Nachwuchskolloquium des Forschungsverbundes FUER (Förderung und Entwicklung reflektierten und selbstreflexiven Geschichtsbewusstseins)

Nachwuchskolloquium des Forschungsverbundes FUER (Förderung und Entwicklung reflektierten und selbstreflexiven Geschichtsbewusstseins)

Organisatoren
Johannes Meyer-Hamme, Arbeitsbereich Theorie und Didaktik der Geschichte, Historisches Institut, Universität Paderborn
Ort
Paderborn
Land
Deutschland
Vom - Bis
01.03.2017 - 02.03.2017
Url der Konferenzwebsite
Von
Christopher Wosnitza, Theorie und Didaktik der Geschichte, Historisches Institut, Universität Paderborn

Vom 01. - 02.03.2017 fand in Paderborn zum achten Mal das Nachwuchskolloquium des Forschungsverbandes FUER (Förderung und Entwicklung reflektierten und selbstreflexiven) Geschichtsbewusstseins statt, das an den beteiligten Hochschulstandorten (Aarau, Basel, Eichstätt-Ingolstadt, Hamburg, Kassel, Köln, Paderborn, Rostock und Salzburg) im Wechsel ausgerichtet wird. Dabei dient das Kolloquium in erster Linie dem geschichtsdidaktischen Nachwuchs dazu, aktuelle Qualifikationsarbeitsvorhaben zu präsentieren und sie anschließend diskutieren zu können. Sowohl empirisch als auch theoretisch ausgerichtete Projekte finden dabei Berücksichtigung. Je nach Stadium der den Vorträgen zu Grunde liegenden Arbeitsprozesse, ist es für die Referenten und Referentinnen möglich, konzeptionelle Grundlagen vorzustellen, über Zwischenergebnisse und methodische Überlegungen zu informieren oder aber bereits vorhandene Endergebnisse zu präsentieren.

Die einzelnen Referierenden erhalten 90 Minuten Zeit, in denen sich nach einem Vortrag die Diskussion mit den Anwesenden anschließt. Die Vorstellung der/des Referierenden und seines/ihres Projekts wie auch die Moderation der sich anschließenden Diskussion werden durch die Nachwuchswissenschaftler/innen übernommen, denen auch innerhalb der einzelnen Diskussionen nach dem Vortrag das erste Wort erteilt wird. In der nicht zuletzt auch daraus resultierenden vertrauensvollen Arbeitsatmosphäre wurden in Paderborn sieben laufende Dissertationsprojekte präsentiert.

Im ersten Vortrag berichtete JAN SCHELLER (Greifswald) über sein Forschungsprojekt, das auf eine Graduierung und Operationalisierung ausgewählter Teilkompetenzen des Geschichtsunterrichtes abzielt. Er stellte Raster zur Anbahnung von historischen Kompetenzen über differenzierende Arbeitsaufträge vor, die als Graduierungsraster angedacht, nach anschließender Diskussion aber nunmehr als Progressionsraster verwendet werden und in einer Interventionsstudie als Instrument zur Anbahnung der Methodenkompetenz (De-Konstruktionskompetenz) dienen.

PATRIZIA SEIDL (Hamburg) widmet sich in ihrem Vorhaben der Frage, wie angehende Geschichtslehrkräfte für einen inklusiven Fachunterricht professionalisiert werden können. Unter Nutzung des Konzepts der professionellen Wahrnehmung (noticing) arbeitet sie mit videografiertem (inklusivem) Geschichtsunterricht als fallbasierte Lernanlässe, welche zu einer Wahrnehmungssteigerung der Studierenden für Ausprägungen von und Gelegenheiten für historisches Denken bei Schüler/innen in inklusiven Settings führen sollen. Hieraus sollen nach Möglichkeit erste Impulse für eine (a) fachdidaktische Diagnostik und (b) eine Lehrer/innen(aus-)bildung für inklusiven Geschichtsunterricht abgeleitet werden.

JOHANNES BRZOBOHATY (Wien) möchte analysieren, in welcher Weise die in den untersuchten Leistungsüberprüfungen angewandten Fragestellungen bei schriftlichen Tests an österreichischen Schulen der Sekundarstufe I den Anforderungen des kompetenzorientierten Lehrplans für Geschichte, Sozialkunde und politische Bildung (2008) entsprechen. Eine stichprobenartige Auswahl von schriftlichen Überprüfungen, die im Unterricht verwendet wurden, wird hierzu untersucht. Das gesammelte Datenmaterial soll einerseits nach quantitativen Kriterien eingeteilt und in der Folge vor allem den historischen und politischen Kompetenzen dem Lehrplan folgend zugeordnet werden, andererseits im Rahmen einer qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring kategorisiert und hinsichtlich der Umsetzung von zentralen Aspekten einer fachspezifischen Kompetenzorientierung befragt werden.

Im Fokus der Analyse steht die Frage, was wie abgeprüft wird. Dienen schriftliche Tests im österreichischen Geschichtsunterricht dazu, historisches Wissen im positivistischen Sinn reproduktiv abzufragen oder sind seit 2008 bereits Aspekte der fachspezifischen Kompetenzorientierung nachweisbar?

Erste Ergebnisse seines Promotionsvorhabens im Bereich der geschichtsdidaktischen Schulbuchforschung stellte WOLFGANG BUCHBERGER (Salzburg) vor. Sein Ziel ist es, „den Einsatz schriftlicher Quellen für das historische Lernen in österreichischen Lehrwerken von der Primarstufe bis zur Sekundarstufe II“ anhand der Fragestellungen zu erforschen, welche historischen (Teil-)Kompetenzen durch den Einsatz der Quellen (Arbeitsaufgaben) gefördert werden können und ob sich diesbezüglich eine bereits vorhandene Lernprogression in den Jahrgangsstufen rekonstruieren lässt. Hierfür werden alle schriftlichen Quellen aus den Lehrwerken der Primarstufe (Sachunterricht) sowie sämtliche schriftliche Quellen und die dazugehörigen Arbeitsaufträge aus ausgesuchten Themenbereichen der Sekundarstufen I und II systematisch erfasst, kategorisiert und anhand quantitativer und qualitativer Ansätze analysiert. Erste Ergebnisse für die Primarstufe zeigten, dass sich in vierunddreißig untersuchten Schulbüchern und Arbeitsheften insgesamt nur sechszehn schriftliche Quellen fanden, wobei es sich beinahe ausschließlich um fotografische Reproduktionen der Originalquellen handelte. Zudem stellte sich heraus, dass sich im Zusammenhang mit schriftlichen Quellen insgesamt nur sehr wenige Arbeitsaufträge finden und damit der Großteil der Schriftquellen lediglich der Illustration des Autorentextes dient.

CHRISTOPHER WOSNITZA (Paderborn) stellte die Fortschritte seines Dissertationsprojekts vor, in dem er sich mit Beiträgen von Jugendlichen zum Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten 2014/2015 „Anders sein. Außenseiter in der Geschichte.“ beschäftigt. Das Ziel des Projekts besteht in der Erfassung und Analyse der sich in den Beiträgen äußernden Formen und Ausprägungen historischen Denkens, das unter Berücksichtigung eines Mixed-Methods Ansatz verfolgt wird. Dabei stellte er neben ersten Ergebnissen einer quantitativen Analyse der Wettbewerbsbeiträge auch die Kategoriensysteme für die sich anschließenden qualitativen Analyseschritte vor. Die ersten Analyseergebnisse deuten darauf hin, dass es sich bei den Beiträgen um vielfältige historische Narrationen handelt, in denen sich auch komplexe Formen historischen Denkens finden lassen.

NICOLAI WEIGEL (Kassel) berichtete von seinen ersten Erkenntnissen aus der Erhebungsphase seines Promotionsprojektes, welches sich mit dem Umgang und der Rezeption kontrafaktischer Narrationen beschäftigt. Dabei konnte er zunächst erste Eindrücke wiedergeben, wie die befragten Schülerinnen und Schüler auf das Erhebungsinstrument reagierten und welche Erkenntnisse daraus gezogen werden konnten. So fielen die Reaktionen der Schülerinnen und Schüler recht unterschiedlich aus, als es um das Verständnis des Textes ging, während gleichzeitig ähnliche Erklärungs- und Deutungsmuster in den unterschiedlichen Gruppen sichtbar wurden, welche bereits grob kategorisiert werden konnten. Diese Aussagen unterlegte Weigel anhand einiger Beispiele und machte bereits deutlich, dass sich hier eventuell unterschiedliche Muster der Herangehensweisen an Narrationen herausstellen lassen könnten. In der nachfolgenden zweiten Erhebungsphase wird er mit Geschichtsstudierenden arbeiten, die mit demselben Instrument konfrontiert werden sollen. Zusätzlich soll eine kontrastierende Gruppe von Studierenden herangezogen werden, welche sich nicht explizit mit Geschichte beschäftigt.

In seinem theoretischen Beitrag ging BENJAMIN BRÄUER (Eichstätt-Ingolstadt) der Fragestellung nach, wie Unterschiede im historischen Denken als Orientierungsgelegenheiten verstanden werden können. Unter historischen Orientierungsgelegenheiten versteht er intentional gestaltete Lernsituationen, in denen die individuelle vorgängige historische Orientiertheit der Lernenden bewusst und produktiv irritiert wird, um Re-Organisationsprozesse zu provozieren und zu fördern. Aufbauend auf der theoretischen Annahme, dass historische Orientierungsbedürfnisse1 aus Verunsicherungen2 bzw. Irritationen hervorgehen und historische Denk- und Lernprozesse initiieren, sei zu klären, welche Irritationen sich beim gemeinsamen Lernen aus der Heterogenität der Lernenden ergeben könnten. Indem er seine heuristische Dimensionierung der historischen Orientiertheit auf die mentalen Operationen des historischen Denkens nach Rüsen – Wahrnehmung von Zeitdifferenz, historische Deutung, historische Orientierung – bezog, erschloss er Irritations- und Lernpotenziale in kommunikativen Situationen historischen Denkens. Daraus leitete er einen Ausblick zur pragmatische Verwertung seiner Konzeptionen ab.

DENNIS ERK (Kassel) präsentierte in seinem Vortrag den aktuellen Stand seines Projektes zu den Authentizitätsvorstellungen von Reenactmentdarstellern. Er skizzierte den methodischen Unterbau seiner geplanten Erhebung, welcher im Sinne der Grounded Theory zunächst eine Pilotphase durchlaufen soll. Zur Diskussion stellte Erk dabei nicht nur seine Erhebungsinstrumente sondern ebenso die möglichen geschichtskulturellen Perspektiven, die einen Zugang zum Reenactment ermöglichen.

Insgesamt wurde den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an den zwei Tagen in Paderborn eine große Bandbreite an Forschungsprojekten vorgestellt, die insbesondere in Bezug auf das methodische Vorgehen die Vielfalt der Disziplin nachdrücklich verdeutlichte. Im Anschluss an die sieben Vorträge kam es zu intensiven Gesprächen, die auch nach Ablauf des offiziellen Programms vielfach fortgesetzt wurden. Dazu boten sich auch die zwei gemeinsamen Abendessen an, die den Teilnehmerinnen und Teilnehmern in entspannter Atmosphäre die Gelegenheit gaben, sich weiter auszutauschen und die Tage gemeinsam ausklingen zu lassen. Die Referentinnen und Referenten waren sich darin einig, wichtige Impulse für die Fortsetzung der eigenen Arbeiten erhalten zu haben. Das nächste FUER-Nachwuchskolloquium wird voraussichtlich im November 2017 an der Universität Eichstätt-Ingolstadt stattfinden.

Konferenzübersicht:

Jan Scheller (Universität Greifswald): „Graduierung und Operationalisierung von ausgewählten Teilkompetenzen des Geschichtsunterrichts“

Patrizia Seidl (Universität Hamburg): „Inklusiven Geschichtsunterricht denken lernen“

Johannes Brzobohaty (Universität Wien): „Schulische Leistungsfeststellungen in der Sekundarstufe I aus GSK/PB – eine empirische Annäherung“

Wolfgang Buchberger (PH Salzburg): „Der Einsatz schriftlicher Quellen für das historische Lernen in österreichischen Lehrwerken von der Primarstufe bis zur Sekundarstufe II“

Christopher Wosnitza (Universität Paderborn): „Formen historischen Denkens Jugendlicher in Beiträgen zum Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten – Ein Werkstattbericht“

Nicolai Weigel (Universität Kassel): „Darstellungen historischer Alternativen – Erste Erkenntnisse mittels rekonstruktiver Forschungsmethoden“

Benjamin Bräuer (Universität Eichstätt-Ingolstadt): „Diversität als Motor von Lernprozessen? Wie Unterschiede im historischen Denken Orientierungsgelegenheiten sein könn(t)en.“

Dennis Erk (Universität Kassel): „Inszenierte Geschichte – Authentizitätsdiskurs im Reenactment“

Anmerkungen:
1 Vgl. Jörn Rüsen, Historik. Theorie der Geschichtswissenschaft , Wien 2013.
2 Wolfang Hasberg / Andreas Körber, Geschichtsbewusstsein dynamisch, in: Andreas Körber (Hrsg.), Geschichte - Leben - Lernen : Bodo von Borries zum 60. Geburtstag, Schwalbach/Ts. 2003, S. 177-200.


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