Nel primo centenario della battaglia di Caporetto

Nel primo centenario della battaglia di Caporetto

Organisatoren
Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti, Venedig; in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Ort
Venedig
Land
Italy
Vom - Bis
08.11.2017 - 10.11.2017
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Von
Nicola Labanca, Universität Siena

Vom 8.-10. November 2017 veranstaltete das Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Venedig eine bedeutende wissenschaftliche Tagung, die dem hundertjährigen Gedenken der Schlacht von Caporetto (aus deutsch-österreichischer Sicht: dem Durchbruch von Flitsch und Tolmein) gewidmet war. Im Programm war im Vorfeld angekündigt worden, dass man „Caporetto“ zwar als „tragischen Moment der Niederlage, nicht aber als nationalen Zusammenbruch“ verstehen wolle, d.h. ohne in den Katastrophendiskurs zu verfallen, der bei den Zeitgenossen, insbesondere bei den liberalen Führungsschichten Italiens, allgegenwärtig war. Auch das für die Ankündigung gewählte Bild, das mehr an die italienische Verteidigung am Piave als an die Niederlage von Caporetto und noch viel weniger an den auf sie folgenden unerwarteten und kühnen deutsch-österreichischen Vorstoß erinnerte – dies alles hätte möglicherweise eine Tagung mit patriotischem Anstrich erwarten lassen. Da überdies einer der Veranstalter, das Istituto Veneto, das Archivio Luzzati verwahrt, den Nachlass des konservativen Liberalen und Gegners Giolittis – letzterer hatte sich bekanntlich gegen den italienischen Kriegseintritt positioniert – stand zunächst vielleicht zu befürchten, dass bei dieser Tagung vorgefasste Thesen und Meinungen vertreten werden würden.

Tatsächlich aber waren die Diskussionen frei von vorgefassten Urteilen, wozu wohl auch die Gegenwart von österreichischen Historiker/innen beigetragen hat. So kam es zu sehr unterschiedlichen Interpretationen.

Das Programm kann in sechs Punkten zusammengefasst werden. Der erste Aspekt betraf naturgemäß den militärischen Zusammenstoß zwischen dem liberalen Italien und der Österreichisch-Ungarischen Monarchie (und dem Deutschen Reich) im Rahmen der Schlacht selbst. NICOLA LABANCA (Siena) präsentierte, was man bisher bereits in Italien wusste bzw. was im Laufe des Gedenkjahres an neuen Erkenntnissen gewonnen worden war. MARIO CHRISTIAN ORTNER, Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien, präsentierte einen durchaus kritisch gehaltenen Überblick über den deutsch-österreichischen Forschungsstand.

Ein zweites wichtiges Thema war den verschiedenen italienischen Beteiligten und Betroffenen (im Umfeld der Schlacht und des Gebirgskriegs allgemein) gewidmet. LORENZO RENZI (Padua) offerierte auf den Spuren von Leo Spitzer eine Relektüre von Briefen italienischer Soldaten; AUGUSTA MOLINARI (Genua) hat neuerlich ihre Analyse betreffend die Mobilisierung von Frauen nach Caporetto zwischen Hilfeleistungen und Propaganda vorgelegt, wobei sie die Notwendigkeit der Mobilisierung der „Heimatfront“ als radikale Wende im italienischen Krieg identifizierte und stellte deren Ergebnisse vor; ALBA LAZZARETTO (Padua) präsentierte die patriotischen Aktionen des italienischen Klerus, des hohen ebenso wie des niederen Klerus, in den besetzten Gebieten; VALERIA MOGAVERO (Verona) zeigte einmal mehr am Beispiel der verschiedenen Aktivitäten der bedeutenden Padovanischen Familie der Papafava (eine Familie von intellektuellen Frauen und Männern) auf, wie sehr der Krieg von den sogenannten „Interventionisti“ bzw. der demokratischen Linken unmittelbar erlebt und mitgestaltet wurde.

Ein etwas enger gefasster, aber nicht minder bedeutsamer Bereich war drittens den italienischen Institutionen zugedacht, die für den Krieg mobilisiert wurden: DONATO NITTI (Padua) zeigte auf, welche Fortschritte das Gesundheitswesen, im besonderen das militärische Gesundheitswesen, im Laufe des Krieges machte, während FILIBERTO AGOSTINI (Padua) die verschlungenen Wege der Beziehungen zwischen öffentlichen Hilfsleistungen und privaten Solidaritätsaktionen zugunsten der venetianischen Flüchtlinge untersuchte, die sich – nach Caporetto – über die italienischen Provinzen verstreut hatten und versorgt werden mussten.

Ein vierter, ebenso eingeschränkter und eigentlich die Nachkriegszeit betreffender Aspekt betraf die klassische italienische Politikgeschichte. LUCA FALSINI legte auf der Grundlage seines neuesten Buches eine genaue Analyse über die Arbeiten der Untersuchungskommission über Caporetto vor. Diese Kommission wurde noch während des Krieges eingesetzt und präsentierte ihre Ergebnisse im Frühjahr und Sommer des Jahres 1919; PIERLUIGI BALLINI (Venedig) hat demgegenüber die Parlamentsakten hinsichtlich des Themas „Caporetto“ untersucht, insbesondere im Sommer 1919, nachdem die Untersuchungskommission ihre Ergebnisse vorgelegt hatte. Es lassen sich hier bereits die ersten Anzeichen für die Krise der liberalen Führungsschicht erkennen angesichts der Wahlgewinne der Sozialisten und der „Popolari“ (cattolici) bzw. der radikalisierten Nationalisten (und bald Faschisten).

Im Vergleich zum Krieg selbst, zu den Institutionen und zur Politik wurde – fünftens – sehr viel ausführlicher auf kulturelle Fragen, auf die unterschiedlichen Narrative und Repräsentationen eingegangen. Der Filmhistoriker GIAMPIERO BRUNETTA (Venedig) zeigte in einem der eindrucksvollsten Beiträge der Tagung als Ergebnis seiner langjährigen Recherchen in internationalen Filmarchiven einen Zusammenschnitt diverser auf Caporetto und auf die letzten Kriegsmonate bezogener Filmsequenzen. Dabei wurde deutlich, wie sehr diese filmischen Darstellungen der italienischen Niederlage von den verschiedenen am Krieg beteiligten Nationen benutzt, zensuriert, in Anspruch genommen und manipuliert wurden; DANIELE CESCHIN hat zurückverfolgt, wie die Vorstellung von einem Land, das Caporetto „gemacht“ hat, d.h. besiegt wurde, immer wieder vor und nach der Schlacht den öffentlichen Diskurs vieler italienischer Intellektueller prägte, vielfach ohne jede historische Kenntnis darüber „wie es eigentlich gewesen“; PAOLO GASPARI, Verleger von militärhistorischer Literatur und Privatgelehrter, sah sich demgegenüber aufgerufen, die Ehre der italienischen Soldaten, ja vielleicht überhaupt der Italiener zu verteidigen. Er betonte, dass es auch in der Niederlage Soldaten gab, die kämpften (bzw. dass es eigentlich gar keine Niederlage gegeben habe); die Linguistin CARLA MARCATO (Venedig) ging den Spuren der Verbreitung des Namens Caporetto in den italienischen Ortsnamen und Homonymen, ja sogar in den italienischen Eigennamen nach.

Ungemein bereichert wurde die Tagung durch ihren internationalen Charakter. Die Narrationen der italienischen Teilnehmer/innen und der österreichischen Teilnehmer/innen unterschieden sich hierbei teils erheblich, wobei die österreichischen „Gegennarrationen“ – so verschieden sie auch waren – als ein wichtiges Korrektiv zu Teilen der italienischen Historiographie wirkten. Aus dieser Dynamik waren die Teilnehmer/innen dazu aufgefordert, sich über scheinbar gesicherte Einsichten erneut Gedanken zu machen und neue Fragen zu stellen. ADRIANA VIGNAZIA, Literaturwissenschaftlerin an der Universität Wien, untersuchte für die Zeit des „Kriegsabsolutismus“ die Berichterstattung über Caporetto in der österreichischen Presse und zeigte auf, wie stark die diesbezügliche Propaganda die Zeitungen jeglicher Coleur, von der konservativ-katholischen über die liberal-nationale bis zur sozialistischen Richtung, geprägt und durchdrungen hat. STEFAN WEDRAC vom Institut für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, hat auf der Grundlage österreichischer Verwaltungsquellen einen Beitrag über die Stadt Triest während des Ersten Weltkriegs geleistet, wobei im Zentrum des Interesses die Besorgnisse und die Haltung der österreichischen Verwaltung standen. Ausgehend von diesen Quellen sei es möglich, so Wedrac, die Bedeutung und die Auswirkungen des italienischen Nationalismus in dieser Stadt zu relativieren – für die das liberale Italien bekanntlich (abgesehen von Trient, Dalmatien, Anatolien) ebenfalls in den Krieg gezogen war.

Den Höhepunkt der Tagung bildete abschließend das Gespräch zwischen MARIO ISNENGHI (Venedig), seit seinem 1967 erschienenen Band „I vinti di Caporetto nella letteratura di guerra“ einer der „Väter“ der erneuerten Studien über Caporetto und den Großen Krieg, und ERNESTO GALLI DELLA LOGGIA, einem in Italien sehr bekannten Gelehrten und politischen Journalisten und Herausgeber des „Corriere della Sera“. Auch wenn die Profile, und nicht selten auch die Positionen der beiden Gelehrten sehr unterschiedlich waren, stimmten sie doch in vielen Punkten überein, u.a. darin, dass „Caporetto“ ihnen beiden sehr viel relevanter (und interessanter) dank der darauffolgenden Resonanz, den Narrativen und den kulturellen Folgen erschien als seiner realen und materiellen militärgeschichtlichen Bedeutung wegen. Doch es gab auch interpretative Unterschiede: Über die Verantwortung beispielsweise, die Galli Della Loggia sehr stark bei der Partei der Sozialisten sah, die nicht bereit gewesen waren, den Krieg mitzutragen, was sie allerdings nicht bekannt gemacht hatten, oder bei Giolitti, der nach dem Krieg wenig zur Befriedung beigetragen habe; unterschiedliche Sichtweisen gab es insgesamt über die Rolle der verschiedenen beteiligten Akteure: Isnenghi hob den demokratischen „Interventismo“ einerseits und die Resignation der Bauern-Soldaten andererseits hervor, während Galli Della Loggia mehr Gewicht auf die Rolle von Cadorna, den obersten italienischen Befehlshaber legte, wobei er dessen militärische Aktion entweder als „der Norm entsprechend“ einstufte oder aber als im Vergleich zu anderen Militärkommandanten auch anderer Länder als „verständlich“ – auch wenn nicht alle von ihnen, wie Cadorna, nach einer Niederlage eine Verlautbarung erlassen haben, welche die Verantwortung auf die Truppen abwälzte. Verschiedene Auffassungen gab es auch über die Folgen des Krieges: Für Isnenghi bedeutete der Krieg einen weiteren Schritt auf dem Weg zum italienischen Einheitsstaat, der tatsächlich nur von der Minderheit der führenden Klasse – jene zwei Prozent, von denen Wedrac gesprochen hatte – geschaffen worden war, während er für Galli Della Loggia eine weitere Bestätigung des geteilten Charakters Italiens und der italienischen Geschichte mit sich brachte, in der die Liberalen und Nationalen den geteilten und uneinheitlichen Sozialisten gegenüberstanden.

Man sieht also deutlich: Wer immer befürchtet hatte, es handle sich um eine Tagung mit vorgefertigten Thesen, wurde eines Besseren belehrt. Die Gesichtspunkte waren und blieben in Venedig sehr unterschiedlich. Die Tagung bestätigte aber auch über weite Strecken und einmal mehr den derzeitigen Stand der italienischen Weltkriegsforschung im Rahmen der Hundertjahrfeiern: viel Kulturgeschichte, wenig Politikgeschichte, so gut wie keine Sozialgeschichte, wenig Militärgeschichte. Und nur Wenige, so scheint es, haben die neueren Arbeiten der internationalen Historiografie rezipiert (ausgehend, beispielsweise von den drei Bänden der Cambridge History of the First Word War, die Jay Winter herausgebracht hat).

Ein besonderer, wenn auch nur bedingt möglicher Gewinn lag hingegen in der Begegnung und im Austausch (so es ihn denn gegeben hat) zwischen italienischen und österreichischen Historikern: eine Achse, die für künftige Arbeiten nicht hoch genug eingeschätzt werden kann (in Form von vergleichender oder transnationaler Geschichte), ein Weg, der fortgesetzt, eine Richtung, die vertieft werden sollte – besonders was den italienisch-österreichischen Krieg betrifft, gemeinsam auch mit Wissenschaftlern aus Slowenien, Kroatien, Bosnien, Polen, Tschechien und der Slowakei – und mit Historiker/innen aus ganz Europa. Auch wenn es bei dieser Tagung kein formales Schlussresümee gegeben hat, so scheint gerade das sein wichtigstes Ergebnis gewesen zu sein.

Dieser Bericht wurde aus dem Italienischen übersetzt von Brigitte Mazohl.

Konferenzübersicht:

Saluti di apertura
Presiede:
Gherardo Ortalli, Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti/ Università Ca’ Foscari di Venezia

Nicola Labanca, Università degli studi di Siena: Il passato ed il futuro di Caporetto

M. Christian Ortner, Heeresgeschichtliches Museum – Militärhistorisches Institut, Wien: The Battle of Caporetto (24.10. – 19.11.1917). Austro-Hungarian military and political aspects

Daniele Ceschin: La sconfitta come carattere nazionale: Custoza, Lissa, Adua, Caporetto

Gian Piero Brunetta, Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti/ Università degli studi di Padova: Effetto Caporetto. Dalle immagini della disfatta a quelle della mobilitazione industriale per la vittoria

Seguirà la proiezione commentata di filmati su Caporetto
Presiede: Brigitte Mazohl, Österreichische Akademie der Wissenschaften/ Universität Innsbruck

Valeria Mogavero, Università degli studi di Verona: Ufficiali, gentildonne e intellettuali a Palazzo Papafava: un salotto in trincea nella Grande Guerra

Augusta Molinari, Università degli studi di Genova: La mobilitazione femminile dopo Caporetto tra assistenza e propaganda

Filiberto Agostini, Università degli studi di Padova: A beneficio dei profughi veneti. Assistenza pubblica e solidarietà privata nelle province italiane dopo Caporetto

Alba Lazzaretto, Università degli studi di Padova: Vescovi e clero nelle zone occupate

Donato Nitti, Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti/ Università degli studi di Padova: Aspetti medico-chirurgici nella contingenza bellica

Presiede:
Francesco Bruni, Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti/ Università Ca’ Foscari di Venezia

Adriana Vignazia, Universität Wien: La battaglia di Caporetto nella stampa austriaca

Paolo Gaspari: La battaglia ricostruita con le testimonianze degli ufficiali di prima linea

Lorenzo Renzi, Università degli studi di Padova: I giorni di Caporetto nelle scritture di soldati

Carla Marcato, Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti/ Università degli studi di Udine: Toponomastica della Grande Guerra

Presiede:
Stefan Malfèr, Österreichische Akademie der Wissenschaften

Stefan Wedrac, Österreichische Akademie der Wissenschaften: Trieste durante la Prima Guerra Mondiale

Luca Falsini: La verità negoziata. I lavori della Commissione d’inchiesta su Caporetto

Pier Luigi Ballini, Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti/ Università degli studi di Firenze, Il dibattito parlamentare sull’inchiesta di Caporetto


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