Interdisziplinäre Konferenz zur französischen DDR- und Transformationsforschung: Ein soziokultureller Ansatz der Politik

Interdisziplinäre Konferenz zur französischen DDR- und Transformationsforschung: Ein soziokultureller Ansatz der Politik

Organisatoren
Emmanuel Droit; Sandrine Kott; Jacques Poumet; Centre Marc Bloch, Berlin; CIERA (Centre interdisciplinaire d'études et de recherches sur l'Allemagne), Paris; Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Berlin;
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.03.2005 - 19.03.2005
Url der Konferenzwebsite
Von
Alice Volkwein, ENS-LSH Lyon

Wie der Titel dieser vom Centre Marc Bloch in Zusammenarbeit mit dem CIERA und der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur organisierten Tagung schon ankündigte, ging es darum, den spezifischen Beitrag der französischen Arbeiten zur DDR- und Transformationsforschung hervorzuheben. Die Tatsache jedoch, dass die Diskussionen in Deutschland, an der Humboldt-Universität zu Berlin, mit deutschen Diskutanten und Moderatoren und auf Deutsch stattfand, zeugte gleichzeitig vom Willen, diese in der BRD kaum wahrgenommene französische Forschung auch hier bekannt zu machen. Parallel zu diesem deutsch-französischen Dialog war der Dialog zwischen Vertretern verschiedener Disziplinen (u.a. Historikern, Anthropologen, Germanisten, Kulturwissenschaftlern) ein weiteres Ziel der Veranstaltung.

Allein die Form der Konferenz, auf der ein Diskutant die ihm im Voraus zugesandten Thesenpapiere der Referenten zusammenfasste und kritisierte, sollte den Dialog fördern. Da dadurch in der Tat viel Zeit für die Diskussionen auf dem Podium und mit dem Publikum übrig blieb, wurden die Erwartungen auch in dieser Hinsicht erfüllt. Auch die Aufteilung der Konferenz in drei Sektionen ("Socio-Histoire der Herrschaft", "Kulturelle Praxis und Produktion in der DDR" und "Vergangenheitsbewältigung und Transformationsprozesse") hat interessante Vergleiche innerhalb der Sektionen und alles in allem die Darstellung eines breiten Spektrums von Forschungsperspektiven ermöglicht. Neben den themenspezifischen Fragestellungen standen folgende Fragen drei Tage lang zur Debatte: Wer forscht heute über die DDR in Frankreich? Welche Forschungsschwerpunkte gibt es z.Zt. dort? Wird diese Forschung in der wissenschaftlichen und in der allgemeinen Öffentlichkeit rezipiert und wie? Gibt es einen besonderen französischen methodologischen Ansatz, wie z.B. den Ansatz der "Socio-Histoire du Politique"? Welches sind die Forschungslücken und -perspektiven?

Genau diesen Fragen war die Einleitung gewidmet. Zunächst schilderte Dr. Sonia Combe (BDIC, Nanterre) die Vorgeschichte der aktuellen französischen DDR-Forschung. Im Sinne einer "reflexiven Analyse" à la Bourdieu zeigte sie sich bemüht, den Kontext des Forschers in Frankreich vor 1989 zu erklären. Kurzgefasst könne man sagen, dass die DDR damals ein "Unland" für Frankreich gewesen sei. Darüber hinaus seien die Germanistik und die ‚Sowjetologie' stark ideologisiert und die Schablone der Totalitarismus-Schule in der DDR-Forschung weit verbreitet gewesen.
Prof. Dr. Sandrine Kott (Universität Genf / CRIA - EHESS Paris) wandte sich anschließend der aktuellen Situation zu. Ohne von einer französischen Spezifizität zu sprechen, könne man heute von einem "französischen Stil" sprechen. Dieser lasse sich durch ein entspannteres Verhältnis zur DDR und eigene wissenschaftliche Traditionen; wie die der Pluridisziplinarität, erklären. Kennzeichnend sei, dass das französische Interesse für die DDR v.a. ein wissenschaftliches sei. Dies führe zu einer "Entnationalisierung" der DDR, die - außer in der Germanistik - weniger ein Forschungsobjekt als ein -feld sei. Daher sei diese Forschung im Rahmen der geisteswissenschaftlichen Forschung, wo sie auch von Nichtspezialisten rezipiert werde, kein "wissenschaftliches Ghetto" mehr.

Die Frage, ob die französische DDR- und Transformationsforschung außerdem mit einem besonderen methodologischen Ansatz zu verbinden sei, wurde im Laufe der ganzen Tagung diskutiert. Dabei ging es vornehmlich um die Besonderheit der "Socio-Histoire du Politique", die Dr. Jay Rowel (GSPE, Straßburg) in der Vorstellung der ersten Sektion, deren Titel "Socio-Histoire der Herrschaft" deutlich darauf anspielte, kurz präsentierte. Die Ende der 1980er Jahre entstandene "Socio-Histoire du Politique" (SHP) lasse sich u.a. als Historisierung des Politischen mit sozialwissenschaftlichen Methoden und als praxisnahe Soziologie der Akteure bezeichnen. Interessant sei dabei sowohl die Förderung der Pluridisziplinarität als auch der Versuch, die Dichotomie zwischen der sozialen und der politischen Sphäre aufzuheben. Dennoch äußerte Rowel Zweifel an der Übertragbarkeit dieses Ansatzes, der von der Idee der Kontinuität ausgehe, auf die DDR-Forschung. Außerdem bedauerte Rowel, dass die Beleuchtung der Prozesse der Herrschaft bei einem solchen Ansatz immer von unten ausgehe, so dass die zentralparteiliche Ebene nicht genug berücksichtigt werde. Während Dr. Jens Gieseke (BStU) darüber hinaus die Besonderheit dieser Methode im Vergleich zu einem "normalen" sozialpolitischen Ansatz bestritt, konnte man sich schließlich darauf einigen, dass die Besonderheit der französischen Forschung nicht in diesem besonderen methodologischen Ansatz bestehe.

Der erste Teil dieser Sektion war "den Innenansichten der Diktatur im Alltag" gewidmet. Dr. Thomas Lindenberger (ZZF Potsdam) stellte die Beiträge von Mathieu Denis (Kanadisches Universitätszentrum / CMB) über "die Rolle der Beschäftigten beim Zerfall der DDR", von Emmanuel Droit (Universität Paris I / CMB) über "die Arbeiterklasse als Erzieher" und von Agnès Pilleul-Arp (Universität Paris III / FSU Jena) über die "Überlebensstrategien der Klein- und Mittelunternehmer in der DDR" vor.
Grundsätzliche Probleme tauchten sofort auf, wie die Frage nach der DDR-Besonderheit mancher Befunde. Auch in unseren heutigen westlichen Gesellschaften seien z.B. die Schülerpraktika in Betrieben öfter kontraproduktiv und im Wesentlichen als negative Lernerfahrungen zu sehen. "DDR-interne" Faktoren würden dennoch ermöglichen, diese Besonderheit hervorzuheben. So unterlagen z.B. die Schülerpraktika in der DDR den Produktionsnormen, was heute nicht mehr der Fall sei. Weitere Vergleiche mit dem Westen oder mit der Situation in anderen Ländern des Ostblocks würden jedoch eine interessante Außenperspektive auf die DDR anbieten, was in der Diskussion zu einer Zukunftsaufgabe erklärt wurde.

Darüber hinaus stand auch die Tauglichkeit der "Forschungsinstrumente" und namentlich der Interviews als einziger Quelle zur Erforschung der Geschichte zur Debatte. Die Gefahr der retrospektiven Interpretationen von Seiten der Befragten wurde mehrmals hervorgehoben. Nur die Konfrontation mit schriftlichen Quellen, seien es offizielle Berichte oder Tagebücher, könne dieser Gefahr vorbeugen. Solche Quellen seien aber nicht immer verfügbar oder nicht ausreichend benutzt worden, was auch häufig bemängelt wurde.

Im zweiten Teil der ersten Sektion, der näher auf die "Unterdrückungspraxis der Diktatur" einging, stand der Moment der Herrschaft im Vordergrund. Die drei Referate, die Dr. Jens Gieseke vorstellte, waren jeweils einer Institution gewidmet. Agnès Bensussans Arbeit (Universität Amiens / CMB) fokussierte auf die Repressionspolitik des MfS in den 1970er und 1980er Jahren, während Michel Christian (Universität Genf / CMB) das Fallbeispiel der Kontrollaktionen und deren Entwicklung in der SED erforscht und Pascal Décarpes als Kriminologe und Historiker an der Universität Greifswald den DDR-Strafvollzug vor und nach der Wende untersucht hatte. Ein wichtiger Befund aller drei Arbeiten sei die Betonung der Interaktion zwischen den Akteuren der jeweiligen Institution, als eigener sozialenr Ordnung, und zwischen solchen Herrschaftsinstitutionen und der Gesellschaft. Es gehe darum, die übliche und zu kurz gegriffene Gegenüberstellung "System / Gesellschaft" oder "Täter / Opfer" zu überwinden. So würden solche Untersuchungen es ermöglichen, auch die Integrationsfunktion solcher repressiven Institutionen hervorzuheben.

In der zweiten Sektion wandte man sich der "kulturellen Praxis und Produktion in der DDR" zu. Somit trat ein völlig anderes Forschungsfeld in den Vordergrund, das Prof. Dr. Jacques Poumet (Universität Lyon II) einführend darstellte. In Frankreich werde in der Forschung zu diesem Thema vor allem nach der Interaktion zwischen Künstler und Publikum, dem Einfluss von außen, der Untergrundliteratur, dem Bild des Zusammenbruchs der 80er Jahre in der Literatur und der Beziehung zwischen der Literatur der DDR und der Literatur nach der Wende gefragt.
Die erste von Dr. Birgit Dahlke (HU zu Berlin) moderierte Diskussionsrunde, die den "sozialen und politischen Bedingungen der kulturellen Produktion" gewidmet war, lud zu einer Reflexion über die Verortung des Produzenten zwischen Staat und Publikum und deren historische Entwicklung ein, so Prof. Dr. Dorothee Wierling (Forschungsstelle für Zeitgeschichte, Hamburg) beim Auftakt der Diskussion. Die von Dr. Laure de Verdalle (EHESS, Paris) dargestellte soziologische Untersuchung der Theaterleute sowie der Beitrag von Dr. Caroline Moine (Universität Paris I / CMB) wurden so in der Diskussion stärker historisiert. Auch der Einfluss vom Westen und von den Westmedien auf diese Medien und auf die von Daniel Mirsky (Universität Lyon II) untersuchte Satirezeitschrift "Eulenspiegel" stand zur Diskussion.

Im Vordergrund der ganzen Sektion standen aber zwei Kernfragen: Zum einen die Frage nach der Bedeutung und dem Platz der "Öffentlichkeit" in der DDR-Gesellschaft und zum anderen die Frage nach der Bedeutung und der Form des Subversiven in einem solchen System. Im Laufe der Konferenz wurde immer wieder versucht, den Platz der "Öffentlichkeit" in der DDR zu definieren. Solle man von Teil-, Ersatz- oder Scheinöffentlichkeit sprechen? Wie habe die Präsenz der "Westöffentlichkeit", die dank der westlichen Rundfunk- und Fernsehsendungen auch in die DDR eindrang, auf die DDR-Gesellschaft gewirkt? Könne man überhaupt von einer Öffentlichkeit sprechen, solange diese nur in Nischen oder auf der Bühne zu finden gewesen sei? Wenn auch die Beiträge verschiedene Beispiele einer solchen "Öffentlichkeit" gaben, konnten die Teilnehmer der Diskussion zu keiner eindeutigen Definition kommen. Konsens schien jedenfalls darüber zu herrschen, dass es immerhin eine inszenierte Öffentlichkeit gegeben habe, welche freie Räume für eine wahre Öffentlichkeit geöffnet habe.

Die Frage nach der Möglichkeit des Subversiven in einem solchen System lag dann nahe. Nach Daniel Mirsky sei das Subversive nicht in der inszenierten Subversion, in dem offiziell zugelassenen Satireteil des "Eulenspiegels" zu sehen, sondern vielmehr in den "monologischen" (im Sinne von Bakhtine), ideologietreuen Teilen der Zeitschrift. Auch im zweiten von Prof. Dr. Alf Lüdtke (Max-Planck-Institut für Geschichte, Göttingen) moderierten Teil über die "Aspekte der DDR-kulturellen Spezifizitäten" betonte Dr. Anne Lemonier-Lemieux (ENS-lsh Lyon) die subversive Bedeutung der Rezeption der Romantiker durch die ostdeutschen Schriftsteller. Wie bemerkt wurde, werfe das Problem des Subversiven allerdings die Frage der Rezeption auf, da sich die Subversivität erst in den Köpfen der Leser und Zuschauer entfalte.

Damit einhergehend wurde weiter in der zweiten Diskussionsrunde, die der DDR als "Literatur-Gesellschaft" - so die Diskutantin Dr. Simone Barck (ZZF Potsdam) -, gewidmet war, die Frage nach der relativen Autonomie der Kunst gestellt. Wenn Dr. Carola Hähnel-Mesnard (Ecole Polytechnique, Paris), die über den "literarischen "Untergrund" der 80er Jahre als Subfeld" gearbeitet hatte, den Begriff einer "relativen Autonomie" für diese Generation von Autoren gelten lassen würde, ergänzte Dr. Catherine Fabre-Renault (Universität Paris III) ihrerseits, dass die Rolle der subjektiven Sicht der Schriftsteller als Gegenpol zum sozialistischen Realismus nicht zu unterschätzen sei, selbst wenn damit noch nicht von "Autonomie" die Rede sein könne.

Im Mittelpunkt der dritten und letzten Sektion der Konferenz stand nicht mehr die DDR sondern die "Vergangenheitsbewältigung und Transformationsprozesse".
Eine thematische Einführung dazu hatte es schon am ersten Abend mit der Vorführung des Dokumentarfilmes der anwesenden Journalistin Pascale Hugues (Der Tagesspiegel / Le Point) "Gehen oder bleiben? Jugendliche in Deutschland Ost" gegeben. Der 2001 gedrehte Dokumentarfilm bot einen kontrastreichen Überblick über die Situation der Jugendlichen zehn Jahre nach der Wende.
Dr. Beatrice von Hirschhausen (CNRS / CMB) leitete dann die Debatte ein, indem sie die Besonderheit der französischen Transformationsforschung hervorhob. Diese sei in einer Fokussierung auf die Erinnerungsprozesse und in der Betonung des Erbes des sozialen Geschehens für die Akteure zu sehen. Diese pluridisziplinäre Forschung, die stark den Kontext berücksichtige, richte sich gegen das herrschende Paradigma der Transformation, gegen die sogenannte "Pfadabhängigkeit", nach der es sich bei der Wende um eine lineare Entwicklung gehandelt habe. Im Gegensatz zur deutschen Perspektive werde die Vergangenheit in der französischen Forschung nicht vorrangig als der Ort der Entstehung der Gegenwart gesehen, sondern als ein Repertoire von bewussten oder unbewussten Ressourcen.

Bei der ersten von Prof. Dr. Sigrid Meuschel (Universität Leipzig) moderierten Diskussionsrunde zum Thema "Wendezeit: Die DDR als persönliches und politisches Erbe" saßen eine Anthropologin, Dr. Marina Chauliac (EHESS, Paris / CMB), eine Kulturwissenschaftlerin Dr. Elisa Goudin (Universität Paris III) und eine Germanistin Dr. Anne-Marie Pailhès (Universität Paris X) am Podiumstisch. Eben diese für die Tagung repräsentative Pluridisziplinarität führte in der Diskussion zu manchen Missverständnissen, so z.B. im Falle der Untersuchung über die Jugendweihe. Während Dr. Marina Chauliac eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der "Tradition" im anthropologischen Sinne als "Interpretation der Vergangenheit" bot, schienen viele Wortmeldungen in der Diskussion in einer historischen Perspektive v.a. nach der Kontinuität oder dem Bruch der aktuellen Jugendweihe im Vergleich zur DDR-Tradition der Jugendweihe.
Im Vordergrund der Debatte stand v.a. das Problem der Kontextualisierung der einzelnen Forschungen. Die Frage der Diskutantin Dr. Renate Hürtgen, wie viel solle man von einer Gesellschaft wissen, um sie zu erforschen, hob das Problem der Delimitierung eines Forschungsobjektes hervor, das vielleicht erst im allgemeineren Kontext zu verstehen sei. So spiele z.B. auch die EU eine Rolle in der von Dr. Elisa Goudin erforschten Neugestaltung der gesamtdeutschen Kulturpolitik nach der Wende.

Zum Auftakt der letzten Debatte zum Thema "die Vergangenheit als Ressource für die sozialen und politische Akteure" zählte Prof. Dr. Ralph Jessen (Universität Köln) die verschiedenen "Ressourcen" auf, die heutige Akteure aus der Vergangenheit schöpfen könnten. Diese können als "lokales knowledge" vorhanden sein, wie im Falle der von Dr. Valérie Lozac´h (Universität Straßburg) untersuchten Beamten in Eisenhüttenstadt oder als bewusstes Argument zur Legitimation vor allem westlichen Justiz-Juristen behilflich sein, die im vereinigten Deutschland nach 1989 über die DDR-Verbrechen urteilten und deren Argumentationslinie von Guillaume Mouralis (IHTP Paris, CMB) analysiert wurde. Die Vergangenheit könne aber auch einen Sachzwang oder eine identitätsstiftende Orientierung darstellen. Dr. Catherine Perron (CNRS /CERI, Paris) sprach in Bezug auf die "Vergangenheitsbewältigung durch die ehemaligen und noch aktiven Mitglieder der Satellitenparteien nach 1989" von einer doppelten Ressource, da diese Akteure sich sowohl Elemente der Vergangenheit als auch der Wiedervereinigung angeeignet hätten.
Ralph Jessen stellte weiterhin die Frage, ob die aktuellen "postcolonial" studies, die vorrangig die Interaktionsprozesse statt der Herrschaftsverhältnisse analysieren, nicht eine neue methodologische Inspiration für solche Arbeiten darstellen könne. Obwohl es ihm dabei ursprünglich um eine ernste Auseinandersetzung mit dieser Theorie ging, fand diese auf der Tagung leider nicht statt, da die Polemik über die Kolonialisierung des Ostens in der Diskussion wieder auflebte.

Zum Schluss formulierte Prof. Dr. Etienne François einige Bemerkungen, indem er zunächst auf die Besonderheit der französischen Forschung zurückkam. Zwar könne man nicht von einer länderspezifischen Kultur, jedoch von einem länderspezifischen Stil sprechen. Der französische Stil sei in einem entkrampften Verhältnis zur DDR zu sehen, das aus Distanz und Sympathie bestünde. Außerdem werde in Frankreich großer Wert auf empirische Forschung gelegt, was mit einer theoretischen Zurückhaltung einhergehe. So sei positiv zu bemerken, dass in der französischen Forschung die Theorie immer angewandte Theorie sei. Dennoch könne diese Theoriescheu zu einer Fahrlässigkeit in der Handhabung der Begriffe führen, die problematisch werden könne.

Die weiteren Schlussbetrachtungen von Prof. Dr. Etienne François boten zusammen mit dem Abschlussvortrag von Prof. Dr. Mary Fullbrook (Universität London) einen klaren und zusammenfassenden Überblick über die Ergebnisse der Konferenz sowie über die noch offen gebliebenen Perspektiven. Zunächst lobte er den multilateralen Blick der dargestellten Forschungsarbeiten, in denen die Dichotomisierung (Opfer/Täter, Staat/Gesellschaft) abgelehnt werde. So könne man von der DDR als "Kräftefeld" sprechen. Auch in London bemühe man sich in diese Richtung, so Mary Fullbrook, da man dort versuche, neue Begriffe zu entwickeln. Weiterhin sei nach Etienne François aus den Forschungen eine andere, die nicht intendierte "kreative" Seite der DDR zu erkennen, d.h. ein spezifischer DDR-Habitus, der auch nach 1989 weiter gelte und eine gewisse Kontinuität erkläre. Somit könne man von der DDR sagen, dass sie zwar nie zum Vaterland geworden sei, wohl aber zur Heimat. Trotz dieser DDR-spezifischen Züge sei der Einfluss transnationaler Bewegungen nicht zu unterschätzen. Die Prozesse der Individualisierung und der Hervorhebung der Subjektivität, die in der letzten Phase der DDR aufgetreten seien, seien vor allem post-industrielle Entwicklungen.

Mit Blick auf die Zukunft sprach sich Etienne François für einen intensiveren Vergleich mit dem Westen und den anderen Ostblockländern und eine stärkere Berücksichtigung von Raumdimensionen, wie z.B. des Gefälles zwischen Land und Stadt, aus. Auch eine Erweiterung der Ansätze sei wichtig. Mary Fullbrook betonte ebenfalls, dass die Methode zwar der Fragestellung angepasst sein müsse, es aber sonst keine "bessere" Herangehensweise an sich gebe.

Am Ende der Konferenz konnte eindeutig von einem Erfolg gesprochen werden. Nicht nur hat diese Tagung zweifelsohne zur Bekanntmachung der französischen DDR- und Transformationsforschung in Deutschland beigetragen, sondern die Teilnahme von kanadischen und angelsächsischen Forschern hat außerdem eine weitere Eröffnung des Blickfeldes ermöglicht, die im Rahmen der Europäisierung der Perspektive über die DDR zu begrüßen sei.


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