‚Teutsche Liedlein‘ des 16. Jahrhunderts. Jahrestagung des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Renaissanceforschung

‚Teutsche Liedlein‘ des 16. Jahrhunderts. Jahrestagung des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Renaissanceforschung

Organisatoren
Achim Aurnhammer, Deutsches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg; Susanne Rode-Breymann, Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover
Ort
Wolfenbüttel
Land
Deutschland
Vom - Bis
13.10.2015 - 15.10.2015
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Von
Achim Aurnhammer, Deutsches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg; Susanne Rode-Breymann, Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover

Die Jahrestagung des Wolfenbütteler Arbeitskreise für Renaissanceforschung, geleitet von Achim Aurnhammer (Freiburg im Breisgau) und Susanne Rode-Breymann (Hannover), widmete sich den ‚Teutschen Liedlein‘ des 16. Jahrhunderts. Gefragt wurde erstens nach den vielfältigen Bezügen zwischen Text und Musik, zweitens nach dem sozialen Ort des Liedes im Spannungsfeld höfischer, städtischer oder universitärer Kunstausübung und Unterhaltungskultur, drittens nach den Konvergenzen mit anderen Gattungen (vor allem dem Drama) und viertens nach den wirkungsgeschichtlichen Aspekten der ‚teutschen Liedlein‘.

Eröffnet wurde die Tagung mit einem abendlichen Gesprächskonzert in der Augusteerhalle der Herzog August Bibliothek. Nach der Begrüßung durch den Direktor der Herzog August Bibliothek, Helwig Schmidt-Glintzer (Wolfenbüttel), und der Einführung durch den Vorsitzenden des Arbeitskreises, KLAUS BERGDOLT, wechselten Vorträge von SUSANNE RODE-BREYMANN (Hannover) und SVEN LIMBECK (Wolfenbüttel) mit der Aufführung von ‚Teutschen Liedlein‘ des 16. Jahrhunderts, präsentiert von The Schoole of Night (Maria Skiba und Frank Pschichholz). Susanne Rode-Breymann umriss das Thema der Tagung ausgehend von Quellen, die sich in der Herzog August Bibliothek befinden und einerseits, wie Georg Forsters Frische teutsche Liedlein, auf die zentrale Rolle verweisen, die das Lied in der höfischen Musikkultur hatte, andererseits, wie Andreas Hakenbergers Newe Deutsche Gesänge, Zeugnis von einer reichen Liedproduktion im städtischen Kontext geben. Sven Limbeck ordnete diese Quellen in die Sammlungs-Geschichte der Musikalien in der Herzog August Bibliothek ein.

Am Anfang des ersten Sitzungstages gab ANDREA LINDMAYR-BRANDL (Salzburg) einen Bericht über das von ihr geleitete Datenbank-Projekt „Früher Notendruck in deutschsprachigen Ländern: Studien zur Entwicklung von Drucktechnik und Repertoire / Early Music Printing in German Speaking Lands“. Auf der Basis eingehender quantitativer und statistischer Erhebungen ging Lindmayr-Brandl der Frage nach, wie sich das Repertoire der ,Teutschen Liedlein‘ im Untersuchungszeitraum 1501 bis 1540 entwickelte und suchte auf der ,big data‘-Grundlage ihres Projekts nach Erklärungen für den starken Rückgang des weltlichen Liedes im Dezennium zwischen 1521 und 1530.

NICOLE SCHWINDT (Trossingen) beleuchtete in ihrem Vortrag das metrisch-rhythmische Phänomen des oft am Liedende eingesetzten, sogenannten ,Dreiers‘. Anhand eines Korpus von Liedern aus dem späten 15. und frühen 16. Jahrhundert, die meist während der Regierungszeit Kaiser Maximilians I. entstanden sind, bestimmte sie den ,Dreier‘ als ein den Verlauf der Lieder proportionierendes Verfahren, dessen Einsatz sowohl durch textliche Vorgaben wie durch musikalische Strukturen bestimmt sei. Zudem fragte sie nach der Herkunft des ,Dreiers‘ aus der Romania und nach seinem erstmals bei Heinrich Issac belegten Transfer in das deutsche Lied.

Der folgende Vortrag von ARMIN BRINZING (Salzburg) widmete sich Chanson und Lied in der musikalischen Praxis des 16. Jahrhunderts und richtete sein besonderes Augenmerk auf ein außergewöhnliches Flugblatt, das zu einem weltlichen Liedtext zwei alternative Melodien angibt: neben der Melodie eines geistlichen Liedes wird vorgeschlagen, den Text auf den vierstimmigen Satz eines französischen Chansons zu singen. In seiner Analyse erörterte Brinzing die möglichen Rückschlüsse aus dem bemerkenswerten Quellenbefund im Blick auf den Adressatenkreis des Flugblatts und dessen geographisch-konfessionelle Verbreitung, auf den Einfluss der Romania auf die deutschsprachige Liedkultur sowie auf das Verhältnis von Text und Musik.

IZABELA BOGDAN (Poznan) behandelte die Liedersammlung Concentus novi trium vocum (1540) von Hans Kugelmann und stellte sie in den Kontext des geistlichen Liedrepertoires an protestantischen Schulen in der Reformationszeit. Um Kugelmanns angeblich konservativen Kompositionsstil zu charakterisieren, analysierte Bogdan exemplarisch sieben lateinische und deutschsprachige Stücke. Bei präziser Berücksichtigung des Entstehungskontextes, der Vorlagen und der Funktion des Cantus firmus erscheine Kugelmanns Sammlung in einem differenzierteren, weniger ,rückschrittlichen‘ Licht.

GRANTLEY MCDONALDs (Salzburg) Referat zu Leonhard Pamingers Liederbuch rückte den Aspekt der Autorschaft ins Zentrum. Er charakterisierte Paminger als Dichterkomponisten, der sich einerseits ältere Texte und Kompositionen bearbeitend angeeignet hat, dessen Sammlung aber andererseits nach seinem Tod durch seinen Sohn Sophonias Paminger redigiert und herausgegeben wurde. Als Beispiel für diese Praxis führte McDonald geistliche Lieder an, die beim protestantischen Vater noch deutlich Luthers theologische Positionen transportierten und vom Sohn dann an die jeweiligen Adressaten angepasst wurden, wenn dieser die Stimmbücher an verschiedene, auch katholische, Höfe schickte.

Orlando di Lassos Mein Frau Hilgart stellte BIRGIT LODES (Wien) als parodistisches Lied auf den Ehestand vor. Um die traditionelle Abwertung von Lassos deutschen Liedern zu revidieren und eine differenziertere Sichtweise zu ermöglichen, kontextualisierte sie das Lied nicht nur mit zeitgenössischen Geschlechterdiskursen, sondern ordnete es auch der außerordentlich reich bezeugten Liedfamilie „Maria zart“ zu. Erst vor diesem liedgeschichtlichen Hintergrund, auf den markante Cantus firmus-Zitate referierten, könne der parodistische Text seine Wirkung entfalten. Die Einfachheit des Satzes sei daher nicht kritisch zu beurteilen, sondern in ihrer Funktion für die Textaussage zu würdigen.

Für eine terminologische Neufassung der Stilregister plädierte SONJA TRÖSTER (Wien) mit ihrem Vortrag über die mehrstimmigen Liedkompositionen Ludwig Senfls. Nach einem forschungsgeschichtlichen Rückblick entwickelte sie Vorschläge für eine neue Klassifizierung. Statt Text und Musik sogleich gemeinsam zu typisieren, solle zunächst der Liedsatz anhand von drei musikalischen Stilregistern differenziert werden: zu unterscheiden seien das ,formelle‘, das ,kombinative‘ und das ,schlichte‘ Register. Gerade solche historisch nicht ,vorbelasteten‘ Begriffe erlaubten, so Tröster, eine genauere Charakterisierung und damit die Möglichkeit eines präziseren Vergleichs zwischen den Liedern.

SUSAN LEWIS HAMMOND (Victoria, VA) eröffnete den zweiten Sitzungstag, indem sie Valentin Haussmann als Dichter, Komponisten und Übersetzer vorstellte. Ihr Korpus bildeten Haussmanns Neue teutsche weltliche Lieder (1592–1597) sowie seine ab 1606 erschienenen Übersetzungen von italienischen Canzonetten und englischen Kompositionen. Hammond würdigte Haussmanns übersetzerische Leistungen anhand seiner Adaptionen von Dichtungen Tassos und Vecchis und zeigte exemplarisch auf, wie sein Konzept einer ,freien Übersetzung‘ mit den musikalisch-strukturellen Gegebenheiten des deutschen Liedes korrelierte. An Haussmanns übersetzerischem Œuvre lasse sich zudem nachzeichnen, wie die aemulative Aneignung italienischer Vorlagen den Bildungsprozess der deutschen Dichtersprache beförderte.

Die antike Mythologie in den ‚teutschen Liedlein‘ untersuchte ACHIM AURNHAMMER (Freiburg im Breisgau). Obschon mythologische Inhalte im Liedrepertoire insgesamt nicht dominant hervortreten, lasse sich im späten 16. Jahrhundert eine Entwicklung nachzeichnen, in deren Verlauf die mythologischen Themen und Motive signifikant zunehmen und sich zugleich funktional verändern. Während der Mythos bei Lechner (1577) narrativ gestaltet und mit einer ‚moralisatio‘ abgeschlossen werde, tendieren spätere Sammlungen (Harnisch 1587; Haß 1602; Abraham von Dohna 1600–1616) zu selektiver, deutungsoffener, mitunter variierender und korrigierender Rezeption sowie zu einer verlebendigenden Darstellung, die auf die Lyrik des Barock vorausweise.

IMGARD SCHEITLER (Würzburg) erörterte auf breiter Quellenbasis den Gebrauch des deutschen Liedes im Drama des 16. Jahrhunderts. Gerade die Aufarbeitung einer zuvor noch nicht systematisch erschlossenen Überlieferung erlaubte es ihr, hergebrachte Kategorisierungen kritisch zu hinterfragen: Die Liedverwendung im Drama lasse weder eine klare Trennung zwischen ,Hofweise‘, ,Gesellschaftslied‘, ,Humanistenode‘ oder ,Bergreihen‘, noch die Bevorzugung bestimmter Strophenformen erkennen. Auch zeige der Gebrauch älterer Lieder im Drama des 17. Jahrhunderts eine viel stärkere Kontinuität der literarischen Entwicklung, als es gängige literaturgeschichtliche Periodisierungen mit dem überakzentuierten Neubeginn der deutschen Dichtung durch ihren ,Vater‘ Martin Opitz nahelegten.

Im abschließenden Vortrag von DIETER MARTIN (Freiburg im Breisgau) stand die Rezeption der ,teutschen Liedlein’ in der Zeit um 1800 im Zentrum, die sich nach seiner Analyse im Spannungsfeld von politischer Intention, philologischer Edition und poetischer Inspiration bewegte. Einerseits steht der vor allem, aber längst nicht nur in Arnims und Brentanos Sammlung Des Knaben Wunderhorn zu belegende Rückgriff auf Liederbücher der voropitzischen Zeit im Kontext der nationalpatriotischen Bewegung der Zeit. Andererseits werden die Liedertexte in graduell stark unterschiedlicher Weise bearbeitet: konservativer, nahezu editorischer Treue stehen nicht nur Liedcollagen gegenüber, die Strophen verschiedener Provenienz miteinander kombinieren, sondern auch nachahmende Um- und freie Weiterdichtungen, mit denen die Romantiker das poetische Potential gerade des voropitzischen Liedes freilegten.

Konferenzübersicht:

Öffentliches Gesprächskonzert
Teutsche Liedlein des 16. Jhd.; The Schoole of Night: Maria Skiba, Frank Pschichholz mit Vorträgen von Susanne Rode-Breymann (Hannover) / Sven Limbeck (Wolfenbüttel)

Vorsitz: Gerrit Walther (Wuppertal)

Andrea Lindmayr-Brandl (Salzburg), Deutsche Lieder im frühen Notendruck: ein neuer Blick

Nicole Schwindt (Trossingen), Dreier im Lied des frühen 16. Jahrhunderts

Vorsitz: Jürgen Leonhardt (Tübingen)

Armin Brinzing (Salzburg), „In der Composition Don vincela mit 4.stimmen zusingen“. Chanson und Lied in der musikalischen Praxis des 16. Jahrhunderts

Izabela Bogdan (Poznan), Concentus novi trium vocum (1540) by Hans Kugelmann in the context of sacred song repertoire in Protestant schools of the Reformation period

Vorsitz: Thomas Kaufmann (Göttingen)

Grantley McDonald (Salzburg), Leonhard Pamingers Liederbuch

Vorsitz: Klaus Bergdolt (Köln)

Birgit Lodes (Wien), Orlando di Lassos Mein Frau Hilgart – ein parodistisches Lied auf den Ehestand

Sonja Tröster (Wien), Stilregister der mehrstimmigen Liedkomposition bei Ludwig Senfl

Vorsitz: Andreas Mahler (Berlin)

Susan Lewis Hammond (Victoria, VA), Valentin Haussmann as Poet, Composer, and Translator: The Neue teutsche weltliche Lieder (1592–1597)

Achim Aurnhammer (Freiburg im Breisgau), Antike Mythologie in den „teutschen Liedlein“

Vorsitz: Susanne Rode-Breymann (Hannover)

Irmgard Scheitler (Würzburg), Liedverwendung und Kontrafakturpraxis im Drama

Dieter Martin (Freiburg im Breisgau), Nationalpoetische Aneignung: Aus „Frischen Teutschen Liedlein“ werden „Alte deutsche Lieder“

Schlussbesprechung


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