2. Dresdner Nachwuchskolloquium zur Geschlechterforschung

2. Dresdner Nachwuchskolloquium zur Geschlechterforschung

Organisatoren
Dresdner Nachwuchskolloquium zur Geschlechterforschung
Ort
Dresden
Land
Deutschland
Vom - Bis
06.05.2015 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Steffen Heidrich / Doreen Franz, Institut für Geschichte, Technische Universität Dresden / Franziska Scholze, Institut für Katholische Theologie, Technische Universität Dresden Email:

Am 06. Mai 2015 fand das 2. Nachwuchskolloquium zur Geschlechterforschung der GenderConceptGroup der Technischen Universität Dresden statt, in dessen Fokus die interdisziplinäre Erforschung aktueller Geschlechterthemen stand. Organisiert wurde es von Maria Häusl (Institut für Katholische Theologie), Stefan Horlacher (Institut für Anglistik und Amerikanistik), Sonja Koch (Institut für Geschichte), Gudrun Loster-Schneider (Institut für Germanistik) und Susanne Schötz (Institut für Geschichte).

In ihrer Einleitung hob SUSANNE SCHÖTZ (Dresden) die Bedeutung von „Geschlecht“ als wissenschaftlicher Schlüsselkategorie hervor, die immer relational zu Kategorien wie Klasse, Ethnie, Religion und Alter zu untersuchen und zu verstehen sei. Sie ermögliche es der interdisziplinären Geschlechterforschung, Kontinuitäten und Wandel in den Geschlechterverhältnissen zu erkennen und für weitere Untersuchungen und Erkenntnisse fruchtbar zu machen.

Auf die interdisziplinären Aspekte der aktuellen Genderforschung wies auch der Dekan der Philosophischen Fakultät und Sprecher des Bereiches Geistes- und Sozialwissenschaften Matthias Klinghardt in seinem Grußwort hin. Dabei sprach er auch die aktuellen politischen Diskussionen an, die insbesondere die Genderforschung immer wieder polemischen Kritiken aussetzen würden. Hier sei es weiterhin dringend notwendig, die gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen der Kategorie Geschlecht zu verdeutlichen.

LENA STEINJAN (Dresden) eröffnete die erste Sektion des Nachwuchskolloquiums mit einem Vortrag, der sich mit der Frage von Machtzuschreibungen und -ausübung von Männern und Frauen in der Spätantike auseinandersetzte. Am Beispiel der Olympias von Konstantinopel (um 368–408), die als Diakonin in eine außerordentlich einflussreiche gesellschaftliche Position gelangte, arbeitete sie die Bedeutung der Faktoren Bildung, Askese, Besitz und Amt für die Machtposition einer weiblichen Person in der Zeit des frühen Christentums heraus. Für die Frau Olympias war die Askese als Transformationsprozess von besonderer genderspezifischer Bedeutung. Sie hob ihr soziales Geschlecht mit allen negativen Zuschreibungen auf und konnte auf diese Weise in den Machtsphären der Kirche aufsteigen und reüssieren.

MARIE CHRISTIN PIOTROWSKI (Dresden) untersuchte am Beispiel der italienischen Dichterin und Schriftstellerin Virginia Bazzani Cavanozzi (1668 bzw. 1669–1715 bzw. 1720) Leben und Werk einer populären Künstlerin im Italien des späten 17. Jahrhunderts. Italienische Kunst und Literatur erfuhr zu dieser Zeit am sächsischen Hof große Beliebtheit. 1689, in einer Hochphase der Sammelleidenschaft italienischsprachiger und -stämmiger Kunst, gelangte das vorgestellte Opernlibretto Bazzani Cavanozzis nach Dresden. In diesem klassischen Liebes- und Verwirrstück steht die Beziehung zwischen Mann und Frau im Mittelpunkt. Dabei erfolgt die klischeehafte Darstellung der Geschlechter anhand der zentralen Figur des Dieners, der das Geschehen sowohl kommentiert als auch vorantreibt.

Den Bogen in die neuere deutsche Literatur- und Kulturgeschichte schlug MARTIN TEICH (Dresden) mit seinem Vortrag zum Phänomen der Technik und der Technikreflexion in der Literatur des späten 19. Jahrhunderts. Am Beispiel zweier Werke von Wilhelm Raabe (1831–1910), „Alte Nester“ und „Pfisters Mühle“, arbeitete er Raabes kritische Arbeit an der gendercodierten Semantik der ‚zwei Kulturen‘-Theorie heraus, wie er sie in der Kontrastierung von Ingenieur/Technik vs. Bildungsbürger, Prosa vs. Poesie, neuer und moderner vs. alter Zeit re-figurierte und dabei zugleich ironisch unterlief. Mit seiner Erzählweise problematisierte Raabe die zeitgenössischen Stereotype vom Ingenieur als neuem Sinn- und Leitbild rational-zupackender, dynamischer Männlichkeit und vom humanistischen, der Tradition und der traditionalen Familien- und Genderordnung verhafteten Bürger.

ANNE S. RESPONDEK (Dresden) beschloss die erste, von Susanne Schötz moderierte Sektion mit ihrem Vortrag, in dem sie sich des Topos‘ von Krieg und sexualisierter Gewalt annahm. In ihren Ausführungen widerlegte sie eindrucksvoll die noch häufig vertretene Lehrmeinung, dass Frauen sich während des Zweiten Weltkrieges freiwillig in die Bordelle der Wehrmacht gemeldet hätten. Die Ergebnisse ihrer Studie an einem besonders gut dokumentierten Einzelfall verdeutlichend, zeigte Respondek, in welchem Ausmaß Zwang angewendet wurde, um die rassistisch und sexistisch diskriminierten Frauen in Bordelle zu zwingen und dort zu halten. Nach Respondek lässt es die überaus klare Quellenlage nicht zu, die Konstruktion der Freiwilligkeit weiterhin aufrecht zu erhalten.

ALEXANDRA SCHEIN (Dresden) erhielt im Rahmen der Tagung den Förderpreis der Reihe „Dresdner Beiträge zur Geschlechterforschung in Geschichte, Kultur und Literatur“. Schein wurde für ihre herausragende Dissertation geehrt, die sich mit der Darstellung der irischen männlichen Identität in zeitgenössischen US-amerikanischen Filmen und Fernsehserien beschäftigte. Wie Stefan Horlacher in seiner Laudatio betonte, zeigt Scheins Arbeit überzeugend, wie „Irishness“ bzw. irische Männlichkeit mit traditionell patriarchalen Attributen aufgeladen werde, um – nicht erst seit 9/11 – den Eindruck einer natürlichen, traditionellen und konservativen Männlichkeit zu erzeugen, die eine Alternative zu postmoderner Pluralität und Verunsicherung darstelle.

Im ersten Vortrag der beiden von Gudrun Loster-Schneider und Maria Häusl moderierten Nachmittags-Sektionen rekonstruierte NANCY WALTER (Dresden) im Rahmen der historischen Biographieforschung das Leben der Dresdner Kommunistin und Jüdin Rosa Menzer (1886-1942) und konzentrierte sich hier besonders auf die 1920er- und 1930er-Jahre. Menzer hatte sich nach ihrer Immigration nach Dresden politisiert und erst der SPD, dann der KPD angeschlossen. Walter zeichnete dabei das Leben einer „Parteiarbeiterin“ nach, die entgegen der allgemeinen, gewöhnlich anzutreffenden Situation im männlich dominierten Parteiapparat eine Schnittstelle des lokalen politischen Lebens geworden sei. Dabei wies sie auf die Intersektionalität von Geschlecht, Ethnie, Religion und politischer Sozialisation hin. Dieses Verhältnis spielt nicht nur eine zentrale Rolle in der persönlichen Verortung Menzers, sondern stellt auch die Konstruktion der „Widerstandskämpferin Rosa Menzer“, wie sie die antifaschistische DDR-Erinnerungskultur gepflegt habe, in Frage. Während der Nationalsozialismus die Jüdin Rosa Menzer tötete, sei in der DDR lediglich an die Kommunistin erinnert worden.

ANNA ZORN (Dresden) stellte die künstlerische Arbeit von Zanele Muholi (geboren 1972) vor, die sich dem Leben von Queers und schwarzen Lesben in Südafrika widmet. Zorn beschrieb die Abwertung schwarzer lesbischer Frauen in Südafrika trotz liberaler demokratischer Verfassung und scheinbarer Toleranz. Diesen Widerspruch thematisiert Zanele Muholi in ihrer künstlerischen Arbeit, was ihr besonders mit ihren Fotografien gelingt. Sie dokumentiert in ihren Arbeiten diese Gewalt und gibt den Betroffenen die Möglichkeit, ihre Schicksale in die Öffentlichkeit zu rücken. Damit gewährt sie Außenstehenden einen Einblick in die queere Community. Zorn attestierte der Arbeit Muholis eine nicht zu unterschätzende Wirkung, da Kunst „als ‚Bindeglied‘ zwischen einem (elitären) internationalen Kunstpublikum und den marginalisierten Personen vor Ort“ fungieren kann, und sieht den Wert dieser Arbeit in der Generierung von Fragen, Empathie und Verständnis.

SOPHIE RUBY (Jena) rückte vier breit rezensierte Sachbücher der „neuen Frauenliteratur“ in den Mittelpunkt ihres Vortrags zu aktuellen Konzepten von Feminismus und Geschlecht. Dabei untersuchte sie die Publikationen von Alice Schwarzer („Die Antwort“), Elisabeth Raether und Jana Hensel („Neue deutsche Mädchen“), Bascha Mika („Die Feigheit der Frauen“) und Kristina Schröder („Danke, emanzipiert sind wir selber“), aus den Jahren 2007-2012 in einer qualitativen Analyse. Berücksichtigt wurden auch die entsprechenden Rezensionen. In ihrer Auswertung bemerkte Ruby eine Diskrepanz in der Bewertung des „alten Feminismus“ der 1970er-Jahre. Während die RezensentInnen diesem zum Teil unkritisch bis affirmativ gegenüberstehen, ist die Distanz der oben angeführten Autorinnen zum Feminismus der 1970er-Jahre deutlich größer. Ruby konnte deshalb zwei Trends feststellen: Zum einen werde Feminismus als unattraktiv dargestellt, zum anderen in Abgrenzung davon dem Feminismus (wieder) Attraktivität verliehen. In den Publikationen werde, so Ruby, eine diskursive Enteignung des gesellschaftskritischen Feminismus sichtbar, gegen die sich aber, wie in den Rezensionen erkennbar, spürbarer Widerstand rege. Auf vielfältigen Ebenen finde eine Vernetzung und Organisation zu feministischen Themen statt. Vom Tod des Feminismus, wie ihn die besprochenen Autorinnen postulierten, könne also nicht die Rede sein.

FRANZISKA KÜHN (Dresden) referierte über Christa Wolfs (1929-2011) letzten Roman „Medea“ und dessen intertextuelle Bezüge zu René Girards Opfer- und Sündenbocktheorie. Zentraler Ausgangspunkt der Argumentation war die in zahlreichen texteigenen Verweisen markierte, zugleich aber auch problematisierte Schlüsselfunktion, welche Girards Sündenbock-Theorem in Wolfs narrativer Adaption und Neu-Interpretation des Medea-Mythos zukommt: Wolfs Roman zeige, wie in diesem Fall – Girards Theorie gendersensibel erweiternd – eine Frau systematisch zum Sündenbock einer ganzen Gesellschaft gemacht werde. Diesem Ansatz folgend, arbeitete Kühn auf der einen Seite die Korrespondenzen zwischen Roman und Theorie heraus, zeigte auf der anderen Seite jedoch, wie im Roman Aspekte der Theorie Girards aufgegriffen, mit anderen Intertexten verbunden und im Sinne eines Genderings dialogisch weiterentwickelt werden. Wolfs metatheoretische, ästhetische Antwort erweitert die androzentrisch argumentierende Theorie Girards, indem sie bspw. dessen Konstrukt des mimetischen Begehrens weiblich adressiert und zu einem konstitutiven Handlungsmovens macht.

JENNY SEIBICKE (Dresden) untersuchte die Ansätze einer feministischen Theoretikerin, die in den meisten Debatten bereits in Vergessenheit geraten ist: Monique Wittig (1935-2003). Nach Wittig ist die patriarchale Gesellschaft vor allem durch eine alles durchdringende Heteronormativität wirkmächtig. Dies zu bekämpfen sei eine kollektive Aufgabe. Dabei fordert Wittig eine konsequente Loslösung von Körperlichkeit(en) und die Absolutsetzung der sozialen Konstruktion von „Geschlecht“. Konsequenterweise, so Seibicke, sei Wittig deshalb auch vehemente Gegnerin eines „feminism of differences“ gewesen, da dieser Dichotomien und heteronormative Muster eher vertiefe. Wittig, so Seibicke, fordere stattdessen eine neue Literatur, die das Geschlecht aus der Sprache löse. Eine solche Literatur könne die Wirkung eines Trojanischen Pferdes erzielen. Dabei sei der Vorwurf der Utopie aber nicht von der Hand zu weisen, trotzdem lohne sich die Einbeziehung Wittigs in neuere theoretische Konzeptionen.

GESINE WEGNER (Dresden) hielt einen Vortrag über die Konstruktion von Weiblichkeit im US-Amerikanischen „Medical Drama“. Sie konzentrierte sich auf die Frage, wie sich einzelne populäre Texte, die eine Protagonistin mit Behinderung darstellen, in den amerikanischen Diskurs über Weiblichkeit und Behinderung einordnen lassen. Ihre Untersuchung nahm Wegner am Beispiel der zeitgenössischen Fernsehserie „Grey’s Anatomy“ vor. Die Protagonistin Arizona Robbins, eine behinderte lesbische Frau, steht hierbei exemplarisch für die Entweiblichung/Entmännlichung und Asexualisierung behinderter Menschen im kulturellen Diskurs. Es wird im Laufe der Staffel klar, dass eine Performanz von Weiblichkeit nur durch die Unsichtbarmachung der Behinderung gelingen kann. Wegner hielt fest, dass die Konstruktion von Weiblichkeit „innerhalb einer körperlich normativen Imagination verankert“ bleibt.

DOMINIC SCHMIEDL (Dresden) analysierte in seinem Vortrag „Western-Figuren“ in zeitgenössischen amerikanischen Fernsehserien. Dabei stellte er am Beispiel der Serie „Breaking Bad“ den Zusammenhang zwischen Krise und Männlichkeit fest. Die neuen Serien stellen dysfunktionale Männlichkeiten in den Mittelpunkt, die einer krisengeschüttelten Mittelschicht entstammen. Das Western-Motiv diene hier wie in anderen Beispielen der Inszenierung einer zweiten Chance, wobei die Remaskulinisierung den Helden einerseits wieder instand setze, ihn andererseits aber auch von der Gemeinschaft entferne.

Zum Abschluss dankte Maria Häusl den ReferentInnen und ihren wissenschaftlichen BetreuerInnen sowie ihren KollegenInnen und Mit-OrganisatorInnen. Sie betonte, dass der Geschlechter-Schwerpunkt nicht nur in Forschung und Lehre der TU Dresden allgemein, sondern gerade auch in der Nachwuchsförderung zunehmend große Bedeutung habe. Die Reihe genderwissenschaftlicher Nachwuchskolloquia an der TU Dresden werde daher nicht nur mit einer dritten Veranstaltung, sondern auch mit weiteren Dokumentationsbänden fortgeführt.

Konferenzübersicht:

Matthias Klinghardt (Dresden), Grußwort

Susanne Schötz (Dresden), Eröffnung des Nachwuchskolloquiums

Lena Steinjan (Dresden), Mächtige Männer – ohnmächtige Frauen? Machtkonzeption und Geschlecht in den spätantiken Texten zur Diakonin Olympias von Konstantinopel.

Marie Christin Piotrowski (Dresden), „Questo sesso leggiero sempre s‘appiglia al suo peggior pensiero“. Ironische Darstellung des Frauenbildes in einer Männerwelt. Das verborgene Manuskript einer italienischen Autorin des ausgehenden 17. Jahrhunderts in der SLUB.

Martin Teich (Dresden), Von Ingenieuren und Philologen. Zur genderfizierten Semantik der ‚zwei Kulturen‘ in Raabes Alte Nester und Pfisters Mühle.

Anne S. Respondek (Dresden), „Gerne will ich wieder ins Bordell gehen…“. Ein Beitrag über die ,freiwillige Meldung‘ ins Wehrmachtsbordell.

Stefan Horlacher / Gudrun Loster-Schneider (Dresden), Verleihung des Förderpreises der Reihe „Dresdner Beiträge zur Geschlechterforschung in Geschichte, Kultur und Literatur“ an die Preisträgerin Alexandra Schein

Nancy Walter (Dresden), „Viele Generationen lernen Geschichte aus Büchern, wir stehen inmitten großer Ereignisse.“ - Rosa Menzer als Jüdin und Kommunistin im Dresden der 1920er- und 1930er-Jahre.

Julia Scharfe (Dresden), Geschlechterstereotype gestern und heute — eine vergleichende Analyse der Printwerbung in den 1970er- und 2010er-Jahren.

Anna Zorn (Dresden), Zeitgenössische queere Kunst in Südafrika am Beispiel von Zanele Muholi

Sophie Ruby (Jena), Konzepte von Feminismus und Geschlecht in aktuellen Sachbüchern zur Geschlechterfrage.

Franziska Kühn (Dresden), Christa Wolfs Medea und Girards Opfer- und Sündenbocktheorie im Dialog über gewalttätige Frauen, geopferte Knaben und den Mythos von der bösen Zauberin.

Jenny Seibicke (Dresden), ‚The Straight Mind‘: Monique Wittig, Heteronormativität, Patriarchat und falscher Universalismus.

Gesine Wegner (Dresden), Geschlecht: Behindert? — Zur Konstruktion von Weiblichkeit und Ability im US-amerikanischen ‚Medical Drama‘

Dominic Schmiedl (Dresden), Die Rückkehr des Western-Helden in zeitgenössischen amerikanischen Fernsehserie

Maria Häusl (Dresden), Diskussion und Schlusswort


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