Barocke Baustellen in Bayern. Akteure, Abläufe und wirtschaftliche Bedeutung

Barocke Baustellen in Bayern. Akteure, Abläufe und wirtschaftliche Bedeutung

Organisatoren
Britta Kägler, Institut für Bayerische Geschichte
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.11.2014 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Christine Rogler / Christina Rothenhäusler, Institut für Bayerische Geschichte

Das Institut für Bayerische Geschichte veranstaltete am 7. November einen Workshop zu barocken Baustellen in Bayern. Dabei stand weniger das kulturelle Phänomen des Barocks im Vordergrund, als vielmehr die wirtschaftlichen Faktoren des barocken Bauens. Eingeleitet wurde der Workshop von einem Abendvortrag am 6. November von EVA-MARIA SENG (Paderborn). Überregionaler und transnationaler Transfer betraf nicht nur Bauleitungen, wie von der älteren Forschung lange angenommen wurde, sondern auch den Materialhandel, der sich von Mitteldeutschland bis in die Südsee erstreckte, wie die Referentin erläuterte.

In seiner Begrüßung betonte FERDINAD KRAMER (München) das wesentliche Anliegen der Tagung: Das Potential des Forschungsstandorts München soll im Rahmen eines interdisziplinären Austausches zwischen Vertretern der Kunstgeschichte, Bayerische Landesgeschichte, Kirchengeschichte, Rechtsgeschichte und Denkmalpflege genutzt werden. Ein besonderer Fokus soll – ganz in der Tradition Max Spindlers – auf europaweiten Netzwerken und Verflechtungen liegen.

ROLAND GÖTZ (München) gab einen Einblick in die vergleichsweise umfangreiche Überlieferungslage barocker Bauprozesse in den Diözesan- und Pfarrarchiven. Generell muss zwischen den Überlieferungen des Auftragsgebers und der prüfenden bzw. genehmigenden Stellen unterschieden werden. In den staatlichen Archiven befinden sich aufgrund der Säkularisation vor allem Unterlagen zu Bauten der Fürstbischöfen, der Domkapitel sowie der Klöster. Bauakten der Kirchen- und Pfründestiftungen werden aufgrund bischöflicher Aufsichtskompetenzen in den Diözesanarchiven aufbewahrt. Abweichungen vom regulären Überlieferungsweg bestehen insbesondere dann, so der Vortragende, wenn der Bau von privaten Spendern und nicht-kirchlichen Bauherren in Auftrag gegeben wurde.

Die Überlieferungslage barocker Schlossbauten in den staatlichen Archiven stellte BRITTA KÄGLER (München) dar, wobei auch auf die Forschungslage Bezug genommen wurde. Betrachtete die ältere Forschung den barocken Schlossbau vor allem in Abgrenzung zur Renaissance, wurden in neueren Arbeiten verstärkt Kontinuitäten herausgearbeitet. Detaillierte Studien zur Bauphase barocker Schlösser sowie vergleichende Arbeiten zu Schlossbaustellen bilden Forschungsdesiderate. Im bayerischen Hauptstaatarchiv sowie den staatlichen Archiven finden sich Unterlagen der landesherrlichen Bauten sowie der Hofmarkschlösser. Neue Erkenntnisse über die zunehmende Ausdifferenzierung von Ämterbesetzungen, Hierarchieketten sowie über Verwandtschaftsverhältnisse von Beschäftigten liefern die Unterlagen des Kurfürstlichen Hofbauamtes im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, wie der Vortragende darlegte. Ergänzt werden diese durch Hofkalender des 18. Jahrhunderts sowie durch Besoldungsbücher des kurfürstlichen Hofzahlamts.

Eine neue Sichtweise auf die barocke Festungsanlage als flexibles Konzept und Bestandteil fortifikatorischer Diskurse lieferte STEFAN BÜRGER (Würzburg). Festungen können hierbei, so seine These, in mehrfacher Hinsicht als permanente Baustelle betrachtet werden. Pragmatische Anpassungen an die jeweilige Topographie, Sanierungsmaßnahmen, vor allem aber die von zeitgenössischen Ingenieuren und Festungsmilitärs geforderte Anpassungsfähigkeit im Falle akuter Bedrohungen stellen das herkömmliche Bild der Festung im Sinne eines festgelegten Bauwerks in Frage. Dies gilt ebenso für Planunterlagen, aufgrund derer keine Rückschlüsse auf die tatsächliche Funktionsfähigkeit der Festungsanlage geschlossen werden können. Der Prozesscharakter des Festungsbaus muss ebenso hinsichtlich der Rollen der Baustellenakteure und ihrer Funktionalität berücksichtigt werden. So durchliefen Ingenieure in der frühen Neuzeit keine einheitliche Berufsausbildung und besaßen unterschiedliche Berufsgrade in der Militärhierarchie, wobei sie im Falle einer Kriegssituation in militärische Befehlsketten auf der Festungsbaustelle integriert werden mussten.

Die Auswertungschancen bildlicher Darstellungen von Baustellen des 16. bis 18. Jahrhunderts stellte CHRISTA SYRER (München) heraus. Die breite Quellenbasis, bestehend aus Tafelmalereien, Wandteppichen, Zeichnungen und Druckgraphiken, wurde bislang weder systematisch gesammelt noch untersucht. Darstellungen frühneuzeitlicher Baustellen sind größtenteils idealtypisch und von zahlreichen Topoi, wie zum Beispiel der Leiter, geprägt. Zieht man schriftliche Quellen hinzu, können jedoch auch Spezifika bestimmter Baustellen herausgearbeitet werden, zum Beispiel die technischen Leistungen oder die Wohnsituation der Beschäftigten. Individuelle Umsetzungen des Bildthemas „Baustelle“ finden sich insbesondere auf Votivbildern. Die Darstellungen liefern indessen wenig Aufschluss über die am Bauprozess beteiligte Gewerke, einschließlich arbeitender Frauen, Sicherheitsmaßnahmen sowie den Verlauf von Bauprozessen, erläuterte die Referentin.

BETTINA DANKESREITER (München) analysierte anhand der Steuerbeschreibungen der Jahre 1671 und 1721 die ökonomischen Verflechtungen zwischen barocken Baustellen und ihrem Umland. Basierend auf dem Steuerbuch von 1612 enthalten die Steuerbeschreibungen von 1671 unter anderem Informationen zum Namen des Besitzers und des Grundherren, zur Abgabenhöhe, zum Viehbestand, zur Art des Besitzrechts, zum Besitz weiterer Güter und Grundstücke sowie zur Ertragslage der Höfe. 1721 kamen erstmalig Angaben zu den landwirtschaftlichen Naturalerträgen hinzu. Betrachtet man ergänzend dazu die Veränderungen der Hofgröße und Häuserzahlen, kann ermittelt werden, inwiefern in den nahegelegenen Dörfern vermehrt Handwerker und Tagelöhner auftraten und inwiefern Bautätigkeiten die Wachstumsprozesse der umliegenden Orte beeinflussten, so Dankesreiter in ihrem Vortrag.

ANDREAS GOMMEL (München) untersuchte die Auswertungsmöglichkeiten von Rechnungsüberlieferungen am Beispiel des Schlosses Dachau. Als problematisch erweist sich die Unübersichtlichkeit und Unzuverlässigkeit der Rechnungsbücher. Inwiefern Lohnzahlungen des Bauherrn, hier des Kurfürsten Max Emanuel, tatsächlich stattfanden, kann meist nicht mehr rekonstruiert werden, legte Gommel dar. Auch zeitgleiche Arbeitsabläufe und ortsgebundene Aufgaben der Baustellenakteure sind größtenteils nicht mehr nachvollziehbar. Hinsichtlich der baulichen Intensivierungsphasen, der Arbeiterverteilung und -bewegung fällt die übermäßig große Anzahl der Arbeiter ins Auge. Dies erfordert eine Neubewertung der Anforderungen an den Architekten, welcher in größerem Umfang als bisher angenommen für die Organisation und Überwachung der Bauprozesse zuständig war.

Laut KATHRIN MÜLLER (München) bestand bei zahlreichen Bauprojekten ein vielfältiger Austausch zwischen den einzelnen Zisterzienserklöstern in Süddeutschland. So befindet sich ein Bauplan der barocken Klosterkirche Schöntal im Stift Stamps. Zudem bestand ein reger Austausch zwischen den in jeweils verschiedenen Klöstern beschäftigten Künstlern. Dieser lässt sich unter anderem beim Stiftsbildhauer Andreas Thamasch nachweisen. Baugenehmigungen konnten auf verschiedenste – und teils auf durchaus kreative Weise – erlangt werden, erläuterte Müller. Beim Kloster Raitenhaslach diente ein vermeintlich baufälliger Dachreiter als Rechtfertigungsgrund für einen Umbau der Kirche und führte somit zur gewünschten Baugenehmigung. Das ikonographische Motiv des bauenden Mönchs steht für die jeweilige Klostergründung und syombolisiert den Kirchenbau und die dazugehörige Baustelle.

Dem Spannungsfeld zwischen künstlerischem Anspruch und der Notwendigkeit ökonomischen Handelns während dem Rokokoneubau der Fürstenzeller Klosterkirche ging THOMAS KUPFERSCHMIED (München) anhand eines zeitgenössischen Baumanuals nach. Das seit 1914 bekannte und in Auszügen ausgewertete Manual ermöglicht ein dichtes Bild der Vorgänge im Fürstenzeller Bauprojekt, erklärte Kupferschmied. Aus der Quelle gehen für den Zeitraum von 1738 bis 1740 drei Architektenwechsel hervor, die allesamt aus dem Grund der Kostenersparnis durchgeführt wurden. Erst der dritte Architekt schaffte es, die künstlerischen Ansprüchen mit den ökonomischen Anforderungen zu vereinbaren. Günstiges Baumaterial wurde daher aus der nächsten Umgebung oder durch Bittfuhren unentgeltlich angeliefert. Um Kosten zu sparen, wurden Zimmermänner, Schreiner oder Schmiede aus der Region beauftragt. Um dem künstlerischen Anspruch der neuen Kirche gerecht zu werden, wurden zugleich bekannte Künstler aus größerer Entfernung, wie der Hofbildhauer Johann Baptist Straub, engagiert.

FABIAN HUBER (Freiburg) zeigte, wie das Verhältnis zwischen der Kurfürstin und Auftraggeberin Henriette Adelaide und dem Theatinerpater Antonio Spinelli den Bau der Theatinerkirche nachhaltig beeinflusste. Der architektonisch interessierte Spinelli habe dem ursprünglichen Architekten Agostino Barelli demnach Fehler in der Konstruktion nachgesagt und sich mit wachsendem Einfluss auf die Kurfürstin mehr und mehr aktiv ins Baugeschehen eingemischt. Als Folge dieser Einmischung und Übermacht Spinellis verließ der Architekt und eigentliche Bauleiter Barelli nach der Fertigstellung des Rohbaus 1674 München und das Bauprojekt. Dass Spinellis Bauleitertätigkeit jedoch nur auf der Gunst der Kurfürstin beruhte, zeigt sich mit dem Tod der selbigen 1676: Spinellis Aufgabenfeld beschränkte sich nun wieder auf das Amt des Probstes.

Das Leben und Werk des Graubündner Maurermeisters Johann Jakob Maffiol, der von 1690 bis 1715 als Hof- und Stadtmaurermeister in der fürstbischöflichen Residenzstadt Freising tätig war, wurde bislang wenig untersucht. ISABELLA HÖDL (München) zeigte mithilfe von mikrogeschichtlichen Zugänge, dass sich Maffiol in sozialer und beruflicher Hinsicht stark in der höfischen Sphäre verortete. Ausgehend davon können sozialgeschichtliche Analysen dabei helfen, die Graubündner Gruppe als soziales Phänomen Bayerns in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu begreifen und Integrations- bzw. Exklusionsvorgänge von Migration nachzuverfolgen.

Bruderschaften nördlich der Alpen wurden bislang ausschließlich hinsichtlich ihrer Funktionen als Wahrer der öffentlichen Ordnung und Agenten der Vergesellschaftung untersucht, nicht jedoch als Kunstförderer. MARION ROMBERG (Wien) wies mithilfe der Datenbank des laufenden Forschungsprojekts zur Ikonographie der Vier Erdteile im Süden des Heiligen Römischen Reiches nach, dass Bruderschaften nicht nur Bruderschaftsaltäre oder Altarschmuck, sondern auch zahlreiche kirchliche Bildprogramme in Auftrag gaben.1 Abbildungen von Bruderschaftsheiligen, repräsentative Darstellungen von Bruderschaftsmitgliedern sowie Inschriftenkartuschen, die auf die jeweilige Bruderschaft als Auftraggeber Bezug nehmen, weisen auf die bruderschaftliche Kunstpatronage hin.

HANS-GEORG HERMANN (München) ging in seinem rechtsgeschichtlichen Vortrag der Frage nach, ob der barocke Baustil auf juristischer Ebene verbindlich gemacht worden sei. Eine umfassende Bauordnung für den altbayerischen Raum bis 1805 fehlt, weshalb man sich bislang vor allem auf kommunale Aufzeichnungen stützte. Baustellen galten als rechtliche Krisenfälle, die sich durch Gefährlichkeit und Unsicherheit auszeichneten. Unfälle, finanzielle Risiken für Bauleiter und Auftraggeber und rechtliche Fragen hinsichtlich der Baufreiheit mussten vorab durch Ordnungen und Verträge normativ geregelt werden. Barocke Stilvorstellungen sind durchaus als konkrete Leistungsbestimmung in Verträgen zu finden, in Bauordnungen ist der Barock jedoch nicht gegenwärtig und somit nicht kraft Gesetzes umgesetzt worden, erklärte Hermann.

Anhand von Zimmermannskonstruktionen ging CLEMENS VOIGTS (Neubiberg) dem Phänomen des barocken Bauens bautechnisch nach. Für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts und für das 18. Jahrhundert lässt sich eine Zäsur in der Konstruktions- und Bautechnikgeschichte von Dachkonstruktionen feststellen. So nutzten Zimmermänner seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges stets ein bestimmtes Repertoire an Konstruktionen, auf welche sie immer wieder zurückgreifen konnten. So diente der Liegende Stuhl als zeitgenössische Standardkonstruktion des Dachstuhls. Die Nutzung des standardisierten Liegenden Stuhls führte im Vergleich zum frühen 17. Jahrhundert zur Reduzierung von Bauschäden und ermöglichte so die Entstehung einer Vielzahl von neuen, bis heute erhaltenen Bauten. Erst durch Traktate des 19. Jahrhundert, die den Liegenden Stuhl als ungünstig bezeichneten, verlor diese Standartkonstruktion an Bedeutung.

Ausgehend von der Überlieferungslage und maßgeblichen Quellengattungen, wurde die Vielfalt barocker Bauprojekte und die Spannbreite der daran beteiligen Akteure aufgezeigt. Transnationale Netzwerke bestanden hinsichtlich des Anwerbens bekannter Architekten und Künstler sowie des Materialhandels, aber auch in Bezug auf vielfältige Formen des Wissenstransfers. Zugleich wurden zahlreiche Verflechtungen zwischen den Bauwerken und ihrem Umland deutlich, sodass die barocke Baustelle einerseits als internationales und transnationales, andererseits als regionales Phänomen greifbar wurde.

Konferenzübersicht:

Ferdinand Kramer: Begrüßung
Britta Kägler: Einführung

Sektion I: Überlieferungssituation
Moderation: Ferdinand Kramer

Roland Götz: Barocke Baustellen zwischen Kirchturm und Holuschupfen: Zur Überlieferungslage in Diözesan- und Pfarrarchiven

Britta Kägler: Vom Neberschmied zum Hofbaumeister: Zur Überlieferungslage des barocken Schlossbaus

Stefan Bürger: Die umkämpfte Baustelle: Probleme der Forschung zum barocken Festungsbau

Sektion II: Der Bauprozess – Quellen
Moderation: Ute Engel

Christa Syrer: Bildliche Darstellungen von Baustellen: Auswertungschancen

Bettina Dankesreiter: Steuerbeschreibungen als Quelle für die Beurteilung des Baubooms im 17./18. Jahrhundert

Andreas Gommel: Rechnungsüberlieferung: Auswertungsmöglichkeiten am Beispiel Schloss Dachau

Sektion III: Auf der Baustelle. Menschen – Orden – Konstruktionen
Moderation: Margit Ksoll-Marcon

Kathrin Müller: Kloster – Orden – Baustelle: Zur Bautätigkeit der Zisterzienser in Süddeutschland

Thomas Kupferschmied: Der Neubau der Klosterkirche Fürstenzell: Ökonomisches Handeln und künstlerischer Anspruch

Fabian Huber: Das Verhältnis von Auftraggebern, Geistlichkeit und Architekten am Beispiel der Theatinerkirche St. Kajetan in München

Isabella Hödl: Der Graubündner Maurermeister Johann Jakob Maffiol im Sozialgefüge der fürstbischöflichen Residenzstadt Freising

Marion Romberg: Wer bestimmt das Deckenbild? Bruderschaftliche Kunstförderung im südwestdeutschen Raum

Hans-Georg Hermann: Bayerisches Baurecht im Barock: Epochensignifikanz, Sachprobleme und Regelungsfragen

Clemens Voigts: Untersuchung der Prosperität barocken Bauens anhand von Zimmermannskonstruktionen

Anmerkung:
1 Mehr Informationen unter: <http://erdteilallegorien.univie.ac.at/blog> (23.03.2015).