Contemporary environmental history of the Soviet Union and the successor states, 1970-2000. Ecological globalization and regional dynamics (EcoGlobReg) – Arbeitstreffen

Von
Katja Doose, Institut für Osteuropäische Geschichte, Eberhard-Karls Universität Tübingen

Die Umweltproteste in der Sowjetunion während der Perestroika waren nur ein Substitut für Nationalismus. Diese bisher gängige „Öko-Nationalismus These“ von Jane Dawson1 macht das deutsch-französische Projekt EcoGlobReg zum Ausgangspunkt seiner Untersuchungen.2 Das Team vermutet dagegen, dass die Sowjetunion bereits in den 1970er-Jahren eine ökologische Wende genommen hat, die erst in der Perestroika zu Massenprotesten führte und in stark abgeänderten Formen bis heute andauert. Im Rahmen des Projekts fragen sie, wie die Beschäftigung mit Umweltproblemen zu einer zentralen Angelegenheit von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft im ausgehenden sowjetischen System wurde, und ob man nach dem Zusammenbruch eine „Ent-ökologisierung“ von Politik und Gesellschaft beobachten konnte. Im Vordergrund steht der Einfluss des global anwachsenden Umweltbewusstseins und transnationaler Umweltexpertisen auf die regionale und nationale Mobilisierung sowie auf die politische Agenda. Hierfür haben die Initiatoren des Projekts Melanie Arndt (Regensburg), Klaus Gestwa (Tübingen) und Marc Elie (Paris) in einem zweiten Arbeitstreffen am Centre d’études des mondes russe, caucasien et centre-européen (CERCEC am Centre National de la recherche scientifique CNRS) in Paris Historiker und Anthropologen versammelt, die ihre Projekte vorstellten. Ziel des Treffens war eine erste Sondierung von Fragestellungen und der Austausch von Ideen.

CAROLE FERRET (Paris) verglich in ihrer Studie die Pferdezucht von Turkvölkern in der jakutischen Taiga mit der in der Kasachischen Steppe. Sie fragte danach, welche Aussagen sich anhand der menschlichen Handlungen dem Tier gegenüber über eine Gesellschaft treffen lassen.3 Während sie in Kasachstan eine aktive Form der Viehzucht beobachten konnte, bei der die Viehzüchter stark kontrollierend eingreifen, verzeichnete sie in Jakutien eine eher passive Haltung den Tieren gegenüber. Die Kommandowirtschaft führte in Kasachstan zu einem bis heute spürbar veränderten Verhältnis der Menschen den Tieren gegenüber.

Auch ISABELLE OHAYON (Paris) beschäftigte sich mit Viehzüchtern in Kasachstan, jedoch mit einem starken Fokus auf Diskussion zwischen lokalen und nationalen Landwirtschaftsexperten. Aufgrund einer starken Veränderung des Viehbestands und der Verdrängung traditioneller Weidetechniken im Zuge der erzwungenen Sesshaftwerdung der Kasachen, begann in den 1960er-Jahren die Degradierung der Weideflächen, welche sich insbesondere in den 1980er-Jahren bemerkbar machte. In ihrem Vortrag warf Ohayon die Frage nach der Interaktion unterschiedlicher staatlicher, wissenschaftlicher und privater Akteure in den Diskursen zur Problematik der Überweidung auf.

Um den transnationalen Verbindungen in Prozessen der Ökologisierung bzw. Ent-Ökologisierung von Gesellschaften unterschiedlicher politischer Systeme nachzuspüren, nahm MELANIE ARNDT (Regensburg) die transnationale Geschichte der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl in den Blick. In ihrem Habilitationsprojekt geht sie dabei insbesondere der Frage nach, welche Rolle Tschernobyl in der Endphase des Kalten Krieges in den Beziehungen zwischen der Sowjetunion und den USA gespielt hat, welchen Einfluss die Katastrophe die Ökologisierungsprozesse auf beiden Seiten hatte. Dafür untersucht sie die Wechselbeziehungen zwischen verschiedenen „carriers of knowledge“4 der Katastrophe, zu denen sie direkt Betroffene, wie die „Tschernobyl-Kinder“ als Brücke zwischen dem Lokalen und Globalen, Experten und andere Mediatoren, NGOs und politische Institutionen zählt.

GARIK GALSTYAN (Lille) griff in seinem Vortrag den Ursprung und die Genese der Armenischen Umweltbewegung auf, deren Ursprung er auf die Proteste über die Verschmutzung des Sevansees 1988 zurückführt. Er zeichnete dabei das Bild einer zwar vielfältigen, aber gleichzeitig sehr zersplitterten Protestbewegung im heutigen Armenien. Zudem mangele es grundlegend an einer Kooperation zwischen der zivilgesellschaftlich organisierten Umweltbewegungen und staatlichen Institutionen. In seiner weiteren Forschung möchte er die konkreten Strukturen der Bewegung untersuchen.

JONATHAN OLDFIELDs (Birmingham) Vortrag über den Beitrag sowjetischer Geographen zum Verständnis von Klima, klimatischen Prozessen und Klimawandel nach dem Zweiten Weltkrieg rundete das Arbeitstreffen ab. Er zeigte, wie Sowjetische Klimaforscher und Geographen in den 1940er- und 1950er-Jahren zum wissenschaftlichem Verständnis des Klimawandels beitrugen, und somit den in den 1970er-Jahre stattfindenden Wandel des Umweltbewusstseins in der Sowjetunion vorbereiteten. In seinen Ausführungen standen der Klimaforscher M.I. Budyko und der Geograph A.A. Grigor’ev im Vordergrund.

Die Vorträge dienten als Grundlage für weiterführende Diskussionen und einen Ideenaustausch unter den Teilnehmern, die sich vorrangig mit sowjetischer Umweltgeschichte befassen. Somit konnten sich die französischen und deutschen Wissenschaftler über Forschungsstand und -tendenzen im jeweils anderen Land einen guten Überblick verschaffen, um das noch in den Anfängen steckende Projekt produktiv fortzusetzen.

Konferenzübersicht:

Eröffnung:
Marc Elie (CNRS, CERCEC Paris)

Vorträge:
Carole Ferret (CNRS, Laboratoire d'anthropologie sociale, Paris), Das Einwirken auf die Natur in der späten Sowjetunion und danach: Extensive Viehzucht in Sibirien und Zentralasien.

Isabelle Ohayon (CNRS, CERCEC Paris), Überweidung und Produktivität in Kasachstan: vorläufige Fragen zu Umweltexpertisen und Hirtenpraxis (1960-1980er-Jahre)

Melanie Arndt (Institut für Ost- und Südosteuropaforschung, Regensburg), Tschernobyl. Die transnationale Geschichte einer Katastrophe

Garik Galstyan (Université Charles de Gaulle, Lille), Den Sevansee retten: über die Mobilisierung einer nationalen Umweltbewegung

Jonathan Oldfield (University of Birmingham), Sowjetische Klimawissenschaft: ein interdisziplinärer Versuch

Anmerkungen:
1 Jane Dawson, Eco-Nationalism. Anti-nuclear Activism and National Identity in Russia, Lithuania, and Ukraine, Durham 1996.
2 Gefördert von der DFG und der Agence Nationale de la Recherche (ANR). Für mehr Informationen siehe auch <http://ecoglobreg.hypotheses.org/project> (28.04.2015).
3 André-Georges Haudricourt (1911-1996) prägte hierfür den Begriff "Anthropologie der Handlung". Vgl. Carole Ferret, Vers une anthropologie de l'action, in: L'Homme 2 (2012), S. 113-139.
4 Matthias Middell, Kulturtransfer und Historische Komparatistik. Thesen zu ihrem Verhältnis, in: Comparativ 10 (1999), S. 7-41.


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