1066. Die britischen Inseln vor, während und nach der Normannischen Eroberung

1066. Die britischen Inseln vor, während und nach der Normannischen Eroberung

Organisatoren
Alheydis Plassmann und Stefan Schustereder (Universität Bonn), Dominik Waßenhoven (Universität zu Köln)
Ort
Köln
Land
Deutschland
Vom - Bis
06.10.2016 - 07.10.2016
Url der Konferenzwebsite
Von
Antje Fehrmann, Kunsthistorisches Institut, Freie Universität Berlin

Anlässlich des 950. Jahrestags der Schlacht von Hastings veranstalteten Alheydis Plassmann, Stefan Schustereder und Dominik Waßenhoven am Historischen Seminar der Universität Köln eine Tagung, die ein Spektrum der deutschsprachigen Forschung zu den britischen Inseln im gesamten Mittelalter abdeckte. Entsprechend breit waren die disziplinenübergreifenden Vorträge aus Geschichte, Anglistik und Kunstgeschichte angelegt, die, zwar mit Schwerpunkt im englischen Frühmittelalter, einen guten Überblick über die aktuelle Forschung von den Angelsachsen bis ins Spätmittelalter gaben. STEFAN SCHUSTEREDER (Bonn) führte die Tagung mit dem Hinweis auf das interdisziplinäre Forschungsportal zur englischen Geschichte „fembi“ ein, welches das angelsächsische Forum ersetzen wird.1 Eine Fortsetzung der Tagung, so das Fazit der Abschlussdiskussion, ist ausdrücklich gewünscht.

Die Sektion zu den Angelsachsen leitete STEPHAN BRUHN (Kiel) mit einem Vortrag zu Assers Alfredsvita ein, in dem er die narrativen Strategien und faktischen Inkonsistenzen der Königsbiographie beleuchtete. Asser empfahl sich seinem kundigen Rezipientenkreis als zweiter Einhard oder Alkuin. Seine Intention war dabei weniger das Lob Alfreds als seine eigene literarische Selbststilisierung. Dass nur er allein den Wissenshunger des Königs von Wessex zu stillen vermochte, ist hingegen als zeittypische Rechtfertigung des geistlichen Chronisten zu werten, seinem walisischen Kloster fernzubleiben.

Auf welchen angelsächsischen König hingegen der Charakter des Alstemus anspielte, den Dudo von St. Quentin als angelsächsischen Verbündeten des mythischen Gründers Rollo in seiner Historia Normannorum einführte, die er am Herzogshof von Rouen kompilierte, konnte auch DANIEL BROWN (Köln) nicht zweifelsfrei klären. Anhand der Chronologie in der Handschrift sowie Dudos eigener Biographie diskutierte er die mögliche Identität des genannten Alstemus mit Athelstan von Wessex oder Guthrum-Athelstan von East-Anglia.

ISABEL BLUMENROTH (Aachen) fragte nach der Wahrnehmung des Alexandrinischen Schismas in den Briefkorpora des Arnulf von Lisieux und des Johannes von Salisbury. Auf deren Rat sprach sich Heinrich II. von England mündlich für die Wahl Alexanders III. zum Papst aus, im Sinne des englischen Klerus, den er allerdings zur Neutralität verpflichtet hatte. Die Einberufung der Londoner Synode ist daher nicht als königliche Verzögerungstaktik sondern als kluger innenpolitischer Schachzug Heinrichs zu verstehen, unabhängig davon, dass die Entscheidung auf der Synode von Pavia dennoch zugunsten Papst Viktors IV. ausfiel.

Obwohl die zeitgenössischen Quellen des 12. Jahrhunderts nur die Effekte des sozialen Aufstiegs benennen, ist die Wahrnehmung und Reflektion struktureller sozialer Mobilität Teil eines veränderten Gesellschaftskonzepts dieser Zeit, das DOMINIK BÜSCHKEN (Bonn) auf der Basis systemtheoretischer Überlegungen analysierte. Veränderte Funktionen innerhalb der Administration begünstigten eine neue Gruppe des Schreibens fähiger, gut vernetzter Leistungsträger, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft. So entzündete sich die Kritik des englischen Klerus an Thomas Becket nicht an seiner niedrigen Herkunft, sondern an seiner mangelnden Loyalität gegenüber dem König, die erst in seinen Viten nachträglich durch Gott legitimiert wurde.

ALHEYDIS PLASSMANN (Bonn) bezifferte die Aufgaben einer verheirateten Herrschaft mittels eines „Datamining“ von mittelalterlichen Urkunden, Zeugenlisten und der Herkunft von Höflingen. Am Beispiel von Heinrich II., seinem Sohn Gottfried und dessen Frau Konstanze visualisierte sie die geographische Verteilung von Ausstellungsorten, Empfängern und Inhalten von Urkunden. Während insbesondere Heinrich, aber auch Gottfried überregional agierten, war Konstanzes Aktionsraum mit Ausnahme der Grablege ihres Mannes auf die Bretagne beschränkt. Sie agierte gleichwohl einvernehmlich mit ihrem Gatten; die Verteilung der Zeugenschaft kann Hinweise auf eine eigene Machtbasis des Paares in der Bretagne zum Nachteil Heinrichs II. geben.

Im Abendvortrag diskutierte BJÖRN WEILER (Aberystwyth) die Strukturen des englischen Universitätssystems vor und nach dem Brexit, das sich bis dato durch Transparenz, Flexibilität in Zahl und Ausrichtung der Stellen und flache Hierarchien auszeichnete. Zu befürchten ist, dass die gemeinnützigen Stiftungsuniversitäten durch private Universitäten abgelöst werden. Als hemmend begreifen die englischen Forscher die aufwendige Begutachtung durch ein Expertengremium (REF), die ein Drittel der Förderungssumme von drei Milliarden verschlingt. Kritisiert wird auch die zunehmende Entscheidungsmacht durch nichtwissenschaftliche Geschäftsführer, die Forderung nach dem regionalen britischen Fokus und nach der Bezifferbarkeit des öffentlichen Nutzens von Forschung, was jedoch zu kreativen Projekten wie dem Nachstricken mittelalterlicher Strickmuster oder dem kriminalistischen Nachweis von Fingerabdrücken auf Siegeln geführt hat.

Bereits zu Beginn seiner Regierungszeit bezeichnete sich Eduard der Bekenner, wie TORBEN GEBHARDT (Münster) argumentierte, als Rex Anglorum und rechtmäßiger Nachfolger seines Bruders Harthaknut, als Basileus Anglorum und als Normannen über seine Mutter Emma von der Normandie. Die vielschichtige Inszenierung Eduards in verschiedenen Gruppenzugehörigkeiten wurde durch die Architektur der Abteikirche Westminster als Vorbild oder in der Nachfolge der Abteikirche von Jumièges bezeugt sowie durch das Wachssiegel mit dem thronenden Engländer, das in Ikonographie wie Umschrift die Siegel der byzantinischen Kaiser rezipiert.

Wilhelm II. wurde in den anglo-normannischen Chroniken als lasterhafter und unreligiöser König charakterisiert, eine Bewertung durch verschiedene Chronisten, deren Intention STEFANIE SCHILD (Bonn) hinterfragte. Während Eadmer als Mönch von Canterbury die Warnung des Erzbischofs Lanfranc aufgriff, begründete Wilhelm von Malmesbury die Kritik Eadmers in der schlechten Beratung Wilhelms durch Personen niederen Ranges, um die Bedeutung von Wilhelms Bruder Heinrich I. als Rex Literatus hervorzuheben. Ähnliche Argumente zur Abwertung Wilhelms II. zu Gunsten seines Bruders Heinrichs I. griffen auch die Angelsächsische Chronik und Heinrich von Huntingdon auf.

DOMINIK WAßENHOVEN (Köln) beleuchtete die Konstruktion der Vergangenheit der Mönche von Peterborough in der bis 1121 verfassten Version E der Angelsächsischen Chronik. Der Chronist aus Peterborough verband die Plünderung seines Klosters 1070 mit einem offenbar fiktiven Transport des Reliquienschatzes nach Ely und in einen durch Auslassung in der Handschrift verunklärten Ort in Dänemark. Ely war 1109 zum Bistum erhoben und damit in die Königherrschaft eingebunden worden, Grund genug für das ehemals reichere und bedeutendere Kloster Peterborough, den Raub dem in Ely verehrten Held Hereward anzulasten, der den Schatz nach Ely mitnahm, von wo er an einen hypothetischen Ort nach Dänemark gebracht worden sein soll.

Für Grischa Vercamer war die Rezensentin ANTJE FEHRMANN (Berlin) in der Spätmittelaltersektion eingesprungen, die einen Überblick über neue Forschungen zur Abteikirche Westminster und zum angrenzenden Königspalast mit der Palastkapelle St. Stephen’s, einem Nachfolgebau der Pariser Sainte-Chapelle, gab. Anlass war die kürzlich in London vorgestellte digitale Rekonstruktion der St. Stephen’s Chapel, einem groß angelegten Projekt der Universität York und der Houses of Parliament.

Zum Abschluss stellte JULIA CRISPIN (Münster) die öffentlichkeitswirksame Inszenierung Heinrichs VI. in verschiedenen illuminierten Handschriften John of Bedfords oder John Talbots zur Diskussion. Heinrichs Abstammung von den englischen und französischen Königen Eduard dem Bekenner und Ludwig dem Heiligen illustrierte der in Frankreich gezeigte Stammbaum, den John Talbot für die zukünftige Gattin Heinrichs kopieren ließ, um sich als Gefolgsmann präsentieren zu können. Die performative Nutzung solcher Handschriften ist Teil der Bildpropaganda der Lancaster, welche die konkreten reichsübergreifenden Machtansprüche Heinrichs VI. auf die englische und französische Thronfolge unterstützen sollte.

Konferenzübersicht:

Stefan Schustereder (Bonn): Einführung

Stephan Bruhn (Kiel): Alter Einhardus – alter Alcuinus? Assers Selbstverortung als „Hofgelehrter“ in der Alfredsvita im Spannungsfeld von literarischer Tradition, Königsdienst und klerikalmonastischer Pflicht

Daniel Brown (Köln): „Rex pius Æthelstan“ oder „Guthrum, rex paganorum, qui et Athelstanus“ – wer ist Rollos angelsächsischer Verbündeter in der Historia Normannorum?

Isabel Blumenroth (Aachen): Der König lässt (sich) bitten. Zur Anerkennung Alexanders III. durch Heinrich II. Plantagenêt im Spiegel zeitgenössischer Briefquellen

Dominik Büschken (Bonn): Wahrnehmung und Funktion sozialer Mobilität in der historischen Gesellschaft Englands im 12. Jahrhundert

Alheydis Plassmann (Bonn): Erheiratete Herrschaft bei den Anjou-Plantagenêt

Björn Weiler (Abendvortrag, Aberystwyth): Erfahrungen mit dem Wissenschaftsbetrieb auf der Insel

Torben Gebhardt (Münster): Restauratio Angliae? Edward der Bekenner als „englischer“ Monarch.

Stefanie Schild (Bonn): Die Herrschaft Wilhelms II. im Spiegel anglo-normannischer Quellen

Dominik Waßenhoven (Köln): Die Mönche von Peterborough und die Rebellion von Ely (1071)

Antje Fehrmann (Berlin): Westminster Abbey und St. Stephen’s Chapel 1220 bis 1350 – ein Forschungsbericht

Julia Crispin (Münster): Krieg und Kunst. Die Visualisierung englischer Herrschaftsansprüche in Frankreich (1422–1435)

Anmerkung:
1 Forschungsportal Englisches Mittelalter und britische Inseln, URL http://fembi.uni-koeln.de (16.11.2016).


Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts