Auftakt-Workshop zum 50-jährigen Jubiläum des Klinikums Steglitz

Auftakt-Workshop zum 50-jährigen Jubiläum des Klinikums Steglitz

Organisatoren
Thomas Beddies, Institut für Geschichte der Medizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin; Andreas Jüttemann, Charité – Universitätsmedizin Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.11.2018 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Dana Lehmann / Jeannette Hahlbohm / Finja Wicke / Andreas Jüttemann, Charité – Universitätsmedizin Berlin

Im Rahmen der Vorbereitung auf das 2018 anstehende 50. Jubiläum trafen sich am Charité Campus Benjamin Franklin (ehemals Universitätsklinikum Berlin-Steglitz) im Hörsaal West Medizinhistoriker, ehemalige Mitarbeiter des Klinikums sowie Zeitzeugen, um einen geschichtlichen Rückblick vorzunehmen. Nach Grußworten des Charité-Vorstandsvorsitzenden KARL MAX EINHÄUPL (Berlin), des Präsidenten der Freien Universität PETER-ANDRÉ ALT (Berlin) und des Bezirksstadtrats FRANK MÜCKISCH (Berlin) übernahmen die Initiatoren des Workshops Thomas Beddies und Andreas Jüttemann die Moderation. Damit begann der Vortragsteil: Die Medizinhistoriker FRITZ DROSS (Erlangen) und FLURIN CONDRAU (Zürich) referierten über den Wandel von Hospitälern zu Krankenhäusern sowie über die Veränderungen in der Arzt-Patienten-Beziehung.

THOMAS BEDDIES (Berlin) stellte die Gesundheitsversorgung in Westberlin nach 1945 dar und hob hervor, dass innerhalb von zwei Jahren die Bettenversorgung von 9000 auf 27000 erhöht werden konnte. Das war „im westdeutschen Vergleich eine Spitzenstellung“, so Beddies. Thematisiert wurden auch die Unterschiede hinsichtlich der medizinischen Versorgung zwischen Ost- und Westberlin. 1950 waren nach der infrastrukturellen Spaltung 50 Krankenhäuser in Ostberlin gegenüber 142 Häusern in Westberlin betriebsbereit. Eine besonders bedeutsame Entwicklung bestand darin, dass von den Medizinstudierenden nach Beendigung des Krieges eine neue, praxisnähere Lehre gefordert wurde. Außerdem galt es, die verschiedenen Fachdisziplinen wieder zusammenzuführen. Infolge kriegsbedingter Zerstörungen einerseits und des Mauerbaus andererseits bestand die Situation, dass die zur Fakultät gehörenden Gebäude auf die ganze Stadt verteilt waren. Die Studierenden mussten weite Wege auf sich nehmen. Daraus ging die Idee eines Klinikums hervor, das die Fachgebiete „unter einem Dach“ vereinen sollte. Der zunehmende Bettenmangel im Südwesten der Stadt führte Mitte der 1950er-Jahre zu dem Plan, am Standort Berlin Steglitz ein Universitätsklinikum zu errichten. 1958 erfolgte als Reaktion auf die zweite Berlinkrise die endgültige Zusage der Amerikaner für den Bau eines modernen Krankenhauses.

CHRISTIAN SIMON (Berlin) schilderte die Situation der einzelnen Krankenhäuser in Berlin-Steglitz vor 1968 und veranschaulichte, wie lückenhaft die medizinische Versorgung gerade in diesem Stadtteil war. MICHAEL JENNE (Berlin) erläuterte die Rolle der amerikanischen Schutzmacht, die sowohl bei der Gründung der Freien Universität Berlin als auch später am Bau des Klinikums ideell und finanziell beteiligt war. Die Amerikaner riefen die Benjamin-Franklin-Stiftung ins Leben, die 60 Millionen DM (von etwa 300 Millionen DM Gesamtkosten) bereitstellte.

CHRISTOPH DECKER (Berlin) begann seinen Vortrag mit dem Ereignis der Grundsteinlegung am 21. Oktober 1959 und stellte eine Chronologie des Baugeschehens der neuen Universitätsklinik auf. Architektonisch wird das Projekt dem sogenannten „Brutalismus“ zugeordnet. Der Name ist aus dem Französischen („béton brut“ = roher, unverkleideter Beton) abgeleitet. Die Zusammenlegung aller Fachbereiche in einem Gebäude bezeichnete man als „neue Konzentration“. Die Idee entstand in den USA und wurde zunächst in der Schweiz und Skandinavien übernommen. Das Konzept sah drei Sockelgeschosse vor, auf denen zwei fünfstöckige Bettenhäuser und ein Untersuchungs- und Behandlungstrakt errichtet wurden. Als eine ästhetische Besonderheit erwähnte Decker den Screen, ein Maßwerk aus feingliedrigen Betonteilen an, der außen an der Fassade anzubringen war und die menschliche Wirbelsäule repräsentieren sollte. Von den 236.320 „Wirbeln“ ist heute aber ungefähr ein Zehntel beschädigt. Bereits wenige Jahre nach der Fertigstellung mussten erste Sicherungsmaßnamen vorgenommen werden.
Der Vortrag endete mit einem Vergleich: „2018 wird das Klinikum 50 Jahre alt und eines ist wie beim Kölner Dom sicher. Es wird immer gebaut!“

ANDREAS JÜTTEMANN (Berlin) setzte den geschichtlichen Rückblick mit dem Vorgang der Inbetriebnahme des Klinikums fort und ging dabei vom Zeitpunkt des Richtfestes im Juni 1964 aus. Zunächst wurde aber nur die Schwesternschule eröffnet. Erst vier Jahre später erfolgte im Oktober 1968 der Beginn des Probebetriebs im Haupthaus. Arbeitsabläufe wurden getestet und analysiert. Nach Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse konnte das Vorhaben am 3. März 1969 mit der Aufnahme der ersten Patient*innen beendet werden. Auch für Lehre und Forschung brachte das neue Klinikum einige Verbesserungen, u.a. wurden die Wege für Studierende kürzer und klinischer Unterricht konnte in Kleingruppen durchgeführt werden.

UDO SCHAGEN (Berlin) behandelte in seinem Referat die Kritik an dem Gesamtprojekt, die schon während der Bauzeit entstand, und die 1968 während der Studentenbewegung an der Freien Universität Berlin ihren Höhepunkt erreichte. Protestiert wurde gegen die hierarchische Struktur der Beschäftigten im Klinikum Steglitz und die Klassendifferenz der Krankenkassen.

Als Zeitzeuge und ehemaliger Direktor der psychiatrischen Klinik der Freien Universität Berlin berichtete HANFRIED HELMCHEN (Berlin) über den Wandel der Psychiatrie in Westberlin. Er hob hervor, dass sich die Idee „Alles unter einem Dach“ nicht vollständig umsetzen ließ, da die Psychiatrie keinen Platz im Klinikumneubau erhalten habe und die Fachärzte nicht bereit gewesen seien, ihre eingespielten Arbeitsgewohnheiten zu ändern und nach Steglitz umzuziehen. Man habe sich daher für die Einrichtung einer psychiatrischen Klinik in der Eschenallee in Westend (daher auch der Name „Die Esche“) nahe dem Altklinikum entschieden. Dieser Standort wurde im Januar 2015 wieder aufgegeben. Stattdessen erfolgte die Eingliederung in den Campus Benjamin Franklin.

Eine weitere Fachrichtung, die zum Zeitpunkt der Eröffnung in Steglitz fehlte, war die Orthopädie. Diesem Thema widmete sich EVA BRINKSCHULTE (Magdeburg) im letzten Vortrag des Workshops. In Dahlem, unweit des Klinikums, befand sich das Oskar-Helene-Heim, das seit 1954 als orthopädische Fachklinik der Freien Universität Berlin fungierte. Damit war zum damaligen Zeitpunkt der Bedarf ausreichend abgedeckt. Die Klinik zog im Jahre 2000 von der Dahlemer Clayallee in das Behring-Krankenhaus in Zehlendorf um. Gleichzeitig wurde das Konzept „Alles unter einem Dach“ durch die Gründung eines neuen Arbeitsbereichs im Klinikum Benjamin Franklin komplettiert.

Im Schlusswort schildete und bewertete VOLKER HESS (Berlin) die Debatte um eine mögliche Schließung des Klinikums nach 1989. Zu diesem Zeitpunkt entstand die Diskussion um die Zusammenlegung verschiedener Standorte. Einige der getroffenen Entscheidungen muten im Nachhinein etwas kurios an und gaben dem Referenten Gelegenheit, das Geschehen humorvoll zu apostrophieren.

Konferenzübersicht:

Begrüßung

Karl Max Einhäupl (Vorstandsvorsitzender der Charité – Universitätsmedizin Berlin)
Peter André Alt (Präsident der Freien Universität Berlin)
Frank Mückisch (Stadtrat für Bildung, Kultur, Sport und Soziales, Bezirk Steglitz-Zehlendorf von Berlin)

Fritz Dross (Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg): Aspekte einer Krankhausgeschichte

Flurin Condrau (Institut für Biomedizinische Ethik und Medizingeschichte, Universität Zürich): Aspekte einer Patientengeschichte

Thomas Beddies (Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin): Gesundheitsversorgung und medizinische Ausbildung in West-Berlin nach 1945

Christian Simon (Autor und Verleger von Berlinliteratur, Heimatverein Steglitz): Krankenversorgung im Bezirk Steglitz nach dem Zweiten Weltkrieg

Michael Jenne (Initiative Berlin-USA e.V.): Die Rolle der amerikanischen Schutzmacht beim Neubau des Klinikums Steglitz

Christoph Decker (Architekt und ltd. Baudirektor i.R., Berlin-Steglitz): Zur Architektur und Baugeschichte des Klinikums Steglitz

Andreas Jüttemann (Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin): Die Inbetriebnahme des Klinikums Steglitz im Wintersemester 1968/69

Udo Schagen (Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin): Unruhige Zeiten: Die medizinische Fakultät der Freien Universität Berlin

Hanfried Helmchen (emer. Direktor der Psychiatrischen Klinik, Freie Universität Berlin): Psychiatrie „im Westen“ (die „Esche“)

Eva Brinkschulte (Institut für Geschichte, Ethik und Theorie der Medizin, Otto von Guericke-Universität Magdeburg): Orthopädie „im Westen“ (das „Oskar-Helene-Heim“)

Schlusswort

Volker Hess (Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin): Das Klinikum Steglitz nach 1989


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