Colloquium Atticum IV: Athen im 5. Jahrhundert v.Chr.

Colloquium Atticum IV: Athen im 5. Jahrhundert v.Chr.

Organisatoren
Werner Rieß, Arbeitsbereich Alte Geschichte, Historisches Seminar, Universität Hamburg
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.06.2016 - 24.06.2016
Url der Konferenzwebsite
Von
Michael Zerjadtke, Historisches Seminar, Universität Hamburg

Von Donnerstag, 23. Juni bis Freitag, 24. Juni fand in diesem Jahr zum vierten Mal das Colloquium Atticum in Hamburg statt. Der von Werner Rieß initiierte Workshop soll dazu dienen, aktuelle Projekte und Forschungstrends rund um das Thema Attika zu diskutieren. Im Rahmen der Reihe soll sowohl etablierten Forscherinnen und Forschern als auch Nachwuchswissenschaftlern die Möglichkeit gegeben werden, ihre Arbeiten als work in progress vorzustellen.

Das diesjährige Colloquium Atticum, das wie gewohnt im Warburghaus der Aby Warburg Stiftung abgehalten wurde, hatte das Athen des 5. Jahrhunderts zum Thema. Chronologisch schloss die Tagung somit an das dritte Colloquium Atticum an, welches sich mit dem archaischen Athen beschäftigt hatte. Das Programm überspannte mit Themen zu Einzelpersönlichkeiten, zur wirtschaftlichen Architektur des Seebundes, zur Archäologie der Hafenanlagen und zur Ikonographie der Vasendarstellung ein weites Feld innerhalb der historischen Wissenschaften.

Den Anfang machte CLAUDIA TIERSCH (Berlin) mit Ausführungen zur Aristokratie Athens. Diese habe sich mit den ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Repräsentation und der politischen Einflussnahme arrangiert. Doch im letzten Drittel des 5. Jahrhunderts, vor allem durch die Aktivitäten des Perikles, habe die Aristokratie wieder verstärkt mit der Demokratie zu fremdeln begonnen, da ihre Einflusssphäre weiter verkleinert wurde. Auch seien durch den Aufstieg einer neuen Politikerklasse von bürgerlichen Demagogen die aristokratischen Tugenden in den Hintergrund gedrängt worden. Als Reaktion darauf habe man sich wieder von der übrigen Bürgerschaft abgegrenzt und die eigenen Traditionen gepflegt.

ARMIN EICH (Wuppertal) zeigte durch die Analyse des Aufbaues und des Entstehungsprozesses des attisch-delischen Seebundes, dass diese Einrichtung bereits sehr früh als Herrschaftsinstrument konzipiert war. So seien vorrangig wirtschaftlich wichtige geo-strategische Korridore nach Norden und Osten gesichert worden, und die hierarchische Abstufung zwischen Athen und seinen Bündnern habe von Anfang an bestanden. Eich betonte, dass der Imperialismus Athens im Seebund nicht auf bestimmte Politiker zurückgeführt werden könne, sondern eine kontinuierliche Entwicklung gewesen sei. Diese sei zudem nicht so stark von den Perserkriegen beeinflusst gewesen, wie gemeinhin angenommen wird. Auch bereits zuvor habe Athen vorrangig machtpolitische Interessen verfolgt.

Auch PHILIPP SCHEIBELREITER (Wien) betrachtete Athen und das Verhältnis zu seinen Bündnern. Da er nicht persönlich an der Konferenz teilnehmen konnte, wurde sein Beitrag von Kaja Harter-Uibopuu vorgetragen. Scheibelreiter bestätigte, dass die Sonderstellung Athens im Symmachiebündnis von Anfang an implementiert gewesen sei. Dies zeige sich unter anderem durch die Befreiung der Stadt vom Phoros wie auch im offiziellen Titel des Seebundes. Spätere Verträge, insbesondere mit abgefallenen Poleis, seien im Wesentlichen Kapitulationsvereinbarungen in Form von Homologieverträgen gewesen. Letztere entstammten dem attischen Prozessrecht und dienten der schriftlich fixierten Akzeptanz der bestehenden Situation nach einer gewaltsamen Niederwerfung, anstatt eine neue Rechtslage zu schaffen.

Es folgte PANAGIOTIS ATHANASOPOULOS (Patras), der stellvertretend für Bjørn Lovén (Kopenhagen) die neuesten Forschungsergebnisse zu den Kriegshäfen des Piräus vorstellte. Die erste Phase der dort dokumentierten shipsheds sei an den Beginn des 5. Jahrhunderts zu datieren, die Anlagen seien bald darauf verbessert und ausgebaut worden. Durch Überdachungen und Seitenwände waren die Schiffe geschützt, konnten trocknen und ausgebessert werden. Rampen ermöglichten zudem eine schnelle Einsatzbereitschaft. Im letzten Viertel des 5. Jahrhunderts seien die Rampen nochmals verlängert worden, sodass zwei Trieren hintereinander Platz fanden. Seit der sizilischen Katastrophe sei ein Niedergang der Anlagen erkennbar, die durch die Römer endgültig zerstört worden seien.

MARTIN DREHER (Magdeburg) betrachtete das Verhältnis von Staat und Individuum im Athen des 5. Jahrhunderts, insbesondere als Gegenentwurf zur archaischen Tyrannis. Letztere habe eine personalisierte Herrschaft dargestellt, wohingegen die Demokratisierung gleichsam eine Entpersonalisierung gewesen sei. Die Beteiligung Vieler an der Staatsführung habe zugleich die Unterordnung ihrer Interessen unter das Gemeinwohl bedeutet. Dementsprechend sei die Wichtigkeit individueller Freiheit von der intellektuellen Elite im 5. Jahrhundert mit der nötigen Rücksicht auf die anderen Bürger verbunden worden.

Im Mittelpunkt der Ausführungen von CHARLOTTE SCHUBERT (Leipzig) standen der Phidiasprozess sowie seine Datierung und politische Deutung. Aufgrund von Scholien zum Werk „Frieden“ des Aristophanes rückte Schubert den Prozess in einen engen zeitlichen Kontext zum Ausbruch des Peloponnesischen Krieges. Perikles habe von der Unterschlagung durch seinen Freund Phidias gewusst und das Megarische Psyphisma auch lanciert, um von einer innenpolitischen Krise abzulenken. In diesem Fall wäre dem athenischen Politiker doch eine größere Verantwortung für den Ausbruch des Peloponnesischen Krieges zuzuschreiben als bisher.

HERBERT HEFTNER (Wien) warf einen neuen Blick auf die umstrittene Person des Alkibiades. Entgegen anderer Meinungen deutete er dessen Entscheidungen im Verlaufe des Peloponnesischen Krieges nicht als die eines Draufgängers. Stattdessen habe er seine Aktivitäten sorgsam abgewogen und Risiken bewusst vermieden. Alkibiades‘ historische Bedeutung läge, so Heftner, in dessen Verkörperung der „Zerrissenheit zwischen Tradition und Freidenkertum, Polisbindung und individuellem Geltungsanspruch“. Aristokratisch anmutende Tendenzen wie die Zurschaustellung von Reichtum wurden von ihm umgedeutet als der Polis nutzbringend, da beispielsweise der Reichtum eines Bürgers auch den Reichtum der Stadt illustrieren würde.

WOLFGANG BLÖSEL (Duisburg-Essen) lenkte den Blick auf die Hopliten und damit auf eine Gruppe zwischen Oberschicht und ärmerer Bevölkerung. Diese hätten in den politischen Umstürzen der Jahre 411 und 403 auf Verfassungen hingearbeitet, welche die Theten von der politischen Mitbestimmung ausgeschlossen hätten. Hierin sei deutlich der Bruch innerhalb der Bürgerschaft erkennbar, sowie das Selbstverständnis der Hopliten als eigene Gruppe. Dies zeige, dass es keine strenge Dichotomie zwischen Oligarchen und Demokraten gegeben habe, sondern viele Abstufungen dazwischen.

Im Anschluss betrachtete ROBIN OSBORNE (Cambridge) drei Themen der attischen Vasenmalerei im Vergleich mit den historischen Entwicklungen. Am Beispiel von Kriegführung, Sport und Sex legte er einen Wandel in der Zeit zwischen 520 und 430 dar. Wo anfangs noch explizite Darstellungen und Betonung des Wettstreites mit anderen Kriegern, Sportlern oder um Sexualpartner standen, seien um die Mitte des 5. Jahrhunderts Kooperation und Verantwortung in den Mittelpunkt gerückt. Statt der expliziten Wiedergabe der Aktivitäten sei nun der Fokus auf die Erwartung des unmittelbar Bevorstehenden gelegt worden. Diese Hervorhebung der Zusammenarbeit könnte auf Veränderungen der Selbstwahrnehmung der Bürger der Polis zurückzuführen sein, denen die Wichtigkeit ihres Zusammenhaltes klar wurde.

Der Beitrag von ERICH KISTLER (Innsbruck) wurde stellvertretend von Werner Rieß vorgetragen. Darin schlug Kistler eine neue Deutung der Darstellung von Männer zerreißenden Mänaden vor. Diese seien kein Ausdruck männlicher Angst, sondern vielmehr auf ein Element der Mysterienkulte zurückzuführen, wie Vergleiche mit dem den Sparagmos vollführenden Dionysos nahelegen. Weiterhin würden Tierfelle und Tyrsosstab die Frauen als Bacchantinnen ausweisen und die lydischen Schuhe und Hauben eine Verbindung zum Symposion anzeigen. Die gewalttätigen Vasenbilder seien ein Ausdruck der Entfremdung zwischen der Oberschicht mit ihren geheimbündnerischen Kulten und der restlichen Bevölkerung. Ab der Mitte des 5. Jahrhunderts verschwinden die Darstellungen.

Die Beiträge zum diesjährigen Colloquium Atticum zeigten deutlich die verschiedenen Wandlungen und Kontinuitäten auf, die sich im Athen des 5. Jahrhunderts vollzogen. Als besonders problematisch ist das Verhalten der Elite zu bezeichnen, die sich trotz der übrigen Veränderungen an der gesellschaftlichen Spitze halten konnte. Die Schwierigkeit ihrer Integration in die neue demokratische Ordnung ist deutlich als ein wichtiger Faktor für die Entstehung der inneren Unruhen dieses Jahrhunderts erkennbar. Wenngleich die am Beginn des Jahrhunderts bestehende ostentative Abgrenzung der Eliten vom Rest der Bevölkerung nach und nach einer Einfügung in das neue System und der Akzeptanz seiner Mechanismen wich, führten die Konflikte in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zu Rückschritten in diesem Integrationsprozess. WERNER RIEß (Hamburg) zog in seiner Zusammenfassung Parallelen zur Weimarer Republik, in der die kaiserzeitlichen Eliten trotz der politischen Umwälzungen ebenfalls in ihren Positionen verblieben waren. Abschließend wies er auf das Athen des vierten Jahrhunderts hin, welches zeige, dass die Einbindung der Eliten durchaus auch dauerhaft gelingen konnte. Daher werde diese Phase der attischen Geschichte in einem fünften Colloquium Atticum im Fokus stehen.

Konferenzübersicht:

Grußwort: Werner Rieß

Claudia Tiersch (Humboldt-Universität zu Berlin), Die athenische Demokratie im 5. Jh. v.Chr. und ihre Eliten – Kontinuität oder Bruch?

Armin Eich (Universität Wuppertal), Die Ökonomie des Ersten Attischen Seebunds – neuere Forschungen und Überlegungen

Philipp Scheibelreiter (Universität Wien), Von der Symmachie zur Homologie? Eine völkerrechtliche Perspektive auf Vertragsbeziehungen Athens im Delisch-Attischen Seebund

Bjørn Lovén (Kopenhagen – Athen), Shipsheds, the 5th century BCE Athenian Naval Bases in the Piraeus

Martin Dreher (Universität Magdeburg), Staat und Individuum im politischen Denken des 5. Jahrhunderts v.Chr.

Charlotte Schubert (Universität Leipzig), Perikles und der Ausbruch des Peloponnesischen Krieges: Philochoros vs. Thukydides?

Herbert Heftner (Universität Wien), Alkibiades: verhinderter Retter Athens oder Selbstdarsteller ohne Substanz? Anmerkungen zu einem umstrittenen Staatsmann aus der Zeit des Peloponnesischen Krieges

Wolfgang Blösel (Universität Duisburg-Essen), Die sozioökonomischen Hintergründe der oligarchischen Umstürze im Athen des späten 5. Jahrhunderts

Robin Osborne (Cambridge University), The changing city of images

Erich Kistler (Universität Innsbruck), Männer zerreißende Frauen auf rotfigurigen Vasen. Konsolidierung durch Skandalisierung im frühdemokratischen Athen

Abschlussdiskussion

Schlusswort: Werner Rieß