Wahrnehmung des Meeres 16.-20. Jahrhundert: Forschungsperspektiven

Wahrnehmung des Meeres 16.-20. Jahrhundert: Forschungsperspektiven

Organisatoren
Deutsches Schiffahrtsmuseum Bremerhaven; Universität Bremen; Universität zu Köln
Ort
Bremerhaven
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.12.2014 - 04.12.2014
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Von
Lisa Esser, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Rund 70 Prozent der Erdoberfläche sind mit Wasser bedeckt; seit jeher leben Menschen mit, von und in Angst vor dem Meer. Dennoch ist die Auseinandersetzung mit den Weltmeeren aus historischer Sicht unter deutschen Forschern ein noch sehr junges Phänomen. Dass dieses Themenfeld spannende Fragestellungen bereithält, zeigt der 2014 erschienene Sammelband „Weltmeere“, herausgegeben von Alexander Kraus und Martina Winkler, der unter anderem Beiträge zur Klang-, Wissenschafts- und Kulturgeschichte der Meere verbindet.1 Der Band zeigt: am Horizont zeichnen sich zahlreiche neue Forschungsfelder ab, die einen hohen Erkenntnisgewinn versprechen.

In dieses sich öffnende Forschungsfeld stieß ein am 3. und 4. Dezember 2014 veranstalteter Workshop im Deutschen Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven. Es stand nicht so sehr die Präsentation fertiger Forschungsergebnisse im Vordergrund. Vielmehr sollte er einen Raum bieten, dieses noch weitestgehend unberührte Forschungsfeld abzustecken, sich über Ideen und Konzepte auszutauschen. Nicht zuletzt diente er dem Aufbau eines Netzwerkes von Forschungsthemen und Personen. Der Ort und die Institution des Schiffahrtsmuseums in Bremerhaven diente hier als ausgezeichnete Plattform. Der thematische Fokus lag auf dem Verhältnis von Mensch und Meer. Dabei wurde zum einen nach Wahrnehmungs- und Darstellungsmustern und zum anderen nach Formen der Nutzbarmachung der Meere von der Frühen Neuzeit bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts gefragt.

Nach einer kurzen Einführung in die Neukonzeption des Schiffahrtsmuseums durch SUNHILD KLEINGÄRTNER und RUTH SCHILLING (beide Bremerhaven) präsentierten im ersten Panel FRANZISKA HILFIKER (Basel) und STEFANIE WYSSENBACH (Bern) ihre laufenden Dissertationsprojekte. Darin beschäftigen sich beide mit Erfahrung, Wahrnehmung und Repräsentation des Meeres in verschiedenen Medien um 1600. Wyssenbach untersucht die Darstellung des Maritimen in Antwerpener Stillleben und fragt dabei nach Formen der Wissensproduktion und -vermittlung im und durch das Bild. Sie zeigte, wie Wohlstand und Erfolg zu dieser Zeit immer als Anbindung ans Meer gedacht und das Wasser nicht als Gefahr oder etwas Fremdes, sondern als Teil der eigenen Identität wahrgenommen und dargestellt wurde. Anschließend berichtete Hilfiker von ihren Forschungen zur Perzeption und Repräsentation maritimer Räume im Umfeld niederländischer und englischer Expeditionen zwischen 1570-1620. Karten dieser Zeit lassen, wie sie referierte, beispielweise ein frühes Superioritätsbewusstsein der späteren Seemächte erkennen und zeigen eine Wahrnehmung des Meeres als befahr- und bezwingbaren Raum. Wie sie auch in ihrem Abendvortrag ausführte, ist es eines ihrer Ziele, die vereinheitlichende Bezeichnung als „das Meer“ aufzubrechen und die Wahrnehmung und Materialität einzelner Teilgebiete, wie beispielsweise Küstenzonen, Eismeergebiete oder unsicherer Gewässer, herauszuarbeiten. Diese einzelnen Untersuchungsräume fasste sie unter dem Begriff der „sea spots“ zusammen.

Im zweiten Teil dieses Panels befasste sich ALEXANDER KRAUS (Münster) mit einer anderen Form der Meeres-Wahrnehmung: dem Hören. Er ging dabei zum einen auf die Töne und Klänge des Meeres selber ein, vom Plätschern über das Pfeifen von Stürmen auf hoher See bis zu den als Folter empfundenen Geräuschen einer Eispressung im Nordpolarmeer. Diese Geräusche, ihre Wahrnehmung und Beschreibung durch Menschen sei immer geprägt gewesen durch andere, allgemeinere Bilder des Meeres. Das hieße gleichzeitig, dass ihre Untersuchung Auskunft über generellere Wahrnehmungen des Meeres, seiner Möglichkeiten und Gefahren, zulasse. Diese würden auch erkennbar in der musikalischen Verarbeitung maritimer Eindrücke, wie beispielsweise in „A Sea Symphony“, komponiert zwischen 1903 und 1909 vom Briten Ralph Vaughan Williams. Und auch in jüngster Zeit, nach dem Tsunami von 2004, hätten viele Überlebende die Momente kurz vor dem Aufprallen der riesigen Welle auf die Küste mit Klangmetaphern beschrieben, wenn sie beispielsweise von einer gespenstigen Ruhe sprachen. Aufgrund all dieser ersten Erkenntnisse sprach Kraus sich grundsätzlich dafür aus, neben dem Sicht- und Fassbaren auch vermehrt Geräuschen in historischen Untersuchungen Beachtung zu schenken.

Als Exkurs in die Forschungsinfrastruktur berichtete CHRISTIAN SALEWSKI (Bremerhaven) von den Möglichkeiten, die das 2011 im Alfred-Wegener-Institut eingerichtete Archiv für deutsche Polarforschung für das Themenfeld der maritimen Geschichte bietet. Die dort lagernden Quellen haben natürlich überwiegend Bezug zur Wissenschaftsgeschichte der deutschen Polar- und Meeresforschung, reichen aber von Dokumenten aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert bis heute und umfassen neben schriftlichem Material auch Bild- und Filmquellen.

In ihrem Abendvortrag knüpfte FRANZISKA HILFIKER (Basel) an ihre Ausführungen auf dem Workshop an und widmete sich der Materialität des Meeres in den Darstellungen bestimmter Seeräume in der Literatur und der sie illustrierenden Bildquellen in der Frühen Neuzeit. Insbesondere das hier repräsentierte, unterschiedliche Verhältnis der europäischen Seeleute und der Eingeboren zum Meer in den Küstenregionen und Inseln machte deutlich, wie das Meer in seiner Räumlichkeit unterteilt und mit je spezifischem Sinn versehen wurde.

Den zweiten Tag des Workshops begann PHILIP BAJON (Köln) mit der Vorstellung seines Projekts zur Geschichte der deutschen Ozeanographie seit 1871. Darin interessierten ihn vor allem Fragen nach der Disziplingeschichte und der Wissenschaftspolitik im Verlaufe der Entwicklung der Meeresforschung von einer überwiegend nationalen zu einer international agierenden Wissenschaft. Auch er verstehe das Meer dabei nicht als bloßen Untersuchungsgegenstand und Aufenthaltsort der Forscher, sondern als Interaktions- und Kommunikationsraum zwischen Mensch und Natur.

Einen ähnlichen Ausgangspunkt wählte auch FRANZISKA TORMA (Augsburg) in ihrem Vortrag zur Umweltgeschichte der Ozeane im 19. und 20. Jahrhundert. Im Gegensatz zu Bajon fokussierte sie sich jedoch verstärkt auf den Einfluss, den das zunehmende, durch Forschung erzeugte Wissen über die Meere auf die Wahrnehmung dieser Räume durch eine breitere Öffentlichkeit genommen habe. Daher rücke die mediale Darstellung von Meer, Umwelt und Wissenschaft in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung. Dies verspreche vor allem für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts spannende Erkenntnisse, wenn man den Wandel der Wahrnehmung/Darstellung vom Meer als vermeintlich unerschöpflichem Ressourcenlieferanten zum bedrohten, fast dem Untergang geweihten Ökosystem genauer untersucht und dabei nach Akteuren, Netzwerken und dahinter stehenden Interessen und Absichten fragt.

Den Abschluss dieses Panels lieferte MARTINA WINKLER (Bremen) mit ihren Ausführungen zur Person des Grafen Moritz Benjowski (1741/46-1786), einem slowakischen Abenteuer-Reisenden, der sich ab 1776 auch selber König von Madagaskar nannte. Winkler berichtete vor allem von nationalen Unterschieden und zeitlichem Wandel in der Rezeption dieses „slowakischen Piraten“. Dabei stellte sie einen Zusammenhang zwischen der allgemeineren Wahrnehmung des Meeres und der Darstellung Benjowskis her. So sei Benjowski beispielsweise im England des 19. Jahrhunderts überwiegend kritisch betrachtet worden, da seine Geschichte dem Mehrheitsnarrativ des mess- und durch Schiffbautechnik bezwingbaren Meeres entgegengestanden habe. Im Unabhängigkeitskampf der Slowaken hingegen sei er als nationaler Held gefeiert worden und habe durch seine Abenteuer den Pazifik, als Teil der weiten, freien Welt, gewissermaßen an die Slowakei heran getragen.

Im Anschluss stellte REINHARD KRAUSE (Bremerhaven) einen Ausschnitt seiner umfangreichen Forschungen zur Darstellung der Polarforschung in Science Fiction Romanen bis 1930 vor, in denen sich zeitgenössische Wissenschaftsutopien sowie Vorstellungen über die Polarregionen widerspiegelten.

JENS RUPPENTHAL (Köln) widmete sich vor allem theoretischen Fragen nach Verortung, Möglichkeiten und Grenzen einer maritimen Geschichte innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaft. Er sprach sich für eine „Maritimisierung der Geschichtswissenschaft“ über das bereits etablierte Feld der Umweltgeschichte aus. Dadurch bekannte Ansätze und Theorien könnten so die Annäherung an das noch weite und bisher kaum abgesteckte Feld der Meeresgeschichte erleichtern. Arbeiten zur Geschichte der Fischerei lieferten ebenfalls gute Orientierungs- und Ansatzpunkte.

Als letzten thematischen Vortrag bot OLE SPARENBERG (Saarbrücken) einen Einblick in seine Forschungen zu den nie umgesetzten bundesdeutschen Plänen zum Tiefseebergbau zwischen 1970 und 1982. In einer Zeit, in der gerade durch Industriestaaten die Endlichkeit der bekannten natürlichen Ressourcen als Existenzbedrohung wahrgenommen wurde, arbeiteten Wirtschaft, Politik und Wissenschaft mit Hochdruck an der Nutzbarmachung neuer Ressourcen in bisher nicht berücksichtigten Gebieten. In diesem Zusammenhang seien dann ganz allgemeine Fragen neu verhandelt worden. Zum einen sei das Meer durch die UN auf rechtlicher Ebene neu abgesteckt und legitime Ansprüche einzelner Staaten definiert worden. Zum anderen habe sich das Verständnis vom Meer und seinem vermeintlichen Nutzen für den Menschen in dieser Zeit schnell und grundlegend verändert.

Wie auch GOTTHILF HEMPEL (Bremerhaven), ehemaliger Direktor des Alfred-Wegener-Instituts, in seiner Schlussbetrachtung zusammenfasste, lohnt eine historische Betrachtung der Meere unter vielen verschiedenen Gesichtspunkten. Wie die einzelnen Beiträge gezeigt haben, bietet der maritime Raum aus kunsthistorischer, medien-, wissenschafts-, umwelt-, aber auch aus politikgeschichtlicher Perspektive eine Fülle von Ansatzpunkten für breite Forschungsfelder, deren Bearbeitung wichtige Beiträge zum Verständnis der wechselseitigen Beziehung zwischen Mensch und Natur und auch darüber hinaus bieten kann.

Konferenzübersicht:

Sunhild Kleingärtner (Bremerhaven), Begrüßung, Neuausrichtung des DSM

Ruth Schilling (Bremerhaven), Forschungsschwerpunkt „Wahrnehmung des Meeres“. Perspektiven und Pläne

Panel I: Bild und Klang
Moderation: Jürgen Elvert (Köln)

Franziska Hilfiker (Basel) / Stefanie Wyssenbach (Bern), Wahrnehmung und Repräsentation des Maritimen in frühneuzeitlichen Expansions-Dokumenten und Stillleben

Alexander Kraus (Münster), Ideen zu einer Klanggeschichte der Meere 19./20. Jahrhundert

Christian Salewski (Bremerhaven), Quellen zur Meeres- und Polarforschung. Das Archiv für deutsche Polarforschung

Franziska Hilfiker (Basel), Die Materialität des Meeres. Erlebnis, Wahrnehmung und Darstellung von Seeräumen im Kontext englischer und niederländischer Expeditionsfahrten um 1600

Panel II: Historiographie
Moderation: Lisa Esser (Berlin)

Philip Bajon (Köln), Mensch und Meer in der Geschichte der deutschen Ozeanographie seit 1871

Franziska Torma (Augsburg), Umweltgeschichte der Ozeane im 19. und 20. Jahrhundert

Martina Winkler (Bremen), Ein slowakischer Pirat. Graf Maurice Benyovsky

Panel III: Tiefenerkundungen
Moderation: Frank Reichherzer (Berlin)

Reinhard Krause (Bremerhaven), Meeres- und Polarforschung in der Science Fiction Literatur bis 1930. Eine imaginäre Wahrnehmung

Jens Ruppenthal (Köln), Meer in die Geschichte. Kultur- und umwelthistorische Zugänge

Ole Sparenberg (Saarbrücken), Bundesdeutsche Interessen am Tiefseebergbau

Abschlussdiskussion, Moderation: Sunhild Kleingärtner
Gotthilf Hempel (Bremerhaven), Schlusskommentar

Anmerkung:
1 Alexander Kraus / Martina Winkler (Hrsg.), Weltmeere. Wissen und Wahrnehmung im langen 19. Jahrhundert, Göttingen 2014.


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