Zwangsarbeit in Europa unter NS-Herrschaft. Unfreie Arbeit im transnationalen Vergleich

Zwangsarbeit in Europa unter NS-Herrschaft. Unfreie Arbeit im transnationalen Vergleich

Organisatoren
Mag.a Katrin Auer, Museum Arbeitswelt; Bertrand Perz, Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien; Stefan Hördler, KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora/Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora
Ort
Steyr
Land
Austria
Vom - Bis
09.09.2016 - 10.09.2016
Url der Konferenzwebsite
Von
Katrin Auer / Martin Hagmayr, Museum Arbeitswelt

Im Museum Arbeitswelt in Steyr fand am 9. und 10. September 2016 der Workshop „Zwangsarbeit in Europa unter NS-Herrschaft. Unfreie Arbeit im transnationalen Vergleich.“ statt. Das Museum Arbeitswelt präsentiert bereits seit dem 12. Mai und noch bis zum 18. Dezember 2016 exklusiv in Österreich die internationale Wanderausstellung „Zwangsarbeit im Nationalsozialismus“, eine Ausstellung der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, initiiert und gefördert von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. Im Zuge des Workshops sollte jungen Nachwuchswissenschaftler/innen die Möglichkeit gegeben werden, ihre Forschungen über Zwangsarbeit im Nationalsozialismus zu präsentieren und zur Diskussion zu stellen.

Zum Auftakt des zweitägigen Workshops begrüßte KATRIN AUER (Steyr) als Direktorin des Museum Arbeitswelt die Teilnehmer und Teilnehmerinnen und wies auf die Geschichte des Hauses als Ort der NS-Zwangsarbeit hin. BERTRAND PERZ (Wien) vom Institut für Zeitgeschichte ergänzte diese Ausführungen um die Bedeutung von Steyr als Ort der NS-Zwangsarbeit, insbesondere aufgrund der damals hier befindlichen Steyr-Daimler-Puch AG. STEFAN HÖRDLER (Weimar), Leiter der Gedenkstätte Mittelbau-Dora, erweiterte diesen Ansatz indem er Zwangsarbeit als europäische Erfahrungsgeschichte und damit als transnationale Geschichte hervorstrich.

MARTIN BAUMERT (Leipzig) eröffnete den Workshop mit einem Vortrag über NS-Zwangsarbeit im Landkreis Leipzig anhand des Beispiels Böhlen-Espenhain. Der Braunkohleindustriekomplex war für das NS-Regime, die Kriegswirtschaft in Mitteldeutschland und den Rüstungsstandort Leipzig von großer Bedeutung. Im Industriekomplex wurden massiv Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen eingesetzt. Obwohl es in der Region unter anderem mehrere Lager für Kriegsgefangene, zivile Zwangsarbeiter/innen, sowie drei Arbeitserziehungslager gab, existieren heute in der Region wenige Gedenk- und Erinnerungsstätten. Baumert wies darauf hin, dass das unter anderem damit zusammenhängt, dass wenige authentische Orte erhalten geblieben sind.

FREDERIC BONNESOEUR (Berlin) beleuchtete in seinem Vortrag die Oranienburger Stadtverwaltung und ihre Funktion bei der Organisation der Zwangsarbeit der Gefangenen des KZ Oranienburg in den Jahren 1933 – 1934. So wurde der Auf- und Ausbau sowie die Erweiterung des frühen Konzentrationslagers maßgeblich durch von der Oranienburger Stadtverwaltung vermittelte Darlehen finanziert. Weiterhin erläuterte Bonnesoeur, wie der damalige Stadtbaumeister Paul Hobeck im Mai 1933 ein vier Seiten umfassendes „Arbeitsbeschaffungsprogramm“ erstellte, welches vorsah, die KZ-Gefangenen zu öffentlichen Arbeiten für die Stadt Oranienburg und Nachbargemeinden einzusetzen. Auf dessen Grundlage mussten die KZ-Gefangenen spätestens ab August 1933 fast täglich in Oranienburg und Umgebung kommunale Arbeiten leisten und zum Beispiel ein Strandbad anlegen. Am Beispiel Oranienburgs konnte Bonnesoeur deutlich darlegen, dass die Errichtung der ersten Konzentrationslager und auch die Organisation der Zwangsarbeit der Gefangenen kein Prozess war, der von den lokalen Akteuren von Verwaltung und Wirtschaft abgelehnt oder gleichgültig hingenommen, sondern von diesen maßgeblich beeinflusst und gefördert wurde.

EVA HALLAMA (Wien) schloss ihren Vortrag „Zwangsmigration, Epidemie und Grenze“ über die bisher wenig bekannten „Grenzentlausungslager an. In diesen Einrichtungen der NS-Zivilverwaltung im besetzten Osteuropa wurden Zwangsarbeiter/innen aus dem besetzen Osteuropa vor dem Grenzübertritt ins Deutsche Reich medizinischen Untersuchungen und einer obligatorischen „Entlausung“ unterzogen. Aus der Perspektive der Zwangsarbeiter/innen waren die Entlausungspraxis und die medizinische Beschau in diesen Lagern eine der ersten Erfahrungen, die den Übergang in die Zwangsarbeit und die Unterwerfung unter das NS-Regime markierten, wie Hallama verdeutlichte. Neben der Heranziehung von Aktenbeständen der zivilen nationalsozialistischen Verwaltung möchte sie in weiterer Forschung vor allem Oral History Interviews auf Hinweise auf die „Grenzentlausungslager“ untersuchen, um die Perspektive der Zwangsarbeiter/innen näher zu erforschen.

VERENA MEIER (Heidelberg) lenkte mit ihrem Vortrag „Dehumanisierung und Instrumentalisierung von sowjetischen Kriegsgefangenen als ‚menschliche Arbeitsmaschine’“ den Fokus auf die Betrachtung der Sprache in Quellen und die Frage nach Ethik und Moral in diesem Zusammenhang. Über ihre Methode der diskursanalytischen Untersuchung von Metaphern wie „menschliche Arbeitsmaschine“, machte sie deutlich, wie sowjetische Kriegsgefangene ausgebeutet, dehumanisiert und durch das NS-Regime instrumentalisiert wurden und wie über Sprache das Beziehungsverhältnis zwischen Profiteuren der Zwangsarbeit und den Zwangsarbeiter/innen dargestellt wurde.

ARNE PANNEN (Berlin) konzentrierte sich in seinem folgenden Referat auf die Organisation des Arbeitseinsatzes von italienischen Militärinternierten durch die Wehrmacht und nahm damit Aspekte der Zwangsarbeit in den Blick, die in der bisherigen Forschung wenig beachtet wurden. Sein Forschungsschwerpunkt lag hierbei auf dem Wehrkreis III, der Region Berlin-Brandenburg, wo vor allem der Einsatz für die Rüstungsindustrie eine enorme Bedeutung hatte. Die Organisation des Arbeitseinsatzes durch die Wehrmacht endete im Juli/August 1944 durch die Überführung der italienischen Militärinternierten in den Zivilstatus, wodurch zivile Arbeitsämter für sie zuständig wurden.

Nach den ersten wissenschaftlichen Vorträgen widmete sich die Veranstaltung der Frage, wie diese wissenschaftlichen Erkenntnisse pädagogisch aufbereitet werden können, um einen breiteren Personenkreis zu erreichen. ALEXANDER CORTES (Wien) berichtete, wie der Verein Gedenkdienst in Wien Stadtrundgänge zum Thema Zwangsarbeit erarbeitete und durchführte. Aufgrund ihrer nationalen Bedeutung findet ein Teil des Rahmenprogramms der Ausstellung „Zwangsarbeit im Nationalsozialismus“ nicht nur in Steyr, sondern auch in Wien und Linz statt. Alexander Cortes erläuterte die Schwierigkeiten bei der Suche nach Geschichten für die Stadtrundgänge in Wien und welche Spuren sich zum Thema Zwangsarbeit heute noch im Stadtbild verorten bzw. finden lassen.

Danach konnten die Teilnehmer/innen des Workshops die Zeit nutzen, um sich selbst ein Bild von der Ausstellung zu machen. Eingeleitet wurde dieser Besuch zuerst durch STEFAN HÖRDLER (Weimar) der den inhaltlichen Aufbau der Ausstellung, sowie ihre Genese erläuterte. MARTIN HAGMAYR (Steyr) vom Museum Arbeitswelt ergänzte diese Ausführungen indem er erläuterte, dass für die Station in Steyr die umfangreichsten Adaptierungen im Vergleich zu allen bisherigen Stationen vorgenommen worden waren. Besonders wichtig waren hierbei eine stärkere Präsentation von Regionalbeispielen und die Beschäftigung mit den beiden Firmen, die sich historisch gesehen im Museumgebäude befunden und Zwangsarbeiter/innen eingesetzt hatten. Im Anschluss erläuterte Martin Hagmayr noch das pädagogische Konzept und die dazugehörigen Vermittlungsmaterialien zur Ausstellung, die über einen exemplarischen Zugang, die umfangreiche Ausstellung auch Schülern und Schülerinnen ab der 8. Schulstufe zugänglich machen sollen. Im Anschluss an die Ausstellung wurde am Abend der Dokumentarfilm „Szukajac Emila – Looking for Emil“ von ANGELIKA LAUMER (Berlin) gezeigt. In diesem Film über die Erinnerung an NS-Zwangsarbeit im ländlichen Bayern geht die Filmemacherin der Frage nach, wie sich ein Dorf an die NS-Zwangsarbeit erinnert. Mit der Kamera spürte sie Orten und Plätzen nach und führte viele persönliche Interviews mit Menschen, die in der NS-Zeit gelebt haben oder erst danach geboren wurden.

Den zweiten Workshop-Tag eröffnete THOMAS PORENA (Berlin) mit seinem Vortrag über jugoslawische Zwangsarbeiter/innen. Der Schwerpunkt im Vortrag lag unter anderem auf der Zeit nach 1945 und der Frage der Repatriierung der jugoslawischen Arbeiter/innen nach Kriegsende nach Jugoslawien. Insbesondere beschäftigte sich Thomas Porena mit der Bedeutung der Vorstellung der Heimat als wichtiges Narrativ für die Überlebenden und wie diese Vorstellung der Heimat nach der Rückkehr nach 1945 mit der Realität in Verbindung trat.

JUTTA FUCHSHUBER (Wien) beleuchtete in ihrem Vortrag die Situation von sogenannten „Mischlingen“ und in „Mischehe“ lebenden Personen als Zwangsarbeiter/innen in Wien 1941 – 1945. Anhand von Volksgerichtsakten als Quelle zeigte sie Beispiele von „Mischlingen“ und in „Mischehe“ lebenden Personen, die zur Zwangsarbeit herangezogen worden waren, und nach 1945 aufgrund in der Zwangsarbeit erlebten Misshandlungen Anzeigen einbrachten.

Im letzten Vortrag des Workshops ging PHILIPP GREILINGER (Wien) auf die fast vergessene Geschichte der Wiener Ostmarkwerke im Wiener Arsenal ein. Ausgehend von der Frage nach der Geschichte eines Gebäudekomplexes legte Philipp Greilinger unter anderem den Einsatz der Zwangsarbeit unterschiedlicher Personengruppen, wie italienischer Kriegsgefangen und ungarischer Juden und Jüdinnen, in den Rüstungsbetrieben im Wiener Arsenal dar.

Zum Abschluss führten KATRIN AUER, MARTIN HAGMAYR und KARL RAMSAIER (alle drei Steyr) durch den seit 2013 bestehenden Gedenkort „Stollen der Erinnerung“. In der 140 Meter langen, hufeisenförmigen Stollenanlage unter dem Schloss Lamberg, im Stadtzentrum von Steyr, ist seit dem 26. Oktober 2013 eine Ausstellung über das KZ-Münichholz und Zwangsarbeiter/innen in Steyr zu sehen. Der Stollen war ab 1943 unter anderem von KZ-Häftlingen und Zwangsarbeiter/innen gebaut worden und diente als einer von mehreren Luftschutzstollen für die Zivilbevölkerung der Stadt Steyr. Zwangsarbeiter/innen hingegen durften meist die Luftschutzeinrichtung nicht betreten. Im Stollen wurden den Teilnehmer/innen der Tagung neben der Ausstellung auch das pädagogische Konzept für die Vermittlung vorgestellt und besprochen.

Bei der Abschlussdiskussion zogen die drei Vorsitzenden Alfons Adam (Prag), Stefan Hördler und Bertrand Perz ein Resümee des Workshops und gingen noch einmal auf die Erörterungen zu den einzelnen Vorträgen und Dissertationsobjekten ein. Bei dieser Diskussion und dem zweitägigem Workshop zeigten sich für die Teilnehmer/innen mehrere für ihre Forschungen wichtige Punkte. So muss bei Forschungen über die NS-Zeit vor allem eine Schärfung der Begriffe und eine Klärung von Kategorien und Definitionen vorgenommen werden. Gerade im Bereich der Selbst- und Fremdzuschreibung von Personen, ist hier Vorsicht geboten. Darüber hinaus wurde auf die Notwendigkeit der Zuspitzung einer Fragestellung bei großen Forschungsvorhaben hingewiesen, was in Kombination mit einer klareren Anwendung der Methoden (Vergleich, Verflechtung, Transfer) den Arbeitszugang immens erleichtert. Saubere Fragestellungen, klare Operationalisierungen und weniger dokumentarischer Charakter wurde den Teilnehmer/innen empfohlen. Ebenso sollte die Kategorie Gender grundlegend für jede Fragestellung und Analyse sein. Die Einordung von Case Studies in den großen Kontext würde außerdem Aussagen über deren Einzigartigkeit oder Beispielhaftigkeit erlauben. Es würde sich sogar anbieten aus den defensiven Formulierungen von „beispielhaften“ Case Studies auszubrechen und durch Einordnung in den Gesamtkontext neue Sichten zu wagen.
Generell sei die Quellenlage sehr groß, aber auf unzählige öffentliche und private Archive weltweit verteilt. Für viele Quellen existiere allerdings auch noch keine ausgewogene Quellenkritik (bspw. Fotoanalyse). Hier spielt natürlich der Zeitfaktor bei der Zeitzeugenschaft eine wesentliche Rolle. Doch sei der Bestand an Interviews doch sehr groß. Sprachbarrieren zwischen Forscher/innen und Zeitzeugen und Zeitzeuginnen stellen jedoch ein wesentliches Hindernis dar. Im Vergleich zur Rüstungsproduktion und Kernindustrie weisen bis heute die Forschungsfelder Landwirtschaft, karitative Organisationen, Kirchen, Organisation Todt, Zivilbevölkerung und Umfeld sowie die geographischen Regionen Skandinavien und Osteuropa noch einige Forschungslücken auf. Ebenso würde sich die Verschränkung mit den Methoden der Migrationsforschung empfehlen. Die Nutzung von geografischen Informationssystemen zur Erforschung der Zwangsmigration würde neue Erkenntnisgewinne bringen.

Im zweitägigen Workshop wurden sowohl Dissertations- und Forschungsprojekte aus der Frühphase der Zwangsarbeit bis zur Nachkriegsgeschichte als auch Beispiele aus unterschiedlichen geographischen Regionen präsentiert. Es zeigte sich, dass trotz der guten Erforschung der NS-Zeit gerade im Bereich der Zwangsarbeit noch einige Desiderate der Erforschung harren. Einige neueste Forschungen von Nachwuchswissenschaftler/innen genau zu diesen Desideraten konnten in Steyr präsentiert und diskutiert werden.

Konferenzübersicht:

Martin Baumert (Leipzig): NS-Zwangsarbeit und Erinnerungskultur im Landkreis Leipzig. Das Beispiel Böhlen-Espenhain.

Frederic Bonnesoeur (Berlin): Ein „Arbeitsbeschaffungsprogramm“ für das Konzentrationslager. Die Oranienburger Stadtverwaltung und ihre Funktion bei der Organisation der Zwangsarbeit der Gefangenen des KZ Oranienburg 1933-34.

Eva Hallama (Wien): Zwangsmigration, Epidemie und Grenze. Grenzentlausungslager der NS-Zivilverwaltung im besetzten Osteuropa.

Verena Meier (Heidelberg): Dehumanisierung und Instrumentalisierung von sowjetischen Kriegsgefangenen als „menschliche Arbeitsmaschine“.

Arne Pannen (Berlin): Die italienischen Militärinternierten (IMI) im deutschen Herrschaftsbereich 1943 – 1945.

Alexander Cortes (Wien): Pädagogische Vermittlungsformate in Wien.

Stefan Hördler (Weimar) und Martin Hagmayr (Steyr): Ausstellungsbesuch „Zwangsarbeit im Nationalsozialismus“ und Vorstellung der Pädagogik in Steyr.

Angelika Laumer (Berlin): Filmvorführung: Synopsis Dokumentarfilm „Szukaja Emila – Looking for Emil“.

Thomas Porena (Berlin): Parallele Strukturen in der Zwangsarbeit. Die Selbstorganisation jugoslawischer Zwangsarbeiter/innen in den Arbeitslagern Wiens.

Jutta Fuchshuber (Wien): „Mischlinge“ und in „Mischehe“ Lebende als Zwangsarbeiter/innen in Wien und die juristische Ahndung von Zwangsarbeit in Volksgerichtsverfahren.

Philip Greilinger (Wien): Eine fast vergessene Geschichte: Die Wiener Ostmarkwerke im Wiener Arsenal. Aufbau – Kriegsbedeutung – Zwangsarbeit – Widerstand.

Stefan Hördler (Weimar) / Bertrand Perz (Wien) / Alfons Adam (Prag): Feedback und Abschluss


Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Klassifikation
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts