Bekenner, Bekennen und Bekenntnis. Zugänge zu den Konfessionskulturen der Frühen Neuzeit. 5. Erlangener Sommerkurs zur Reformationsgeschichte

Bekenner, Bekennen und Bekenntnis. Zugänge zu den Konfessionskulturen der Frühen Neuzeit. 5. Erlangener Sommerkurs zur Reformationsgeschichte

Organisatoren
Birgit Emich / Natalie Krentz, Lehrstuhl für Neuere Geschichte I, Universität Erlangen-Nürnberg
Ort
Erlangen
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.07.2015 - 30.07.2015
Url der Konferenzwebsite
Von
Kirsten Anna van Elten, Graduiertenkolleg Interkonfessionalität in der Frühen Neuzeit, Universität Hamburg; Johannes Kraus, Department Geschichte, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Dass der Themenkomplex „Bekenntnis“ ein fruchtbares Terrain zur Erforschung frühneuzeitlicher Konfessionskulturen darstellt, liegt nicht nur aus etymologischen Gründen nahe – kollektive Bekenntnisbildung im Sinne einer Orthodoxie, aber auch individuelle Bekenntnisakte gemäß einer Orthopraxie stellten zentrale Phänomene des konfessionellen Zeitalters dar, denen sich der fünfte Erlanger Sommerkurs zur Reformationsgeschichte vom 27. bis 30. Juli 2015 widmete. Wie in den Vorjahren kam hierbei ein interdisziplinärer Ansatz mit verschiedenen methodischen Zugängen und Fragestellungen zum Einsatz um das Bild der Konfessionskulturen im Alten Reich zu schärfen, wie die Organisatorinnen BIRGIT EMICH und NATALIE KRENTZ (beide Erlangen-Nürnberg) in ihrer Einführung betonten.

Das Spannungsfeld zwischen dogmatischer Bekenntnisbildung und praktischer Bekenntnis-Akte spiegelte sich in der Gliederung des Kurses wider: Die erste Sektion widmete sich der Genese der lutherischen Bekenntnisschriften. In der folgenden Sektion wurden Praktiken des Bekennens in Form individueller Konfessionszuordnung und des Sündenbekenntnisses im Rahmen der Beichte behandelt. Eine Verbindung von Theorie und Praxis bot schließlich die dritte Sektion, die sich mit Bekenntnis-Lernen in protestantischen Schulen und der Rolle von Konfession im frühneuzeitlichen Naturkundeunterricht befasste. Ergänzt wurde das Programm durch zwei Exkursionen, die den Blick auch auf architektonische und künstlerische Ausdrucksformen spezifischer Bekenntnisse lenkten.

Den Einstieg in die erste Sektion lieferte HENNING JÜRGENS (Mainz) mit einem Vortrag über die Entstehung und Wirkung lutherischer Bekenntnisschriften. Dabei stellte er insbesondere deren ambivalente Funktion heraus: Anhand der Confessio Augustana mit ihren offenen Formulierungen ließe sich einerseits zeigen, wie Bekenntnisschriften auf eine Integration und Konsensbildung innerhalb des reformatorischen Lagers abzielten. Zugleich dienten sie jedoch einer dogmatischen Normierung und Abgrenzung, indem sie mit eindeutigen Positionierungen auf die zeitgenössischen theologischen Debatten reagierten. Maßgeblichen Einfluss sprach Jürgens schließlich auch den politischen Kontexten zu, die etwa die Auswahl der Theologen bedingten, die mit dem Verfassen von Bekenntnisschriften beauftragt wurden. Dem schloss sich DANIEL GEHRT (Erfurt / Gotha) an, der die Genese von Bekenntnisschriften exemplarisch anhand des Konkordienbuchs des Fürstentums Sachsen-Gotha darstellte. Hierbei wurden einerseits deren regionale Besonderheiten hervorgehoben, andererseits die materielle Bedeutung von Bekenntnisschriften verdeutlicht: Repräsentative Einbände des Konkordienbuches mit Fürstenbildnissen verwiesen so etwa auf eine Identifikation der Dynastie mit dem jeweiligen Bekenntnis, was durch das Verschenken derartiger Prunkexemplare an befreundete Herrscher auch nach außen kommuniziert wurde.

Der Fokus auf die Materialität von Bekenntnisbildung setzte sich in einer Kirchenführung von BERNDT HAMM (Erlangen / Ulm) fort, der am Beispiel der Erlanger Hugenottenkirche aus dem 18. Jahrhundert darstellte, wie das reformierte Kirchenverständnis der Einwanderer sich in der Architektur des Kirchenbaus widerspiegelte. In ähnlicher Weise zeigte auch die weitere Exkursion unter Leitung von THOMAS SCHAUERTE (Nürnberg) den Einfluss der Konfessionsbildung auf die bildende Kunst: Anhand verschiedener Nürnberger Sakralkunstwerke rekonstruierte er einerseits die plakative Vereindeutigung von Bildaussagen, die einem lutherischen Verständnis von Sakralkunst als primär didaktischem Hilfsmittel entsprach. Andererseits illustrierte er besonders am Beispiel der Sebalduskirche den Verzicht der aristokratischen Reichsstadt auf einen Bildersturm als Ausweis eines individuellen, gemäßigten Weges der Nürnberger Reformation.

Anknüpfend an die vorausgehend behandelten Bekenntnisschriften befasste sich RIEKE SCHOLE (Osnabrück / Wolfenbüttel) in der zweiten Sektion ebenfalls mit dem Medium Buch, um nun der Frage nach Praktiken des Bekennens nachzugehen. Ziel ihres hier vorgestellten Dissertationsprojektes ist, anhand von Lesespuren von Professoren und Studenten der lutherischen Universität Helmstedt im 16. und 17. Jahrhundert konfessionelle Identitäten auszumachen. Ihr Untersuchungsschwerpunkt lag dabei auf dem Umgang der Leser mit der Konkordienformel und dem Konkordienbuch. Der von ihr gewählte Ansatz soll es somit ermöglichen herauszufinden, ob und wie sich individuelle konfessionelle Tendenzen sichtbar machen lassen. Ebenfalls mit dem Medium Buch, aber mit einer anderen Form des Bekennens, beschäftigt sich EVA LEHNER (Duisburg-Essen) in dem von ihr präsentierten Dissertationsprojekt, in dem sie Aufschreibepraktiken in fränkischen und oberpfälzischen Kirchenbüchern im 16. und 17. Jahrhundert untersucht. Exemplarisch stellte sie erste Ergebnisse zu Einträgen von Bekenntniswechseln vor, die Pfarrer über die normativen Vorgaben hinausgehend in ihren Kirchenbüchern verzeichneten. In der Diskussion wurden die möglichen Motive – etwa Versuche der Pfarrer, sich gegen mögliche Kritiker abzusichern, aber auch erfolgreiche Konversionen schlicht nachzuweisen – analysiert.

Neben medialen Praktiken bildete die Beichte als Praxis des Bekennens einen Schwerpunkt der zweiten Sektion. CHRISTIANE WITTHÖFT (Erlangen-Nürnberg) stellte anhand des mittelalterlichen Romanzyklus „Prosa-Lancelot“ sowie der im 13. Jahrhundert entstandenen Gattung der Novelle die Entwicklung der Beichte als Akt des Bekennens in der Literatur des Hoch- und Spätmittelalters dar. Beichten sei demnach im 13. Jahrhundert mit der Einführung der jährlichen Pflichtbeichte durch das IV. Laterankonzil zu einem zentralen Motiv in der Literatur geworden. Hierfür schuf vor allem die Novelle neue Erzählräume, in denen Tabuisiertes dargestellt, das Verhältnis von Wahrheit und Wort thematisiert und Autoritäten hinterfragt werden konnten. Für die Frühneuzeit ergänzte CHRISTIAN KÜHNER (Freiburg) diese Überlegungen mit einem Beitrag zur posttridentinisch-katholischen Praxis der Ohrenbeichte als implizitem Bekenntnisakt. Anhand der im Quellenseminar behandelten jesuitischen Texte wurde deutlich, dass das Beichten nicht nur ein existentielles, sondern auch ein konfessionelles Bekennen darstellte. Ebenso machten die Erzählungen der jesuitischen Erbauungsliteratur die Bedeutung der durch das Konzil von Trient neu eingeschärften Beichtpflicht sowie die Kritik an Priestern, die Nachlässigkeit bei der Umsetzung tridentinischer Beichtnormen zeigten, erkennbar.

Abgeschlossen wurde die Sektion durch den Vortrag und das Seminar von ELIZABETH PLUMMER (Bowling Green, Kentucky), in denen sie sich mit der Vielfalt individueller Bekenntnisse auseinandersetzte, die auch obrigkeitlicher Zwang zum Bekennen kaum vereinheitlichen konnte. Der Problematik ging sie am Beispiel von Nonnenklöstern nach, die nach der Reformation auch in lutherisch gewordenen Gebieten noch weiter existierten. Sie stellte dar, dass sich dabei eine Vielzahl multikonfessioneller Nonnenklöster ausbildete, die zumeist ohne Repressalien vonseiten der Obrigkeit bestehen konnten. Ihre Darstellung machte deutlich, dass Bekenntniszuschreibungen von außen mit Vorsicht getroffen werden müssen. Dem schloss sich auch ADAM HOUGH (Tucson, Arizona) in der Präsentation seines Dissertationsprojekts über konfessionelle Ambiguität im Augsburg der 1550er-Jahre an. Anhand des Widerstands der protestantischen Bürgerschaft gegen obrigkeitlich eingesetzte, lutherische Prädikanten im Kontext der kaiserlichen Fremdbestimmtheit, aber auch mit Schriften aus dem lokalen Klerus stellte er das Modell der bi-konfessionellen Stadt infrage. Als entscheidenden Faktor für die von ihm beobachtete uneindeutige Bekenntnisbildung in der Reichsstadt verwies er dabei vor allem auf die politischen Autonomiebestrebungen der Bürgerschaft.

STEFAN EHRENPREIS (Innsbruck) bot zum Auftakt der letzten Sektion schließlich einen Überblick über das konfessionell bestimmte Schulwesen im Alten Reich am Beispiel lutherischer Territorien in Franken. Die Bekenntnis-Prägung explizierte er dabei nicht nur anhand der konfessionell eindeutig verorteten Schulträger, sondern vor allem an einer engen Verzahnung des Unterrichts mit der kirchlichen Praxis, indem Schüler etwa für das öffentliche Katechismus-Examen vorbereitet wurden, in der Liturgie sangen oder Gebete lernten – nicht zuletzt aus Schulbüchern, die Ehrenpreis als aktuelles Forschungsfeld der historischen Bildungsforschung hervorhob. Demgegenüber zeigte ANJA-SILVIA GOEING (Newcastle) am Beispiel des Zürcher Gelehrten Konrad Gessner auf, wie Intellektuelle innerhalb des konfessionell festgelegten Bildungssystems die Freiräume im Bereich der Naturwissenschaften – hier in der Zoologie – nutzten, um ihre Forschungen und Erkenntnisse über konfessionelle Grenzen hinweg auszutauschen und zu verbreiten. Augenfällig erschien dabei auch, dass Gessner bei der Kompilation über die Tierwelt in seiner Historia Animalium auf magische oder religiöse Zuschreibungen verzichtete und sich damit als „Bekenner zur Naturwissenschaft“ präsentierte, ohne konfessionelle Normen offen zu kritisieren.

Im Abschlusskommentar veranschaulichte Birgit Emich die vielfältigen unterschiedlichen Anknüpfungspunkte, die das gewählte Oberthema für die Beschäftigung mit Konfessionskulturen bietet. Als zentrales Ergebnis für die Sommerschule hielt sie fest: Bekenntnisbildung stelle einen Prozess dar, bei dem theologische und politische Auseinandersetzungen, aber auch kontingente Phänomene wie dynastische Zufälle eine entscheidende Rolle spielten. Bekenntnisschriften besäßen hierbei eine identitätsstiftende, aber auch abgrenzende Funktion (auch innerhalb der eigenen Konfessionen). Gleichzeitig seien Bekenntnisschriften Bestandteile materieller Kultur und könnten somit über die sprachliche Dimension hinaus Aufschluss über das Bekenntnis ihrer Besitzer und Leser geben. Neben der schriftlichen Form des Bekennens ermöglicht außerdem das mündliche Bekennen eine Form der Selbstverortung in konfessionell geprägten Gesellschaften, die mehrfach gezeigt werden konnte. Trotz eines allumfassenden konfessionellen Anspruchs hätten sich schließlich auch Freiräume wie die gelehrte Arbeit in den Naturwissenschaften bilden können. In den verschiedenen Vorträgen und der Schlussdiskussion wurde deutlich, dass stärker als bisher auf konfessionelle Eigen- und Fremdzuschreibungen geachtet werden müsse. Auch die noch immer zu starke Trennung der Forschung zu Orthodoxie im Sinne textueller Normen und Orthopraxie als gelebte religiöse Praxis bedürfe weiterer Annäherungen zur besseren Erfassung frühneuzeitlicher Konfessionskulturen. Bei einer zukünftigen Auseinandersetzung mit diesem Forschungskomplex – so das gemeinsame Fazit des Sommerkurses – sei schließlich auch die Untersuchung weiterer Konfessionen und Religionsgemeinschaften wünschenswert und vielversprechend.

Konferenzübersicht:

Birgit Emich / Natalie Krentz (Erlangen-Nürnberg): Einführung

Sektion I: Was ist ein Bekenntnis? Form und Funktion von Bekenntnisschriften

Henning Jürgens (Mainz), Vortrag und Seminar: Lutherische Bekenntnisbildung im Reich: von den nachinterimistischen Streitigkeiten zur Konkordienformel

Daniel Gehrt (Erfurt / Gotha), Vortrag und Seminar: Formen und Funktionen der Bekenntnisschriften der Ernestiner

Berndt Hamm (Erlangen / Ulm), Kirchenführung: Die Erlanger Hugenottenkirche

Sektion II: Was heißt bekennen? Performative Akte und alltägliches Handeln

Christiane Witthöft (Erlangen-Nürnberg), Vortrag und Seminar: Bekenntnis, Beichte und Selbstbezichtigung: ‚Interiorisierungsprozesse‘ in der Literatur des Mittelalters

Rieke Schole (Osnabrück / Wolfenbüttel), Projektpräsentation: Lesespuren und konfessionelle Identität im Umfeld der Konkordienformel

Eva Lehner (Duisburg-Essen), Projektpräsentation: Leben schreiben in Eckdaten: Schreibverfahren des Dokumentierens und Ordnens in Kirchenbüchern des 16. Jahrhunderts

Christian Kühner (Freiburg), Vortrag: Die Sünden bekennen – bekennen, ein Sünder zu sein: Die Beichte im tridentinischen Katholizismus

Christian Kühner (Freiburg), Seminar: Quellen zur Geschichte der Beichte in der Frühen Neuzeit

Elizabeth Plummer (Bowling Green, Kentucky), Vortrag und Seminar: Living with Heretics in a Time of War: Expressing Confessional Culture in Westphalian Pluriconfessional Convents

Adam G. Hough (Tucson, Arizona), Projektpräsentation: Tanz der Augsburger Prediger: The Emergence of ‚Protestantism‘ in Mid-Sixteenth-Century Augsburg

Sektion III: Bekennen lernen: Bekenntnis-Schulen in der Neuzeit

Stefan Ehrenpreis (Innsbruck), Vortrag und Seminar: Schulen als Orte des Bekennens in der Frühen Neuzeit

Thomas Schauerte (Nürnberg), Führung: Orte des Bekennens im frühneuzeitlichen Nürnberg

Anja-Silvia Göing (Newcastle), Naturkunde als Bekenntnis? Wissenschaftliche Netzwerke in der Höheren Schulbildung am Beispiel des Werkes Konrad Gessners

Birgit Emich (Erlangen-Nürnberg): Bilanz und Abschlussdiskussion


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