Reformation und Recht. Zur Kontroverse um die Kulturwirkungen der Reformation. Tagung des Wissenschaftlichen Beirats für das Reformationsjubiläum 2017

Reformation und Recht. Zur Kontroverse um die Kulturwirkungen der Reformation. Tagung des Wissenschaftlichen Beirats für das Reformationsjubiläum 2017

Organisatoren
Wissenschaftlicher Beirat, Reformationsjubiläum 2017
Ort
Lutherstadt Wittenberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.02.2016 - 27.02.2016
Url der Konferenzwebsite
Von
Tobias Dienst, Theologische Fakultät, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Die mit dem Titel „Reformation und Recht“ überschriebene Tagung des Wissenschaftlichen Beirats für das Reformationsjubiläum 2017, die unter Beteiligung ausgewiesener Experten aus dem Bereich der Rechts-, Kirchen- und Allgemeingeschichte am 26. und 27. Februar in den Räumen der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität Berlin stattfand, beschäftigte sich exemplarisch anhand der rechtsgeschichtlichen Folgen mit den „Kulturwirkungen der Reformation“. Diese Thematik war bereits in einer vorangegangenen Tagung zu „Reformation und Säkularisierung“ kontrovers diskutiert worden, geht es doch nicht zuletzt um Grundfragen der wissenschaftlichen Begleitung des Reformationsjubiläums: Wie ist angemessen von der Prägekraft der Reformation und des Protestantismus für die nachfolgenden Entwicklungen bis in die Gegenwart zu sprechen? Bedeutet eine Hervorhebung spezifischer Kulturwirkungen einen Rückfall in protestantisch-triumphalistische Geschichtsdeutungen oder ist im Kontext des Jubiläums vielmehr der Gefahr eines Relativismus zu begegnen?

Einleitend stellte CORNEL ZWIERLEIN (Bochum) den eng mit den Folgen von Reformation und Glaubensspaltung verbundenen Begriff der Konfessionalisierung in einem globalgeschichtlichen Zusammenhang vor. Den epistemischen Prozess, dass konkrete normative Lehrinhalte in asymmetrischen Herrschaftsbeziehungen erfragt und überprüft werden, zeigte Zwierlein über die werdenden Konfessionskirchen hinaus auch in deren Kontakten mit außereuropäischen Religionsgruppen in der Frühen Neuzeit auf.

Anschließend setzte MICHAEL STOLLEIS (Frankfurt am Main), Autor der grundlegenden neueren „Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland“, die Reformation in den Zusammenhang einer schon im Mittelalter beginnenden, aber durch sie beförderten „Verrechtlichung“, die eng mit der Entstehung des modernen Staats verbunden ist. Gerade an der ungleich höheren Beteiligung protestantischer, besonders reformierter Juristen an der Entstehung der sogenannten Reichspublizistik seien durchaus Kulturwirkungen sichtbar.

HEINER LÜCK (Halle-Wittenberg) untersuchte die Wittenberger Juristen im 16. Jahrhundert und beleuchtete dabei vor allem ihre Stellung in Eherechtsfragen zwischen Römischen und (evangelisch adaptierten) kanonischem Recht. Diskutiert wurde auch die Frage, ob man von einer hemmenden Wirkung starrer Konfessionalisierung auf Entfaltung der Rechtswissenschaft sprechen kann.

Den Blickwinkel der Tagung erweiterte WIM DECOCK (Leuven) mit einem Beitrag zur frühneuzeitlichen katholischen Scholastik, die in Reaktion auf die Herausforderung durch die Reformation die Verbindung von Recht und Moral besonders stark betonte. Dies zeigte er exemplarisch anhand von Rechtspositionen zu Armutsmigration und Privat- und Staatsschulden in Spanien.

Am 27. Februar betonte der Heidelberger Kirchenhistoriker CHRISTOPH STROHM (Heidelberg), Wissenschaftlicher Leiter der Tagung, die produktive Kraft „Konfessioneller Konkurrenz“ am Beispiel der Rechtsentwicklung. Stimulierende, für die Rechtsentwicklung relevante Folgen zeigten sich zum Beispiel im Bildungswesen und im Bemühen, geschichtliche Deutungen zur Untermauerung der eigenen Position auszuführen. Zu beachten sei, dass im konfessionsvergleichenden Suchen nach spezifischen Kulturwirkungen die Nichtbeachtung der „konfessionellen Konkurrenz“ das Ergebnis dahingehend verfälschen könne, dass der intensive interkonfessionelle Austausch in den Kontroversen unterschätzt wird.

Der abschließende Vortrag von HEINRICH DE WALL (Erlangen) fasste viele Erkenntnisse der thematisch sehr runden Tagung zusammen. Einen besonderen Akzent legte der Erlanger Kirchenrechtler auf die evangelische Umgestaltung des keineswegs mit der Reformation abgeschafften kanonischen Rechts. Als eine entscheidende Wirkung der Reformation stellte Prof. de Wall die Aufhebung der Unterscheidung zwischen Klerikern und Laien vor, die mit einem Kompetenzzuwachs „weltlicher“ Juristen verbunden war.

Die Ergebnisse der Tagung wurden in der Schlussdiskussion von zwei Impulsreferaten systematisiert und gedanklich erweitert. AXEL FREIHERR VON CAMPENHAUSEN (Hannover), ein bekannter Experte für Kirchenrecht, betonte unter anderem die Bedeutung des erzwungenen Verfassungskompromisses im konfessionell gespaltenen Deutschland. Gerade die gegenwärtige Bevorzugung der Konfliktlösung im Föderalismus auf rechtlicher Basis stellt womöglich eine mittelbare Folge des Zusammenhangs „Reformation und Recht“ dar. UDO DI FABIO (Bonn) hatte als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats und ehemaliger Verfassungsrichter einen besonderen Zugang zum Tagungsthema. Er betonte die Ambivalenzen der Reformation, die zugleich exemplarisch für die Moderne seien. So sei Luther mit seiner Konzentration auf das Religiöse ganz dem Mittelalter verhaftet. Zugleich sei er aber mit dieser Ausrichtung auch der modernen Ausdifferenzierung der Gesellschaft nahe.

Insgesamt stellte die Tagung des Wissenschaftlichen Beirats ein von den Teilnehmenden als sehr gelungen empfundenen Gedankenaustausch zu einer zentralen Thematik des Reformationsjubiläums dar. Bezeichnend war besonders die konzentrierte und angeregte Atmosphäre der Tagung. Die Beiträge werden noch in diesem Jahr im Verlag Mohr Siebeck zum Druck gebracht werden.

Konferenzübersicht:

Sektion I
(Moderation: Klaus Tanner, Heidelberg)

Cornel A. Zwierlein (Bochum): „‘Konfessionalisierung‘ europäisch, global als epistemischer Prozess: Zu den Folgen der Reformation und zur Methodendiskussion“ (angekündigt als: „Das sogenannte Konfessionalisierungsparadigma in der neueren Diskussion“)

Michael Stolleis (Frankfurt am Main): „Reformation und Verrechtlichung am Beispiel der Reichspublizistik“

Sektion II
(Moderation: Michael Germann, Halle-Wittenberg)

Heiner Lück (Halle-Wittenberg): „Der Beitrag Wittenberger Juristen zur Rechtsentwicklung“

Wim Decock (Leuven): „Die Bedeutung der frühneuzeitlichen, katholischen Scholastik für die Rechtsentwicklung“

Sektion III
(Moderation: Dorothea Wendebourg, Berlin)

Christoph Strohm (Heidelberg): „Die produktive Kraft konfessioneller Konkurrenz für die Rechtsentwicklung“

Heinrich de Wall (Erlangen): Die Neugestaltung des evangelischen Kirchenrechts durch ‚weltliche‘ Juristen“

Schlussdiskussion mit Impulsreferaten von Axel Freiherr von Campenhausen (Hannover) und Udo di Fabio (Bonn)


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