Politik der Weimarer Republik – aktuelle Forschungen

Politik der Weimarer Republik – aktuelle Forschungen

Organisatoren
Michael Dreyer / Andreas Braune, Forschungsstelle Weimarer Republik, Friedrich-Schiller-Universität Jena und Weimarer Republik e.V.,
Ort
Weimar
Land
Deutschland
Vom - Bis
31.08.2016 - 02.09.2016
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Von
Björn Uhrig, Institut für Politikwissenschaft, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Die von MICHAEL DREYER (Jena) und ANDREAS BRAUNE (Jena) organisierte Tagung zu aktuellen Forschungen zur Politik der Weimarer Republik war die erste Tagung der Forschungsstelle Weimarer Republik. Ziel war es, aktuelle Forschungsarbeiten – die zum Teil abgeschlossen, zum Teil noch in der Erarbeitung sind – vorzustellen und dabei Einblicke in die unterschiedlichen Fragestellungen und Herangehensweisen zu erhalten. Eingeladen waren daher insbesondere Nachwuchswissenschaftler unterschiedlicher geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit der Geschichte der Weimarer Republik, ihren politischen Ideen und politischen Institutionen sowie mit entscheidenden Akteuren beschäftigen. Dabei stand jederzeit die Historisierung der Weimarer Republik als Epoche der Chancen und Herausforderungen und nicht ausschließlich der Krisen und als „Vorgeschichte“ der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft im Vordergrund.

Dass es sich um einen Workshop und nicht um eine klassische Tagung handelte, wurde besonders durch die Vorstellung und Erörterung neuer Forschungsperspektiven sowie laufender Forschungsvorhaben deutlich. THOMAS SCHUBERT (Potsdam) stellte die intellektuellen und politischen Auseinandersetzungen zwischen Weltanschauungsanalyse und Ideologiekritik aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive dar und spannte hierbei einen Bogen von Karl Marx über Wilhelm Dilthey und Carl Schmitt bis zu Karl Mannheim. Daran schloss sich nahtlos ein bildungsgeschichtlicher Beitrag von FLORIAN HESSDÖRFER (Leipzig) an, der die Frage nach der Bedeutung von Begabung und Bildungsökonomie in der Weimarer Zeit thematisierte und eine Genealogie des Leistungsgedankens in ihrem Bildungsdiskurs skizzierte.

Von nicht minderer Bedeutung für eine umfassende Gesellschaftsdiagnose war der Beitrag von ANNE GNAUSCH (Berlin), die Suizide als gesamtgesellschaftliches Phänomen darstellte. Ihr Ziel sei es dabei, die Diskurse über Selbsttötungen in Medizin, Presse, Politik und Literatur umfassend zu untersuchen und die Frage zu beantworten, ob der Freitod in den „Krisenjahren der klassischen Moderne“ (Detlev Peukert) eines ihrer Symptome war. Ein Zeichen für die Krise sei möglicherweise auch der Flaggenstreit, dem VERENA WIRTZ (Koblenz / Landau) nachging. Ihr ging es dabei um das Verhältnis von Kunst und Politik, von Ästhetik und politischer Einheitsbildung, das sich in Symbolen – exemplarisch am Beispiel der schwarz-rot-goldenen Flagge – zeige. Hierbei haben unterschiedliche Weltanschauungen ebenso eine wichtige Rolle gespielt wie die Suche nach Kompromissen. Der Flaggenstreit habe zweifelsohne auch Bezug zum Verhältnis von Staat und Staatssymbol, da beide in einem Verweisungszusammenhang stünden.

An die Farben der Republik knüpften MARCEL BÖHLES (Heidelberg) und SEBASTIAN ELSBACH (Jena) an, indem beide ihre Arbeiten zum „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ vorstellten. In der Forschung spiele diese Vereinigung trotz ihrer Größe und Bedeutung bisher eine untergeordnete Rolle. Diesem Umstand wollten beide – zum einen für den deutschen Südwesten aus regionalgeschichtlicher Perspektive, zum anderen für das Reichsgebiet aus organisationsgeschichtlicher Perspektive – begegnen. Anfänglich als Veteranenverband gegründet, habe sich das Reichsbanner zu einer Organisation „wehrhafter Demokraten“ entwickelt. Sie sei durch die Parteien der Weimarer Republik und die Gewerkschaften getragen worden; maßgeblich habe aber die Sozialdemokratie Anteil an der Etablierung als Massenorganisation. In diesem Zusammenhang stelle sich daher die Frage nach der politischen Steuerung oder Beeinflussung des Reichsbannes durch die demokratischen Parteien.

Institutionengeschichtlich waren daneben die Beiträge von RONNY NOAK (Jena) zu den Schulungsstätten der Weimarer Parteien und von JANOSCH PASTEWKA (Dresden) zum Landtag Sachsens. Während Ronny Noak durch die Untersuchung der Werdegänge einzelner Teilnehmer parteipolitischer Schulungen das Verhältnis von Breiten- und Elitenbildung und den tatsächlichen Inhalten der Bildungsarbeit die Bedeutung der Parteischulen zu klären suchte, ging es Janosch Pastewka um die Herausbildung einer parlamentarischen Kultur im sächsischen Landtag. Dabei untersuchte er nicht nur die Veränderungen, die sich durch Republikanisierung und Parlamentarisierung ergaben, und die sozioökonomischen Bedingungen sowie Koalitionsmöglichkeiten, sondern stellte die Bedeutung von Vertrauen für politische Prozesse im Landtag in den Vordergrund.

Ebenso Fragen der politischen Kultur streifte ODED HEILBRONNER (Jerusalem), der die Kontinuität von ‚popular liberalism‘ und dem Nationalsozialismus problematisierte. Seine These, die durchaus kontrovers diskutiert wurde, lautete, dass – wenigstens im deutschen Südwesten – Ähnlichkeiten zwischen dem radikalem Liberalismus und dem späteren Nationalsozialismus bestanden hätten. Dies sei dadurch bedingt, dass lokale liberale Honoratioren davon ausgingen, ihre Interessen durch die NSDAP vertreten zu können – obgleich dies nicht gelang. Ob dies tatsächlich ein lokal begrenztes Phänomen war, konnte nicht abschließend erörtert werden.

Mit Kontinuitäten beschäftigten sich REINER FENSKE (Dresden) und DOMINIK HERZNER (Aachen). Reiner Fenske untersuchte dabei vergleichend das Engagement deutscher Verbände im Bereich des Kolonialrevisionismus bzw. der revisionistischen Außenpolitik – einerseits der Deutschen Kolonialgesellschaft in Afrika, andererseits des Deutschen Ostbundes in Ostmitteleuropa. Ziel beider Verbände sei eine imperiale ‚deutsche‘ Herrschaftsbildung in jeweils verschiedenen Räumen gewesen. Eine Kontinuität habe auch hinsichtlich des deutschen Auslandsschulwesens bestanden, wie Dominik Herzer darstellte. Hierbei untersuchte er die deutsche auswärtige Kulturpolitik am Beispiel deutscher Schulen in Spanien. Die Auslandsschulen seien dabei Orte nationalen Sendungsbewusstseins gewesen, insbesondere alteingesessene Auslandsdeutsche hätten der Republik kritisch gegenüber gestanden und häufig die „Machtergreifung“ begrüßt. Insgesamt zeige sich eine personelle, institutionelle und auch ideologische Kontinuität.

Fragen der Kontinuität warf ebenso MARTIN PLATT (Bonn) auf. Ihm ging es allerdings um die Historisierung des Revolutionsbegriffes und dessen Infragestellung. Es zeige sich beispielweise, dass das Verhältnis der militärischen und zivilen Behörden mit einer Revolution nicht zu erklären sei. Partiell habe hier ein Konsens zwischen „neuen“ und „alten“ Machthabern bestanden, der möglicherweise gar ein Grundkonsens der Weimarer Republik gewesen sei. Daher sei es erforderlich, den Übergang vom Kaiserreich zur Republik ohne Bezug auf den analytischen Gehalt des Revolutionsbegriffes zu untersuchen.

Vermutlich hätte dies der Philosoph Arnold Metzger anders gesehen, mit dem sich ALBERT DIKOVICH (Wien) beschäftigte. Metzger sei bereits in jungen Jahren in seinen philosophischen Arbeiten der Phänomenologie der Revolution nachgegangen, die er aus eigener Erfahrung als Vorsitzender eines Soldatenrates kannte. Er habe dabei die Revolution als eine „ethische Umkehr“ gedeutet. Dies bedeutete weniger eine politische Umgestaltung, sondern eine Änderung der Geisteshaltung.

Neben theoretischen und organisations- bzw. institutionengeschichtlichen Zugängen wird die Weimar-Forschung auch durch biographische Untersuchungen bereichert, die mindestens ebenso vielfältig sind – angefangen etwa bei Erich Ludendorff, der als Erster Generalquartiermeister eine wichtige Position in der Obersten Heeresleitung einnahm und mithin wichtige Entscheidungen für den Verlauf des Krieges traf. Er habe daher, wie FREDERIKE HÖHN (Potsdam) darlegte, den verlorenen Weltkrieg als eine persönliche Niederlage wahrgenommen. Doch im Vergleich zu anderen Angehörigen der Elite des Kaiserreiches sei es ihm nicht gelungen, nach dem Kriegsende wieder Fuß zu fassen, eine Karriere aufzubauen oder Einfluss auf die Politik zu erlangen. Stattdessen habe er versucht, sein persönliches Scheitern im Krieg aufzuarbeiten, was ihm jedoch ebenso wenig gelang.

Ebenso kriegsbegeistert wie Ludendorff war – wenn auch nur anfänglich – wahrscheinlich Rudolf Olden, dessen Biographie Gegenstand der Untersuchung von SEBASTIAN SCHÄFER (Chemnitz) war. Er habe sich jedoch pazifieren können und habe sich vom Nationalliberalen zum Demokraten, gar zum Radikaldemokraten entwickelt. Er habe dabei seine journalistische Tätigkeit genutzt, um positiv die öffentliche Meinungsbildung für die Weimarer Republik zu beeinflussen. Olden sei Republikaner, Europäer und Pazifist gewesen, der seine politische Kritik an Justiz und Reichswehr immer mit dem Ziel der politischen Erziehung und der Entwicklung einer demokratischen politischen Kultur verbunden habe. Zu den wenigen herausragenden Demokraten habe auch Ferdinand Tönnies gehört. ALEXANDER WIERZOCK (Berlin) untersuchte das Verhältnis Tönnies’ zur Weimarer Demokratie – ein Thema, dem bisher in der Forschung wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden sei. Tatsächlich habe er aber zu einer Minderheit intellektueller Demokraten gehört, auch wenn durchaus Bedenken gegenüber der Republik gehegt und er wohl eher ein direktoriales demokratisches Regierungssystem bevorzugt habe.

Schwieriger ist jedoch die Einschätzung von Gustav von Kahr, der kurzzeitig Bayrischer Ministerpräsident war. MATTHIAS BISCHEL (München) beschäftigte sich mit seiner Rolle in der Weimarer Zeit, die nicht widerspruchslos sei. Einerseits habe er konservativen Kreisen angehört und die Etablierung Bayerns als „Ordnungszelle“ im Reich angestrebt, anderseits habe er mit hoher Wahrscheinlichkeit den Hitler-Kapp-Putsch nicht unterstützt. Daher sei er einem „doppelten Vergessen“ anheimgefallen – einerseits durch den nationalsozialistischen Staat, andererseits auch nach dem Zweiten Weltkrieg. Dies mache gerade die Relevanz der Untersuchung aus.

Ein deutlich demokratischer Akteur der Weimarer Republik dürfte dagegen Leopold von Hoesch gewesen sein. In Abkehr vom Narrativ der revisionistischen Außenpolitik der Weimarer Republik beschäftigte sich PAUL KÖPPEN (Potsdam) mit dem deutschen Botschafter in Frankreich von 1923 bis 1932. Er gelte nicht nur als einer der kompetentesten Diplomaten der Weimarer Zeit, sondern habe sich – in Abkehr von klassischen außenpolitischen Vorstellungen – um Verständigung und Normalisierung der deutsch-französischen Beziehungen bemüht. Damit sei er nicht nur Repräsentant, sondern durch seine Diplomatentätigkeit tatsächlich Gestalter einer „republikanischen Außenpolitik“ gewesen, die für ein umfassendes Verständnis der Weimarer Republik relevant sei.

Für die Republik engagierte sich ebenso der Freiburger katholische Theologe und Zentrumspolitiker Engelbert Krebs, wie REBECCA SCHRÖDER (Freiburg) darstellte. Während Krebs noch im Ersten Weltkrieg national-konservativ eingestellt gewesen sei, habe er sich spätestens Mitte der 1920er-Jahre zu einem Unterstützer von Republik und Demokratie gewandelt. Durch seine weltweite Vortragstätigkeit habe er auch internationale Bedeutung erlangt; hierbei habe er sich zu gesellschaftlichen, geistlichen und politischen Themen geäußert und als Botschafter Deutschlands gewirkt. Von wissenschaftlichem Interesse seien dabei die Wandlung hin zum Republikaner und andererseits die Wechselwirkung zwischen der politischen Haltung und den theologischen Lehrmeinungen Krebs’.

ANTONIA SCHILLING (Freiburg) widmete sich dem Wirken Helene Webers, der einzigen Politikerin, die beim Workshop eine Rolle spielen sollte. Sie sei engagierte Katholikin gewesen und habe dadurch in der Weimarer Republik und später auch in der Bundesrepublik politische Karriere gemacht. Als eine von sechs Frauen war sie Mitglied der Zentrumsfraktion in der Nationalversammlung, wurde Beamtin im Preußischen Wohlfahrtsministerium, ehe sie Mitglied im Preußischen Landtag und anschließend Mitglied des Reichstages wurde. Sie habe sich gegen das Ermächtigungsgesetz ausgesprochen, diesem dann aber aus Gründen der Fraktionsdisziplin zugestimmt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie Mitglied des Nordrhein-Westfälischen Landtages und 1949 des Deutschen Bundestages. Insgesamt sei sie eine engagierte Sozialpolitikerin gewesen. Antonia Schilling untersuchte daher das Spannungsverhältnis zwischen ihrem katholisch-konservativem Hintergrund und ihre Emanzipation sowie Kontinuität und Brüche in ihren politischen Standpunkten.

Der Workshop konnte insgesamt seinem Anspruch mehr als gerecht werden. Hierzu trugen nicht nur die Vorträge bei, die die facettenreiche aktuelle Forschung darstellten, sondern auch der Kontakt junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Einblicke in jeweils andere Forschungsprojekte erhielten. Durch die Interdisziplinarität wurden andere Perspektiven möglich und konnten ebenso Fragestellungen präzisiert werden. Besonders hervorzuheben ist, dass sich im Anschluss an den Workshop ein Netzwerk zur Weimarforschung etablieren soll. Dessen Ziel ist es, die zum Teil „verstreute“ Forschung auf einer gemeinsamen Plattform zu bündeln, um einen regen wissenschaftlichen Austausch zu ermöglichen.

Konferenzübersicht:

Michael Dreyer und Andreas Braune (Jena): Begrüßung und Eröffnung

Teil 1: Ideengeschichte der Weimarer Republik

Thomas Schubert (Potsdam): Weltanschauungsanalyse und ideengeschichtlicher Methodenstreit in der Weimarer Republik

Florian Heßdörfer (Leipzig): Die Ordnung der Leistung. Individualisierungsrhetorik, Gerechtigkeitsmotive und Leistungsdenken in der Bildungsdiskussion der Weimarer Republik

Anne Gnausch (Berlin): Symptome der Krise? Selbsttötungen in der Weimarer Republik

Verena Wirtz (Koblenz-Landau): ‚Ästhetisierung der Politik‘ in der Weimarer Republik: Der Flaggenstreit

Oded Heilbronner (Jerusalem / Ramat Gan): Currents of continuity between Popular Liberalism and National Socialism

Teil 2: Verbände, Parteien & Institutionen

Martin Platt (Bonn): Zivil-militärische Kooperation zwischen Kaiserreich und
Weimarer Republik

Friederike Höhn (Potsdam): General ade! Erich Ludendorff und die Weimarer
Republik

Sebastian Elsbach (Jena): Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold

Marcel Böhles (Heidelberg): Im Gleichschritt für die Republik – Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold im deutschen Südwesten

Ronny Noak (Jena): Parteischulen in der Weimarer Republik

Janosch Pastewka (Dresden): Der Sächsische Landtag in der Weimarer Republik

Reiner Fenske (Dresden): Imperiale Kontinuitäten in der Weimarer Republik? Verbandspolitische Versuche zur Wiedererrichtung deutscher Herrschaft in Ostmitteleuropa und Afrika während der Republik und die Reaktionen der Politik

Dominik Herzner (Aachen): Auswärtige Kulturpolitik der Weimarer Republik zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Ein Blick auf die Mikroeben am Beispiel Deutscher Auslandsschulen

Teil 3: Biographische Annäherungen

Albert Dikovich (Wien): Arnold Metzger und die Phänomenologie der Revolution: Philosophie und das politische Imaginäre in der mitteleuropäischen Umbruchsphase 1918/19

Alexander Wierzock (Berlin): Zwischen Bekennen und Bedenken: Ferdinand Tönnies und die Weimarer Staatsordnung

Rebecca Schröder (Freiburg): Engelbert Krebs (1881-1950) – ein Freiburger Theologe in der Welt

Antonia Schilling (Freiburg): Helene Weber (1881-1962) – Eine Karriere zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik

Paul Köppen (Potsdam): Internationale Verständigung als Programm republikanischer Außenpolitik: Leopold von Hoesch in Paris 1923-1932

Matthias Bischel (München): Gerüste der Ordnungszelle – Die Netzwerke des Gustav von Kahr

Sebastian Schäfer (Chemnitz): Rudolf Olden (1885-1940): Soldat – Pazifist – Radikaldemokrat


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