Gender in der Medizin-, Wissenschafts- und Technikgeschichte. Workshop Junge Perspektiven 2014

Gender in der Medizin-, Wissenschafts- und Technikgeschichte. Workshop Junge Perspektiven 2014

Organisatoren
Deutsche Gesellschaft für die Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik e.V. (DGGMNT); Interdisziplinäres Zentrum für Wissenschafts- und Technikforschung (IZWT), Bergische Universität Wuppertal
Ort
Wuppertal
Land
Deutschland
Vom - Bis
10.10.2014 - 11.10.2014
Url der Konferenzwebsite
Von
Vanessa Cirkel-Bartelt, Interdisziplinäres Zentrum für Wissenschafts- und Technikforschung, Bergische Universität Wuppertal

Wo steht die Kategorie „Geschlecht“ in der aktuellen Wissenschafts-, Medizin- und Technikgeschichte? – Nachdem der Trend der frühen 2000er-Jahre mittlerweile etwas abgeebbt ist, versuchte der Workshop „Gender in der Medizin-, Wissenschafts- und Technikgeschichte“, veranstaltet von der Deutschen Gesellschaft für die Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik e.V. (DGGMNT) und dem Interdisziplinären Zentrum für Wissenschafts- und Technikforschung (IZWT) der Bergischen Universität Wuppertal am 10. und 11. Oktober 2014, dieser Frage nachzugehen. Da es sich dabei zugleich um den ersten Workshop in der Reihe Junge Perspektiven der DGGMNT handelte, lag der Fokus auf der Vorstellung von Master- und Promotionsprojekten.

Um die Vorträge in den aktuellen Forschungskontext einzubetten und Diskussionen anzuregen, wurde jeder einzelne kommentiert, außerdem standen mit Christine von Oertzen (Berlin), Sabine Schleiermacher (Berlin), Heiko Stoff (Braunschweig), Heike Weber (Wuppertal), die gleichzeitig als Organisatorin verantwortlich zeichnete, sowie Karin Zachmann (München) erfahrene Genderforschende als Mentorinnen und Mentor zur Verfügung, die nicht nur fachlichen Rat vorhielten, sondern auch ganz konkrete Fragen zu Karriereplanung und Organisation der eigenen Forschung beantworteten.

Schon die Vorstellung aller am Workshop Teilnehmenden machte deutlich, dass die Geschlechterforschung, insbesondere hinsichtlich medizin-, wissenschafts- und technikhistorischen Fragestellungen, insgesamt sehr heterogen ist oder, so Stoff, dass sie eine „Wanderbewegung“ zwischen den verschiedenen Forschungsfeldern vollziehe, so dass man die Kategorie „Geschlecht“ vor allem als gemeinsame Klammer verstehen könne.

Nicht zuletzt aus diesem Grund galt es für die Vortragenden auch, ihre grundlegenden Analysekategorien vorzustellen und zu hinterfragen. In ihrem Vortrag „Haut und Haar im Corpus Hippocraticum: Geschlecht als interdependente Kategorie“ plädierte STEFFI GRUNDMANN (Wuppertal) dafür, statt das aus den Rechtswissenschaften stammende, eher additive Konzept der Intersektionalität auf die historische Genderforschung zu übertragen, besser Geschlecht als interdependente, das heißt in sich selbst mehrfach relationale Kategorie im Sinne Walgenbachs zu verstehen. Wie dieses Verständnis von wechselseitiger Abhängigkeit vor einer möglicherweise unzulässigen Simplifizierung schützt und zugleich das Verständnis der Quellen verbessern hilft, zeigte Grundmann am Beispiel von Zuordnungen von in der Antike geltenden „Krankheitszeichen“.

SHIRIN MOGHADDARI (Frankfurt am Main) nahm in ihrem Beitrag „Das Tier im Mann - Männlichkeit in der Zwischenkriegszeit im Kontext der Tierdrüsentransplantation“ das Konzept der „hegemonialen Männlichkeit“ in den Blick. Die Krise alter Vorstellungen von Männlichkeit erkläre, so Moghaddari, das in den 1920er- und 1930er-Jahren gestiegene Interesse an alternativen und experimentellen Behandlungsmethoden wie der Verpflanzung von hormonaktiven Geweben, in diesem Fall Affenhoden, auf Menschen. In der anschließenden Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, inwiefern das Beispiel der Tierdrüsentransplantation wirklich ein Fanal bürgerlicher „Hypermännlichkeit“ bzw. die Suche nach einem Ausweg daraus dargestellt habe oder nicht vielmehr im Kontext des grassierenden Jugendwahns der Zeit sowie im Kontext anderer Krisenphänomene wie dem Ersten Weltkrieg und seinen Folgen verstanden werden müsse. Zudem wurde die Tatsache in den Blick genommen, dass zu dieser Zeit Gesundheit verstärkt auch zu einem Konsumgut wurde.

BIRTE KOHTZ (Gießen) zeigte in ihrem Vortrag „Von Märtyrerinnen und Kampfunfähigen: Psychiatrische Zuschreibungen von Geschlecht und Ethnizität in Russland um die Wende zum 20. Jahrhundert“, welche Bedeutungsverschiebung Begriffe, in diesem Fall die medizinische Beschreibung von „Hysterie“, durch die geschlechtliche Zuordnung durchlaufen können. Am Beispiel ethnologischer Untersuchungen von russischen Psychiatern verdeutlichte die Vortragende, dass Hysterie bei Frauen als „typisches“ Leiden und damit letztlich als natürliches Phänomen, begünstigt durch bestimmte Lebensumstände, wahrgenommen wurde, bei Männern dagegen als krankhafte Devianz von Männlichkeit. In der Diskussion wurde deutlich, dass vor allem durch den ethnischen Blickwinkel der Ärzte die Analysetools der Genderforschung herausgefordert werden.

Der erste Vortrag des zweiten Tages von EVA MARIA KAUFHOLZ-SOLDAT (Mainz) „Sofja Kowalewskaja und Gender – Eine kritische Betrachtung“ hinterfragte die Anfälligkeit einer biographischen Wissenschaftsgeschichte für instrumentalisierte Deutungsversuche. Die berühmte Mathematikerin diente Kaufholz als Beispiel, um zu zeigen, dass die Rezeptionsgeschichte ihrer Biographie auch eine Geschichte der Um- und Neudeutung ihres Lebens ist. Schon für ihre Zeitgenossen wurde die früh verstorbene Kowalewskaja gleichermaßen zum Inbegriff der wissenschaftlichen Pionierin, wie auch zum Beispiel der durch die „widernatürliche“ Beschäftigung mit Wissenschaften unglücklich gewordenen Frau.

ARMIN ZIEGLER (Aachen) stellte in seinem Beitrag „Zur vergeschlechtlichen Professionalisierung des Ingenieurs. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung anhand deutschsprachiger Allgemeinlexika, 1721-1933“ den Versuch vor, eine Begriffsgeschichte der Berufsbeschreibung des Ingenieurs zu schreiben. Dabei nutzte Ziegler die Kategorie „Geschlecht“ als Analyseinstrument, um die konkurrierenden Konzepte von Männlichkeit, die in diesen Beschreibungen durchscheinen, kritisch zu durchleuchten.

In der ersten von zwei Kurzpräsentationen stellte MANJU LUDWIG (Heidelberg) das Projekt: „Koloniale Konstruktion männlicher Devianz in Südasien 1860-1930“ vor, das sich mit kolonialen Regulierungsversuchen von Phänomenen wie Homosexualität, Transgender und Cross-Dressing befasst. NELE-HENDRIKJE LEHMANN (Freiberg) präsentierte ihre Doktorarbeit über die „Geschichte der Bergakademie Freiberg“ die vor allem die Akademisierung des Ingenieurstudiums in den Blick nimmt und dabei die damit verbundenen changierenden Konzepte von Männlichkeit untersucht.

In der Abschlussdiskussion wurde herausgestellt, dass die Genderperspektive eine gute Grundlage zur Diskussion ansonsten eher disparater Forschungsansätze darstellt und damit auch als Basis für gelungene interdisziplinäre Arbeiten dienen kann.

Neben den Vorträgen und Diskussionen bot der Workshop die Gelegenheit, sich über Themen auszutauschen, die über die inhaltlichen Fragestellungen hinausgingen. So stellte Heike WEBER im Anschluss an die Vorträge des ersten Tages die Arbeit der Deutschen Gesellschaft für die Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik e.V. (DGGMNT), des Driburger Kreises und des Arbeitskreises Historische Frauen- und Geschlechterforschung e.V. vor. In seiner anschließenden Vorstellung der Arbeitsgruppe Mittelbau der Medizin-, Technik- und Wissenschaftsgeschichte betonte Heiko Stoff die Notwendigkeit des Zusammenschlusses von „Nachwuchs“-AkademikerInnen in einer solchen Arbeitsgruppe. Vor allem kritisierte Stoff, dass Graduiertenkollegs WissenschaftlerInnen produzierten, ohne dass es aber mehr unbefristete Stellen gebe. Die AG Mittelbau solle vor allem die Fachgesellschaften mobilisieren und sensibilisieren; Betroffene müssten Druck aufbauen. „Hier und da mal arbeiten, dann eine Vertretungsprofessur, dann ein Jahr arbeitslos […] das ist schön für ein abenteuerliches Leben, aber mehr nicht“, so das Fazit.

Der folgende Tag wurde mit einer offenen Fragestunde eröffnet. Die Masterstudierenden und DoktorandInnen konnten die MentorInnen alles rund um das wissenschaftliche Arbeiten fragen. Dabei wurde deutlich, dass vor allem hinsichtlich des Umgangs mit theoretischen Aspekten der Qualifikationsarbeiten sowie dem Publizieren dieser Arbeiten und von Artikeln ein großer Beratungsbedarf herrscht.

Konferenzübersicht:

Heike Weber (Wuppertal), Begrüßung: Gender - Herausforderung und Potentiale

Steffi Grundmann (Wuppertal), Haut und Haar im Corpus Hippocraticum: Geschlecht als mehrfach relationale Kategorie

Shirin Moghaddari (Frankfurt am Main), Das Tier im Mann – Männlichkeit in der Zeit im Kontext der Tierdrüsentransplantation

Birte Kohtz (Gießen), Von Märtyrerinnen und Kampfunfähigen: Psychiatrische Zuschreibungen von Geschlecht und Ethnizität in Russland um die Wende zum 20. Jahrhundert

Eva Maria Kaufholz-Soldat (Mainz), Sofja Kowalewskaja und Gender – Eine kritische Betrachtung

Armin Ziegler (Aachen), Zur vergeschlechtlichten Professionalisierung des Ingenieurs. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung anhand deutschsprachiger Allgemeinlexika, 1721-1933

Kurzpräsentationen

Manju Ludwig (Heidelberg), Koloniale Konstruktion männlicher Devianz in Südasien 1860-1930

Nele-Hendrikje Lehmann (Freiberg), Geschichte der Bergakademie Freiberg