Transkulturelle Erinnerungstopografien – Rheinland/Grasland – Deutschland/Kamerun

Transkulturelle Erinnerungstopografien – Rheinland/Grasland – Deutschland/Kamerun

Organisatoren
Stefanie Michels, Institut für Geschichtswissenschaften, Heinrich Heine Universität Düsseldorf
Ort
Düsseldorf
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.09.2017 - 15.09.2017
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Von
Kevin Reidegeld, Heinrich Heine Universität Düsseldorf

Zwei Regionen auf zwei verschiedenen Kontinenten, das Rheinland in Deutschland und das Grasland in Kamerun zu betrachten und nach historischen und gegenwärtigen Verbindungen zu untersuchen, unter diesem Leitmotiv, fand der wissenschaftliche Workshop in Düsseldorf statt. Dabei wurden transdisziplinäre Methoden der Erinnerungsforschung und der historischen Forschung in verschiedenen Panels vorgestellt. Der Workshop war Teil der deutsch-kamerunischen Forschungen im Rahmen der von dem Alexander von Humboldt-Stiftung geförderten Institutspartnerschaft zwischen dem Institut für Geschichtswissenschaften der Universität Düsseldorf und dem Institut für angewandte Sprachen der Universität Dschang in Kamerun.

Im Mittelpunkt der Überlegungen für diesen Workshop standen für die Organisatoren Stefanie Michels und Albert Gouaffo, die Erinnerung der gemeinsamen kamerunischen und deutschen Geschichte und die Überwindung von Dichotomien, insbesondere von „Opfer-Täter-Narrativen“. Daran anschließend ging es um die Fragen: Wie entstehen Erinnerungsorte? Von wem werden sie bestimmt? Und was passiert, wenn die Orte transkulturell, transnational und translokal gedacht werden?

Das erste Panel mit dem Titel „Regionen und Welten“ wurde von der Germanistin JASMIN GRANDE (Düsseldorf) mit dem Thema: „Zur Erforschung von Regionen: Ansätze aus dem Institut Moderne im Rheinland“ eröffnet und gab Einblicke in die Methoden des Instituts. Dabei hob Grande hervor, dass die Reflexion von Moderne als Epoche, Struktur und Paradigma im Zentrum der Arbeit des Instituts stehe und dabei das Rheinland neuerdings als europäische Region eingeordnet werde. Ein methodischer Ansatz zur Erforschung der Region Rheinland sei die Untersuchung von Formaten der Selbstpräsentation mit der sich die Region positioniere, wie z.B. das seit dem frühen 18. Jahrhunderts aufkommende Format der Ausstellung. Ein weiterer Ansatz sei die Erforschung der Rhetorik der Region, die als Denkbild und Reflexion des Spezifischen einer Region begriffen werde.

Die Historikerin STEFANIE MICHELS (Düsseldorf) stellte konzeptionelle Überlegungen in ihrem Vortrag „die Globalgeschichten von Düsseldorf und Dschang im Perspektivwechsel“ vor. Dabei ging sie anfangs auf die Umsetzung der Idee, Erinnerungsorte empirisch zu untersuchen, ein. Geleitet von der Frage: „Wer sind eigentlich die Erinnerungsträger?“, führte Michels in Zusammenarbeit mit Studierenden in Düsseldorf und in Dschang symmetrisch Interviews an von ihnen gesetzten Orten in beiden Städten durch. Befragt wurden Experten und Passanten zu den gesetzten Orten und zu der deutsch-kamerunischen Geschichte. Dabei zeichnete sich laut Michels vor allem ab, dass es in Dschang ein sehr viel heterogeneres Bild der deutsch-kamerunischen Verbindungen gebe als in Düsseldorf. Die Antworten der in Düsseldorf befragten Personen seien vor allem von dichotomen Haltungen und Schulddebatten geprägt gewesen, die aber auf wenig Wissen beruhten. Dabei verwies Michels auf die Überlegung Britta Schillings, dass es in Europa keine koloniale Amnesie gebe, sondern eine koloniale Aphasie.1 Damit lenkte Michels ihren Vortrag auf das Thema der Verständigung und Sprache und der Frage, was eigentlich mit Begriffen wie „Kolonialismus“ transportiert werde. Als Alternativvorschlag stellte sie den Begriff der „Weltaneignung“ vor, den Dirk von Laak in seiner Definition von Imperialismus vorschlägt.2 Deshalb plädierte sie zum Abschluss für die regionale Perspektive als Methode, um Komplexitäten und Ambivalenzen sichtbar zu machen.

Der Germanist ALBERT GOUAFFO (Dschang) stellte seinen Zugang zur Erforschung des Graslandes anhand der Untersuchung der Tagebücher von Marie Pauline Thorbecke vor, die Kamerun im Auftrag der Deutschen Kolonialgesellschaft 1911-1913 bereiste. Dabei stellte er die Fragen, inwiefern sich Tagebücher von Reisenden für eine Erinnerungsarbeit verwenden lassen und wie in diesen Berichten das Fremde konstruiert wird. Albert Gouaffo bezeichnete das Tagebuch, das 1914 publiziert wurde, als einen hybriden Text an der Grenze zwischen Realität und Fiktion, in dem sie auch mit Hilfe von Fotografien und malerische Skizzen die „fremde Welt“ versuchte einzuordnen. Ihr Text sei also ein Ergebnis von wissenschaftlichen und künstlerischen Techniken, die aus heutiger Sicht als Quelle hilfreich für Germanistik und Geschichtswissenschaft sei, deutsch-kamerunische Interaktionen zu untersuchen. Er fügte hinzu, dass Thorbecke dem Grasland als Region eine Kontur gegeben und als hybride Region begriffen habe.

Im zweiten Panel mit dem Titel „Historische Verbindungen“ knüpfte der Germanist OMER LEMERRE TADAHA (Dschang) an die Reiseberichte Marie Pauline Thorbeckes mit einer geokritischen Analyse an. Dabei konzentrierte er sich zudem auf die Forschungsberichte des Geographen Franz Thorbecke, dem Mann von Marie Pauline Thorbeckes, der ebenfalls an der Forschungsreise nach Kamerun zwischen 1911 und 1913 teilnahm und stellte beide Beobachtungsperspektiven im Vergleich gegenüber. Dabei bezeichnete er die beiden Thorbeckes als „Marionetten der Andersartigkeit“, die ihre Berichte vor allem auf die Natur, Umgebung und für sie Unbekanntes lenkten. Das eigene Handeln, so Tadaha, wurde in den Texten der Thorbeckes nicht reflektiert und soziale Interaktionen wurden nicht verhandelt.

Auch die Historikerin CAROLINE AUTHALER (Düsseldorf) stellte in ihrem Vortrag eine Expedition als Ausgang historischer Verbindungen zwischen Deutschland und Kamerun vor. Dabei ging es um den Düsseldorfer Zoo, der 1936 ein Forschungsteam nach Britisch-Kamerun entsandte mit den Aufträgen, Tiere für den Düsseldorfer Zoo zu fangen und die Arbeit der deutschen Plantagen in Form von Objekten zu dokumentieren. Hintergrund der von der Stadt Düsseldorf und NSDAP finanzierten Expedition war außerdem die Planung einer „Kolonialschau“ für die NS-Ausstellung „Schaffendes Volk“, für die Objekte gesammelt werden sollten. Authaler arbeitete in ihrer Forschung heraus, dass die Düsseldorfer auf die Hilfe professioneller kamerunischer Tierfängern angewiesen waren. In der ein Jahr später stattfindenden Ausstellung 1937 verschwand der Kamerunbezug laut Authaler zu Gunsten eines „diffusen Afrikabildes.“

RICHARD TSOGANG FOSSI (Dschang) beschäftigte sich in seinem Vortrag mit der Zusammenarbeit und „Männerfreundschaft“ zwischen dem Düsseldorfer Eugen Zintgraff (1858-1897), der Kamerun bereiste und dem Fon von Bali, Galega I. (1857-1901) mit besonderer Berücksichtigung der Frage: Waren koloniale Verhältnisse einseitige Prozesse? Zentraler Bestandteil der Verbindung war, dass Eugen Zintgraff zur Erforschung des Kameruners Hinterlandes Unterstützung von Galega brauchte und mit ihm einen Vertrag zur Zusammenarbeit abschloss. Dabei berücksichtigte Fossi auch die Erinnerungen an die Geschichte von Zintgraff und Galega in Kamerun. Neben mündlichen Überlieferungen setzen sich Romane und Theaterstücke mit der Geschichte auseinander, aber auch Museen, die Objekte von Zintgraff ausstellen.

Der zweite Tag des Workshops beinhaltete Vorträge, die sich mit Zugängen an transkulturellen Erinnerungen beschäftigten.
So stellte der Historiker FRANK SPARING (Düsseldorf) die mikrohistorisch fundierte Geschichte des schwarzen Düsseldorfers Hilarius Gilges (1909-1933) vor, der am 21.06.1933 von SS und SA-Männern am Rhein ermordet wurde. Laut Frank Sparing war Hilarius Gilges Sohn einer Textilarbeiterin und eines vermutlich afrikanischen Seefahres. Gilges war in der Düsseldorfer Altstadt ein bekannter und beliebter Arbeiter, sowie Laienschauspieler und Funktionär der Kommunistischen Partei, der eine Frau und zwei Kinder hinterließ. Die Stadt Düsseldorf erinnert an Gilges in Form einer Gedenktafel am Rheinufer, sowie mit dem „Hilarius Gilges Platz“ an der Kunstakademie und ist so einer der wenigen Kommunisten, die Mahn- und Gedenkstätten zum 2. Weltkrieg bekommen habe, so Frank Sparing. Aber auch Fangruppierungen des Fußballvereins Fortuna Düsseldorf nehmen die Biografie Gilges’ in z.B. alternativen Stadtrundgängen auf.

Der Medien- und Kulturwissenschaftler MARTIN DOLL (Düsseldorf) beschäftigte sich mit der Frage mit welcher Position sich komplexe Netzwerke, wie das Rheinland und Grasland in einen dokumentarischen Film übersetzen lassen. Dabei stellte er die drei Positionen Objektivismus, Partikularismus, sowie Relationismus vor und die damit verbundenen Problematiken der Dichotomisierung und Exotisierung. Die Aufgabe des Films müsse die „Deexotisierung der kamerunischen Chefferien“ sein. Abschließend plädierte er dafür, dass ein Film, der ein solch komplexes Netzwerk zeigen möchte, nicht allein funktionieren könne, sondern nur als Teil einer Ausstellung, um die nötigen Relativierungen zu erfahren.

Daran anschließend stellte der Germanist ALEXANDER ZIEM (Düsseldorf) seine gesprächsanalytischen Annäherungen an Interviewdaten vor, der er vor allem die Frage, was Erinnerung eigentlich sei, vorausstellte. Ziem versteht das Format des Interviews als eine prozessuale, soziale Aktivität, die interaktiv eine konstruierte Erinnerung hervorbringe, wobei die Situationskonstitution, Beziehungskonstitution und Rollenverteilung der Interagierenden auf das Verhalten des Interviewten zu beachten seien. Dabei zieht Alexander Ziem den Schluss, dass die Betrachtung und Untersuchung von Erinnerungen unabhängig der Situationskonstitution „ein Ding der Unmöglichkeit“ zu sein scheint.

Unter der Leitung von YAGMUR KARAKIS (Düsseldorf) stellten Studierende der Universität Düsseldorf Arbeiten aus Seminaren vor, die sich mit Verbindungen zwischen Kamerun und Deutschland beschäftigten. Vorgestellt wurde z.B. die Arbeit mit historischen Lautaufnahmen, die vom Ehepaar Thorbecke bei ihren Expeditionen im Kameruner Grasland aufgenommen wurden und von den Studierenden kontextualisiert wurden.

BRITTA SCHILLING (Utrecht) schloss mit einem Beitrag über Hermann von Wissmann den Workshop ab. Neben Grundlagen zur Person konzentrierte sich Britta Schilling vor allem auf die Erinnerungen in Deutschland an die Person Wissmann und wie er im Verlauf der Zeit präsentiert wurde in Verbindung mit der heutigen Umbenennungsinitiativen der Wissmannstraße in Düsseldorf und anderen Städten. Dabei bezeichnete Britta Schilling Wissmann als Kreuzungspunkt der Geschichte, der Fragen zur Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit aufbringe. Allein Wissmanns Biografie beinhalte so viele Gegensätze und Kontroversen, wie z.B. den Mythos des Bekämpfers des Sklavenhandels, gleichzeitig werde er aber als rassistische und brutale Person beschrieben.

Die Diskussionen zu den einzelnen Vorträgen führten zu teilweise kontroversen Debatten um Sprache, Begriffe und Narrative. Begriffe riefen immer auch Emotionen hervor, das zeigte sich besonders bei Interviews, wenn Begriffe wie „Kolonialismus“ verwendet werden.

Zudem schien fraglich, wie anschließbar der Begriff an außereuropäische Diskursgemeinschaften ist. Einigkeit herrschte über die notwendige Unschärfe des Regionenbegriffs – sowohl für „das Rheinland“, als auch für „das Grasland“. Der Mehrwert dieser Kategorie liege weniger in der klaren Definition als im perspektiven Zugang jenseits nationalstaatlicher Deutungsrahmen – ein Mehrwert, der sowohl für Kamerun als auch für Deutschland produktiv in globalhistorische Perspektiven, im Sinne von Vergleichen und Verbindungen, eingebracht werden könne.

Konferenzübersicht:

Uhr Regionen und Welten
Jasmin Grande (Universität Düsseldorf): Zur Erforschung von Regionen: Ansätze aus dem Institut "Moderne im Rheinland"

Stefanie Michels (Universität Düsseldorf): „Die Globalgeschichten von Düsseldorf und Dschang im Perspektivwechsel (konzeptionelle Überlegungen)“

Albert Gouaffo (Universität Dschang): Thema: „Topographieren, malen, photographieren und erzählen. Das Grasland von Kamerun und seine kulturgeographische Mediatisierung im Rheinland: Ein interkultureller (post)kolonialer Erinnerungstopos“

Historische Verbindungen
Omer Lemerre Tadaha (Universität Dschang): Franz und Marie Pauline Thorbecke zwischen Fiktion und Realität - Eine geokritische Untersuchung zu Im Hochland von Mittel-kamerun und Auf der Savanne

Caroline Authaler (Universität Düsseldorf): „Tiere im Düsseldorfer Zoo. Düsseldorfer Tierfänger und kamerunische Jäger“

Richard Tsogang Fossi (Universität Dschang): „Du bist wie ein Kuechlein in mein Haus gekommen, Weisser...'Intermediale Erinnerung an eine transnationale Männerfreundschaft der deutschen Kolonialzeit in Kamerun“

Transdisziplinäre Zugänge an transkulturelle Erinnerung
Frank Sparing (Universität Düsseldorf): "Hilarius Gilges – ein schwarzer Düsseldorfer als Opfer der Nationalsozialisten"

Martin Doll (Universität Düsseldorf): „Five minutes for Zintgraff, five minutes for the chiefs?“ – Über die Ambivalenzen filmisch dokumentierter ‚Oral History‘ am Beispiel der Chefferien im Grasland

Alexander Ziem (Universität Düsseldorf) "Erinnerungen an Fragmente deutsch-kamerunischer Geschichte: gesprächsanalytische Annäherungen an Interviewdaten"

Studierendenslot: Lautaufnahmen, Fotografien, Objekte (Leitung: Yagmur Karakis)

Britta Schilling (Universität Utrecht). 'Hermann von Wissmann: Kreuzungspunkt kolonialer Erinnerungsdiskurse'

Anmerkungen:
1 Britta Schilling, Postcolonial Germany. Memories of Empire in a Decolonized Nation, Oxford 2014.
2 Dirk van Laak, Über alles in der Welt. Deutscher Imperialismus im 19. und 20. Jahrhundert, München 2005.


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