Universitäten und Hochschulen im Nationalsozialismus und in der frühen Nachkriegszeit

Universitäten und Hochschulen im Nationalsozialismus und in der frühen Nachkriegszeit

Organisatoren
Institut für Geschichte der Medizin der Heinrich-Heine-Universität
Ort
Düsseldorf
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.06.2002 - 15.06.2002
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Von
Frank Sparing, Wolfgang Woelk

Am 14./15. Juni 2002 fand am Institut für Geschichte der Medizin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf eine Tagung zum Thema „Universitäten und Hochschulen im Nationalsozialismus und in der frühen Nachkriegszeit“ statt. Ziel der Tagung war es, neuere Forschungen und Forschungsansätze zu diskutieren, zu bündeln und insbesondere die Frage nach dem Übergang der Hochschulen und Universitäten von der NS-Diktatur in die deutsche Nachkriegsgeschichte differenziert zu untersuchen. Dabei bildeten biographische Studien über exponierte Vertreter einzelner Wissenschaftsfächer und ihr Wirken im Nationalsozialismus, konzeptionelle und strukturelle Veränderungen während des Nationalsozialismus und Kontinuitäten bzw. Diskontinuitäten nach dem Ende der Diktatur sowie die Auswirkungen auf das Studium und die Studierenden Schwerpunkte der Tagung bilden.

In ihrem Einleitungsvortrag „Die Geschichte der Universitäten und Hochschulen im Nationalsozialismus und in der frühen Nachkriegszeit - Versuch einer vorläufigen Bilanz“ gaben die Organisatoren Dr. Wolfgang Woelk und Frank Sparing M.A. (Düsseldorf) eine Übersicht über die Entwicklungen und Konjunkturen universitätsgeschichtlicher Erforschung von Nationalsozialismus und früher Nachkriegszeit. Der Vortrag befasste sich zunächst mit der Geschichte der Erforschung der Universitäten im Nationalsozialismus, ihren Konjunkturen und ihrer Entwicklung, um dann die Frage in den Mittelpunkt zu rücken, wie sich die theoretischen und disziplinspezifischen Veränderungen auf den Forschungsertrag ausgewirkt haben. Nachdem zunächst Mitte der sechziger Jahre auf Druck von Studierenden eine erste Welle der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit an den Hochschulen in Gang gekommen war, wurde diese konkrete Ebene recht bald zugunsten einer immer abstrakter werdenden „Faschismusdiskussion“ aufgegeben. Erst die großen Universitätsjubiläen Ende der 1970er und vor allem seit Mitte der 1980er Jahre führten zu einer Wiederaufnahme der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus an den Universitäten. Dabei ist insbesondere Mitte der 80er Jahre ein Wandel der Forschungsparadigmen feststellbar, der die apodiktische Unterscheidung von „Pseudowissenschaft“ und „reiner Wissenschaft“ verwarf und damit erst die Frage nach der Rolle von Wissenschaftlern als agierende Subjekte im polykratischen System des Nationalsozialismus und nach personellen und strukturellen Kontinuitäten möglich machte.

In seinem Vortrag über „Wehrwissenschaft und Volkstumspolitik. Die Verflechtung von Wehrmacht und Wissenschaft am Beispiel der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin“, nahm Dr. Christoph Jahr (Berlin) den bislang noch wenig erforschten Bereich der Verflechtung von Wehrmacht und Universitäten in den Blick. In dem Ende 1936 gegründeten „Institut für allgemeine Wehrlehre“ und dem 1937 in Schneidemühl als Außenposten an der polnisch-deutschen Grenze errichteten, aber der Universität Berlin angegliederten „Institut für Heimatforschung“ wurden Forschungen für den imperialen Eroberungskrieg einerseits und der rassisch fundierten Neuordnung Europas andererseits, in einer Hand konzentriert. Geleitet wurden die beiden Institute durch den zwar umstrittenen, aber durch das Reichskriegsministerium unterstützten Oskar Ritter von Niedermeyer, der sich bereits seit der nationalsozialistischen Machtübernahme um die Institutionalisierung der Wehrwissenschaft bemüht hatte. Finanziert wurden die Institute im wesentlichen durch die Wehrmacht. In der entstehenden Konkurrenzsituation zu anderen deutschen Ostinstituten unterlag das „Institut für Heimatforschung“ und wurde Anfang 1942 offiziell geschlossen. Der Vortrag konnte zeigen, dass in der akademischen Welt eine große Bereitschaft vorhanden war, von sich aus an der Vorbereitung des „totalen Krieges“ und der Durchführung bevölkerungspolitischer Planungen mitzuwirken. Nach 1945 konnten die Mitarbeiter der Institute dennoch größtenteils beachtliche Karrieren verwirklichen.

Hans-Christian Petersen M.A. (Kiel) befasste sich mit „Werner Catel – ein Protagonist der NS-„Kindereuthanasie“ und seine Nachkriegskarriere.“ Untersucht wurde die Rolle, die der Pädiater Catel im Rahmen der „Kindereuthanasie“ in dem der „Kanzlei des Führers“ angegliederten, dreiköpfigen Gutachtergremium spielte, das über die Tötungen von mehreren Tausend Kindern während des Nationalsozialismus entschied, aber auch seine durch Quellenfunde nahegelegte aktive Tätigkeit bei der Tötung von Kindern im Rahmen einer „Kinderfachabteilung“ in Leipzig. Nach dem Krieg konnte Catel seine medizinische Karriere nahezu ununterbrochen fortsetzen. Trotz des Wissens über Catels Rolle im Nationalsozialismus, bemühte sich die Universität Kiel erfolgreich darum, ihn zum Leiter der Universitätskinderklinik zu ernennen. Nachdem er sich 1960 auf öffentlichen Druck wegen seiner Vergangenheit aus dem Universitätsleben zurückziehen musste, trat er offensiv in der Öffentlichkeit für die „Euthanasie“ ein. Erst massive Proteste verhinderten nach seinem Tod die Einrichtung einer „Werner-Catel-Stiftung“ und führten schließlich - zeitlich verzögert - zu einer kritischeren Würdigung seines Gedenkens durch die Kieler Kinderklinik.

Der Vortrag von Elias H. Füllenbach O.P. (Köln) über „Josef Nadler und die Rezeption seines stammeskundlichen Ansatzes in den Geisteswissenschaften“ untersucht die Rezeption der Konzepte des Literaturwissenschaftlers Nadler, welche sowohl zeitübergreifend, als auch fächerübergreifend große Wirkung ausübten. Sein „stammeskundlicher“ Ansatz war zunächst stark umstritten, konnte sich aber während der zwanziger und dreißiger Jahre durchsetzen, so dass Nadler zu einem der wichtigsten Vertreter der Germanistik während des Nationalsozialismus wurde. Sein Hauptwerk „Literaturgeschichte des deutschen Volkes: Dichtung und Schrifttum der deutschen Stämme und Landschaften“ wurde von ihm mit jeder Auflage den jeweils vorherrschenden politisch-ideologischen Zeitströmungen angepasst, bis er seine „landschaftliche Stammeskunde“ schließlich in den Dienst der nationalsozialistischen Kulturauffassung stellte. Sein Ansatz wurde aber nicht nur von Germanisten, sondern insbesondere von Historikern und Kunsthistorikern stark beachtet und bietet daher ein gutes Beispiel für die fachübergreifende Wirkung bestimmter ideologischer Konzepte und Theorien. Auch nach 1945 blieb Nadlers „stammeskundlicher“ Ansatz zunächst noch in den Geisteswissenschaften bedeutend, die erst seit den fünfziger Jahren zaghaft hiervon abrückten.

Der Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Carsten Klingemann (Osnabrück) trug zum Thema „Soziologen in der nationalsozialistischen Volks- und Raumforschung, der westdeutschen Flüchtlingsforschung und in ihrer Rolle als Politikberater“ vor. Von Klingemann wurden zum einen die Karrieren der als „Volks- und Raumforscher“ während des Nationalsozialismus tätigen Wissenschaftlern in der Flüchtlingsforschung nach 1945 untersucht. Zum anderen wurde die Bedeutung dieser Disziplin für die Institutionalisierung der Nachkriegssoziologie analysiert. Klingemann wies auf die Forscher hin, die zuvor, auf fundierter wissenschaftlicher Grundlage, die Bevölkerungsverschiebungen konzipiert hatten, die im „Generalplan Ost“ umgesetzt worden waren. Die Arbeit der Flüchtlingssoziologen war durch die anglo-amerikanische Besatzungsverwaltung und auf nahezu allen politischen Ebenen der jungen Bundesrepublik als Politikberatung stark nachgefragt.

Der von Karen Bayer M.A. (Düsseldorf) gehaltene Vortrag über „Die Medizinische Akademie Düsseldorf zwischen Diktatur und Demokratie“ fasste Ergebnisse eines aktuell laufenden Forschungsprojektes zusammen. Anhand von Beispielen wurde der Frage nach strukturellen, konzeptionellen und personellen Kontinuitäten und Brüchen nachgegangen. Dabei wurde vor allem die Tätigkeit von Instituten und Kliniken nach 1945 analysiert, die während des Nationalsozialismus eine exponierte Rolle gespielt hatten, die veränderte medizinische Praxis umzusetzen. Am Beispiel der Frauenklinik wurden die Fragen der Refertilisierung nach Zwangssterilisationen und der Anträge auf Schwangerschaftsabbruch nach Vergewaltigung durch Angehörige alliierter Streitkräfte untersucht. Hierbei sei ein grundsätzlicher Wandel im Umgang mit den eugenischen Paradigmen des Nationalsozialismus kaum feststellbar. Die Psychiatrie knüpfte zwar einerseits zaghaft an die Reformpsychiatrie der zwanziger Jahre an, baute aber vor allem die in den 1930er Jahren eingeführten Schocktherapien aus, welche die Aussicht auf „Heilung“ der Patienten höher bewertete als drohende Gefahren für Leib und Leben der Patienten. Anhand biographischer Beispiele wurde schließlich die Frage nach personellen Kontinuitäten untersucht, wobei in Hinblick auf die Verwicklung in nationalsozialistische Medizinverbrechen die Unterscheidung zwischen historischem und juristischem Urteil als bedeutsam herausgestellt wurde.

Der Beitrag von Dr. des. Henrik Eberle (Halle) mit dem Titel „Der Fall Halle – Kontinuitäten und Brüche (1933-1961)“ ging der Frage nach, inwieweit der Lehrkörper der Universität Halle durch die Mitwirkung in der nationalsozialistischen „Bewegung“ geprägt war und inwieweit für belastete Mitglieder des Lehrkörpers auch nach 1945 eine Weiterarbeit möglich blieb. Untersucht wurde, welche Institute und welche Statusgruppen an der Universität hierfür besonders zugänglich waren und in welchen Bereichen diese Mitwirkung in der SBZ/DDR toleriert bzw. sanktioniert wurde. Dabei hat Eberle auf die auffällige Verbindung zwischen NSDAP-Mitgliedschaft und noch ausstehender beruflicher Arriviertheit besonders der jungen Wissenschaftler hingewiesen. Vertieft wurden die Ergebnisse der Auswertung der Personalakten der Universität Halle dabei anhand von einzelnen exemplarischen, biographischen Fallbeispielen. Für die Nachkriegszeit fällt auf, dass die Wissenschaftler, welche die DDR verließen, trotz ihrer NS-Vergangenheit, zu einem sehr großen Teil an westdeutschen Universitäten und insbesondere der Universität Mainz wieder tätig werden konnten, so dass die Vermutung nahe liegt, dass regelrechte „Netzwerke“ gebildet wurden.

Der Vortrag von Dr. Uwe Hoßfeld (Jena) zum Thema „Rasse potenziert: Rassenkunde und Rassenhygiene an der Universität Jena im Dritten Reich“ befasste sich mit den Ergebnissen der Versuche des Gauleiters Fritz Sauckel, der Universität Jena eine zentrale Rolle für die nationalsozialistische Wissenschaft zuzuweisen. In Thüringen lagen insofern günstige Voraussetzungen vor, als dass die Landesregierung schon vor 1933 von der NSDAP mit gestellt wurde. Die in Jena nach der NS-Machtübernahme besonders ausgeprägte Praxis, Lehrstühle nach politischen und ideologischen Kriterien zu besetzen, führte dazu, dass dort zeitgleich allein vier Professoren die Fachbereiche Rassenhygiene und Rassenkunde vertraten. Hoßfeld vertrat in seinem Vortrag die These, dass trotz der stark ausgebildeten Vertretung der Fächer Rassenhygiene und Rassenkunde in Jena, die Bedeutung der Lehrstühle aber, nicht zuletzt infolge von Konflikten mit der NS-Führung, regional begrenzt blieb und daher der angestrebte Führungsanspruch der Universität Jena nicht realisiert werden konnte.

PD Dr. Alena Míšková (Prag) trug über „Die Kontroverse Knaus gegen Strauss“ vor, wobei sie sich mit dem eskalierenden Konflikt zweier Ärzte an der Universität Prag befasste, während dem diese zunehmend konkurrierende Instanzen des NS-Wissenschaftssystems für private Zwecke mobilisierten. Dabei wurde die Rolle parteipolitischer Protektion bei personellen Entscheidungen im Nationalsozialismus herausgearbeitet. Das Berufungsverfahren des Gynäkologen Dr. Knaus wurde eingestellt, nachdem Zweifel an seiner fachlichen Kompetenz aufgekommen waren. Federführend bei der Ablehnung war der Prager Chirurg Prof. Dr. Strauss. Unter Zuhilfenahme höchster Parteigremien gelang es Knaus aber schließlich, seinen Widersacher zu diskreditieren und aus dem praktischen Berufsleben zu entfernen.

Ota Konrad (Prag) stellte die Ergebnisse seiner Forschungen über „Die Geisteswissenschaften an der Prager Universität 1938/1939-1945“ vor. Der Vortrag befasste sich mit der institutionellen und fachlichen Geschichte der geisteswissenschaftlichen Universitätsinstitute an der Universität Prag, wobei als vergleichende Bezugsgröße die Entwicklung an der Universität Wien nach dem „Anschluss“ gewählt wurde. An der Universität Prag waren aufgrund des massenhaften und in vielen Fällen auch endgültigen Abgangs zahlreicher Professoren im September 1938 sowie der im Frühling 1939 einsetzenden „Säuberungen“ viele Lehrstühle zunächst vakant geblieben, so dass eine vergleichsweise schnelle und radikale Nazifizierung von Statten ging. Neben dem Verlauf der Gleichschaltung an der Universität Prag, wurde durch Konrad anhand von Fallbeispielen auch die Entwicklung der einzelnen geisteswissenschaftlichen Fächer dargestellt.

Der Beitrag von Michal Simunek (Prag) „Getarnt – Verwischt – Vergessen. Die Lebensgänge von Prof. Dr. Franz Xaver Lucksch und von Prof. Dr. med. Carl Gottlieb Bennholdt-Thomsen im Kontext der auf dem Gebiet des Protektorates Böhmen und Mähren durchgeführten NS-Euthanasie.“ Der Vortrag betrachtete die Durchführung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik in den Jahren 1939 bis 1945. Während die Entwicklung im annektierten Reichsgau Sudetenland parallel zu den „Euthanasie“-Maßnahmen im übrigen Reichsgebiet verlief, setzten die Patientenmorde im Protektorat Böhmen und Mähren wesentlich später ein und wurden als Teil der Germanisierungspolitik aufgefasst. Besonders wurden die Rolle von Dr. Carl Gottlieb Bennholdt-Thomsen betont, der an der Universitätskinderklinik Prag die „Kindereuthanasie“ an deutschen und tschechischen Kindern vollzog und dem eng an das Institut für Erb- und Rassenhygiene der Universität Prag angebundenen Pathologen Franz Xaver Lucksch, der an der „Euthanasie“ in der ausgesprochenen Tötungsanstalt Kosmanos bei Jungbunzlau beteiligt war, in der auch Transporte mit Patienten aus dem „Altreich“ ermordet wurden. Ein abschließender Teil von Simmuneks Vortrag widmete sich schließlich den ungebrochenen Nachkriegskarrieren der beiden Ärzte.

Dr. Joachim Lerchenmüller (Limerick) untersuchte „Die Reichsuniversität Straßburg: SD-Wissenschaftspolitik und Wissenschaftlerkarrieren vor und nach 1945.“ Dabei wies Lerchenmüller am Straßburger Beispiel die weitreichende Einflussnahme einzelner NS-Organisationen auf die wissenschaftliche Lehre und Forschung in Deutschland nach. Im NS-Sicherheitsdienst war im Zuge seiner fortschreitenden Professionalisierung der Bedarf nach spezifisch ausgebildetem akademischen Nachwuchs entstanden. Hieraus erwuchsen Bestrebungen, Einfluss auf die Gründung einer Reichsuniversität in Straßburg zu nehmen. Während des Aufbaus und besonders während der Berufungsverfahren kam es zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen SD und Reichserziehungsministerium, die erst durch einen „Führerentscheid“ zugunsten des Ministeriums beendet wurden. Der Plan, eine SD-Universität zu etablieren, scheiterte letztendlich daran, dass die Reichsuniversität nach nur sechs Semestern an die Universität Tübingen evakuiert wurde.

Der Vortrag von Dr. Ewald Grothe (Wuppertal) unter dem Titel „Irrtümer und Fehlschläge. Ernst Rudolf Huber und die deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung 1918 – 1960“ untersuchte die Karriere des berühmten Verfassungsjuristen während des Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit sowie seinem persönlichen und wissenschaftlichen Umgang mit den politischen Zäsuren der NS-Machtübernahme und dem Zusammenbruch des Regimes. Als Schüler von Carl Schmitt avancierte Ernst Rudolf Huber zu einem der führenden Staatsrechtslehrer des Nationalsozialismus. Nach 1945 gelang es ihm daher zunächst nur sehr schwer, wieder wissenschaftlich Fuß zu fassen. Er wurde erst 1957 an die kleine Hochschule für Sozialwissenschaften in Wilhelmshaven berufen und gelangte infolge der Eingliederung dieser Institution in die Universität Göttingen 1962 dort auf einen Lehrstuhl für Verfassungsgeschichte. Grothe konnte aber zeigen, dass Huber seine Positionen zur Verfassungsgeschichte deutlich neu orientierte.

Dr. Volker Remmert (Mainz) beschäftigte sich mit „Wilhelm Süss (1895 – 1958), Rektor der Universität Freiburg (1940 – 1945) und Vorsitzender der Deutschen Mathematiker-Vereinigung (1937 – 1945): Über die Verquickung von Universitäts- und Fachpolitik.“ Im Blickpunkt standen dabei die erfolgreichen Versuche von Wilhelm Süss, seine Rolle als führender Fachpolitiker mit der Tätigkeit als Rektor der Universität Freiburg für eine organisatorische Stärkung seines Faches während des Zweiten Weltkrieges zu nutzen. So gelang es ihm wegen seines unermüdlichen Propagierens der Kriegswichtigkeit der Mathematik in großem Umfang Ressourcen zu aquirieren und schließlich im November 1944 noch das „Reichsinstitut für Mathematik“ zu gründen. Entscheidend für seine Erfolge war, dass er sich sowohl durch seine wissenschaftspolitischen Vorschläge, als auch durch die geschickte Verleihung akademischer Ehrentitel die Unterstützung führender Exponenten des Regimes zu sichern vermochte. Nach 1945 zahlten sich die geknüpften Verbindungen abermals für Wilhelm Süss aus, da er, abgesehen von einer zweimonatigen Suspendierung, seine Tätigkeit problemlos fortsetzen konnte.

Torsten Junge M.A. (Hamburg) untersuchte die Tätigkeit von „Andreas Walther (Ordinarius für Soziologie in Hamburg)“ während der Weimarer Republik und dem Nationalsozialismus. Obwohl Walther als exponierter Soziologe nahezu in Vergessenheit geraten ist, leistete er doch durch die Begründung der funktionell-strukturellen Theorie und die Ausrichtung der Soziologie auf empirische Sachverhalte bedeutende Beiträge zur Professionalisierung und Institutionalisierung des Faches in Deutschland. Infolge eines Forschungsaufenthaltes in den USA wurden durch ihn die Techniken der empirischen Sozialforschung und der Anspruch auf praktische Umsetzbarkeit theoretischer Ergebnisse in seine stadtsoziologischen Arbeiten an der Universität Hamburg eingebracht. Aus den Methoden der angelsächsischen Großstadtsoziologie und Sozialökologie leitete Walther eine sozialhygienische und sozialstrukturelle Konzeption zur Erfassung der Hamburger Stadtteile und ihrer Bewohner mit dem Ziel ab, „gemeinschädliche Regionen“ zu identifizieren, welche schließlich auch praktisch nutzbar gemacht wurde.

Der Vortrag von Prof. Dr. Peter Voswinckel (Lübeck) zum Thema „Damnatio memoriae: Kanonisierung, Willkür und Fälschung in der ärztlichen Biographik“ war der Frage gewidmet, wie ärztliche Biographik vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Verfolgung angemessen, also unter Wahrung der personalen Würde, aber auch der historischen Tatsachen betrieben werden könne. Voswinckel zeigte, wie unkritisch und unreflektiert auch neuere biographische Nachschlagewerke die getilgten Biographien von während des Nationalsozialismus aus rassistischen oder politischen Gründen verfolgten Ärzten aus den einschlägigen Nachschlagewerken fortschreiben. Die Auswirkungen des Nationalsozialismus werden dabei sowohl auf Seiten der Täter als auch der Opfer ausgeblendet. Daneben zeigte Voswinckel eindrucksvoll, auf welche Weise auch das geistige Eigentum jüdischer Ärzte durch die „Arisierung“ von Fachliteratur bis heute zum Verschwinden der Autoren beigetragen hat.

Der Vortrag von Dr. Ralf Forsbach (Bonn) stand unter dem Titel „Ein einsamer Nationalsozialist. Der Bonner Pädiater Hans Knauer (1895 – 1952).“ Anhand der Biographie des Pädiaters Dr. Hans Knauer zeigte Forsbach, dass politisches Engagement im nationalsozialistischem Sinne im Falle von privaten und wissenschaftlichen Verfehlungen keineswegs vor einschneidenden persönlichen Konsequenzen schützte. Zwar profilierte sich Knauer bereits früh als aktiver Nationalsozialist, zugleich publizierte er aber noch nach der NS-Machtübernahme mit jüdischen Kollegen und stellte offen die Kompetenz des Reichsministers Rust in Frage. Wegen seines unwissenschaftlichen Gebarens in Forschung und Lehre zog er die Kritik seiner Kollegen auf sich, die bald in offene Feindseligkeiten umschlug. Knauer wurde schließlich wegen gerichtlicher Falschaussage ohne Pension entlassen. Er konnte seine Wiedereinstellung nach 1945 nicht durchsetzen, da seine Entlassung nicht politischer Art gewesen sei.

Dr. Annette Schröder (Hannover) „Männer der Technik im Dienst von Krieg und Nation. Die Studenten der Technischen Hochschule Hannover im Nationalsozialismus“ und beschäftigte sich mit der Frage nach der Konfiguration technischer Eliten, ihrem Selbstverständnis und ihren Denk- und Handlungsweisen zwischen 1933 und 1945. Schröder zeigte, dass das Technikverständnis der Studenten durch die in der ingenieurwissenschaftlichen Ausbildung vermittelten Faktoren wie technische Rationalität, Sachverstand und Objektivität geprägt war. Hieraus leitete sich der Wunsch nach Ordnung und Stabilität verknüpft mit technischen Machbarkeitsutopien zu rassistisch fundierten nationalsozialistischen Gemeinschaftsvorstellungen unter den Studenten ab. Trotz des weitgehenden Fehlens von spezifisch nationalsozialistischen Einflüssen auf die Lehrveranstaltungen an der TH-Hannover, lässt sich Schröder zufolge doch ein stark nationalsozialistisch beeinflusster, durch die Rückbindung von technokratischen Planungsutopien an ein „wesenshaftes Gefühl“ gekennzeichneter, ideologischer Mainstream nachweisen. Nach 1945 dienten Deutungsmuster einer von „unpolitischen Technikern“ vorangetriebenen „autonomen Technikentwicklung“, die an scheinbar objektiven Werten wie Sachlichkeit, Rationalität und Vernunft gekoppelt sind, dazu, die Ingenieurwissenschaften zu exkulpieren und den Weg in die Nachkriegswissenschaft zu ebnen.

Der Vortrag von Werner Lausecker und Herbert Posch M.A. (Wien), „Mir ist ja kein Ort verloren gegangen, sondern eine Entwicklung und eine Generation. Die Vertreibung der als Jüdinnen und Juden verfolgten Studierenden und die „Arisierung der Universität Wien vor und nach 1938“ richtete den Blick auf die unmittelbar nach dem „Anschluss“ mit besonderer Effizienz betriebene „Entjudung“ der Universität Wien. Schon lange vor dem März 1938 hatte der Antisemitismus an der Universität Wien prägenden Einfluss ausgeübt, der in der Benachteiligung bei der Besetzung von Lehrstühlen, der Diskussion über Zugangsbeschränkungen für jüdische Studierende bis hin zu tätlichen Angriffen auf diese auch praktisch wirksam wurde. Mit großem Engagement und besonderer Effizienz wurde die „Arisierung“ der Universität Wien von Studierenden und Dozenten unterstützt, die hierdurch in leitende Funktionen aufrückten. Die Vertreibung der Jüdinnen und Juden eröffnete berufliche Karrierechancen, die ohne zu Zögern genutzt wurden. In einem zweiten Teil wurden schließlich die Prozesse der Verfolgung und die Auswirkungen auf die Lebensgeschichte der Betroffenen anhand von qualitativen Untersuchungen und exemplarischen Beispielen nachgezeichnet.

In dem Beitrag von Holger Alex M.A. (Braunschweig) über „Luftfahrtforschung an der TU Braunschweig 1926-1954“ wurden exemplarisch Fragen nach dem Stellenwert politischer Veränderungen für die Zielsetzung von Wissenschaft und ihren Folgen sowie nach Kontinuitäten unter veränderten politischen Bedingungen aufgeworfen. Am Beispiel der bereits seit Mitte der 1920er Jahren in Braunschweig ansatzweise vorhandenen Luftfahrtforschung zeigte Alex, dass erst die durch Göring aufgestellte Maxime, die Luftfahrtrüstung international anschlussfähig werden zu lassen, die Systematisierung und den Ausbau der Luftfahrtforschung und ihre Institutionalisierung als „Luftfahrtlehrzentrum“ möglich gemacht hat. Dieser Schritt wurde von Synergieeffekten in Hinblick auf den Ausbau der Flughafen-Infrastruktur, der Kooperation zwischen Hochschule und Industrie und den von der TU ausgehenden Impulsen für die lokale Industrie sich verstärkt der Luftfahrtrüstung zuzuwenden, begleitet. Eine Neuorientierung des Faches hat es Alex zufolge nach 1945 nicht gegeben, da die Inhalte der Forschung und die mit Lehraufträgen versehenen Professoren nahtlos ihre Tätigkeit fortsetzen konnten.

Der Vortrag von Dr. des. Oliver Benjamin Hemmerle (Mannheim) über „Erinnerungskultur und -stätten an deutschen Hochschulen nach 1945“ befasste sich mit dem Wandel der Erinnerungskultur an deutschen Hochschulen. In seinem Vortrag stellte Hemmerle die Ergebnisse einer von ihm Ende der 1990er Jahre durchgeführten Umfrage zu Rehabilitations- und Gedenkmaßnahmen nach 1945 vor, um auf diesem Wege zu Aussagen über das historische Selbstverständnis der Universitäten und Hochschulen nach 1945 zu gelangen. Seine Forschung umfasst das universitäre Gedenken an die Gründer der Lehranstalten, an die in Kriegen gefallenen Studenten, an die politisch und rassistisch verfolgten Studenten und an die Widerstandsgruppen. Hemmerle kann für die Bundesrepublik mehrere verschiedene Phasen des Gedenkens aufzeigen. Diese haben ihren Ursprung oftmals in der aktuellen, politischen und gesellschaftlichen Situation. In jeder dieser Phasen stand eine andere Gruppe im Zentrum des Andenkens und der Focus verschob sich von den Gefallenen auf die Opfer.

Frank Sparing M.A.,
Dr. Wolfgang Woelk

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Karen Bayer, M.A., Frank Sparing, M.A., Dr. Wolfgang Woelk
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