„Wie weiter mit Geschlechtergeschichte?"

„Wie weiter mit Geschlechtergeschichte?"

Organisatoren
Anne Conrad / Johanna E. Blume / Jennifer J. Moos, Universität des Saarlandes
Ort
Saarbrücken
Land
Deutschland
Vom - Bis
31.01.2014 - 02.02.2014
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Von
Annika Jähnke, Historisches Seminar, Universität Trier

Nachdem 2013 bereits in München eine erfolgreiche Tagung des Arbeitskreises Historische Frauen- und Geschlechterforschung (AKHFG) zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses mit dem Titel „Wie geht Geschlechtergeschichte?“ stattgefunden hatte, entschloss sich der AKHFG aufgrund des großen Zuspruchs auch 2014 eine Tagung auszurichten. Dabei sollte der Schwerpunkt der Veranstaltung, die dieses Mal von der Region West (Rheinland-Pfalz/Saarland) organisiert wurde, wiederum „auf den Zugängen und Methoden der Geschlechtergeschichte“ liegen, so die Organisatorin Anne Conrad (Saarbrücken) im Vorfeld der Veranstaltung.

Als Auftakt waren unter dem Motto „Frauen, Männer, Queer – Kategorien historischer Forschung?!“ drei aufeinander folgende Kurzvorträge zu unterschiedlichen Teilgebieten der Geschlechtergeschichte zu hören. CLAUDIA ULBRICH (Berlin) fasste zunächst noch einmal die wesentlichen Untersuchungsprämissen der Frauen- und Geschlechtergeschichte zusammen und betonte besonders, dass das Ziel dabei eben gerade nicht die Hervorhebung der Geschlechterunterschiede sei, sondern die Aufdeckung ihrer historisch abhängigen Wahrnehmungen und der damit verbundenen Geschlechterordnungen. Im Anschluss dran gab SILKE TÖRPSCH (Berlin) eine Einführung in die Männlichkeitsgeschichte, wobei sie den populären Vorwurf, diese stelle eine antifeministische Konkurrenz zur Frauengeschichte dar, ausräumte, indem sie anhand mehrerer Beispiele hervorhob, dass der primäre Analysegegenstand historische „Männlichkeit(en)“ seien und nicht „Männer“. Schließlich präsentierte HEINZ-JÜRGEN VOSS (Frankfurt/Oder) einen Einblick in den eher aktivistisch inspirierten Hintergrund der Queer Studies und führte anhand aktueller Problemstellungen aus, inwieweit diese Relevanz über den wissenschaftlichen Tellerrand hinaus besitzen.

Im Anschluss daran hatten die Nachwuchswissenschaftlerinnen unter Leitung der Vortragenden in drei unterschiedlichen, inhaltlich den Kurzvorträgen entsprechenden Workshops parallel die Möglichkeit, ihre Projekte und Fragen mit den Referent/innen zu besprechen und so auf der Ebene ihres persönlichen wissenschaftlichen Unterfangens Probleme der Geschlechtergeschichte zu diskutieren.

Den ersten Konferenztag beschloss OLAF STIEGLITZ (Köln) mit seinem Vortrag „Die Erfindung des Basketball. Eine Geschlechtergeschichte“. Darin illustrierte er die Verflechtungen von Geschlecht, Alltag und Politik, aber auch die wichtige methodische Zusammenführung von Frauen- und Männergeschichte. Neben der ursprünglichen Motivation der Gewaltminderung im Vergleich zu anderen Sportarten wie Boxen oder American Football, arbeitete Stieglitz für den Bereich des „am Reißbrett entstandenen“ Basketballspiels exemplarisch das gesellschaftliche Ausmaß von Sport und die damit verbundene Relevanz für die Geschlechtergeschichte heraus. Am Beispiel Basketball machte er deutlich, wie unterschiedlich die Geschlechter ein neues Spiel adaptierten und veränderten sowie wie sehr die genderspezifische Sozialisation den Männern und Frauen Freiheit gab oder sie beschränkte. So wurde das für Männer entworfene Spiel in kürzester Zeit von Frauen übernommen, entwickelte sich aber im Anschluss daran in ganz unterschiedliche Richtungen. Zudem wurde deutlich, dass der amerikanische Sport nicht nur unter der Kategorie gender, sondern ebenfalls unter den Aspekten class und race zu lesen ist und somit als Zugang zu alltagspolitischen Problemen der USA verstanden werden kann.

Am zweiten Tag stand „Gender in der Forschungspraxis“ – so der thematische Rahmen – im Zentrum. Den Einstieg bot RITA VOLTMER (Trier) mit ihrem Vortrag „Stimmen der Frauen? Gerichtsakten und Gender Studies am Beispiel der ‚Hexenforschung‘“, in dem sie ausgehend von quellenkritisch-methodischen Fragen die Geschlechtergeschichte und ihre Herausforderungen diskutierte. Während sie auf der einen Seite die Wichtigkeit einer kritischen und reflektierten Quellenarbeit betonte, gelang es ihr auf der anderen Seite rezeptionsgeschichtliche Probleme herauszuarbeiten. So war die Gerichtsakte als Quelle vor allem bei weiblichen Forscherinnen in den 1980er Jahren umstritten und wurde zum Teil ideologisch abgelehnt, während männliche Forscher ihren Quellenwert besonders betonten. Anschließend enthüllte Voltmer bei einer Analyse der Einzelaspekte nicht nur den Konstruktionscharakter der Quellengattung, sondern deckte auch den eigentlichen ‚Architekten‘ dieses Konstruktes auf – den Schreiber der Akte. Die hohe Standardisierung dieser Dokumente und ihre verschiedenen Bearbeitungsebenen lassen sie als Zeugnis für die „Stimme der Frauen“ oft unzureichend erscheinen, bzw. sollten sie bei dieser Fragestellung nur dann herangezogen werden, wenn sich Hinweise finden lassen, dass es sich um einen frühen Bearbeitungsstatus handelt.

In den folgenden vier Panels erhielten die teilnehmenden NachwuchswissenschaftlerInnen die Möglichkeit, ihre Projekte in unterschiedlichen thematischen Sektionen vorzustellen. Die Schwerpunkte reichten dabei von der Antike bis in das 19. Jahrhundert und schlossen andere Disziplinen wie Germanistik, Religionswissenschaft und Theologie mit ein.

In der ersten Sektion „Emotion – Körperlichkeit – Gewalt“ unter der Moderation von Rita Voltmer und Olaf Stieglitz widmete sich CHRISTIANE KRAUSE (Hamburg) zunächst geschlechterspezifischer Gewalt in literarischen Texten der griechischen und römischen Antike. STEFFI GRUNDMANN (Wuppertal) setze sich daraufhin mit der Symbolik von Haut und Haar in antiken Wissenskulturen auseinander. Welche Bedeutung und welchen Nutzen nicht nur die Queer Theory, sondern auch die Material Studies für die Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit haben können, verdeutlichte PATRICIA KOTZAUER (Jena). Schließlich präsentierte JOHANNA E. BLUME (Saarbrücken) die Lebenswelten von Kastraten im Mitteleuropa des 18. und 19. Jahrhunderts.

Unter dem Titel „Lebenswelten – Handlungsspielraum – Perspektivwechsel“, moderiert von Eva Labouvie und Silke Törpsch, startete ANNIKA WILLER (München) die zweite Sektion mit ihrer Untersuchung von Beschreibungen männlicher Vorherrschaft als Tyrannei bei den Schriftstellerinnen Moderata Fonte, Lucrezia Marinella und Arcangela Tarabotti. Darauffolgend stellte FRANCESCA CARRETTI (Saarbrücken) die bayerische Fürstin Henriette Adelaide als sportliche Adelige des Barock vor. Mit dem Frauenvereinswesen von 1848/49 befasste sich im Anschluss GIULIA FRONTONI (Göttingen). ANNAMÁRIA MOLNÁR (Budapest) beendete dieses Panel mit der zeitgeschichtlichen Untersuchung von Schwäbischen Frauen unter den Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs.

In der von Anne Conrad und Claudia Ulbrich moderierten Sektion „Religion – Theologie – Kirchen“ setzte sich zunächst ANDREA HAUFF (Gießen) mit Netzwerken und Förderkreisen weiblicher Heiliger im Mittelalter auseinander. Im Anschluss präsentierte MONIKA FROHNAPFEL (Mainz) Exklusionsmechanismen im frühneuzeitlichen Spanien, indem sie Frauen vor der spanischen Inquisition zwischen 1600 und 1650 untersuchte. SARAH JÄGER (Göttingen) befasste sich unter dem programmatischen Titel „Revolution auf leisen Sohlen“ mit „Protestantismus, Individualisierung und Frauenemanzipation in den fünfziger und sechziger Jahren“. Abschließend widmete sich JUDITH SAMSON (Bochum) Geschlechter- und Sexualitätsfragen in der Würzburger Synode 1971 bis 1975.

In der letzten Sektion unter der Leitung von Elsbeth Bösl und Heinz-Jürgen Voß „Wissen – Diskurs – Medien“ erlaubte JOHANNA GÖRGEMANNS (Aachen) den Teilnehmenden einen Einblick in Leipziger Frauenjournale des 18. Jahrhunderts mit dem Schwerpunkt ‚Wissensordnung‘. ELKE DÜNISCH und EVA WINTER (München) gingen danach auf Besessenheits- und Geschlechterdiskurse der Frühen Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert ein. Eine Analyse des geschlechterspezifischen Suiziddiskurses in Österreich von 1870 bis heute präsentierte schließlich MICHAELA HINTERMAYR (Wien).

In der Abschlussdiskussion der Sektionen standen vor allem übergreifende und wiederkehrende Fragen und Probleme im Mittelpunkt, die abermals aufzeigten, wieviel Potenzial die Geschlechtergeschichte für die Geschichtswissenschaft, aber auch für andere Disziplinen hat. Zudem wurde deutlich, mit welchen strukturellen, methodischen und analytischen Problemen die Wissenschaftler/innen zu kämpfen haben.

Die Tagung wurde mit drei weiteren Beiträgen am letzten Tag abgerundet. ELSBETH BOESL (München) bot in ihrem Vortrag „Geschlecht als Analysekategorie in der Technikgeschichte. Konzepte, Forschungsstand, Beispiele“ einen interessanten Einstieg in dieses Untersuchungsfeld, wobei sie zunächst die Entwicklung der um 1900 entstandenen und anfangs rein „männlich“ konnotierten Technikgeschichte erläuterte, um im nächsten Schritt darzulegen, inwieweit diese seit den 1980er Jahren Input aus der Geschlechterforschung erhielt. Diese Erweiterung des Fokus machte nicht nur möglich, Frauen als Akteurinnen und Nutzerinnen der Technik zu berücksichtigen, sondern auch Materialität wie geschlechterspezifisches Design und Performativität bzw. Handlungsmacht der Artefakte aufzudecken. So machte Boesl deutlich, dass die Technikgeschichte unter Einbeziehung der Analysekategorie „Geschlecht“ essentiell ist, um bestimmte (materielle) Aspekte von Geschlechterordnungen und -konstrukten zu untersuchen. Im Anschluss daran stellte EVA LABOUVIE (Magdeburg) in ihrem Vortrag „Gender-Netzwerke (über)regional“ die organisatorische und institutionelle Seite der historischen Geschlechterforschung vor. Dabei ging sie besonders auf aktuelle Tendenzen an den Universitäten und in der wissenschaftlichen Community ein. Während zwar die Anzahl der Publikationen (vor allem Zeitschriften) und Vernetzungsorgane (zum Beispiel der AKHFG) in den letzten Jahren zugenommen hätte, sei dennoch ein besorgniserregender Rückgang an Gender-Studiengängen und -Lehrstühlen zu verzeichnen. Hier sei nach wie vor viel Überzeugungsarbeit und Vernetzungsarbeit zu leisten. Ein optimistischeres Bild lieferten dagegen MICHELLE BRENDEL und AGNÈS PRÜM (Luxemburg). Für den abschließenden Beitrag „Gender – institutionell und individuell: Perspektiven für die Großregion“ stellten sie das aktuelle Forschungsprojekt der Université du Luxembourg „IDENT2“ vor, welches interdisziplinäre Untersuchungen zu Identitäts-, Raum- und Geschlechterkonstruktionen vereint. Anhand des Beispiels von Tankstellen als geschlechter- und regionenspezifische Räume an den Luxemburger Grenzen und deren medialer Darstellung in Filmen machten sie deutlich, wie fruchtbar dabei die Einbeziehung anderer Fachrichtungen wie der Politik- und Medienwissenschaft ist. Abschließend verwiesen Anne Conrad und Jennifer J. Moos (Saarbrücken) darauf, dass seitens des „Forum Geschlechterforschung“ der Universität des Saarlandes ein großes Interesse an Kooperationsmöglichkeiten in der Großregion besteht; die auf der Tagung angebahnte Zusammenarbeit, insbesondere mit Trier und Luxemburg, solle künftig vertieft und weiter ausgebaut werden.

Als Fazit lässt sich festhalten, dass neben der regen Teilnahme an den Workshops, vor allem die angeregten und breitgefächerten Diskussionen das große Interesse an der Geschlechtergeschichte widerspiegelten. Die Themenvielfalt der vorgestellten Forschungsprojekte verdeutlichte zudem die Bandbreite und Vielschichtigkeit der Fragestellungen, die die Gender Studies in sich bergen. Neben thematischen Impulsen in fachfremden Disziplinen oder Teilbereichen, erfolgte die Möglichkeit zum Austausch und der Diskussion methodischer und inhaltlicher Probleme. Damit illustrierte die Tagung nicht nur, dass die Geschlechtergeschichte mittlerweile zu einer etablierten und wichtigen Disziplin geworden ist, sondern auch die Dringlichkeit weiterer (nachwuchs)wissenschaftlicher Vernetzung, vor allem um methodische Probleme und Fragen zu klären und somit die Gender Studies voranzubringen. – Eine Publikation der Tagungsbeiträge ist für 2015 geplant.

Konferenzübersicht:

Panel 1: Frauen, Männer, Queer – Kategorien historischer Forschung?!:

Claudia Ulbrich (Berlin): „Frauen …“

Silke Törpsch (Berlin): „Männer …“

Heinz-Jürgen Voß (Frankfurt/Oder): „Queer …“

Olaf Stieglitz (Köln): Die Erfindung von Basketball. Eine Geschlechtergeschichte

Panel 2: Gender in der Forschungspraxis

Rita Voltmer (Trier): Stimmen der Frauen? Gerichtsakten und Gender Studies am Beispiel der „Hexenforschung“

Christiane Krause (Hamburg): Geschlechtsspezifische Gewalt in Texten der griechischen und römischen Antike

Steffi Grundmann (Wuppertal): Haut und Haar in antiken Wissenskulturen

Patricia Kotzauer (Jena): Zum Nutzen von Queer Theory und Material Studies für die Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit

Johanna E. Blume (Saarbrücken): Kastraten im Heiligen Römischen Reich im 18./19. Jahrhundert

Annika Willer (München): Der Mann als Tyrann. Die Beschreibung männlicher Vorherrschaft als Tyrannei bei Moderata Fonte, Lucrezia Marinella und Arcangela Tarabotti

Francesca Carretti (Saarbrücken): Eine sportliche Frau in der Frühen Neuzeit. Kürfürstin Henriette Adelaide von Bayern

Giulia Frontoni (Göttingen): „Das Damencomité an das Herrencomité“. Das Frauenvereinswesen von 1848/49 neu denken?

Annamária Molnár (Budapest): Erinnerte Geschichte. Schwäbische Frauen und die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges

Andrea Hauff (Gießen): Weibliche Heilige im Mittelalter. Förderkreise und Netzwerke

Monika Frohnapfel (Mainz): Exklusion im frühneuzeitlichen Spanien. Frauen vor der spanischen Inquisition, 1600–1650

Sarah Jäger (Göttingen): Revolution auf leisen Sohlen. Protestantismus, Individualisierung und Frauenemanzipation in den fünfziger und sechziger Jahren

Judit Samson (Bochum): Geschlechter- und Sexualitätsfragen in der Würzburger Synode 1971–1975

Johanna Görgemanns (Aachen): Leipziger Frauenjournale des 18. Jahrhunderts zwischen Wissensordnungen und „Damenwissenschaft“

Elke Dünisch / Eva Winter (München): Besessenheitsdiskurse und Geschlechterkonstruktion in der Frühen Neuzeit und im 19. Jahrhundert

Sonja Engel (München): Reflexionen auf Differenz. Geschlecht und Kultur, Fremdsein und Vergesellschaftung im Diskurs um 1900

Michaela Hintermayr (Wien): Entschlossene Männer und hilfesuchende Frauen? Eine Analyse des geschlechtsspezifischen Suiziddiskurses in Österreich (1870 bis heute)

Panel 3: Grenzüberschreitungen und Vernetzungen

Elsbeth Bösl (München): Geschlecht als Analysekategorie in der Technikgeschichte. Konzepte, Forschungsstand, Beispiele

Eva Labouvie (Magdeburg): Gender-Netzwerke (über-)regional

Michelle Brendel / Agnès Prüm (Luxemburg): Gender – institutionell und individuell: Perspektiven für die Großregion


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