Wissenschaftspolitik, Forschungspraxis und Ressourcenmobilisierung im NS-Herrschaftssystem

Wissenschaftspolitik, Forschungspraxis und Ressourcenmobilisierung im NS-Herrschaftssystem

Organisatoren
Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam; Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin
Ort
Potsdam
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.02.2015 - 06.02.2015
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Von
Frank Reichherzer, Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften, Potsdam

In der Nachkriegszeit war lange die Vorstellung verbreitet, dass das NS-Regime den Wissenschaften nur wenig Beachtung geschenkt habe, ihnen gar „feindlich“ gegenüber stand. Nicht zuletzt die Veranstalter dieser hier vorgestellten Tagung – Sören Flachowsky, Rüdiger Hachtmann und Florian Schmaltz – haben erheblich mit ihren Forschungen dazu beigetragen, den Nachkriegsmythen und Rechtfertigungsdiskursen das Bild eines modernen, in der Organisation und in der Forschung effizienten und für die Ansprüche des Regimes funktionsfähigen Wissenschaftssystems während der Zeit des Nationalsozialismus entgegenzustellen. Mit der Unterstützung des Zentrums für Zeithistorische Forschungen und des Max-Planck-Institutes für Wissenschaftsgeschichte versammelte sich die alte und neu Garde der Wissenschaftsforschung zum Nationalsozialismus, um Bilanz zu ziehen, aber auch auf Basis des bisherigen Kenntnisstandes neue Forschungsperspektiven zu erschließen. Das von den Veranstaltern gewählte Thema der Mobilisierung von Ressourcen erwies sich hier als äußerst ertragreich.

FLORIAN SCHMALTZ (Berlin) skizzierte in seinen einführenden Bemerkungen das Erkenntnisinteresse und die Fragestellungen der Tagung.1 Stichworte sind hier: der Ausgangspunkt von einem weitem aber zu präzisierenden Ressourcenbegriff; die Konstellation und der Wandel von Ressourcenensembles; die Erweiterung der Ressourcenbasis des NS; damit verbunden die räumliche Dimension in der Inter- und Transnationalisierung der Perspektive durch die Ausdehnung der Forschung auf die Bezüge zu den angegliederten und besetzten Gebieten; die zeitliche Dimension mit Berücksichtigung der Mobilisierungsschübe während des Nationalsozialismus aber auch im Hinblick auf die Zeit davor und die Auswirkung der NS-Ressourcenmobilisierung auf den Weideraufbau in beiden deutschen Staaten nach 1945.

RÜDIGER HACHTMANN (Potsdam) lieferte mit konzeptionellen Überlegungen zur räumlichen Dimension der Ressourcenmobilisierung den Einstieg in den ersten Block. Mit den Modellen „Zentrum und Peripherie“ sowie „rassistischer Raum“ stellte er zwei aufeinander bezogene Konzepte vor. Mit ihrer Hilfe kann die eher an den praktischen Herausforderungen und den Möglichkeiten und nicht an einem „Masterplan“ orientierte Expansion des NS-Wissenschaftssystem und so Aneignung und Raub von Ressourcen analysiert werden. Was überspitzt als „Großraumwissenschaft“ bezeichnet werden kann, lässt sich in der Praxis als kolonialistisches Modell beschreiben. Hier zeigt sich die Konzentration der Spitzenforschung im Altreich und die Nutzung und Ausbeutung regionaler Ressourcen an der Peripherie und eine Ordnung, die entlang fluider rassistisch bestimmter Ordnungen strukturiert war. Diese konzeptionellen Überlegungen zur räumlichen Dimension der Mobilisierung von Ressourcen unterfütterte FLORIAN SCHMNALTZ (Berlin) mit seinem Beitrag. Er richtete seinen Blick auf die Verflechtungen des deutschen Wissenschaftssystems im Rahmen des von Deutschland kontrollierten Herrschaftsbereiches. Am Beispiel der „Aerodynamischen Versuchsanstalt“ zeigte er die Expansion dieses Forschungskomplexes in die besetzten und annektierten Gebiete und beschrieb die sich daraus bildenden Ressourcenensembles im sich netzartig organisierenden Verbund der Aerodynamikforschung. Netzwerke und ihre Rolle für die Ressourcenmobilisierung standen auch im Zentrum des Vortrages von OLIVER WERNER (Berlin / Erkner). Anhand der Geschichte der „Forschungsstelle für Wehrwirtschaft“ skizziert er die Rolle von Ressourcen vor dem Hintergrund der wirtschafts- und rüstungspolitischen Kräfteverschiebungen im Machtgefüge des NS. In der Positionierung und der wechselhaften Bedeutung der Forschungsstelle ließen sich die Auswirkungen von Mobilisierungsschüben und der Einfluss verschiedener Akteure nachvollziehen. Persönliche und dienstliche Netzwerke fungierten hierbei als Kanäle privilegierter oder vernachlässigter Ressourcenzuteilung. Der Kommentar von PAUL ERKER (München) und die anschließende Diskussion intensivierten die Frage nach Ressourcenraub und der imperialen Expansion des NS-Wissenschaftssystem sowie der Anwendbarkeit des von Hachtmann skizzierten Modells. Mit der räumlichen Dimension wurden ein wichtiges Forschungsfeld und vor allem auch der weiße Fleck der Rolle der Industrie in diesem Zusammenhang markiert.

Die folgenden Blöcke vertieften in Fallstudien bestimmte Aspekte der Konzeption der Tagung. Den Anfang machten PETRA SVATEK (Wien) und KARSTEN LINNE (Hamburg), die die Raumplanung und Kolonialwissenschaften unter der Frage nach der Mobilisierung von Ressourcen betrachteten. Im Zentrum des Vortrages von Svatek standen Volkstumskarten Süd-Ost Europas. Hier zeigt sich die Vernetzung der Akteure im Komplex der Raumforschung. Darüber hinaus thematisierte sie auch den Raub von Daten, die zur Anfertigung der Karten benötigt wurden. Aber auch die Karten selbst wurden zu einer wichtigen Ressource. Das in ihr visualisierte Wissen war von großer Bedeutung für die Bevölkerungsplanung und Umsiedlungspolitik im Südosten Europas. Linne betrachte die Expansion der Kolonialwissenschaften in Hamburg, die in Plänen für die Deutsche Kolonial-Universität Hamburg gipfelten. Hier wurden vor allem auch lokale Ressourcenensembles und Interessen etwa der Hamburger Kaufmannschaft deutlich. Hamburg, so das Ziel dieser Standortpolitik, sollte zur Zentrale eines zukünftigen außereuropäischen deutschen Imperiums werden. Da diese Ziele im Verlauf des Krieges in weite Ferne rückten, war hier eine Umsteuerung der Wissenschaften auf den Raum „im Osten“ zu verzeichnen. Der Kommentar von THOMAS SCHAARSCHMIDT (Potsdam) lenkte den Blick auf die hier sichtbar werdende Fehlallokation von Ressourcen.

Der nächste Block vertiefte bereits anklingende Kontinuitätsdebatten und legte einen Schwerpunkt auf Wissen als Ressource. CHRISTOPH ROOLF (Düsseldorf) untersuchte anhand der Paläontologie, wie vom Ersten Weltkrieg bis in den Zweiten Weltkrieg Wissen aus unterschiedlichen Feldern zusammengeführt und für die Ausbeutung von Rohstoffen genutzt wurde. Insbesondere die Mikro-Paläontologie ließ sich für wirtschafts- und autarkiepolitische Fragen mobilisieren. Sie lieferte mit ihren Erkenntnissen über Mikroorganismen und ihren Bohrkernen wichtige Hinweise auf Erdölvorkommen und war daher in die Forschungsnetzwerke der Fachsparte Bodenkunde im Reichsforschungsrat eingebunden. BENNO NEITZEL (Bielefeld) knüpfte an die Frage nach der Mobilisierung von Wissen(schaften) für Ziele des NS-Regimes an. Er betrachtete die Bedeutung der wissenschaftlichen Behandlung von Massenkommunikation, indem er die deutsche Entwicklung vor dem Hintergrund der USA betrachtete. Entlang der drei Wissensbereiche „Medienwissenschaften“, „Feindbeobachtung“ und „Meinungsforschung“ analysierte er das Verhältnis von Wissenschaft und Politik und argumentierte, dass sich in den USA intensive systematische Verwissenschaftlichungsprozesse in enger Kooperation mit stattlichen Stellen ausmachen lassen. Die Entwicklung in Deutschland sei dahinter zurückgeblieben und reagierte eher ad hoc auf Herausforderungen. Das Buch als Träger von Wissen und damit auch Ressource stand im Zentrum des Vortrages von REGINE DEHNEL (Berlin) und CORNELIA BIEL (Berlin). Die beiden richteten ihr Augenmerk auf die Millionen während des Nationalsozialismus in seinem Herrschaftsbereich geraubter Bücher. Sie beleuchteten die Praktiken des Raubs und des verbilligten Ankaufs von Büchern, den Kampf verschiedener Institutionen um die Publikationen. Sie wiesen auf den Stau bei der Bearbeitung der geraubten Neuzugänge hin und verdeutlichten damit das Problem, Wissen zugänglich zu machen. Anhand der Restitution der in der TU Berlin vorhanden geraubten Bücher der ehemaligen Luftkriegsakademie in Gatow gaben die beiden einen Einblick in ihr Arbeitsgebiet. Der Kommentar von ULF HASHAGEN (München) und die anschließende Diskussion betonten insbesondere die Rolle von Wissen in spezifischen Anwendungszusammenhängen.

PETER SCHÖTTLER (Paris / Berlin) erläuterte am Beispiel der Westforschung, wie die großen Forschungsverbünde des Nationalsozialismus neben den Netzwerken auch Ressourcen in Form von Tagungen, Großforschungsprojekten, Forschungsstipendien für Doktoranden und Habilitanden sowie alternative Finanzierungsmöglichkeiten außerhalb der Universität bereitstellten. Hier zeigt sich, wie das intellektuelle und akademische Potential für die NS-Mobilisierungspolitik eingebunden und für konkrete politische Ziele des NS-Regimes genutzt werden konnte. MATTHIAS BERG (Berlin) untersuchte am Beispiel der Geschichtswissenschaften die Konkurrenzen und die Verteilung von Ressourcen und nahm so „Gewinner“ und „Verlierer“ der Mobilisierungspolitik in den Blick. Anhand der Historischen Zeitschrift zeigte er die Reibungen und Anpassungen zwischen den Vertretern der etablierten universitären Geschichtswissenschaft und einer NS-Weltanschauungswissenschaft auf. Damit verdeutlichte er Strategien des Einschreibens in und Versuche des Umschreibens des NS-Ideologiekomplexes. An die Verteilung von Ressourcen knüpfte KATHRIN BAAS (Münster) am Beispiel der geographischen Forschung an der Universität Münster an. Sie belegte, dass sowohl die Zuteilung als auch der Nutzen von Ressourcen extrem an Personen gebunden war. In diesen personalisierten Herrschaftsverbünden sah sie ein wesentliches Merkmal des NS-Wissenschaftssystems und lieferte ein weiteres Argument für die Bedeutung individualisierter Netzwerke. Der Kommentar von CARL FREYTAG (Berlin) plädierte für eine fach- und themenabhängige Spezifizierung und Einbindung in den NS-Weltanschauungs- und Politikkomplex. Auch die Trennung von Nationalsozialismus hier und die Anderen dort wurden als Setzung für die Analyse als zu statisch und zu abgeschottet wahrgenommen. Wechselwirkungen, Teilhabe und Verschränkungen, wie sich in den Vorträgen gezeigt hatten, sind hier zu betonen.

Die Rüstungsforschung in den Naturwissenschaften bildete den nächsten Komplex, HELMUT MEIER (Bochum) stellte darin die Chemie in das Zentrum seines Vortrages. Am Beispiel des Vereins deutscher Chemiker illustrierte er zunächst die Positionierung der Chemie im NS-Staat. Weiche (Selbst)Gleichschaltung, das Prinzip der NS-Nähe bei gleichzeitig hoher fachlicher Qualifikation und der Schutz vor radikalen Vertretern einer „deutschen Chemie“ sind hier miteinander verknüpfte Merkmale. Die Umwandlung und den Transfer von Ressourcen erblickte Meier in der Kunststoffchemie. Auch die Chemiker selbst waren eine wichtige und knappe Ressource. Eingezogen zum Militärdienst waren viele Chemiker. Oft waren sie aber in fachgerechten Positionen in der Wehrmacht oder der Rüstungsindustrie tätig. Im Fronteinsatz sind verhältnismäßig wenige Chemiker umgekommen. Sie bildeten eine wichtige „Qualifikationsreserve“ für das spätere „Wirtschaftswunder“. LUTZ BUDRASS (Bochum) schaute auf die Forschung in der Luftfahrtindustrie. Hier verdeutlichte er zunächst die Zusammenarbeit zwischen deutschen und französischen Luftfahrtunternehmen. Etwa erledigte die französische Industrie die Produktion und Weiterentwicklung bekannter deutscher Flugzeugmuster. Deutlich zeichnete sich im Vortrag der Blick der Industrie auf den Zukunftshorizont der Nachkriegszeit ab, der die Mobilisierung von Ressourcen erheblich, wenn nicht gar maßgeblich beeinflusste. Zwangsarbeit war hier eine Ressource, den kriegsbedingt aufgeblasen Luftfahrtsektor nach dem Krieg wieder abbauen zu können und den Facharbeitern von den Entwicklungsbereichen den Weg wieder zurück in die Produktion zu ermöglichen. Stammbelegschaften galt es vor Einberufungen zu schützen und für die Nachkriegsproduktion zu erhalten. SÖREN FLACHOWSKY (Berlin) nahm einen Mobilisierungsschub genauer unter die Lupe. Er blickte auf das Reichsamt für Wirtschaftsausbau und die Erforschung von Holzvergasern. Er konnte zeigen, dass der hohe Bedarf an Pferden und Treibstoffen im Militär zu Entwicklungen alternativer Antriebstechniken und Energieträger führte. Die Entwicklung mit Gasgeneratoren ausgerüsteter landwirtschaftlicher Schlepper ist hier ein Muster für die Ressourcenmobilisierung im NS, entsprechend entstanden neue Forschungsinstitute und wurden Förderungsmöglichkeiten entwickelt. RÜDIGER HACHTMANN (Potsdam) wies in seinem Kommentar auf die gewinnbringende Verzahnung von Wissenschafts-, Technik- und Wirtschaftsgeschichte hin und lud ein, anhand der Ergebnisse der Vorträge die These der Flucht des deutschen Innovationssystems in den Käfig der Autarkie zu überdenken.

Mit der Nutzung menschenverachtender Möglichkeitsräume durch Versuche an Häftlingen behandelten zwei Vorträge die äußerst dunkle Seite der Geschichte der Mobilisierung. PAUL WEINDLING (Oxford) ordnete das Thema Ressourcenmobilisierung in den Kontext der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik und des Lagersystems des SS ein. Mit dem Begriff „Explorative Destruction“ lässt sich verdeutlichen, dass Wissenschaftler Häftlinge als Objekte der Vernichtung identifizierten, sie unhinterfragt als „Ressource“ für ihre wissenschaftliche Arbeit betrachteten und die Vernichtungsprozedur für weitere Forschungsprojekte nutzbar machten. Die Zahl der vor allem medizinischen Versuchen zum Opfer gefallener Häftlinge schätzte er auf ca. 98.000 Menschen. JAN ERIK SCHULTE (Limburg / Dresden) vertiefet dies. Er schilderte zunächst die enge netzwerkartige Verknüpfung von SS-Apparat und Wissenschaftssystem und betonte die Radikalisierung innerhalb der Welt der Lager mit Kriegsbeginn und im Kriegsverlauf. Er machte insbesondere die Grenzgänger zwischen SS und Wissenschaft – für die die Lagerärzte idealtypisch stehen – aus, die sich skrupellos den Möglichkeiten des Lagersystems bedienten. Häftlinge erschienen ihnen lediglich als Verbrauchs-, Arbeits- und Wissensressource für ihre oft auf die eigene Karriere ausgerichteten Ziele. Die ethische Dimension der Verdinglichung des Menschen, welche die beiden Vortragenden ansprachen, war auch Thema des Kommentars von MARC BUGGELN (Berlin) und der anschließenden Diskussion. Ethische Fragen und die Problematik der Erforschung von Feldern und Zeiten, in denen Menschen als Ressource betrachten werden, wurden dann im breiteren Kontext des 20. Jahrhunderts diskutiert.

Die Agrarforschung und die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität waren Themen des letzten Blocks. TADEUSZ JANICKI (Poznan) behandelte die Rolle der Landwirtschaftlichen Fakultät der Reichsuniversität Posen. Die vorhandenen Ressourcen in Posen aus polnischer Zeit wurden in die Fakultät übernommen. Die Fakultät sollte maßgeblich an der Entwicklung des besetzten und annektierten Warthelandes dienen und zur „Neuordnung des Ostens“ beitragen. Auch wenn an der Fakultät intensiv gearbeitet wurde, ist ihr Einfluss doch eher gering einzuschätzen. Mit der Fütterungswissenschaft stellte ULRIKE THOMS (Berlin) einen weiteren Fall der Ressourcenmobilisierung vor. Die Fütterungswissenschaft war ein wichtiger Aspekt der Mobilisierung und Produktivitätssteigerung der Landwirtschaft. So hatte das Kaiser-Wilhelm-Institut für Tierische Ernährungsforschung den zweithöchsten Etat aller Institute der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Auch hier zeigen sich deutlich interdisziplinäre Ansätze, Netzwerkbildungen sowie die Rollen von Agenten und Agenturen der Vernetzung für die Mobilisierung von Ressourcen. LUTZ BUDRASS (Bochum) lenkte in seinem Kommentar die Aufmerksamkeit für die in beiden Vorträgen angedeutete Wirkung der NS-Ressourcenmobilisierung auf die Zeit nach 1945 und auf den Wiederaufbau. Zudem wurden in der Diskussion die Wichtigkeit der Erforschung der Mittelinstanzen und die Frage von Erfolg und Misserfolg sowie die historisch anwendbaren Kriterien (die der Akteure oder andere) und die entsprechenden Zeithorizonte für eine Bewertung diskutiert.

An MITCHEL G. ASH (Wien) war es, die Tagung zusammenzufassen und weitere Perspektiven zu entwickeln. Er plädierte für eine dynamische und nicht statische Herangehensweise. Wissenschaft – wie auch Politik – ist nicht als fester Begriff zu verstehen, sondern als Ergebnis eines ständigen Aushandlungsprozesses. Er warnte auch davor, zu eng auf Disziplinen zu blicken, stattdessen solle man eher auf Wissensfelder schauen. Auch das für die Frage nach der Mobilisierung bedeutende Verhältnis von Politik und Wissenschaften skizzierte er als gegenseitig durchdrungen, wies aber darauf hin, dass es auch wissenschaftsfreie Felder in der Politik und politikfreie Felder in den Wissenschaften gibt. Die Frage laute hier nicht, ob die Bereiche durchdrungen sind, sondern bis zu welchem Grad. Zudem merkte er an, dass der Begriff der Ressource sehr weit verstanden und auf der Tagung benutzt worden sei. Mit der Frage „Was ist denn keine Ressource?“ legte er eine eher situative statt einer allgemeinen Definition für Forschungen nahe, da Ressourcen nur als Ensembles zu verstehen sind und in bestimmten Handlungszusammenhängen entstehen und ineinander umgewandelt werden. Frei nach Bruno Latour schloss dann auch die Tagung mit dem Forschungsimperativ: „Schau hin!“.

Konferenzübersicht:

Staat und Ressourcensteuerung

Rüdiger Hachtmann (Potsdam / Berlin), Modelle nationalsozialistischer Wissenschaftsexpansion: „Metropole und Peripherie“ und „rassistischer Raum“ als sich ergänzende Konzepte
Oliver Werner (Berlin / Erkner), Die „Forschungsstelle für Wehrwirtschaft“ in der NS-Wehr- und Kriegswirtschaftsforschung zwischen 1934 und 1945"
Florian Schmaltz (Berlin), Luftfahrtforschung und Ressourcenmobilisierung in den besetzten Gebieten
Kommentar: Paul Erker (München)

Raumplanung und Kolonialwissenschaften

Petra Svatek (Wien), Ressourcenmobilisierung im Bereich der Wiener Raumforschung 1938 - 1945
Holger Stoecker (Berlin), Afrika als kolonialer Ergänzungsraum im „Dritten Reich“. Ressourcen, Visionen und Limitationen
Karsten Linne (Hamburg), Wissenschaft als Standortfaktor – Mobilisierung von Ressourcen für die „Kolonialstadt“ Hamburg
Kommentar: Thomas Schaarschmidt (Potsdam)

Museen und Medien

Christoph Roolf (Düsseldorf), Die deutsche Paläontologie im Zweiten Weltkrieg
Regine Dehnel / Cornelia Biehl (Berlin), NS-Raubgut in Bibliotheken, Museen und Archiven
Benno Nietzel (Bielefeld), Medienwissen, Feindbeobachtung und Ressourcenmobilisierung unter dem NS-Herrschaftssystem
Kommentar: Ulf Hashagen(München)

Geschichts- und Kulturwissenschaften und die ‚West-’ bzw. ,Ostforschung’

Peter Schöttler (Paris / Berlin), Ressourcenmobilisierung in der NS-Geschichtswissenschaft, am Beispiel der „Westforschung“
Matthias Berg (Berlin), "Warum päpstlicher sein als der Papst“? Die deutsche Geschichtswissenschaft zwischen Standesbewusstsein, Anpassungswillen und Mitwirkungsbereitschaft
Kathrin Baas (Münster), Zwischen Westfalen und Berlin. Die Forschungspraxis der Geographen an der Universität Münster
Kommentar: Carl Freytag (Berlin)

Ersatzstoff- und Industrieforschung

Helmut Maier (Berlin), Chemiker im „Dritten Reich“
Lutz Budraß (Bochum), Industrieforschung im Flugzeugbau
Sören Flachowsky (Berlin), "Die schwere Artillerie der Erzeugungsschlacht". Landwirtschaftliche Gas-Schlepper im Vierjahresplan 1936 - 1945
Kommentar: Rüdiger Hachtmann (Potsdam)

Agrarforschung

Tadeusz Janicki (Poznan), Die Rolle der Landwirtschaftlichen Fakultät der Reichsuniversität Posen beim Aufbau des „Mustergaues Wartheland“ (1941 - 1945)
Ulrike Thoms (Berlin), Aus Wertlosem Wertvolles schaffen: Die Mobilisierung der Fütterungswissenschaft zur Steigerung der Nahrungsmittelproduktion im „Dritten Reich“
Kommentar und Moderation: Lutz Budraß (Bochum)

Menschenversuche

Paul Weindling (Oxford), Persecuted Groups as a Resource for Coerced Experiments and Medical Research, 1939 - 45: Jews, Sinti and Roma, Political Prisoners, Prisoners of War, and Psychiatric Patients
Jan Erik Schulte (Limburg / Dresden), Triumph des Utilitarismus? KZ-Häftlinge als „Ressource“ der Wissenschaft im nationalsozialistischen Deutschland.
Kommentar und Moderation: Marc Buggeln (Berlin)

Abschlussdiskussion

Zusammenfassender Kommentar: Mitchell G. Ash (Wien)

Anmerkungen:
1 Wissenschaftspolitik, Forschungspraxis und Ressourcenmobilisierung unter dem NS-Herrschaftssystem, 05.02.2015 – 06.02.2015 Potsdam, in: H-Soz-Kult, 25.07.2014, <http://www.hsozkult.de/event/id/termine-25506>. (21.07.2015).


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