Sharing Heritage: Objekte, Prozesse, Akteure

Sharing Heritage: Objekte, Prozesse, Akteure

Organisatoren
Cord Arendes, Universität Heidelberg / heiEducaction-Cluster „Kulturelles Erbe“; Stefanie Samida, Heidelberg School of Education / heiEducation-Cluster „Kulturelles Erbe“; Katharina Christa Schüppel, Technische Universität Dortmund / DoProfiL, Teilprojekt „Kulturelles Erbe interkulturell“
Ort
Dortmund
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.04.2018 - 20.04.2018
Url der Konferenzwebsite
Von
Laura Di Betta, Institut für Kunst und Kunstwissenschaft, TU Dortmund

Wer erbt das kulturelle Erbe, wie wird es in einer globalen transkulturellen Gesellschaft universell zugänglich? Ausgehend von dieser Frage widmete sich die Dortmunder Tagung „Sharing Heritage: Objekte, Prozesse, Akteure“ den Perspektiven des Konzepts des weltweit geteilten und zu teilenden materiellen und immateriellen Kulturerbes für eine forschungsorientierte LehrerInnenbildung. Die zweitägige Veranstaltung war eine Kooperation zwischen dem „Dortmunder Profil für inklusionsorientierte LehrerInnenbildung“ (DoProfil) der Technische Universität Dortmund und dem Cluster „Kulturelles Erbe“ der Heidelberg School of Education (HSE), einer hochschulübergreifenden Einrichtung der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und der Universität Heidelberg. Beide Projekte werden im Rahmen der Qualitätsoffensive LehrerInnenbildung vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Tagungsort war die Hochschuletage des Dortmunder U, einst Gär- und Lagerkeller einer Brauerei, heute kulturelles Zentrum, Landmarke der Stadt Dortmund und Symbol des Strukturwandels im Ruhrgebiet.

BARBARA WELZEL (Technische Universität Dortmund, Projektleitung DoProfiL) setzte in ihrer Begrüßung den Diskurs um das kulturelle Erbe in Relation zur Interkulturalitätsdebatte und betonte die Notwendigkeit, in kulturellen Bildungsprozessen Akteure aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen und institutionellen Handlungsfeldern miteinander ins Gespräch zu bringen. Die erste, von Katharina Christa Schüppel geleitete Sektion „Objekte“ fragte ausgehend von der neuen Situation, die mit der „Rückkehr des Objekts“ in die Kunstgeschichte entstanden ist, nach aktuellen Wegen der Erforschung, Bewahrung und Vermittlung des materiellen Kulturerbes unter den veränderten Voraussetzungen von „Sharing Heritage“. SARAH HÜBSCHER (Technische Universität Dortmund) stellte am Beispiel des Projekts „Wort-Bild“ im Museum Ostwall die Notwendigkeit eines offenen, partizipativen Museums heraus („sharing responsibility“). Vorgestellt wurden zwei Teilprojekte, „Brot aus dem Krisenherd“ und „habitat“, in denen junge Dortmunder KünstlerInnen konzeptkünstlerische Arbeiten aus der Sammlung des Museum Ostwall weiterdenken und das partizipatorische Potential von Konzeptkunst ausloten. Die Ausstellungen rückten die Frage nach Objekt und Subjekt in den Fokus, machten Denkbewegungen sichtbar und lebten von der Partizipation der BesucherInnen: Auf diese Weise, so Hübscher, konnten sie ein breites Publikum ansprechen und so den Zugang zur Vermittlung erleichtern: „Wörter und Bilder haben wir genug im Museum, was wir brauchen, ist das Gespräch.“

Gespräch, Austausch und dazu physische Erfahrung stand auch im zweiten Vortrag des Tages von IVAN FOLETTI (Universität Brno) im Fokus. Er stellte das aus der mittelalterlichen Pilgerpraxis heraus entwickelte Projekt der „Migrating Art Historians“ als Möglichkeit einer neuen Rezeption und Erforschung von mittelalterlicher Kunst vor. Gemeinsam mit Studierenden hatte er sich auf eine wissenschaftliche Wanderreise von Lausanne über unter anderem Genf, Lyon und Tours zum Mont Saint-Michel gemacht. Die viermonatige Reise umfasste jeweils abwechselnd drei Geh-Wochen und drei Forschungs-Wochen. Der mittelalterlichen Praxis des Pilgerns entsprechend, wusste auch Folettis Gruppe morgens nicht, wo des Nachts ein Schlafplatz wartet. Geforscht wurde in den Klöstern, die auf dem Weg lagen. Ziel war es, der Zeitfrage nachzugehen, die in der kunsthistorischen Mittelalterforschung oft fehle. Wie ändert sich das Zeitempfinden durch das regelmäßige langsame Gehen? Wie ändert sich die Wahrnehmung von Landschaft und Landmarks? Folettis Fazit: „We were different after the walk.“

Mit HENRIKE HAUG (Technische Universität Dortmund) ging es zurück in den Innenraum und zur Frage nach Autorschaft im Museum. Die kuratorische Arbeit werde zwar bei großen Kunstausstellungen wie der documenta auch in der Öffentlichkeit diskutiert, bei kleinen Sammlungen passiere dies jedoch kaum. Haug stellte ein Projekt zum forschenden Lernen vor, mit dem Studierende zum einen zu einem kritischen Umgang mit kulturellem Erbe ermuntert werden sollen, zum anderen sensibilisiert für den unterschiedlichen Umgang der Museen gegenüber der Mündigkeit der Besuchenden. Im Zentrum des Projekts, einer Kooperation mit dem Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte (MKK), steht die Reflexion darüber, wer verantwortlich für das Narrativ der Sammlung ist, die Objekte ins Museum gebracht hat und deshalb Autor ist. Ziel des Projekts sei es, Autorenschaften zu erkennen und zu hinterfragen und, im Sinne der Konvention von Faro, als ProjektteilnehmerIn selbst in die Autorenrolle zu schlüpfen.

Auch JAN C. WATZLAWIK (Technische Universität Dortmund) stellte einen Zugang aus der Praxis vor und reflektierte, wie Museum und Ausstellung als Konfliktzone zum Möglichkeitsraum werden können. Ein interdisziplinäres Lehr-Forschungsprojekt zur Analyse und Ausstellung materieller Kultur am Beispiel des Stuhls („SitzPolsterModen“) bringt die Expertise unterschiedlicher Studiengänge des Seminars für Kulturanthropologie des Textilen zusammen. So arbeiten Lehramtsstudierende im Bachelor gleichberechtigt mit den fachwissenschaftlichen Masterstudierenden an einer Ausstellung, vom Konzept bis zum Betrieb. Die angehenden LehrerInnen können so bereits testen, wie die Arbeit mit Objekten für den späteren eigenen Unterricht in Schule, Museum und anderen Einrichtungen aussehen kann. Das Museum wird so zum Lernort für eine diverse Gesellschaft.

Mit der von Stefanie Samida geleiteten Sektion „Prozesse“ rückten die immateriellen Ausdrucksformen von Kultur – Bräuche, Rituale, performative Praktiken, orales Wissen – ins Zentrum. JUTTA STRÖTER-BENDER (Universität Paderborn) untersuchte die Frage, wie sich das „Sharing Heritage“-Konzept auf Landschaftsräume übertragen ließe. Ströter-Bender verwies auf den konkreten Bildungs- und Forschungsauftrag von Welterbestätten und die Notwendigkeit, das dahinterliegende Denkmodell von Sharing Heritage, den Lehramtsstudierenden zugänglich zu machen. Dies könne unter anderem durch die Integration biografischer Erfahrung geschehen, um so in den Austausch miteinander zu kommen.

LINA FRANKEN (Universität Bamberg) nahm die LehrerInnenbildung in den Fokus und forderte eine Geschichtskultur in Bezug auf das kulturelle Erbe – auch und gerade in der LehrerInnenbildung. Als dynamisches Konzept mit kollektivem Charakter sei die Geschichtskultur Teil des kollektiven Gedächtnisses. Geschichtsdidaktik müsse deshalb Schule als Ort von Geschichtskultur begreifen. Ziel des Geschichtsunterrichts müsse es sein, kulturelles Erbe als Geschichtskultur zu rezipieren und so ein Bewusstsein für die Orientierungsfunktion von Kultur zu schaffen.

SABINE KLOCKE-DAFFA (Universität Tübingen) untersuchte die Bedeutung von kulturellem Erbe aus ethnologischer Perspektive. Am Beispiel eines Reiterdenkmals zum Andenken an die Gefallenen der Deutschen Schutztruppe in Windhoek schilderte sie die Herausforderungen von geteiltem Kulturerbe in Namibia vor dem Hintergrund ehemaliger kolonialer Strukturen. Klocke-Daffa verwies darauf, dass kulturelles Erbe nicht per se etwas Positives sein muss, sondern besonders in multiethnischen Staaten eine Herausforderung für den Nationalstaat darstellen kann, abhängig vom Status der Minorität. Das Reiterdenkmal in Windhoek wird bis heute von den Namibia-Deutschen als materielles Symbol ihrer kulturellen Identität betrachtet. Auf Anordnung der namibischen Regierung ist es mittlerweile in den Innenhof der alten Festung aus deutscher Kolonialzeit versetzt worden und nun als Inventarstück seiner ursprünglichen Funktion beraubt bzw. neu kodiert. Kulturelles Erbe, das machte dieser Vortrag einmal mehr deutlich, fordert uns heraus: Für wen wird kulturelles Erbe bewahrt, von wem soll es genutzt werden? Kann man Kulturerbe ablehnen und entsorgen?

PEI-SHAN WU (Roemer-und Pelizaeusmuseum Hildesheim) geht es um kulturelles Erbe als identitätsstiftendes Element. Am Beispiel der Musikgattung „Pak-Koán“ zeigte sie, wie die Musikerziehung Teil der Taiwanisierung nach 1987 wurde. Pak-Koán, in der taiwanesischen Gesellschaft eng mit den „einfachen“ Bevölkerungsschichten verbunden, erfährt nach dem Ende des Kriegsrechts eine Aufwertung und wird zum Teil der nationalen Identität. Für die Vermittlung von Pak-Koán, sei das Bewahren das wichtigste Element. Im Zentrum stehe die Idee, nicht das Objekt. Fokus sei das Aufführungsprinzip, deshalb könne die traditionelle Musik auch mit westlichen Elementen versehen werden. Die Vermittlung geschieht über SchülerInnen, die in Pak-Koán unterrichtet werden und die Musik öffentlich aufführen, etwa bei wichtigen Zeremonien. So hält die vermeintlich traditionelle Musik Einzug in den Alltag. Dieses Prinzip habe maßgeblich dazu beigetragen, die Einstellung zur Musik zu ändern.

Gegenstand der abendlichen Key-Note von RALF KOERRENZ (Universität Jena) war das kulturelle Erbe in einer globalisierten Welt. Der zweite Tagungstag beschäftigte sich in der dritten Sektion „Akteure“ unter der Leitung von Cord Arendes dezidiert mit den in die Vermittlung von Sharing Heritage eingebundenen Beteiligten. SANDRA BENDLER und VERENA RÖLL (Universität Hannover) zeigten, wie die Vermittlung von Weltkulturerbe(-stätten) die Perspektive von Jugendlichen verändert. Am Beispiel von Fokusgruppen und reflexiver Fotografie machten sie deutlich, wie Unterrichtseinheiten entworfen werden können, um die persönliche, regionale und universelle Bedeutung von Weltkulturerbe für 15- bis 17-Jährige herauszuarbeiten.

ANDREA BRAIT (Universität Innsbruck) stellte ein aktuelles, noch nicht abgeschlossenes Forschungsprojekt vor, in dem es um die Bedeutung von außerschulischen Lernorten zur Vermittlung des kulturellen Erbes geht. Dem Lernort Museum als Forschungsdesiderat kommt darin eine exponierte Stelle zu. Befragt werden sowohl Lehrkräfte als auch Kunstvermittler. Ebenso wird eine qualitative Betrachtung angestrebt.

CHRISTINA VOSSLER-WOLF (Universität Tübingen) fragte, wie mittelalterliche Klöster als kulturelles Erbe wahrgenommen und vermittelt werden. Da die meisten mittelalterlichen Klosterkomplexe eine Umnutzung erfahren haben, die häufig in einen Bildungskontext zu stellen ist, stellt Vossler-Wolf die Frage nach der Relevanz der Materialität des historischen Komplexes sowie seiner immateriellen Inwertsetzung als Ort der Entscheidung. Hierbei gelte es zukünftig zu untersuchen, ob die Authentizität des Ortes von den Vermittlern sowie den BesucherInnen wahrgenommen wird.

SUSANNE BRAUN (Deutsche Stiftung Denkmalschutz Bonn) stellte das Projekt „denkmal aktiv“ vor, das Schulprojekte fördert, die Denkmale als authentische Geschichtsorte und Denkmalschutz als gesellschaftliche Aufgabe für einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Kulturerbe in den Mittelpunkt stellen. Wichtig sei, das Interesse der LehrerInnen zu wecken, um den Denkmalschutz so in die Schulen bringen zu können. Dies ginge nur mit individuell auf die Fächer, Jahrgangsstufen und Schulformen zugeschnittenen Vermittlungskonzepten. Ziel und Wunsch sei es, den „Lernort Denkmal“ für SchülerInnen und LehrerInnen zu entdecken.

Sharing Heritage in Forschung und Vermittlung, das wurde an diesen zwei Tagen im Dortmunder U deutlich, braucht das Gespräch, den Austausch und die disziplinenübergreifende Arbeit am gemeinsamen Gegenstand. Als Konzept kultureller Bildung ist Sharing Heritage in vielfältigen Lehr-/Lernsettings, in Vermittlungsprojekten oder in der künstlerischen Forschung bereits Realität. Vertieft werden muss, das wurde in der Abschlussdiskussion deutlich, der Partizipationsbegriff (über ein dialogisches Verständnis hinaus). Eine vielversprechende Perspektive bieten fächerverbindende Formate kultureller Bildung für Schule und Hochschule.

Konferenzübersicht:

Welcome Speeches

Barbara Welzel (Prorektorin Diversitätsmanagement und Projektleitung DoProfiL, Technischer Universität Dortmund)

Cord Arendes (Universität Heidelberg / Sprecher heiEducaction-Cluster „Kulturelles Erbe“)

Stefanie Samida (Heidelberg School of Education / heiEducation-Cluster „Kulturelles Erbe“)

Katharina Christa Schüppel (Technische Universität Dortmund / DoProfiL, Teilprojekt „Kulturelles Erbe interkulturell“)

Sektion 1: Objekte
Chair: Katharina Christa Schüppel (Technische Universität Dortmund)

Sarah Hübscher (Technische Universität Dortmund): Object Meets Subject: Das Projekt Wort - Bild im Museum Ostwall im Dortmunder U

Ivan Foletti (Universität Brno): Embodying the Medieval Pilgrimage: A Living Heritage

Henrike Haug (Technische Universität Dortmund): Autorschaft: Objekte und ihre Wege ins Museum

Jan C. Watzlawik (Technische Universität Dortmund): An Dinge knüpfen: Multicurriculare Ansätze zur Analyse und Ausstellung materieller Kultur

Sektion 2: Prozesse
Chair: Stefanie Samida (Heidelberg School of Education)

Jutta Ströter-Bender (Universität Paderborn): Orte. Räume. Objekte in der Kunstvermittlung

Lina Franken (Universität Bamberg): „Reflektiertes Geschichtsbewusstsein als Lernergebnis“? Kulturbezogene Bildung und kulturelles Erbe in der Lehrerbildung der Geschichtsdidaktik

Sabine Klocke-Daffa (Universität Tübingen): Der Reiter von Südwest reitet nicht mehr: Koloniale Geschichte, „shared heritage“ und deutsche Identität in Namibia

Pei-Shan Wu (Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim): Nationale Identitätskonstruktion durch Musikerziehung in Taiwan: am Beispiel der Musikgattung „Pak-koan“

Ralf Koerrenz (Universität Jena) Erinnerte Verdrängung – postkoloniale Annäherungen: (Geschichte der) Pädagogik als kulturelles Erbe

Sektion 3: Akteure
Chair: Cord Arendes (Universität Heidelberg)

Sandra Bendler / Verena Röll (Universität Hannover): Zwischen „kollektivem Gedächtnis“ und „unbenutzten Dingen“ – Weltkulturerbe aus der Perspektive Jugendlicher

Andrea Brait (Universität Innsbruck): Vermittlung des materiellen Kulturerbes: Einstellungen von österreichischen Lehrkräften der Sekundarstufe

Christina Vossler-Wolf (Universität Tübingen): Kulturelles Erbe – geteiltes Erbe? Mittelalterliche Klöster und ihre Inwertsetzung im Bildungsprozess

Susanne Braun (Deutsche Stiftung Denkmalschutz Bonn): Kulturelles Erbe in der Schule vermitteln. Ein Thema – Zwei Zielgruppen. Erfahrungen aus „denkmal aktiv – Kulturerbe macht Schule“, dem Schulprogramm der Deutschen Stiftung Denkmalschutz


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