion half allen Teilnehmern nochmals die Zusammenhänge zwischen den besprochenen Themenfeldern zu erkennen. Es gibt anscheinend keine ultimative Methodik im Umgang mit jeder Art von Bild, deshalb kann die methodische Reflexion als Konsens angesehen werden. Folglich soll im wissenschaftlichen Arbeiten mit Bildern kein allgemeines Analyseraster verwendet werden; stattdessen sollte der Wissenschaftler/ die Wissenschaftlerin selbst eines erstellen, welches sowohl allgemeinen wissenschaftlichen Kriterien folgt, als auch die Besonderheiten seines/ihres spezifischen Themengebietes und der jeweiligen Quellen berücksichtigt.

Konferenzübersicht

Begrüssung Ralph Ubl (eikones) und Mirco Melone

Panel wissenschaftliche Illustration
Leitung: Marianne Klemun

Tanja Hammel, Contextualizing Mary Barber’s Visual Epistemology in Botanical Image Practices c. 1860-1890.

Amrei Buchholz, Ansichten des Weltbaus. Handzeichnungen Alexander von Humboldts.

Panel bewegte Bilder (Video/Film)
Leitung: Franziska Heller

Simon König, Dunkelheit im Film: Michael Mann’s Ali (2001).

Dominique Rudin, Videos, Medienaktivismus und Alternativmilieu, 1970-1995.

Panel Fotografie 1 – Osteuropa
Leitung: Martina Baleva

Benjamin Schenk (Departement Geschichte), Einführung

Nadine Freiermuth Samardžić, Methodische Überlegungen zum historischen Arbeiten mit der fotografischen Berichterstattung über den Bosnienkrieg 1992-1995

Lenka Fehrenbach, Die Fabrik im Fokus. Repräsentationen der Russischen Industrie in vorrevolutionären Fotografien

Panel Fotografie 2 – Fotoarchiv(ierung)
Leitung: Jens Ruchatz

Mirco Melone, Eine Mediengeschichte kommerzieller Fotoarchive, 1970 bis 2010

Führung durch die Steve McQueen Ausstellung im Schaulager


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