Hoffen – Scheitern – Weiterleben: Enttäuschung als historische Erfahrung in Deutschland im 20. Jahrhundert

Hoffen – Scheitern – Weiterleben: Enttäuschung als historische Erfahrung in Deutschland im 20. Jahrhundert

Organisatoren
Carla Aßmann; Bernhard Gotto; Matthias Kuhnert; Konrad Sziedat; Sebastian Rojek; Anna Ullrich
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.09.2015 - 30.09.2015
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Von
Annemone Christians, Institut für Zeitgeschichte München - Berlin

Jedem neuen Forschungsansatz wohnt ein Zauber inne – zumal wenn er einen zentralen Analysebegriff debütieren lässt. Die „Enttäuschung“ als historische Kategorie für das 20. Jahrhundert ging im Februar 2012 mit einem Workshop der Ludwig-Maximilians-Universität München und dem Institut für Zeitgeschichte an den Start, bei dem ihr einiges Erschließungspotential bescheinigt wurde, wenn man sie nur nicht emotions- oder erfahrungsgeschichtlich emulgiere. Es schloss ein Kooperationsprojekt mit sechs Teilstudien an – in Form einer Leibniz Graduate School ebenfalls ein Novum, wie Projektleiter Margit Szöllösi-Janze (MÜNCHEN) und Andreas Wirsching (MÜNCHEN) erwähnten. Dessen Prämisse sei es dann auch gewesen, so die Bearbeiter, nicht einfach Enttäuschungserfahrungen nachzuweisen, die in modernen pluralistischen Gesellschaften ohnehin unvermeidlich seien, sondern sie als soziale Konstruktion zu verstehen und in ihrer kommunikativen Dimension zu untersuchen. Die Abschlusstagung brachte nun in vier Panels die Projektergebnisse mit einschlägigen Kultur- und EmotionshistorikerInnen sowie SoziologInnen zusammen.

Das erste Tagungspanel zu „Gefühlsregimen und politischer Sprache“ eröffnete ANNA ULLRICH (MÜNCHEN) und lieferte für ihre Beschäftigung mit Antisemitismuserfahrungen deutscher Juden zwischen 1918 und 1933 mit der Beobachtung einer Erwartungsdämpfung eine erste begriffliche Annäherung an den Kosmos der Enttäuschung. Der jüdische Central-Verein, auf den sie sich als Akteur des liberalen Judentums konzentrierte, habe diese Strategie verfolgt, was Ullrich eindrücklich in dessen Reaktionen auf Beschwerden jüdischer Bürger wegen antisemitischer Erlebnisse in Urlaubsorten nachwies: In seinen öffentlichen Bäderlisten warnte der Verein vor Orten, in denen jüdische Reisende starke Ablehnung erfahren hatten; in den Antwortschreiben gab er gleichzeitig zu verstehen, dass individuell erlebtes judenfeindliches Verhalten in gewissem Maße hingenommen werden müsse, unterschied damit zwischen unzumutbarem und durchaus zumutbarem Antisemitismus.

Am Beispiel nicht-staatlicher Hilfsorganisationen, konkret anhand der britischen NGO Christian Aid, ging MATTHIAS KUHNERT (MÜNCHEN) auf Enttäuschung als Konsequenz eines gewandelten Empathie-Verständnisses ein. In Abgrenzung zum Panelbegriff des Gefühlsregimes ging es ihm darum, den emotionalen Stil der NGO-Arbeit in seiner Fluidität freizulegen. In konfliktreichen Aushandlungsprozessen seien die Christian Aid Aktivisten im Lauf der 1970er-Jahre von ihrem konstitutiven Ideal politischer Neutralität abgerückt. Zunehmendes Wissen um die Verantwortung der „Ersten Welt“ für Not und Armut in den Entwicklungsländern habe zu einer Parteinahme der Hilfsorganisation für die nun als ausgebeutet Empfundenen geführt, die sich in Aufrufen zum politischen Umdenken niederschlug. Christian Aid habe damit gegen einigen internen Widerstand und anders lautende Erwartungen die Neutralitätsgrenzen überschritten und das „Humanitäre“ politisiert.

PHILIPP NIELSEN (BERLIN) arbeitete sich anschließend an performativen Techniken in den Parlamentsdebatten der jungen Bundesrepublik ab und analysierte deren „emotional script“. In einer an sich auf Nüchternheit bedachten Diskussionskultur legte er in den Sitzungsprotokollen Momente des Humors und der Heiterkeit frei. Das parlamentarische Gelächter habe unterschiedliche Funktionen erfüllt: überparteiliche Gemeinschaft herzustellen oder auch Meinungsverschiedenheit zwar anzuzeigen, aber mitunter abzumildern. An die politische Kommunikationsforschung anschließend, die Thomas Mergel für die Weimarer Republik betrieben hat, machte Nielsen für die frühe Bundesrepublik einen Debattenstil aus, in dem eine wohldosierte Emotionalisierung zur Nivellierung von Erwartung und Enttäuschung geführt habe. Die Paneldiskussion offenbarte noch gewisse Unsicherheiten der geladenen Experten mit dem Analysebegriff Enttäuschung: Sie müsse weniger als „Gefühl“ denn als Affekt und vor allem in ihrer spezifischen Handlungskonsequenz gefasst werden.

Im Abendvortrag stellte DETLEF SIEGFRIED (KOPENHAGEN) die als besonders hoffnungsaffin geltende Alterskohorte der „Jungen“ ins Zentrum und überprüfte deren emotionale Muster im Verlauf des 20. Jahrhunderts. Politische und gesellschaftliche Umbrüche hätten junge Generationen konträr zum Jugendmythos des Überschwangs, Aufbruchs und Hedonismus hervorgebracht, so zum Beispiel die „sachliche“ Generation der 1920er-Jahre, die „skeptische“ Nachkriegsjugend der 1950er-Jahre, aber auch die Punk-Bewegung mit ihrer überaffirmativ-ironischen „No Future“-Haltung. Siegfried stellte eine Doppelseitigkeit der Jugendwahrnehmung heraus, die einerseits Erneuerung und Zukunftshoffnung sehe, andererseits Bedrohung und Gefahr. Ein spezifisch jugendlicher Umgang mit Enttäuschung lasse sich nicht ausmachen, hingegen hätten Studien zur Gegengruppe der „Alten“ gezeigt, dass die erfahrenen Generationen zu einem gelassenen Zweckoptimismus tendierten.

Zu Beginn des Tagungspanels zu „Erwartungs- und Erfahrungsgemeinschaften“ kam CHRISTIAN HELM (HANNOVER) der konkreten Wirkungsmacht von Enttäuschung besonders nahe. Er verglich die linken deutschen Solidaritätsbewegungen, die in den 1970er- und 1980er-Jahren den Politikwechsel in Nicaragua begleiteten, mit jenen, die sich zum Militär-Putsch in Chile positionierten. Er zeichnete ihren gemeinsamen Glauben an eine erlösende Utopie nach, der sie – bei aller Heterogenität der vielen jeweiligen Splittergruppen – als Erwartungsgemeinschaften fassen lasse. Mit der Realität der neuen Regierungen in Nicaragua und Chile seien die Aktivisten dann aber unterschiedlich umgegangen: Während die Stabilisierung der Pinochet-Diktatur die deutsche Solidarität merklich zermürbt habe, sei es den nicaraguanischen Sandinisten mit steter internationaler Kommunikation und Netzwerkarbeit gelungen, das „Masternarrativ“ einer erfolgreichen Revolution zu etablieren und damit effektives Erwartungsmanagement zu betreiben.

ISABEL HEINEMANN (MÜNSTER) nahm sich der Familie als Auslöser von Enttäuschung und Erfüllung „par excellence“ an, mit der sie sich im deutsch-amerikanischen Vergleich von der Nachkriegszeit bis in die 1980er-Jahre beschäftigt. Um dem Gehalt der konservativen Feststellung eines „Verfalls der Familie“ nachzuspüren, hielt sie das Begriffspaar Erwartung/Enttäuschung aber analytisch nicht für präzise genug, es müssten vielmehr Interdependenzen von Familienwerten und -normen einerseits und sozialer Praxis andererseits untersucht werden. Heinemann skizzierte dazu die diskursive Verhandlung von Scheidung und Reproduktion, die vor allem vom Aufeinandertreffen kirchlicher Werteverfallsängste, von (Rechts-)Ansprüchen der Frauenbewegung und gewandelten Lebensrealitäten geprägt gewesen sei. Die bundesdeutsche Legislative habe sich zwar grundsätzlich weiterhin am Kernfamilien-Dispositiv orientiert, aber davon durchaus abweichende neue Normen geschaffen. So fasste Heinemann die Familie als Kristallisationsort „konfliktreicher Moderne-Aneignungen“ und verwarf die These eines linearen Wertewandels.

CARLA AßMANN (MÜNCHEN) untersuchte am Beispiel des Märkischen Viertels in Berlin die Realisierung einer spezifischen Lebensutopie durch Stadt- und Bauplanung. Den Erwartungen an ein gänzlich neues urbanes Wohnkonzept sei eine jähe Ernüchterung gefolgt, an dem die Erwartungsgemeinschaft aus Stadtpolitikern, Medien und Bewohnern und Architekten zerbrochen sei – letztere kehrten dem Projekt empört von den Eingriffen der Wohnungsbaugesellschaften als erste den Rücken. Bei einigen Mietergruppen sowie bei politischen und Verwaltungsakteuren beobachtete Aßmann zunächst eine Erwartungsverschiebung: Bauliche Ergänzungen sollten die Diskrepanz zwischen Ideal und tatsächlicher Wohntristesse zumindest abmildern. À la longue sei das Märkische Viertel aber als gescheitertes „Sozialexperiment“ herabgewürdigt worden, der Glaube an Großsiedlungsprojekte als Orte eines „urban engineering“ verloren gegangen.

Anschließend an Aßmann und Helm beschäftigte sich auch BELINDA DAVIS (NEW JERSEY/USA) mit dem Zerfall einer Erwartungsgemeinschaft. Sie benannte Enttäuschung als Fragmentierungsmotor und destillierte den Wandel heraus, den jener Zerfall in der westdeutschen Protestbewegung der 1960er- bis 1980er-Jahre bewirkt habe. Die fundamentalen Enttäuschungen – wie der staatliche Umgang mit der revoltierenden Studentenbewegung oder der Fortgang des Vietnamkriegs – seien von den außerparlamentarischen Aktivisten unterschiedlich verarbeitet worden. Es ließe sich aber zumeist ein intellektueller Lernprozess beobachten, in dem paradigmatische Konzepte wie „Utopie“ oder „Revolution“ hinterfragt, das Verhältnis von Realismus und Fantasie jeweils neu bewertet worden seien. Die Handlungskonsequenzen aus der Neubewertung konnten dann vom Rückzug ins Private bis hin zur radikalen Gewaltanwendung reichen.
Die Diskussionsbeiträge hoben nochmal hervor, dass die genannten Konzepte Utopie, Hoffnung und Moderne einer historisch wandelbaren Konfiguration unterlägen, aus der dann auch jeweils unterschiedliche Enttäuschungspotentiale resultierten.

Die deutschen Protestbewegten standen auch bei ARIBERT REIMANN (KÖLN) zum Auftakt des dritten Panels „Historische Brüche und biografische Erwartungstransformationen“ im Mittelpunkt. Jene kleine Gruppe von „Protest-Avantgardisten“ habe vor allem eine soziokulturelle Herkunft verbunden, was mit dem Begriff der „Protestgeneration“ oftmals verzerrt werde. Reimann ging es um deren erhoffte subjektive Verschränkung von Weltrevolution und eigener Lebenspraxis, die sich spätestens mit dem Attentat auf Rudi Dutschke im April 1968 aufgelöst habe. Wo Belinda Davis noch mobilisierende Kräfte der Enttäuschungsverarbeitung entdeckt hatte, konstatierte Reimann eine lähmende postrevolutionäre Melancholie, die sämtliche Alternativkulturen der 1970er-Jahre durchzogen habe.

KONRAD SZIEDAT (MÜNCHEN) erweiterte die Perspektive auf die westdeutschen Linken: Er analysierte ihre Beschäftigung mit dem sowjetischen Politikmodell nach den großen Gegenwartszäsuren Ende der 1970er-Jahre und 1989/90. Als Gruppe ließen sich die Untersuchten insofern fassen, als sie gemeinsam die polnische Solidarność-Bewegung unterstützten und auf den „dritten Weg“ einer „sozialistischen Demokratie“ hofften. An biografischen Beispielen zeigte Sziedat, wie die Erwartungen an eine Systemalternative transformiert worden seien: Jener „dritte Weg“ eines „sozialistisch umgestalteten ‚realen Sozialismus‘“ habe sowohl Linken maoistischer wie sozialdemokratischer Wurzeln lange als heilsbringendes Konzept gedient, von dem sie sich erst nach dem Zusammenbruch der DDR lösten. Die Verarbeitung dieses „Erwartungsbruchs“ habe individuelle Lernprozesse angestoßen, von denen die weiteren politischen Wirkungsmöglichkeiten abhängig gewesen seien.

Der Religionssoziologe DETLEF POLLACK (MÜNSTER) erdete den Enttäuschungs-Ansatz anschließend anhand der Ergebnisse mehrerer Umfragen zur Wendeerfahrung in Ost- und Westdeutschland. Die Diskrepanz zwischen der überwiegend positiven Einstellung der ostdeutschen Gesellschaft gegenüber dem demokratisch-kapitalistischen System um die Wendezeit und den weitaus negativeren Einschätzungen bei Befragungen 1995 ließ Pollack nach Gründen für diese offenbare Enttäuschung fragen. Eindrücklich legte er frei, dass sie weniger Ausdruck einer tatsächlichen Unzufriedenheit gewesen sei als eine Strategie, mit der umwälzenden Transformation umzugehen. Das gemeinsame Ressentiment gegen „den Westen“ habe zu einer nachträglichen, aufwertenden Identitätsbildung verholfen.

Zum Abschluss des Panels stellte SEBASTIAN ROJEK (MÜNCHEN) Enttäuschung nicht als Motor für Fragmentierung oder individuelle Persönlichkeitsbildung vor, sondern als Auslöser einer geschönten Selbstkonstruktion der deutschen Marine. Er rekapitulierte die Entstehungsgeschichte der von Großadmiral Alfred von Tirpitz 1919 mithilfe des Historikers Fritz Kern und einiger Marineoffiziere vorgelegten Memoiren, die für das durchaus eingestandene desaströse Marine-Scheitern vor allem Reichskanzler und demokratische Politiken verantwortlich machten. Einer gezielten Geschichtspolitik habe ebenso der Aufbau eines Marine-Archivs gedient. Das Tirpitz’sche Rechtfertigungswerk – als Erbauungsliteratur mit normativer Funktion für kommende Marinegenerationen – habe die Enttäuschungsrichtung gar verdreht: Nicht die Pläne der Marine seien falsch gewesen, sondern die Deutschen hätten „die See nicht verstanden“. Das Spannungsfeld von individueller Biographie und kollektivierter (Umbruchs-)Erfahrung bestimmte auch die anschließende Diskussion, wobei eine tatsächliche Wechselwirkung zwischen beiden in Frage gestellt wurde.

BERNHARD GOTTO (MÜNCHEN) beschäftigte in der Sektion „Emotionale Entfremdung in der Systemkonkurrenz“, welche Kohäsionskräfte und Enttäuschungspotentiale das Konzept der Solidarität in der politisch engagierten westdeutschen Gesellschaft der 1970er- und 1980er-Jahre entfaltete. Mitglieder von Solidargemeinschaften – seien es die Friedens- und Frauenbewegung oder Interessensverbände und Parteien – hätten profunde Enttäuschung vor allem immer dann bekundet, wenn sie einen Bruch mit der gemeinsamen Idee wahrnahmen, was für Gotto mit der langen Tradition deutscher „Vergemeinschaftungsideale“ zusammenhing. Abseits von Resignation über die Entfremdung seien dadurch individuelle Demokratisierungsprozesse befördert worden, in denen die eigenen Erwartungen hinterfragt, Dissenz und Pluralismus als Teil des Systems akzeptiert worden seien.

CARLOS SANZ DÍAZ (MADRID) fragte nach den Erfahrungen der rund 600.000 spanischen Arbeitnehmer, die zwischen 1965-1970 nach Deutschland kamen – hauptsächlich von der Hoffnung auf eine wirtschaftliche Verbesserung motiviert. Das Leben in der Bundesrepublik habe zur Einübung von Praktiken freiheitlicher Staatsbürgerschaft geführt, ohne jedoch diesen Status formal innezuhaben. Bei aller geglückten Integration der „Gastarbeiter“ seien durch die beschränkte Interessenvertretung im DGB Grenzen der demokratischen Partizipation spürbar geworden, über die sie sich in punktuellen „wilden Streiks“ frustriert gezeigt hätten. Infolge des Zusammenbruchs der Franco-Diktatur kehrten viele Arbeiter mit der Aussicht auf ein neues, freieres Spanien zurück und seien – in der dortigen Ernüchterung über nicht erfüllte Demokratiehoffnungen – als „deutsche Besserwisser“ wiederum auf Ressentiments gestoßen.

Für die Bewertung der Ära Honecker erschien Enttäuschung für MARTIN SABROW (POTSDAM) nicht die passende Kategorie zu sein, da hier konträre Denkordnungen aufeinanderträfen. Einen gewissen analytischen Ertrag gestand er dem Ansatz aber in drei Perspektiven zu: Der systemimmanenten Unzufriedenheit über Mangel und Beschränkung sei die SED-Führung immer dann mit punktueller Hilfe entgegengetreten, wenn durch eine konkrete Enttäuschung die Zustimmung der Politeliten – aber auch der Bevölkerung – zu bröckeln gedroht habe. Bei den ideologisch Überzeugten seien zweitens Erwartungsbrüche spätestens Ende der 1980er-Jahre klar zu fassen, so z.B. in den Reaktionen auf Honeckers Verbot der Zeitschrift Sputnik. Nehme man drittens Honecker selbst in den Blick, verdichteten sich Hinweise auf dessen ideologisch bedingte Enttäuschungsunfähigkeit, die außerdem dem gesamten DDR-Sozialismus inhärent gewesen sei – eine These, die in der anschließenden Aussprache einige Gegenrede hervorrief.

Der Zusammenhang von politischem System, nationalen Spezifika und Enttäuschung bildete insgesamt den roten Faden der engagiert geführten Tagungsdiskussionen und wurde auf zwei Ebenen thematisiert: Zum einen rege die These einer epochenspezifischen Definition von Enttäuschung an, nach unterschiedlichen programmatischen Enttäuschungspotentialen politischer Systeme zu fragen und könne für den Systemvergleich noch weiter fruchtbar gemacht werden. Zum anderen verhelfe der Blick auf den jeweiligen Umgang mit Enttäuschung, system- und gruppenspezifische Verarbeitungsstrategien und Belastbarkeiten freizulegen. Dabei sollten aber aufeinanderfolgende Enttäuschungserfahrungen nicht per se als fortschreitender Lernprozess gelesen werden. Die Studien der Graduate School zeigten sich vor der Gefahr solch unterkomplexer Linearisierungen jedoch durchaus gefeit. Die vorgestellten Ergebnisse machten vielmehr deutlich: „Enttäuschung“ ist auf dem Parkett der historischen Analysebegriffe des 20. Jahrhunderts angekommen.

Konferenzübersicht:

Carla Aßmann, Matthias Kuhnert, Konrad Sziedat – Einführung

Anna Ullrich – Alles eine Frage der „Erwartungsdämpfung“? Innerjüdisches Erwartungsmanagement und alltäglicher Antisemitismus 1918-1933

Matthias Kuhnert – Solidarität statt Neutralität? Empathie und die Forderung nach politischem Handeln in einer humanitären NGO

Philipp Nielsen – Korrekte Gefühle. Emotionsmanagement in parlamentarischen Debatten

Detlef Siegfried – Ist die Hoffnung immer jung? Aufbrüche, Erwartungen und Enttäuschungen als emotionale Muster von Lebensphasen im 20. Jahrhundert

Christian Helm – Auf der Suche nach der Revolution: westdeutsche Solidaritätsbewegungen für Chile und Nicaragua

Isabel Heinemann – „Zwischen Idealisierung und (Ent-)Täuschung“? Familiennormen und sozialer Wandel der Moderne

Carla Aßmann – Paradise Lost: Utopieverlust und Schuldzuweisungen bei Großwohnsiedlungen

Aribert Reimann – Biedermänner oder Brandstifter? Hoffnungen und Enttäuschungen der Protestgeneration in den 1960er und 1970er Jahren

Konrad Sziedat – Umbrüche „nach dem Boom“ in den Lebenswegen westdeutscher Linker

Sebastian Rojek – Geschichtspolitik als Umgang mit Enttäuschung. Großadmiral Alfred von Tirpitz und die Arbeit des Marine-Archivs nach 1918/19

Bernhard Gotto – Du willst es doch auch! Gemeinschaftlichkeit und Enttäuschungen in der westdeutschen Demokratie

Carlos Sanz Díaz – Entzauberung der Demokratie? Erfahrungen spanischer ArbeitsmigrantInnen in der Bundesrepublik

Martin Sabrow – Erich Honecker – Vom Hoffnungsträger zum Symbol der Enttäuschung

Bernhard Gotto, Sebastian Rojek, Anna Ullrich – Schlusskommentar


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