Zwischen Seelsorge und Politik. Katholische Bischöfe im Nationalsozialismus

Zwischen Seelsorge und Politik. Katholische Bischöfe im Nationalsozialismus

Organisatoren
Arbeitsstelle für Katholizismus- und Widerstandsforschung, Universität Vechta
Ort
Cloppenburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.11.2016 - 13.11.2016
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Von
Michael Hirschfeld, Department III, Fach Geschichte, Universität Vechta

Anhand von Biographien des Führungspersonals der katholischen Kirche in der Zeit des Dritten Reichs, welche wissenschaftlichen Kriterien standhalten, und die Stärken und Schwächen des deutschen Episkopats in den Blick zu nehmen und dessen Handlungsspielräume vor dem Hintergrund der spezifischen Besonderheiten in ihren jeweiligen Diözesen nachzuvollziehen, war das erkenntnisleitende Interesse der Tagung, zu der die Arbeitsstelle für Katholizismus- und Widerstandsforschung der Universität Vechta in die Katholische Akademie Stapelfeld/Cloppenburg eingeladen hatte.

In seinem Eingangsvortrag kritisierte JOACHIM KUROPKA (Vechta), dass der Kern des Konflikts zwischen Staat und Kirche von der Forschung vielfach nicht benannt werde: Es sei um die Existenz der Kirche, ja um die christliche Substanz in der Gesellschaft gegangen. So verdeutliche die Analyse verschiedenster Gestapo-Berichte, dass die Entchristlichung kein lokales Phänomen gewesen sei, sondern eine gezielte, flächendeckende Aktion. Diese Vernichtungsstrategie hätten schon 1933 einige, aber längst nicht alle Bischöfe sofort klar erkannt. Zunehmend hätten die Bischöfe aber Methoden der Immunisierung der Gläubigen gesucht, um Kirche, Glauben und christliche Werte zu erhalten und gegen die Nationalsozialisierung des öffentlichen Lebens Stellung zu beziehen.

RAPHAEL HÜLSBÖMER (Münster), der die vatikanischen Quellen zu den Bischofsernennungen im Deutschen Reich in der Zwischenkriegszeit ausgewertet hat, stellte die zentrale Rolle des Kardinalstaatssekretärs Eugenio Pacelli, des späteren Papstes Pius` XII., für die Bischofsstuhlbesetzungen heraus. Bedingt durch seine intime Kenntnis der deutschen Verhältnisse habe er dort außerordentlichen Einfluss genommen. Sein Profil eines idealen Kandidaten sah eine jesuitische Ausbildung in Rom oder Innsbruck vor. Ab Mitte der 1930er-Jahre habe er dem Nationalsozialismus dezidiert kritisch gegenüberstehende Kandidaten ausgewählt, die allerdings weder in Rom noch in Berlin anfechtbar sein durften und diese auch gegen das in den meisten Teilen des Reiches bestehende Wahlrecht der Domkapitel durchgesetzt, um eine den schwierigen Zeitumständen Rechnung tragende episkopable Infrastruktur zu schaffen.

SASCHA HINKEL (Münster) deutete die weitgehend auf eine Eingabenpolitik beschränkte Haltung des Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz Adolf Kardinal Bertram aus dessen vorangegangenen Erfahrungen heraus, was das Verhältnis von Staat und Kirche betraf. Sowohl als junger Priester im Kulturkampf als auch als Bischof von Breslau nach dem Ersten Weltkrieg, etwa mit Blick auf die Aufstände und die Volksabstimmung in Oberschlesien, habe Bertram erfolgreich aus der Überzeugung gehandelt, immer einen Modus Vivendi anzustreben. Während diese Kompromissbereitschaft sich in diesen Konfliktfällen als Stärke erwiesen habe, sei seine Konfliktvermeidungsstrategie für die NS-Zeit in Verbindung mit einer Nichtwahrnehmung von Handlungsspielräumen, einem hohen Maß an Staatstreue und Milieu-Egoismus zur Schwäche mutiert.

JOSEF PILVOUSEK (Erfurt) stellte das bisher in der öffentlichen Wahrnehmung und in Teilen der Forschung dominierende Bild des Berliner Bischofs Konrad von Preysing in Frage. Auch wenn es keinen Nachlass gebe und Historiker auf die geringfügigen Sekundärquellen angewiesen seien, lasse sich konstatieren, dass Preysing zwar das besondere Vertrauen des früheren Nuntius Pacelli besessen habe, in der Praxis des kirchenfernen Berlin jedoch sowohl gegenüber dem NS-Regime als auch nach 1945 in der Auseinandersetzung mit der kommunistischen Diktatur überfordert gewesen sei und sich wegen seiner Überlastung zunehmend zurückgezogen habe.

RAINER BENDEL (Tübingen) sprach zunächst die Begeisterung an, mit der Bischof Maximilian Kaller von Ermland in den ersten Wochen nach der NS-Machtübernahme Parallelen zwischen der Radikalität des nationalsozialistischen Gesellschaftsmodells und seinen Vorstellungen von einer Radikalität der christlichen Botschaft gesehen habe. Erst ab Sommer 1934 habe er einen Positionswechsel vollzogen und die Konkurrenz der NS-Ideologie zur Kirche klar erkannt und sich im Folgenden bis hin zu seiner 1942 geäußerten Bereitschaft als Seelsorger in ein KZ gehen zu wollen, öffentlich deutlich gegen NS-Übergriffe gegenüber Seelsorge und Schule positioniert.

Den Freiburger Erzbischof Conrad Gröber schilderte CHRISTOPH SCHMIDER (Freiburg im Breisgau) als eine in vielen Farben schillernde Persönlichkeit, der zwar diplomatische Fähigkeiten fehlten, die aber über eine Elastizität der Anpassung an die neuen Verhältnisse 1933 verfügte. Anfangs habe ihn der Kampf der Nationalsozialisten gegen den von ihm als Hauptfeind angesehenen Bolschewismus beeindruckt, zunehmend habe Gröber aber den Glauben an den Nationalsozialismus verloren und sei vom zuständigen Gauleiter als weltanschaulicher Feind eingestuft worden.

JÜRGEN SCHMIESING (Tübingen), der die Haltung des Rottenburger Bischofs Joannes Baptista Sproll untersuchte, beklagte die mangelnde Wissenschaftlichkeit früherer, teils apologetischer Biografien und plädierte für deren kritische Relecture unter Einbeziehung bisher nicht aufgearbeiteter Quellenkorpora, unter denen er die zahlreichen Predigtmanuskripte des Bischofs hervorhob. Sproll habe zweifelsohne immer wieder die Herausforderungen der Zeit gesucht, wobei ihm seine kirchenrechtliche Schulung sowie seine politische Erfahrung der Weimarer Zeit geholfen hätten, die konkreten Strategien in allen Fällen en Detail zu bestimmen. Insgesamt sei das bischöfliche Handeln Sprolls ein Beispiel für einen Wandel von der Gesinnungs- zur Verantwortungsethik.

JOACHIM KUROPKA (Vechta), der Bischof Clemens August von Galen von Münster vorstellte, konstatierte ein geringes Interesse der Galen-Forschung an dessen Haltung als Seelsorger. Dabei sei er bereits als Bischofskandidat für Aachen 1930 und dann für Münster 1933 gerade wegen seiner pastoralen Kompetenz ins Spiel gebracht worden. Galen sei als Gemeindepfarrer nicht nur ein volksnaher Seelsorger gewesen, sondern habe sich auch intensiv mit rechtlichen Fragen beschäftigt, wobei für ihn das Prinzip der Vernunft, des Naturrechts und des göttliches Sittengesetzes grundlegend waren. Ihm mangelnde Intellektualität zu unterstellen, greife zu kurz, weil sich sein wacher Geist in den prophetischen Aussagen seiner Predigten und Hirtenbriefe spiegele, deren Gehalt zentral für seine Beurteilung durch die Wissenschaft sein müsse.

Für den Osnabrücker Bischof Wilhelm Berning widersprach KLEMENS-AUGUST RECKER (Osnabrück) der weit verbreiteten These, dieser sei ein Nazi-Freund gewesen. Vielmehr habe es bei ihm eine Phase der bedingten Kooperation mit dem Regime gegeben, bevor er das Wesen des Nationalsozialismus bzw. die Ziele des NS-Regimes durchblickte. Zwar habe er mit seinem Sinn für praktische Fragen anfangs die NS-Wirtschaftspolitik dezidiert unterstützt, aber die Ideologie der Nationalsozialisten immer kritisiert. Dabei habe Berning, so Recker, vielfach das Motiv des Erzengels Michael mit seinem Anspruch des Willens Gottes gegen das Böse verwendet.

THOMAS FLAMMER (Münster) zeichnete ein facettenreiches Bild des Bischofs von Hildesheim Joseph Godehard Machens, der vor allem mit der Angst gekämpft habe, dass Kirche in den zum Teil stark nationalsozialistisch geprägten Gebieten seines Diasporabistums nur noch dekorative Bedeutung bekäme. So sah er sich in einem neuen Kulturkampf, dem es durch eine Immunisierung vor allem der Laien, darunter besonders der Jugend, gegen die NS-Ideologie entgegenzuwirken galt. Angesichts seiner starken Positionierung für eine vertiefte christliche Prägung der Gesellschaft sei es erstaunlich, dass er nicht stärker in den Fokus des NS-Regimes geraten sei, befand Flammer.

STEFAN GERBER (Jena) nahm sowohl den Fuldaer Bischof Joseph Damian Schmitt als auch dessen Koadjutor und Nachfolger Johann Baptist Dietz in den Blick, deren Gemeinsamkeit die jesuitische Prägung durch die Ausbildung am römischen Collegium Germanicum gewesen sei. Bedingt durch seine Prägung im Kulturkampf habe für Schmitt die Sicherung der Seelsorge durch Petitionen im Zentrum gestanden, während Dietz diese Linie mit einem offensiveren Vorgehen zu verbinden versucht und auch Kontakte zum Kreisauer Kreis unterhalten habe.

Für den Paderborner Erzbischof Caspar Klein konstatierte CHRISTIAN KASPROWSKI (Paderborn) eine partielle Übereinstimmung mit dem NS-System unter anderem im Blick auf seine antimoderne Gesinnung, seinen Nationalismus und seine Angst vor dem Bolschewismus, hob aber gleichzeitig Kleins klare Positionierung für den Fortbestand der Bekenntnisschulen in seiner Erzdiözese ebenso wie sein Eintreten für die kirchlichen Jugendverbände hervor. Letztlich sei er ein patriotischer Oberhirte gewesen, der gleichzeitig die Vorrechte seiner Kirche zu verteidigen gesucht habe.

Den bis 1941 amtierenden Kölner Erzbischof Karl Josef Kardinal Schulte beschrieb ULRICH HELBACH (Köln) als ruhig, beharrlich und bescheiden. Trotz vorübergehender Sympathien für eine autoritäre Staatsordnung habe er doch klare Worte gegen die NS-Ideologie nicht gescheut, im Zweifel aber eine Defensivstrategie vorgezogen. Da er keinen Sensus für Massenmobilisierungen besessen und sich zunehmend abgeschottet habe, hätte er nicht zur Integrationsfigur für Regime-Gegner werden können. Dagegen habe sich sein Nachfolger Josef Frings – auch bedingt durch seine pastoralen Erfahrungen – zuerst als Seelsorger verstanden, der die Nähe zu den Menschen suchte und sich als Vertreter einer Verantwortungsethik mit NS-kritischen Äußerungen während der Kriegsjahre zurückhielt.

Gemäß dem Urteil von HERMANN-JOSEF BRAUN (Mainz) war der Mainzer Bischof Albert Stohr sowohl wissenschaftlich versiert als auch politisch erprobt. Stohr sei eine mehrschichtige Persönlichkeit gewesen, welche die Weimarer Republik positiv bewertet und den Terror des NS-Systems analytisch klar erfasst habe. Gegenüber dem Nuntius und Kardinal Bertram habe er gleich zu Beginn seiner Amtszeit einen klareren Konfrontationskurs gegenüber dem Nationalsozialismus angemahnt. Darüber hinaus wies Braun auf Stohrs dezidiertes Eintreten für Menschenrechtsfragen hin. Weshalb ein im Mainzer Dom- und Diözesanarchiv erhaltener Protestbrief gegen den Holocaust an Reichsinnenminister Wilhelm Frick 1943 letztlich nicht abgesandt worden sei, ließe sich noch immer nicht ganz schlüssig erklären.

In seinem Beitrag über den Erzbischof von München und Freising Michael Kardinal von Faulhaber, der zu den bekanntesten und bedeutendsten Gestalten des deutschen Episkopats seiner Zeit gehörte, wies PETER PFISTER (München) darauf hin, dass Faulhaber in der bisherigen Wahrnehmung fast ausschließlich als politisch handelnder Mensch gesehen werde, der sich von Hitler täuschen ließ. Seine Rolle bei der Entstehung der Enzyklika „Mit brennender Sorge“, für die er einen ersten Entwurf geliefert hatte, stehe ebenso wie sein seelsorgerisches Profil im Schatten dieser primären Wahrnehmung.

Mit dem Regensburger Bischof Michael Buchberger stellte KLAUS UNTERBURGER (Regensburg) einen versierten Kirchenrechtler und Pastoraltheologen im deutschen Episkopat vor, den er als bestens auf seine Aufgabe vorbereitet kennzeichnete. Vor allem habe sich Buchberger durch eine klar durchdachte Haltung zur nationalsozialistischen Weltanschauung ausgezeichnet. Als Vertreter einer Verantwortungsethik kalkulierte er stets genau die Folgen seines Handelns ein.

Einen kompromissorientierten Mittelweg im Verhältnis zwischen NS-Staat und Kirche habe der Würzburger Bischof Matthias Ehrenfried gesucht, stellte WOLFGANG WEISS (Würzburg) heraus, der zugleich das Fehlen einer seriösen Forschung über den unterfränkischen Bischof beklagte. Ehrenfried habe sich sein Kulturkampf-Bewusstsein über den Ersten Weltkrieg hinaus bewahrt und sei überdies bis zu seinem Tod 1948 Monarchist geblieben, was auch sein Verhältnis zur staatlichen Obrigkeit bestimmt habe.

Als zentrale Botschaft der Plenarkonferenz der deutschen Bischöfe in Fulda akzentuierte MARIA ANNA ZUMHOLZ (Vechta) die Einsicht einiger Oberhirten, dass die Bischofskonferenz sich in der NS-Zeit mit deutlichen Worten gegen das NS-Regime zu sehr zurückgehalten habe. Die Ursache für diese Unterlassung liege insbesondere in der Uneinigkeit des Episkopats, der problematischen Struktur der Bischofskonferenz und nicht zuletzt in der zunehmenden Einsicht, dass einerseits das Kirchenvolk nur begrenzt zu mobilisieren war und andererseits das NS-Regime auf Proteste nicht mit Mäßigung, sondern mit Radikalisierung reagierte.

In der Abschlussdiskussion kamen im Hinblick auf die geplante Publikation der Beiträge auch einige Desiderate der bisherigen Forschung zur Sprache. So gelte es etwa, die zeitgenössisch typischen „Denkgrenzen“ der Bischöfe ebenso mit zu berücksichtigen wie auf wiederkehrende Topoi in deren überaus zahlreichen und in vielen Fällen noch nicht ausgewerteten Predigten und Hirtenbriefen zu achten. Zudem wurde eine Abkehr vom Widerstandsbegriff postuliert und auf das Begriffspaar der Gesinnungs- bzw. Verantwortungsethik als hilfreiches Bewertungsraster hingewiesen. Zudem sei eine klarere Abgrenzung der einzelnen Phasen der Auseinandersetzung mit der NS-Herrschaft und NS-Ideologie notwendig. Einig waren sich die Konferenzteilnehmer darin, dass eine „Schwarz-Weiß-Sicht“ nicht realistisch sei, sondern stattdessen die „Grautöne“ im Tun und Handeln der deutschen Bischöfe während der NS-Herrschaft berücksichtigt werden müssten.

Konferenzübersicht:

Joachim Kuropka (Vechta): Bischöfe in der NS-Zeit- Forschungsstand und Kontroversen

Raphael Hülsbömer (Münster): Aspekte der Personalpolitik des Vatikans in der NS-Zeit – Bischofsernennungen in Deutschland 1933-1939

Sascha Hinkel (Münster): Adolf Bertram (1859-1945), Fürst(erz)bischof von Breslau 1914-1945

Josef Pilvousek (Erfurt): Konrad Graf von Preysing (1880-1950), Bischof von Berlin 1935-1950

Rainer Bendel (Tübingen): Maximilian Kaller (1880-1947), Bischof von Ermland 1930-1947

Christoph Schmider (Freiburg im Breisgau): Conrad Gröber (1872-1948), Erzbischof von Freiburg 1932-1948

Jürgen Schmiesing (Tübingen): Joannes Baptista Sproll (1870-1949), Bischof von Rottenburg 1927-1949

Joachim Kuropka (Vechta): Clemens August von Galen (1878-1946), Bischof von Münster 1933-1946

Klemens-August Recker (Osnabrück): Wilhelm Berning (1877-1955), Bischof von Osnabrück 1914-1955

Thomas Flammer (Münster): Joseph Godehard Machens (1886-1956), Bischof von Hildesheim 1934-1956

Stefan Gerber (Jena): Die Fuldaer Bischöfe Joseph Damian Schmitt (1858-1939) und Johann Baptist Dietz (1879-1959)

Christian Kasprowski (Paderborn): Caspar Klein (1865-1941), (Erz-)Bischof von Paderborn 1920-1941

Ulrich Helbach (Köln): Die Kölner Erzbischöfe Karl Joseph Schulte (1871-1941) und Josef Frings (1887-1978)

Hermann-Josef Braun (Mainz): Albert Stohr (1890-1961), Bischof von Mainz

Peter Pfister (München): Michael von Faulhaber (1869-1952), Erzbischof von München und Freising 1917-1952

Klaus Unterburger (Regensburg): Michael Buchberger (1874-1961), Bischof von Regensburg 1927-1961

Wolfgang Weiß (Würzburg): Matthias Ehrenfried (1871-1948), Bischof von Würzburg 1924-1948

Maria Anna Zumholz (Vechta): Die Fuldaer Bischofskonferenz 1933-1945 – Botschaften und Resonanzen


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