„Computing all their cost and trouble“. Finanzmärkte, Spekulationen und Regulierung in der Frühen Neuzeit und in der Moderne. Diskurse, Narrative, Strategien

„Computing all their cost and trouble“. Finanzmärkte, Spekulationen und Regulierung in der Frühen Neuzeit und in der Moderne. Diskurse, Narrative, Strategien

Organisatoren
Andreas Thier / Carsten Fischer, Universität Zürich
Ort
Zürich
Land
Switzerland
Vom - Bis
08.10.2015 - 09.10.2015
Url der Konferenzwebsite
Von
Nora Bertram, Rechtswissenschaftliches Institut, Universität Zürich

Finanzmarktimplosionen haben bis in die Gegenwart dazu beigetragen, die Finanzmärkte als einen Ort zu beschreiben, an dem bisweilen Emotionen wie Panik und Gier die Oberhand gewinnen und der deswegen schon aufgrund seiner wachsenden Bedeutung für die nationale wie die globale Volkswirtschaft der gesetzgeberischen Beschränkung bedarf. Seit Langem sind Finanzmärkte, die für die Konferenz in einem etwas abstrakteren Sinn als Handelsplätze monetärer Liquidität betrachtet wurden, Gegenstand historischer Auseinandersetzung. Auch wenn sich bereits im 18. und 19. Jahrhundert einige Werke mit der Entstehung von verhängnisvollen Spekulationsblasen und irrationalem Massenverhalten an den Märkten beschäftigten, so ist gerade in jüngster Zeit unternommen worden, Finanzkrisen in die langgestreckten Verläufe der Wirtschaftsgeschichte einzuordnen. Die Veranstalter Andreas Thier (Zürich) und Carsten Fischer (Köln) wiesen darauf hin, dass solche langgestreckten Verläufe bis jetzt in keinem breiteren perspektivischen Rahmen betrachtet worden seien. Ziel der zweitägigen Konferenz war es daher, unterschiedliche historische Disziplinen zusammenzuführen, um so Spekulationen, Krisen und Regulierung von Finanzmärkten aus rechts-, wirtschafts- und kulturhistorischer Perspektive in den Blick zu nehmen. Die bereits vor der Konferenz zur Verfügung gestellten Beiträge wurden durch einen Teilnehmer jeweils kommentiert und anschließend zur Diskussion gestellt. Diese Konferenzform hat eine substantiierte und konstruktive Auseinandersetzung mit den jeweiligen Thematiken befördert. In den Diskussionen nahmen die Teilnehmer oft Rückgriff auf die Leitthemen der Konferenz: Diskurse, Narrative und Strategien. Fischer erläuterte diese Begriffe in seinen einleitenden Worten kurz. Mit Diskursen werde der Bereich markiert, in dem Wissen über Finanzmarktprozesse entstehe und finanzmarktbezogene Normen produziert würden. Deutungen und Wahrnehmungen des Finanzmarktgeschehens könne man als Narrative charakterisieren. Als Strategien seien Regelungskonzepte und -formen zu sehen, mit denen Finanzmärkte gesteuert werden sollten. Diese Leitbegriffe dienten den Teilnehmern als erste Orientierungspunkte für die Analyse der einzelnen Thematiken.

Als erster kommentierte Albrecht Cordes (Frankfurt am Main) einen Beitrag von MICHAEL NORTH (Greifswald) über die Geld- und Bankenkrisen bis zur Einführung des Goldstandards. North widerlegte, basierend auf historischen Fallstudien, die Annahme, dass „die Vernetzung der Finanzmärkte im Zeitalter der Globalisierung weltweit Ansteckungsgefahren und Kettenreaktionen“ hervorgerufen habe. Bereits im Mittelalter seien Kapitalmärkte eng miteinander verbunden gewesen, denn die Geld- und Kreditversorgung sei von den weltweiten Edelmetallvorräten abhängig gewesen. Anhand der Fallstudien verdeutlichte North sodann die unterschiedliche Handhabung von Münzverschlechterungen im Europa des Mittelalters und der Frühen Neuzeit.

LOUIS PAHLOW (Frankfurt am Main) befasste sich in seinem Aufsatz, der von Andreas Thier kommentiert wurde, mit Diskursen und Strategien einer Regulierung von Banken in den Jahren 1850 bis 1890 am Beispiel der sogenannten Gründerkrise. Im Fokus des Aufsatzes stand das vor und während der Gründerkrise auftretende Regulierungsbestreben des Staates im Bereich des Bankensektors. Pahlow erläuterte, dass die geldpolitische Sicherstellung des nationalen wie internationalen Kapitalverkehrs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das zentrale staatliche Steuerungsziel gewesen sei, was wiederum zu einer erheblichen staatlichen Regulierungsbestrebung im Bereich von Notenbanken geführt habe. Hingegen habe man andere, nicht notenemittierende Banken keiner Regulierung unterworfen. Die Möglichkeit der Selbstregulierung des Marktes sowie die Motive des aufgezeigten staatlichen Regulierungsprozesses wurden durch die Konferenzteilnehmer eingehend diskutiert.

Anschließend stellte Pahlow die Überlegungen von PETER COLLIN (Frankfurt am Main) zur Selbstregulierung des Wettbewerbs im Bankensektor im frühen 20. Jahrhundert vor. Ausgehend vom heutigen Drei-Säulen-Modell, das das deutsche Bankwesen in drei Kategorien teilt – die privaten Geschäftsbanken, die öffentlichen Kreditinstitute und die Genossenschaftsbanken –, erläuterte Pahlow das Forschungsvorhaben Collins. Die weitgehende Identität der Geschäftsfelder habe es im Ursprung der drei Bankentypen nicht gegeben. Im 19. Jahrhundert sei es lediglich im Passivgeschäft von Sparkassen und Kreditgenossenschaften zu Überschneidungen gekommen. Später hätten die Banken ihr Geschäftsprofil jedoch stark aneinander angeglichen, was zu einem „Kampf um Kundschaft und Kapital“ geführt habe. Collin ging basierend auf dieser Entwicklung der Frage nach, in welchem normativen Rahmen der Wettbewerb zwischen den Banken gegen Ende der Weimarer Republik stattgefunden und in welchem Maß die Finanzwirtschaft eigene Regeln geschaffen habe.

In den Diskussionen des ersten Konferenztages lebte immer wieder die Frage nach der Definition des Regulierungsbegriffs auf. In dem Beitrag von Pahlow wurde dieser unabhängig von aktuellen Inhalten und Kontexten verstanden und für das 19. Jahrhundert als „jede staatliche Aufsicht und Steuerung von Banken“ definiert. Des Weiteren diskutierten die Teilnehmer in Bezugnahme auf Collins Erörterungen, inwieweit Rechtsprechung und Gesetzgeber den Markt kontrollieren könnten und worin eigentlich der Unterschied zwischen Regel und Regulierung bestehe.

Der zweite Tag wurde mit einem Kommentar von Johannes W. Flume (Tübingen) zu dem Beitrag „Bullen, Bären – und Lämmer? […]“ von ALEXANDER ENGEL (Göttingen) eröffnet. Die im Titel genannten Tiere waren Teil einer Karikatur aus dem Jahre 1908, die das Geschehen an der New Yorker Aktienbörse in einem ständig drehenden Ringelreigen darstellte. Die damaligen nationalökonomischen Debatten um die Teilnahme des sogenannten ‚kleinen Mannes‘ am Börsengeschehen waren Gegenstand von Engels Analyse. Kommentar und anschließende Diskussion beschäftigten sich mit der Fragestellung, inwieweit Spekulationen für einen funktionierenden Finanzmarkt unabdingbar seien und wann das Spekulationsinteresse zum Schutz des Publikums zu regulieren sei. Flume stellte fest, dass der Begriff der Spekulation vornehmlich negativ behaftet sei. Auf den erhöhten Abstraktionsgrad von Finanzgeschäften, der mit Spekulationen einhergehe, machte anschließend Thier aufmerksam, der die Entwicklung seit dem Spätmittelalter kurz nachzeichnete und auf die rechtswissenschaftliche Deutung von Spekulationen hinwies.

„Die Peelsche Bankakte und die Stabilität der Finanzmärkte in England 1844-1890“ von DIETER ZIEGLER (Bochum) wurde von Andreas Fleckner (Hamburg) kommentiert. Hierbei ging es um die Frage, wie sich die Bank of England zu einer Regulierungsinstanz entwickeln konnte, die maßgeblich für die Stabilität von Währung und Finanzmarkt verantwortlich war. Voraussetzung für diese Entwicklung sei es gewesen, dass die Zentralnotenbank als Lender of Last Resort darauf verzichtete, Neukunden zu akquirieren, und somit nicht in Konkurrenz zu den anderen Geschäftsbanken trat. Die Zentralnotenbank habe für die Rolle einer uneingeschränkten Regulierungsinstanz ausdrücklich auf eine „Unternehmenspolitik der Nutzenmaximierung“ verzichtet. Es sei in diesem Kontext besonders wichtig gewesen, dass „nicht der Staat den Finanzmärkten eine Zentralnotenbank aufoktroyiert“ habe, sondern dass diese Institution durch den Markt selbst geschaffen worden sei, so Ziegler. Fleckner ging in seinem Kommentar insbesondere auf die Stabilität von Finanzmärkten ein, die im Kontext des Beitrages eine wichtige Rolle spielte. Inwieweit man einem Finanzprodukt, das geringen Wertschwankungen unterlegen sei, die Eigenschaft eines stabilen Produkts zusprechen könne, war Teil der anschließenden Diskussion, die sich darüber hinaus auch mit den Vor- und Nachteilen der Stabilität des Finanzmarktes als Ganzes beschäftigte.

Der darauffolgende Aufsatz befasste sich mit einer wirtschaftshistorischen Fragestellung des 20. Jahrhunderts. In „Vom director zum Führer und zurück […]“ lieferte JAN THIESSEN (Tübingen) historisch-vergleichende Anmerkungen zur Organisationsverfassung von stock corporations und Aktiengesellschaften zur NS-Zeit. Aus dieser Analyse stellte Rolf Sethe (Zürich) Thesen zur Disposition. Eine dieser Thesen lautete, dass das Führerprinzip der Nationalsozialisten nur stimmig gewesen sei, weil die entmachtete Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft durch das Gemeinwohl ersetzt worden sei. Dies habe der damaligen Ideologie entsprochen, da im Nationalsozialismus nicht der Wille der Aktionäre, sondern der Wille des Volkes (Gemeinwohl) maßgebend gewesen sei, so Sethe. Das Führerprinzip sei allerdings inhaltsleer gewesen, wie das Beispiel der Kommanditgesellschaft auf Aktien zeige. Diese sollte zunächst abgeschafft werden, obwohl sie sich bestens für ein Führermodell geeignet hätte. Auf Basis der Thesen wurde sodann der Einfluss der NS-Zeit auf die wirtschaftspolitische Entwicklung in Deutschland diskutiert. Die Konferenzteilnehmer waren sich einig, dass eine rechtsvergleichende Untersuchung zu dieser Thematik sicherlich noch interessante Ergebnisse befördern könne.

JURIJ MURAŠOV (Konstanz) stellte daraufhin seine literaturwissenschaftliche Perspektive zum Konferenzthema vor. Er führte aus, dass neben Liebe, Recht oder Moral auch die Ökonomie von jeher Gegenstand literarischer Erzählungen gewesen sei. Es erscheine daher nicht weiter verwunderlich, dass sich auch die Krise der Finanzwirtschaft in den Werken namhafter Autoren Anfang des neuen Jahrtausends wiederfinden lasse. Hier könne man „Rückkoppelungseffekte zwischen der Semiotik des Geldes und literarischer Poetik“ feststellen. Die drei von Jurij Murašov vorgestellten Beispiele boten für die Teilnehmer interessanten Diskussionsstoff. Es wurde erörtert, inwieweit Romane, die sich mit ökonomischen Prozessen befassen, diese überhaupt noch literarisch bewältigen können. So führen laut Fleckner, der Murašovs Ausführungen kommentierte, solche Erzählungen bei Praktikern eher zu Irritationen und zum Teil zu der Ansicht, dass hier eine nur oberflächliche Auseinandersetzung mit einer ökonomischen Thematik stattgefunden habe. In der anschließenden Diskussion über den narrativen Teil der Finanzmärkte wurden unterschiedliche disziplinäre Perspektiven sichtbar.

Den letzten Konferenzbeitrag aus der Feder von CHRISTIAN KULLICK (München), kommentierte Carsten Fischer. Das sogenannte Lotteriefieber, ein Begriff, der die sprunghafte und starke Verbreitung von Lotterien im deutschen Reich des 18. Jahrhunderts beschreibt, war Gegenstand von Kullicks Forschungen. Mit dem Aufkommen der Geldlotterien habe es, so Kullick, zum ersten Mal die Möglichkeit gegeben, plötzlich und ohne Arbeitsleistung, kriminelle Vorgehensweise oder alchimistische Versuche reich zu werden. Um die dadurch angestachelte Gewinngier der Bevölkerung zu zügeln, habe die Regierung der Reichsstadt Frankfurt die Zahlenlotterie im 18. Jahrhundert durch rechtliche Regelungen stark eingeschränkt. Bei der vorgetragenen Thematik, so waren sich die Diskutanten einig, sei insbesondere die gewünschte Beibehaltung der Ständeordnung Motiv für das Vorgehen der Politik gewesen. Die Möglichkeit für jedermann, zufällige wirtschaftliche Erfolge zu erzielen, habe man vor dem Hintergrund der befürchteten Verwischung ständischer Grenzen verhindern wollen. Die Beschreibung eines korrespondierenden Wunsches nach Standesverbesserung als gesellschaftliches Übel und Ursache wirtschaftlicher Krisen sei, ergänzte Fischer, ein in der zeitgenössischen Wahrnehmung regelmäßig begegnendes Narrativ.

In der Abschlussdiskussion befassten sich die Teilnehmer mit diversen Phänomenen, welche im Kontext der verschiedenen Beiträge, die in einem Sammelband erscheinen werden, interessanterweise immer wieder auftauchten. Auch wurde ein Resümee formuliert, inwiefern der Untertitel der Konferenz mit seinen Termini „Diskurse, Narrative, Strategien“ – über die Funktion einer gewissen Ordnungsstruktur der Konferenz hinaus – für die Beitragenden hilfreich und wertvoll erschien. Über eine Konturierung von Begrifflichkeiten wie „Regulierung“ wurde nachgedacht und Anregungen für eine mögliche Fortführung des wissenschaftlichen Austausches gesammelt.

Konferenzübersicht

Albrecht Cordes, Kommentar zu Michael North: Geld- und Bankenkrisen bis zur Einführung des Goldstandards

Andreas Thier, Kommentar zu Louis Pahlow: Diskurse und Strategien einer Regulierung und Selbstregulierung von Banken am Beispiel der sog. Gründerkrise (ca. 1850-1890)

Louis Pahlow, Kommentar zu Peter Collin: Selbstregulierung des Wettbewerbs. Konkurrenz und Kooperation von Sparkassen, Banken und Kreditgenossenschaften im frühen 20. Jahrhundert

Johannes W. Flume, Kommentar zu Alexander Engel: Bullen, Bären – und Lämmer? Zeitgenössische Auseinandersetzungen um die Börsenteilnahme des Publikums im 19. Jahrhundert

Andreas Fleckner, Kommentar zu Dieter Ziegler: Die Peelsche Bankakte und die Stabilität der Finanzmärkte in England 1844-1890

Rolf Sethe, Kommentar zu Jan Thiessen: Vom director zum Führer und zurück – historisch-vergleichende Anmerkungen zur Organisationsverfassung von stock corporation und Aktiengesellschaft

Andreas Fleckner, Kommentar zu Jurij Murašov: Jenseits der Erzählbarkeit. Die Finanzwirtschaft und ihre Krisen in der Literatur der 2000er Jahre (Don DeLillo, Elfriede Jelinek und Vladimir Sorokin)

Carsten Fischer, Kommentar zu Christian Kullick: "Lotteriefieber" und legislative Reaktionen – die Reichsstadt Frankfurt in den 1770er und 1780er Jahren