Pax Britannica, Pax Americana, Pax Sinica? Der Strukturwandel der Weltwirtschaft und die Lage der Unternehmen

Pax Britannica, Pax Americana, Pax Sinica? Der Strukturwandel der Weltwirtschaft und die Lage der Unternehmen

Organisatoren
Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V.
Ort
Duisburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.03.2016 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Florian Carl Eisenblätter, Gesellschaft für Unternehmensgeschichte mbH

Die 39. öffentliche Vortragsveranstaltung der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V., die in den Räumlichkeiten der Franz Haniel & Cie. GmbH in Duisburg stattfand, widmete sich den großen Strukturwandlungen der Weltwirtschaft und deren Bedeutung für die Unternehmen. Ausgangspunkt der Vorträge und Diskussionen war der momentan möglicherweise zu beobachtende Wechsel in der weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Dominanz der USA (Pax Americana) hin zu China (Pax Sinica). So sollte eine Brücke geschlagen werden zwischen den großen wirtschaftshistorischen Fragen der herrschenden Wirtschaftsordnungen der letzten Jahrhunderte und einer interdisziplinären Prognose für die kommenden Jahre. Gleichzeitig erfuhr die Veranstaltung besondere Brisanz durch die augenblicklich zu beobachtenden internationalen wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen: Die Wirtschaftskrise in China, der Verfall des Ölpreises, die Flüchtlingsentwicklung, das Aufkommen rechtspopulistischer Parteien, die politische Destabilisierung in Europa und die Debatte um das geplante transatlantische Freihandelsabkommen TTIP zeugen derzeit von einem größeren europäischen und internationalen Wandel in Politik und Wirtschaft, der sich auch auf die Lage der Unternehmen und ihre Handlungsmöglichkeiten auswirken kann. Ein Blick auf die vergangenen weltwirtschaftlichen Strukturen sollte als Basis zur Auseinandersetzung mit den aktuellen Entwicklungen, insbesondere dem Erstarken der chinesischen Wirtschaft in den letzten Jahren, dienen.

STEPHAN GEMKOW (Duisburg) griff die der Vortragsveranstaltung zugrundeliegende Thematik in seiner Begrüßung auf und betonte, dass der Aspekt des „Wandels“ auch in der Unternehmensgeschichte der heutigen Franz Haniel & Cie. GmbH, deren Vorstand er vorsitzt, omnipräsent sei. Das Duisburger Unternehmen hatte seinen Ursprung im Kolonialwarenhandel des 18. Jahrhunderts und durchlebte seitdem eine für das Ruhrgebiet typische Entwicklung mit Betätigungen unter anderem in der metallverarbeitenden Industrie und im Bergbau und zeigt sich heute als hochdiversifizierte Familienholding. Gemkow sah Haniel als Beispiel für die Entwicklung eines regionalen zu einem international agierenden Unternehmen, für den Wandel der Bedeutung von der Montanindustrie zum Dienstleistungssektor und somit für den Strukturwandel der Weltwirtschaft und insbesondere der deutschen Unternehmen. THOMAS BIRTHEL (Wien), der Rolf Nonnenmacher vertrat, ergänzte die einleitenden Ausführungen von Stephan Gemkow und betonte die Brisanz der Vortragsveranstaltung in der Gegenwart, die Birthel als Zeit des Umbruchs und der Veränderung deutete. Beispielhaft nannte er in diesem Zusammenhang die oben genannten aktuellen weltwirtschaftlichen und politischen Entwicklungen.

Als Grundlage für den Blick auf Gegenwart und Zukunft referierte WERNER PLUMPE (Frankfurt am Main) über „Aufstieg, Struktur und Zerfall von Weltwirtschaftsordnungen in historischer Perspektive“ und fasste seinen Vortrag mit „Paradoxien der Ordnung“ zusammen. Plumpe erläuterte, dass sich die deutsche Wirtschaftsgeschichtsschreibung mit der Thematik bislang kaum auseinandergesetzt habe, was sich infolge der aktuellen weltwirtschaftlichen Geschehnisse hoffentlich bald ändern werde. Plumpe erklärte, dass weltwirtschaftliche Strukturen seit der Antike existieren und seither eine erkennbare Rhythmik von Ordnung und Zerfall aufweisen, sodass auf eine weltwirtschaftliche Ordnung bzw. eine Wirtschaftsmacht eine andere folge, so Plumpe. So nannte er beispielhaft unter anderem die Pax Romana (erstes bis viertes Jahrhundert nach Christus), die Pax Mongolica (12. bis 14. Jahrhundert nach Christus), die Pax Britannica (1815 bis 1914) und die Pax Americana, die er in die Pax Americana I (1945 bis 1989) und die Pax Americana II (1989 bis 2007) unterteilte. Diese Wirtschaftsordnungen zeichnen sich durch die folgenden Merkmale aus: Ein politisches Zentrum, das militärisch und ökonomisch ausreichend stark sei, die Ordnung zu garantieren, eine inklusive Institutionenordnung, die gleichzeitig Handlungssicherheit ermögliche und Anpassungsfähigkeit besitze, sowie stabile Währungsbeziehungen. Daraus folgerte Plumpe, dass eine funktionierende Ordnung zumeist nur von befristeter Dauer sein könne, weil sich die notwendigen Bedingungen im Strukturwandel ändern können. So kam Plumpe auf die „Paradoxie der Ordnung“ zu sprechen. Für die neuzeitlichen Ordnungen seit dem 16. Jahrhundert erkenne er eine „Dialektik von Strukturbildung und Zerfall“, deren Kern eine Paradoxie sei, die darin bestehe, dass die Ordnungsmächte Entwicklungsbedingungen schaffen und garantieren, von denen sie selbst gar nicht am meisten profitieren. Vor diesem Hintergrund erläuterte Plumpe eindrucksvoll und mit umfangreichem Zahlenmaterial die Determinanten, die zur Entstehung und zum Zerfall der Pax Britannica und zur Pax Americana I und II führten. Abschließend erläuterte Plumpe die Auswirkungen weltwirtschaftlicher Ordnungen auf Unternehmen. Unternehmen profitieren von stabilen Ordnungsrahmen, die Freihandel, stabile Währungsverhältnisse und freien Kapitalverkehr ermöglichen, so Plumpe. So benannte Plumpe das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts sowie mit Einschränkungen auch die Zeit der Pax Americana als „goldene Zeit“. Unternehmen profitieren von einem stabilen weltwirtschaftlichen Ordnungsrahmen, der allerdings wiederum eine Intensivierung des Strukturwandels begünstige und der demzufolge die Bedingungen der Möglichkeit dieses Ordnungsrahmen untergraben könne („Paradoxie der Ordnung“). Der Ordnungsrahmen hänge damit vor allem an der Bereitschaft der beteiligten Akteure, an seinen Regeln festzuhalten, sodass seine Funktionsweise insgesamt erhalten bleibe. Hierin sah Plumpe allerdings für die Zukunft das größte Problem. Plumpe appellierte, dass die Akteure nicht ausschließlich bezüglich ihres eigenen, kurzfristigen Vorteils, sondern ordnungsaltruistisch handeln sollen, um langfristig von einer stabilen Ordnung zu profitieren.

THOMAS MAYER (Köln) schlug anschließend die Brücke zur Gegenwart und befasste sich aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive mit der aktuellen „chinesischen Herausforderung“. Mayer erläuterte, dass Chinas zukünftige Handlungen enorme Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben können. Er stellte für seinen Vortrag die folgenden Thesen auf: Nach einem rasanten Wachstum seit Ende der 1990er-Jahre stoße China an die „middle income trap“, die Falle des mittleren Einkommens. Um die „middle income trap“ zu überwinden, müsse sich die derzeitige Struktur der chinesischen Wirtschaft ändern 1. Dieser Strukturwandel berge wirtschaftliche und soziale Risiken, die ihrerseits politische Risiken bedingen. Ohne einen politischen Wandel können die Risiken nicht beherrscht werden, so Mayer, und ohne eine Kursänderung von Xi Jinping, dem amtierenden Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas, werde es keinen politischen Wandel geben. Mit ausführlichem Zahlenmaterial vollzog Mayer die chinesische Wirtschaftsentwicklung der letzten Jahre nach und bewertete die getroffenen Maßnahmen der chinesischen Regierung, so zum Beispiel die Liberalisierung des Finanzsektors 2013. Zusammenfassend prognostizierte Mayer eine Krise in China, bei der die wirtschaftliche Rezession mit politischer Repression einhergehen werde. Mayer mutmaßte, dass eine solche Krise enorme Auswirkungen auf die internationale Wirtschaft haben werde und die „chinesische Herausforderung“ somit eine Herausforderung für China und den Rest der Welt darstelle.

Im Anschluss daran kommentierte ULRICH GRILLO (Berlin) den möglicherweise bevorstehenden Wandel des weltwirtschaftlichen Machtgefüges. Für Grillo stellen Anpassungs- und Innovationsfähigkeit zentrale Treiber der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Ländern und Unternehmen dar, weswegen er dafür plädierte, diese besonders zu fördern und zu forcieren. Mithilfe zahlreicher Unternehmensbeispiele untermauerte er seine These eindrucksvoll. Darüber hinaus relativierte Grillo die Ausführungen von Mayer und prognostizierte für China positivere Zukunftsaussichten: China stehe derzeit zwar am Scheideweg, könne die Transformation zur Konsumgesellschaft aber schaffen. Zur Frage einer möglicherweise bevorstehenden Pax Sinica mutmaßte Grillo, dass sie, sollte sie denn tatsächlich eintreten, nur von kurzer Dauer sein werde, da Indien China dicht auf den Fersen sei. Darüber hinaus sah Grillo auch die Chancen Europas weiterhin intakt, die Entwicklung der weltwirtschaftlichen Strukturen entscheidend mitgestalten zu können. Er empfahl, die aktuelle Krise in Europa als Union zu lösen und schloss seinen Kommentar mit der Einschätzung ab, dass Europa als wirtschaftliche und politische Union nicht das Problem, sondern dessen Lösung sei.

An der anschließenden Podiumsdiskussion, die von HENNING KRUMREY (Berlin) moderiert wurde, nahmen neben den Referenten Thomas Mayer (Köln), Werner Plumpe (Frankfurt am Main) und Ulrich Grillo (Berlin) auch Stephan Gemkow (Duisburg) und REINHARD BÜTIKOFER (Brüssel) teil. Sie drehte sich unter anderem um die Frage, welche Rolle Europa und die europäischen Unternehmen in der Zukunft haben werden. Bütikofer, Gemkow und Grillo erläuterten übereinstimmend, dass sowohl Europa als auch die Unternehmen weltweit eine gestaltende Position innehaben und diese auch wahrnehmen sollten. Grillo betonte die Bedeutung internationaler Verflechtungen. Plumpe plädierte bezüglich der wirtschaftlichen Macht Chinas für Optimismus, den er historisch begründete: Umso entwickelter ein Land sei, desto besser sei dies für die internationale Wirtschaft, da das Land, in diesem Falle China, langfristig auf eine weltwirtschaftliche Arbeitsteilung angewiesen sei. Daher sei eine positive Entwicklung der chinesischen Wirtschaft beispielsweise auch für Deutschland vorteilhaft. Die größte Gefahr für die Weltwirtschaft sah Plumpe hingegen in der politischen Angst, von anderen Ländern abgehängt zu werden, und einer daraus resultierenden Verteidigung des Status quo. Offener Handel zwischen entwickelten Staaten wirke sich auf die Unternehmen in ihrer Gesamtheit überaus positiv aus. Mayer forderte, nicht aus Angst vor einer chinesischen Herausforderung die Wirtschaftsbeziehungen mit anderen Staaten aus den Augen zu verlieren, wie beispielsweise mit Indien und Russland, und begrüßte eine multipolare Betrachtung der weltwirtschaftlichen Beziehungen. Plumpe betonte abermals, dass sich die durch einen Staat garantierten weltwirtschaftlichen Ordnungen in der Vergangenheit ökonomisch positiv ausgewirkt haben. Wirtschaftlich sei eine Weiterführung der Pax Americana somit zu begrüßen, so Plumpe. Er plädierte aber zugleich für Optimismus bezüglich der chinesischen Entwicklung. Wirtschaftshistorisch sei die aktuelle Situation in China durchaus mit der amerikanischen Wirtschaftsentwicklung im 19. Jahrhundert zu vergleichen. In China zeigen sich derzeit typische Nachholerphänomene. Gemkow und Grillo argumentierten zudem für einen baldigen Abschluss des transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP, nicht als Bollwerk gegen China, sondern um im internationalen Handelsgefüge nicht abgehängt zu werden, so Gemkow.

Die Vorträge und die sich anschließende Podiumsdiskussion demonstrierten somit in eindrucksvoller Art und Weise die Parallelen zwischen vergangenen Strukturwandel, Wirtschaftsordnungen und den aktuellen Gegebenheiten, insbesondere der „chinesischen Herausforderung“. Somit wurde die Veranstaltung ihrem Anspruch gerecht, aus der weltwirtschaftlichen Vergangenheit Parallelen zum Hier und Jetzt zu ziehen und gleichzeitig tagesaktuelle Aspekte und Diskussionspunkte der Frage einer zukünftigen Wirtschaftsmacht interdisziplinär zu betrachten.

Abschließend wurde der Preis für Unternehmensgeschichte verliehen, der in diesem Jahr an SEBASTIAN TEUPE (Bayreuth) und seine Arbeit unter dem Titel „Die Gesetze des Marktes. Preispolitik, Wettbewerb und der Handel mit Fernsehgeräten in der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika, 1945-1985“ ging, die von TONI PIERENKEMPER (Köln) vorgestellt und gewürdigt wurde.

Konferenzübersicht:

Stephan Gemkow (Duisburg) – Begrüßung
Thomas Birthel (Wien) – Begrüßung

Werner Plumpe (Frankfurt am Main) – Paradoxien der Ordnung: Aufstieg, Struktur und Zerfall von Weltwirtschaftsordnungen in historischer Perspektive

Thomas Mayer (Köln) – Die chinesische Herausforderung
Ulrich Grillo (Berlin) – Kommentar

Henning Krumrey (Berlin), Reinhard Bütikofer (Brüssel), Stephan Gemkow (Duisburg), Ulrich Grillo (Berlin), Thomas Mayer (Köln), Werner Plumpe (Frankfurt am Main) – Podiumsdiskussion

Verleihung des Preises für Unternehmensgeschichte an Sebastian Teupe (Bayreuth)

Anmerkung:
1 Die middle income trap „öffne sich nach großen Wachstumserfolgen bei Ländern, deren Produktivität nicht schneller steige als ihre Selbstkosten, bei denen die Exportkraft abnehme und die Nachfrage über den Binnenmarkt nicht rasch genug angekurbelt werden kann.“ Johnny Erling, China in der Falle des mittleren Einkommens, in: Die Welt, 07.03.2013, <http://www.welt.de/wirtschaft/article114230035/China-in-der-Falle-des-mittleren-Einkommens.html> (22.03.2016).


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