Erinnerungsorte (Niedersachen / Bremen)

Erinnerungsorte (Niedersachen / Bremen)

Organisatoren
Arbeitskreis für die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen; Landeshauptstadt Hannover – Städtische Erinnerungskultur
Ort
Hannover
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.04.2016 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Wolfgang Brandes, Stadtarchiv Bad Fallingbostel

Der Arbeitskreis für die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen setzte seine Beschäftigung mit „Erinnerungsorten“, die einen Bezug zu Niedersachsen und Bremen haben, in seiner Frühjahrstagung im April 2016 fort. Mit dem Hodlersaal im Neuen Rathaus in Hannover wurde ein Tagungsort gewählt, der, wie der hannoversche Kulturdezernent Harald Härke in seinem Grußwort betonte, selbst einen Erinnerungsort darstellt. Um die Erinnerungskultur zu fördern und zu pflegen, wurde in der Landeshauptstadt 2009 die Abteilung „Städtische Erinnerungskultur“ gegründet, die Kooperationspartner bei dieser Tagung war.

In unmittelbarer Nähe des Tagungsortes befanden sich die beiden ersten Erinnerungsorte, auf die eingegangen wurde: die Aegidienkirche und der Maschssee. KIM HAHNE (Hannover) sprach über „Die Aegidienkirche in Hannover. Ein lokales Mahnmal für alle Opfer der Kriege und der Gewalt“. Die 1163 erstmals urkundliche erwähnte Aegidienkirche wurde bei einem Bombenangriff im Oktober 1943 zerstört. Da lediglich die rohen Umfassungsmauern stehen blieben, war eine Verwendung als Gemeindekirche nicht mehr möglich. Die Ruine wurde der Stadt übergeben und 1954 als Mahnmal gewidmet. Hahne betonte, dass der Erinnerungsort durch das Zusammenspiel von dauerhaften und wechselnden Kunstinstallationen wandelbar und nicht statisch erscheine. Die Kirche stehe für kollektive Erfahrungen, zu denen aber jeder einen Bezug entwickeln könne – gerade durch die fehlende Individualisierung des Gedenkens. An diesem Erinnerungsort werde die Verflechtung der verschiedenen Zeitebenen sehr deutlich. Die Kirche selbst bleibe, wie sie seit der Zerstörung gewesen sei, um sie herum habe sich im Laufe der Zeit das Stadtbild aber geändert. Die Vergangenheit bekomme somit einen festen Platz in der Gegenwart und im alltäglichen Zeitgeschehen. Dieser Erinnerungsort sei kein fixer, in seiner Bedeutung explizit festgeschriebener Ort bzw. er sei keinem exklusiven historischen Narrativ verpflichtet. An diesem Ort, der vor allem durch seinen Ruinencharakter sensibilisiere, werde Geschichte konkret.

KARLJOSEF KRETER (Hannover) befasste sich mit dem künstlich angelegten 78 ha großen „Maschsee“. Nachdem bereits in den 1880er-Jahren erste Pläne für ein Wasserbecken im Süden der Stadt entwickelt worden waren, sei die Realisierung erst 1925 im Wahlkampf um das Amt des Oberbürgermeisters näher gerückt, als Arthur Menge forderte „Die Großstadt im Grünen braucht auch einen Haussee“. 1934 war dann unter dem im Amt gebliebenen Oberbürgermeister Menge die Entscheidung gefallen, den Maschsee unter dem Einsatz von Arbeitslosen zu bauen. Die Fertigstellung erfolgte am 21. Mai 1936. Großer Wert sei auf Kunst im Sinne des nationalsozialistischen Menschen- und Gesellschaftsbilds gelegt worden. Neben Werken von Georg Kolbe und Arno Breker wurde von Hermann Scheuernstuhl die monumentale „Fackelträger“-Figur aufgestellt. Durch diese Skulpturen sei in dem weiter als Freizeitlandschaft genutzten Maschseeraum ein rassistisches und volksgemeinschaftliches Menschenbild präsent gewesen. Der Maschsee sei also keinesfalls ein unpolitischer Ort gewesen, was auch die an den Bänken angebrachten Schilder „Für Juden verboten“ unterstrichen hätten. Nach Kriegsende wurde zwar auf Anweisung der Besatzungsmächte das Hakenkreuz aus dem Sockel des „Fackelträger“-Pfeilers herausgeschlagen. Ansonsten sei der „Fackelträger“ mitsamt dem aus nationalsozialistischer Zeit stammenden Widmungsspruch aber unverändert geblieben. Weiter hatten Briten und Amerikaner angeordnet, die am 6. April 1945 auf dem Stadtfriedhof Seelhorst erschossenen und in Massengräbern verscharrten 154 größten teils aus der Sowjetunion stammenden Häftlinge ebenso wie später noch entdeckte Leichen von 232 Zwangsarbeitern aus den KZs zu exhumieren und würdevoll am Nordufer des Maschsees zu bestatten.

LENA KRULL und CONSTANZE SIEGER (Münster) untersuchten „Das Oldenburger Münsterland als Erinnerungsort zwischen Niedersachsen und Westfalen“. Sie wiesen darauf hin, dass das Begriffspaar „Oldenburger Münsterland“ zwei Städtenamen vereine, die beide außerhalb der von den Landkreisen Cloppenburg und Vechta gebildeten Region liegen. Die Bezeichnung rekuriere allein auf die Geschichte der beiden Landkreise: 1803 wurden die Ämter Cloppenburg und Vechta mit dem Reichsdeputationshauptschluss dem Herzogtum Oldenburg zugesprochen. Zuvor gehörten beide Ämter als Niederstift zum Fürstbistum Münster. Auch heute noch gehören beide Landkreise in kirchlicher Hinsicht weiter zum Bistum Münster. Erstmalig nachweislich verwendet worden sei die Bezeichnung 1889 in einer Heimatgeschichte. Aufgegriffen worden sei sie 1919 bei der Gründung des Heimatbundes für das Oldenburger Münsterland. Die jüngste und bis heute nachhaltigste Institutionalisierung habe der Begriff 1995 mit der Gründung des Verbunds Oldenburger Münsterland e.V. erfahren. Aufgrund der wirtschaftlichen und touristischen Ausrichtung des Zweckverbands finde sich der Begriff in vielfältiger materieller und immaterieller Ausprägung im öffentlichen Raum wieder und beeinflusse die regionale Identität.

RÜDIGER RITTER (Bremen) ging dem „Amerikanischen in Bremerhaven. Der Wandel eines lokalen Erinnerungsorts und seine museale Präsentation“ nach. Ritter führte aus, dass die bis heute gängige Selbstbezeichnung „Vorort von New York“ immer auch die Funktion gehabt habe, von der geographischen Randlage Bremerhavens und seinen mitunter gravierenden wirtschaftlichen Problemen abzulenken und sich selbst ideell und mental besserzustellen. Die Idee einer besonderen Beziehung zu den USA sei Teil der Gründungsgeschichte der Stadt, die als Hafen Bremens den Überseeverkehr in die USA abwickeln sollte. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ist die Verbindung zu den USA in Gestalt der Auswanderung konkret greifbar. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Bremerhaven zum amerikanischen Port of Embarkation. Fast vier Jahrzehnte lang war die amerikanische Präsenz Teil des Alltagslebens. Habe der Erinnerungsort anfangs als Ausdruck der Konkurrenz gegenüber Bremen gedient, sei er nach dem Zweiten Weltkrieg Teil der Orientierungssuche der westdeutschen Eliten geworden, die sich beim Sieger über Hitlerdeutschland zu profilieren gesucht hätten. Die gleichzeitige Erfahrung von amerikanischer Präsenz und Wirtschaftswunder in der Nachkriegszeit habe die Entstehung eines Mythos bewirkt, der auch dann erhalten geblieben sei, als sich in den 1970er-Jahren das westdeutsche Amerikabild verschlechtert habe und als seit den 1980er-Jahren in Bremerhaven eine wirtschaftliche Problemlage aufgekommen sei. Der Erinnerungsort habe nun der Ablenkung von tagesaktuellen Problemen durch die Beschwörung einer besseren Vergangenheit gedient. Heute ist der Erinnerungsort Teil des offiziellen Stadtmarketingkonzepts. Seine verschiedenen Facetten würden in den Bremerhavener Museen präsentiert.

OLIVER RUMP (Berlin) stellte „Heideruh“ als „kollektiven Erinnerungsort von Verfolgung und Widerstand“ vor. Rump bezeichnete das südlich von Hamburg in Holm/Seppensen in der Nordheide gelegene Wohn- und Ferienheim Heideruh als das letzte erhaltene Erholungsheim kommunistischer Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus in Niedersachsen bzw. Westdeutschland. Heideruh weise eine kontinuierliche und konsistente antifaschistische Nutzungsgeschichte am authentischen Ort auf. Nach dem Bau (ca. 1923) sei es Ende der 1920er/Anfang der 1930er Jahre Widerstandsnest gewesen, dann in der NS-Zeit Gefolgschaftsheim. Nach der Befreiung sei es gelungen, das Heim von den Alliierten zurückzuerhalten und eine FDJ-Schulungsstätte, dann ein Kinder- und später ein Erholungsheim der V.V.N. einzurichten, das in eine eingetragene Genossenschaft überführt worden sei. 1958 sei eine Vereinslösung gewählt worden. Als antifaschistische Erholungs- und Begegnungsstätte und als anerkannte Unterkunft für Flüchtlinge positioniere sich Heideruh heute. Rump betonte, dass sich am Beispiel Heideruhs die lokale Geschichte immer wieder mit der deutschen Politik und internationalen Entwicklungen in Zusammenhang stellen lasse. Als Besonderheit hob er an Heideruh die Verbindung bundesdeutscher Geschichte mit der Geschichte der DDR hervor, so dass Heideruh Teil des Gedächtnisses beider Staaten sei.

PETER HELDT (Wolfenbüttel) sprach über „Eine SCHILLernde Erinnerung. Erinnerungskultur im Geschichtsunterricht am Beispiel der Gedenkstätte KZ-Außenlager Braunschweig Schillstraße“. Heldt beschrieb, wie sich im Rahmen des kompetenzorientieren Unterrichts eine Schülergruppe der Gedenkstätte näherte und dabei an einer langen Mauer vorbei kam. Trotz der zahlreichen Schilder habe sich den Schülern nur schwer erschlossen, worum es gehe. Dann seien sie zum 1837 errichteten Denkmal gelangt, das an die Erschießung von 14 Angehörigen des Freikorps Schill im Jahr 1809 erinnere. Am Denkmal befänden sich Platten zum Gedenken an die 1939-1945 gefallenen, vermissten oder in Gefangenschaft geratenen Mitglieder der Braunschweiger Regimenter. An die Anlage des Schill-Denkmals grenze das KZ-Außenlager. Dessen Fläche sei nach dem Krieg zunächst für Flüchtlinge und Spätheimkehrer und dann von der Post genutzt worden. In jüngster Zeit sei hier ein Büro- und Einkaufszentrum errichtet worden. Nur rudimentär sei auf die KZ-Außenstelle hingewiesen worden. Die Stadt Braunschweig habe 1996 beschlossen, auch das KZ-Außenlager in die Perspektive zu rücken und sich der NS-Vergangenheit zu stellen. Ein Gedenkstättenkonzept sei entwickelt worden, das die Schaffung eines offenen Archivs und eines Seminarraums umfasst habe. Die Gedenkstätte werde heute schwerpunktmäßig für Veranstaltungen genutzt.

JÖRN BRINKHUS (Bremen) befasste sich mit dem „Bremer Roland. Ein städtischer und nationaler Erinnerungsort“. Der Roland wurde als 1404 auf Bremens Zentralplatz errichtetes Denkmal zu einem Kristallisationspunkt des kollektiven Gedächtnisses mit mehrschichtiger Bedeutung. Brinkhus betonte, dass sich weder aus der historischen Gestalt des Roland noch aus der späteren literarischen Verarbeitung oder der rechtsgeschichtlichen Rolandforschung ein eindeutiger Symbolgehalt ableiten lasse. Vielmehr gewinne der Bremer Roland seine Qualität durch lokale Umstände. Wegen des Wahlspruchs „Vrijheit do ick ju openbar…“ werde in der Forschung vom „Freiheitsroland“ gesprochen, aber der Freiheitsbegriff wäre (und sei) vieldeutig. Nicht nur die vom Roland verkündete Freiheit, sondern die Statue selbst sei auf Karl den Großen zurückgeführt worden, womit der Rat bezweckt habe, Bremens Status als eine freie Stadt durch eine Reichsunmittelbarkeit abzusichern. Obwohl das Reich 1803 als Bezugspunkt weggebrochen sei, habe Wilhelm Hauff diese Deutung aufgegriffen und außerhalb Bremens popularisiert. Im 19. Jahrhundert habe der Roland eine Ausdeutung als Nationaldenkmal erfahren. Ihm sei ein Geburtstag angedichtet worden, nämlich die Befreiung Bremens von napoleonischen Truppen am 6. November 1813. Nach 1914 sei diese Erinnerungskonstruktion in Form der Nagelstatue des Eisernen Rolands und der an Freikorpsmitglieder verliehenen Rolandmedaille aktualisiert worden. Der Roland habe so an den Kampf nicht nur gegen äußere, sondern auch innere Feinde einer nationalen Freiheit erinnert – eine Deutung, die im „Dritten Reich“ fortgeschrieben worden sei. Nach 1945 habe eine antitotalitäre Deutung den Begriff des „Freiheitsrolands“ wieder aufgegriffen. Seit den 1960er-Jahren werde der Roland mit politischen Plakaten behängt und damit zu einem Kämpfer für soziale sowie politische Freiheiten.

PAUL WESSELS (Aurich) befasste sich mit dem „ Upstalsboom“, der ein höchst symbolischer Ort von großer Bedeutung für das Selbstverständnis der Ostfriesen ist. Ursprünglich ein frühmittelalterlicher Grabhügel, habe der Upstalsboom im Zuge der Ausbildung einer Konsulatsverfassung im Hochmittelalter als Ort gemeinfriesischer Treffen eine besondere Rolle in der politischen Verschränkung der friesischen Länder gespielt. Das Aufkommen der Häuptlingsherrschaft und der Aufstieg der Cirksena im 14. Jahrhundert hätten dazu geführt, dass es 250 Jahre lang in den Quellen keine Nachricht über den Upstalsboom gegeben habe, bis Ubbo Emmius als Propagandist der ständischen Interessen in Zeiten des Widerstands gegen gräfliche Machtansprüche ihn als den „Altar der Freiheit“ wiederentdeckt und verklärt habe.

Die ostfriesische Landschaft habe 1832 das Gelände erworben und im Jahr darauf eine Feldsteinpyramide errichtet. In Ostfriesland sei der Upstalsboom im 19. Jahrhundert zunehmend rezipiert worden als allgemeines Symbol friesischer Freiheit, Identität und Eigenheit. Im Ersten Weltkrieg sei daran gedacht worden, einen Heldenhain anzulegen. In den Jahren des Nationalsozialismus habe der Upstalsboom eine ideologische Überhöhung als germanische Thingstätte und Aufmarschort erfahren. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe der Upstalsboom eine gute Folie zur Bestätigung der eigenen Größe in der Geschichte gebildet, aber er habe auch grenzüberschreitend als mystisch-mythisch vereinender Ort der friesischen Freiheit gegolten. Aktuell gebe es eine Initiative, den Ort Upstalsboom als Erlebnis-, Erinnerungs- und Begegnungsort aufzuwerten und durch die Konfrontation von moderner Landart und historischer Bausubstanz eine Spannung zu erzeugen, die ihn auch für historisch weniger bewusste Menschen attraktiv mache. Dieser Ansatz impliziere eine Reduzierung der historischen Bedeutung und auch eine gewisse Distanzierung vom symbolischen Gehalt als „Altar der Freiheit“.

Es erwies sich als lohnend, dass in dieser Tagung vor allem auf den Aspekt der Genese und des Wandels von Erinnerungsorten eingegangen wurde. Der unterschiedliche Charakter der vorgestellten Erinnerungsorte, sowohl was die zeitliche als auch die räumliche Komponente betraf, aber auch ihre Bedeutung auf landesgeschichtlicher oder eher regionalgeschichtlicher Ebene regten die Diskussion an und gaben Impulse für zukünftige Fragestellungen.

Konferenzübersicht:

Kim Hahne (Hannover): Die Aegidienkirche in Hannover. Ein lokales Mahnmal für alle Opfer der Kriege und der Gewalt

Karljosef Kreter (Hannover): Der Maschsee

Lena Krull / Constanze Sieger (Münster): Das Oldenburger Münsterland als Erinnerungsort zwischen Niedersachsen und Westfalen

Rüdiger Ritter (Bremen): Das Amerikanische in Bremerhaven. Der Wandel eines lokalen Erinnerungsorts und seine museale Präsentation

Oliver Rump (Berlin): Heideruh. Ein kollektiver Erinnerungsort von Verfolgung und Widerstand

Peter Heldt (Wolfenbüttel): Eine SCHILLernde Erinnerung. Erinnerungskultur im Geschichtsunterricht am Beispiel der Gedenkstätte KZ-Außenlager Braunschweig Schillstraße

Jörn Brinkhus (Bremen): Der Bremer Roland. Ein städtischer und nationaler Erin-nerungsort

Paul Weßels (Aurich): Der Upstalsboom


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