5. Bochumer Nachwuchsworkshop der Mittelmeerstudien

5. Bochumer Nachwuchsworkshop der Mittelmeerstudien

Organisatoren
Zentrum für Mittelmeerstudien, Ruhr-Universität Bochum
Ort
Bochum
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.02.2015 - 27.02.2015
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Von
Hanna Degener, Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum

Vom 26.-27. Februar 2015 veranstaltete das Zentrum für Mittelmeerstudien der Ruhr-Universität Bochum den nunmehr fünften Bochumer Nachwuchsworkshop der Mittelmeerstudien. Wie ANNE RIEDEL (Bochum) in ihrem Eröffnungsvortrag betonte, wurde dem diesjährigen Workshop kein Oberthema vorangestellt, sondern vielmehr der aktuellen Bandbreite der Mittelmeerstudien im deutschsprachigen Raum ein Forum geboten. Somit stand der Workshop unter der Leitfrage: Mediterranistik – was ist das eigentlich? Und: Was kann die eigene Forschung zur Mediterranistik beitragen?

CHRISTINE ISABEL SCHRÖDER (Bochum) untersuchte als Teilaspekt ihres Forschungsprojektes zum Mittelmeer-Diskurs während des Nationalsozialismus die Entwürfe des ‚Mediterranen’ in Berichten deutscher Propagandakompanien. Die Textproduktionen der Kriegsberichter zeigten das Mittelmeer vor allem als ‚Sehnsuchtsraum’ in der Tradition des europäischen Landschaftsdiskurses, der zum einen als ‚exotisch’, zum anderen als Analogie zur ‚Heimat’ geschildert werde. Als intermediärer oder ‚Zwischenraum’ stelle das Mittelmeer einen zwar kulturell umkämpften, aber doch geopolitisch klar als europäisch definierten Teil des ‚Abendlandes’ dar. Im Topos vom ‚Kampf- und Bewährungsraum’ schließlich werde das deutsche mit dem mediterranen ‚Schicksal’ unter Verwendung von völkischen Diskursen verbunden. Die Wortberichte der Propagandakompanien stellten ein Quellengenre zwischen ‚soldatischem’, ‚militärischem’ und ‚populärem Wissen’ dar und ließen sich somit im Hinblick auf Wirkung, Reichweite und Zirkulation dieses Wissens vom Mittelmeer untersuchen.

Den funktionalen Einsatz des Motivkomplexes „Idylle“ zeigte NILS JABLONSKI (Dortmund) anhand der griechischen Insel Korfu. Anhand ‚trivialer’ literarischer wie auch telemedialer Liebesgeschichten, denen Korfu als Kulisse dient, entwarf Jablonski innerhalb seines Dissertationsprojektes eine topologische Topographie des Kitsches. Durch filmtechnische Umsetzung und inszenatorischen Aufwand werde ein austauschbarer ‚Inseltraum im Mittelmeer‘ mit touristischen Merkmalen versetzt und somit wiedererkennbar. Diese Ästhetik des Kitsches bediene die Sehgewohnheiten des Publikums und verbinde die Kulisse mit stereotypen Urlaubs- und Fernwehvorstellungen.

DITTE MARIA DAMSGAARD HIORT (Halle) beleuchtete unter Heranziehung historischer, archäologischer und epigraphischer Quellen Altäre in der Dekapolis. Durch ihre Feldforschung konnte sie eine Gruppe von 41 Altären in der antiken Stadt Gerasa im heutigen Jordanien ausmachen, die aufgrund ihrer Verzierung und verhältnismäßig hohen Anzahl auffällt. Das verbindende Merkmal dieser zumeist aus römischer Zeit stammenden Altäre ist der obere Abschluss einer Hornverzierung, in deren Mitte sich eine Vertiefung befindet, die vermutlich als stilisiertes Becken zu deuten ist. Als besonders interessanten Aspekt stellte sie heraus, dass die Gruppe zwar offenbar auf israelitische Vorläufer rekurriere, allerdings trotz späterer bestehender Verbindung mit der griechisch-hellenistischen Welt keine Einflüsse dieser nachweisbar seien. Gerade die Bekrönung dieser Altarform, die besonders im westlichen antiken Mittelmeerraum nicht rezipiert wurde, lasse Rückschlüsse auf die Ritualpraxis zu. Mögliche Erklärungen hinsichtlich der Beliebtheit sowie des lokal begrenzten Auftretens könnten eine Verbindung zu älteren semitischen Praktiken oder aber die Identifikation kommunaler Identitäten bieten.

ANDREAS GUIDI (Wien / Berlin) untersuchte inter- und intragenerationelle Verhältnisse sowie multikonfessionale und multisoziale Verbindungen zwischen spätosmanischer Zeit und italienischer Verwaltung (1900-1930) auf Rhodos. Er stellte die Frage, ob Alter, Altersunterschiede und -nähe als einflussreiche Faktoren auf die sozialen Praktiken verschiedener Generationen wirken. In Anlehnung an Bourdieu zeichnete er Dynamiken zwischen den Feldern Familie, Bildung, Zeitmanagement, Anomie und Politik unter besonderer Berücksichtigung der ‚Jugend‘ nach. Im Zuge dessen betrachtete er Stabilitäts- und Solidaritätsfaktoren sowie Brüche auch in Hinblick auf Modernitätsdiskurse.

Am Beispiel Marokkos zeichnete RAFFAEL BEIER (Bochum) aus geographischer Perspektive eine dualistische Stadtentwicklungspolitik nach. Auf der einen Seite werde versucht, ein modernes, im internationalen Wettbewerb um Investorengelder und Touristen erfolgreiches Marokko zu zeigen. Auf der anderen Seite gehe man seit den Attentaten in Casablanca 2003 verschärft gegen Elendsviertel und informelle Siedlungen vor. Mit dem Projekt ‚Villes Sans Bidonvilles‘ solle Armut bekämpft, Sicherheit wiederhergestellt und die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert werden. Jedoch berge das Programm auch Herausforderungen in Hinblick auf eine mögliche verschärfte Segregation, einer verstärkten sozialen Isolation, verschlechterten Lebensbedingungen und der Bildung von Banlieus.

Den lokalen Binnenökonomien des mittelalterlichen Okzitaniens und der Provence im 12. und 13. Jh. widmete sich STEPHAN KÖHLER (Mannheim). Anhand von Privilegien, Handelsverträgen und Notariatsakten zeigte er die Verflechtungen der Beziehungen zwischen lokalen Akteuren (Händler vor Ort, Port Cities) und mobilen Handelsagenten (Schiffe, Schiffseigner, -besatzungen etc.) auf. Dabei müsse in Anlehnung an Skinner der Fokus von den italienischen Seerepubliken auf lokale Netzwerke und Kontaktzonen verschoben werden. Als Schnittstellen zwischen Mittelmeerhandel und nordfranzösischen Messen seien Städte wie Marseille, Montpellier, Saint-Gilles und Nîmes, aber auch Transportwege und Umschlagsplätze in den Blick zu nehmen.

Den Mittelmeerraum als Textilraum im 10. bis 14. Jahrhundert präsentierte VERA-SIMONE SCHULZ (Florenz / Berlin). Textilien zeugten als mobile Artefakte von künstlerischen Transferprozessen und transkultureller Kunstgeschichte innerhalb der verschiedenen Herstellungs- und Handelszentren. So würden Technik, Materialität und Muster imitiert und sogar medienübergreifend in Architektur und Malerei übertragen. Anhand der „Maria di Montenero“ erläuterte Schulz die Verbreitung und künstlerische Rezeption von arabischer und pseudoarabischer Schrift auf Textilien und in der Malerei in Italien. Dabei beleuchtete die Referentin den Ursprungsmythos sowie die spätere Rezeption des Werks und identifizierte mögliche Adressaten.

Ausgehend von den Beschreibungen Plinius‘ in der Naturalis Historia zu der Ess- und Trinkkultur der Parther und Perser entwarf FUAD ALIDOUST (Mainz) eine Xenologie der Küche. So zeige sich in Diskursen über ‚dekadente Orientalen’ und ‚verrohte Barbaren’ - neben einer grundsätzlichen Luxuskritik - eine Abgrenzung und Selbstversicherung der Römer. Plinius zufolge trage der Verzehr von rohem Fleisch, übermäßiger Weingenuss und unverdauliche Nahrung neben einer Lügenhaftigkeit der parthischen Magier, mangelhafter Hygiene und fehlender Ess- und Trinksitten zur ‚Verweichlichung’ bei. Der Referent gab jedoch auch zu Bedenken, dass diese negative Schilderung des Plinius in einem ambivalenten Verhältnis zu den historischen Ereignissen stehe, was sich insbesondere in den militärischen Auseinandersetzungen Roms mit den Parthern zeige.

Das Zusammenspiel verschiedener Kultureinflüsse erhellte CAECILIA BRENNINKMEYER (Düsseldorf) anhand der Geschichte der Oper auf Malta seit dem 18. Jahrhundert. So entwickelten sich das Teatru Manoel, gebaut 1731 von den Rittern des Ordens vom Hospital des Heiligen Johannes von Jerusalem, und das Royal Opera House, gegründet von der britischen Kolonialmacht 1866, als Orte der sozialen Interaktion und Zentren des kulturellen Lebens zu einem Medium der maltesischen Identität. Sie befänden sich im Spannungsfeld zwischen britischer Kolonialmacht und italienisch bespieltem Opernsystem und würden so zum Politikum. Nach der Zerstörung des Royal Opera House im Zweiten Weltkrieg entstanden mehrere, zum Teil ehrenamtlich durch lokale Vereine bzw. Pfarreien geführte Opernhäuser, wie etwa auf Gozo, die Rückschlüsse auf die besondere lokale Aneignung der Opernkultur auf Malta zuließen.

FABIAN BRINKMANN (Bochum) diskutierte den Versuch des türkischen ‚Präsidiums für Auslandstürken und Verwandte Gemeinschaften‘ (YTATB), eine spezifische, institutionalisierte ‚türkische Diaspora’ zu formen. Ziel der 2010 gegründeten und dem türkischen Ministerpräsidenten nachgeordneten Behörde sei die soziale, kulturelle und wirtschaftliche Verflechtung sowie die Betreuung von türkischen Staatsbürgern im Ausland und die Zusammenarbeit mit türkischen, türkischstämmigen, turksprachigen und ähnlichen Gemeinschaften im Ausland. Dabei lag der Fokus des Vortrags auf der Konstruktion von (sekundärer) Verwandtschaft und deren diskursiver Herstellung, die der Referent am Beispiel der jüngeren diplomatischen Bemühungen Erdogans um Subsahara-Afrika aufzeigte.

Im Panel „Gewalt und Erinnerung“ sprach JAN STEINBACH (Bochum) über die literarische Reflexion des Rifkriegs, den Spanien als Kolonialmacht in Marokko 1921-27 gegen die aufständischen Rifkabylen führte. Im Zentrum der Analyse stand die Frage nach der Darstellung von Gewalt. Mit Tras el águila del César (1924) von Luys Santamarinas und Ramón J. Senders Imán (1930) präsentierte Steinbach exemplarisch zwei narrative Texte. Dabei deute die Konstruktion und die Schilderung von Tätern und Opfern innerhalb der drastischen Gewaltbeschreibungen auf eine revolutionäre Kritik an den Verhältnissen im spanischen Mutterland und konträre politische Lösungsvorschläge hin.

Die Reichweite der Shoah bis ans Mittelmeer und ihre Folgen der ‚Vergangenheitsbewältigung’ stellte DIMITRIS ELEFTHERAKIS (Bochum) vor. Im Hinblick auf den Massenmord an griechischen Juden während des Zweiten Weltkrieges zeigte er ein vielschichtiges und komplexes Bild sozialer und politischer Konflikte im Griechenland der Nachkriegs- bzw. Bürgerkriegszeit und deren mangelnde Aufarbeitung auf. Dabei betonte er, dass die griechische Gesellschaft bis heute vom Kampf um die Deutungshoheit der eigenen Geschichte, von der Konkurrenz verschiedener Opfergruppen und widerstreitender Widerstandsnarrative geprägt sei.

In der Abschlussdiskussion wurde die offene interdisziplinäre Ausrichtung der Veranstaltung begrüßt. Die Vielzahl und die thematische Breite der Vorträge lassen auf ein fortschreitendes Interesse an der Erforschung des Mittelmeerraums schließen. Eine Ausweitung der interdisziplinären Zugänge und der beteiligten Fachrichtungen auch in Blick auf mögliche natur-, sozial-, politik- und wirtschaftswissenschaftliche Kooperationen wären sicherlich fruchtbar. Für zukünftige Workshops wurde angeregt, einen stärkeren Fokus auf die möglichen methodischen und theoretischen Zugänge zur Mediterranistik zu legen. Auch eine verstärkte Vernetzung und eine weitere infrastrukturelle Verknüpfung der Mittelmeerstudien in Deutschland wurden angedacht.

Konferenzübersicht:

Achim Lichtenberger (Bochum), Begrüßung

Anne Riedel (Bochum), Einführung

Panel: Bilder vom Mittelmeer

Christine Isabel Schröder (Bochum), „Für die herben landschaftlichen Schönheiten hat der deutsche Soldat ein offenes Auge“: Konfigurationen des ‚Mediterranen‘ in Berichten deutscher Propagandakompanien

Nils Jablonski (Dortmund), Idyllischer Inselzauber. Über die ‚verkitschte‘ Landschaft am Beispiel der Insel Korfu und ihrer ästhetischen (De-)konstruktion

Panel: Mediterrane Transformation

Ditte Maria Damsgaard Hiort (Halle), Altars in the Decapolis region 1st century B.C.E – 5th century C.E. religious remedies in context: typology, ritual practice, societal patterns

Andreas Guidi (Wien / Berlin), Generationen im Wandel? Rhodos im Übergang von spätimperialer zu totalitärer Herrschaft (1900-1930)

Raffael Beier (Bochum), Zwischen Prestigeprojekten und Elendsvierteln. Auswirkungen dualistischer Stadtpolitik in Marokko

Panel: Mediterrane Verflechtungsgeschichte(n)

Stephan Köhler (Mannheim), Von der „Histoire du commerce du Levant“ zur mediterranen Entflechtungsgeschichte. Die westliche Mediterranée

Vera-Simone Schulz (Florenz/Berlin), Die Stofflichkeit des Meeres. Zum Mittelmeerraum als Textilraum

Panel: Konstruktionen von Identitäten

Fuad Alidoust (Mainz), „Den Parthern dienen auch Heuschrecken als Delikatesse“: Plinius der Ältere zu den Ess-und Trinkgewohnheiten der Parther und Perser

Caecilia Brenninkmeyer (Düsseldorf), Die Geschichte der Oper auf der Mittelmeerinsel Malta – Oper als „Medium“ kultureller Identität

Fabian Brinkmann (Bochum), Konstruktionen von Verwandtschaft in der türkischen Außenpolitik

Panel: Gewalt und Erinnerung

Jan Steinbach (Bochum), Die Gewalt des Rifkriegs in der spanischen Literatur

Dimitris Eleftherakis (Bochum), Juden in der Öffentlichkeit. Massenmord an den griechischen Juden, Nationalgeschichte und der Umgang mit dem jüdischen Schicksal in der griechischen Gesellschaft


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