Deutsche Sprachminderheiten im östlichen Europa

Deutsche Sprachminderheiten im östlichen Europa

Organisatoren
Hermann Scheuringer, Forschungszentrum Deutsch in Mittel-, Ost- und Südosteuropa, Universität Regensburg; Uršula Krevs Birk, Abteilung für Germanistik mit Nederlandistik und Skandinavistik, Universität Ljubljana; Matjaž Birk, Abteilung für Germanistik, Universität Maribor; Vesna Jerbič Perko, Regionalmuseum Kočevje
Ort
Ljubljana
Land
Slovenia
Vom - Bis
21.06.2018 - 23.06.2018
Url der Konferenzwebsite
Von
Egor Lykov, Institut für Osteuropäische Geschichte, Universität Wien

Das internationale Symposium thematisierte deutsche Minderheiten im östlichen Europa in einer überregionalen und interdisziplinären Perspektive. Aktuelle Forschungsdesiderate wurden aus Sicht der Geschichte, der Literaturwissenschaft und der Sprachwissenschaft behandelt. In Abgrenzung zur “Deutschtümelei“ wurde Deutsch als eine überregionale Verkehrssprache und ein referentielles Kulturidiom im östlichen Europa verstanden. In den Fokus der Tagung gelangten insbesondere die Geschichte und Kultur einzelner deutscher Minderheiten.

Der Geschichte der deutschen Minderheit in Gottschee wurde viel Aufmerksamkeit geschenkt, wobei der Schwerpunkt auf den traumatischen Ereignissen des 20. Jahrhunderts lag. MITJA FERENC (Ljubljana) behandelte die Massengewalt gegen die deutsche Minderheit im Gottscheer Raum nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Aus Angst vor der möglichen Rückkehr der Deutschen habe sich Abschiebung der Angehörigen der deutschen Minderheit in Gottschee über die Staatsgrenze nach Österreich vollzogen. Ihr Eigentum sei verstaatlicht und die jugoslawische Staatsbürgerschaft sei ihnen entzogen worden. Außerdem seien Deutsche in den Lagern Hrastovec, Tepanje und Strnišče (Sterntal) interniert worden, wo bis zu 1.500 Deutsche ohne Gerichtsverfahren ermordet worden seien. Als Belege dafür seien Massengräber in den Gottscheer Wäldern zu finden. Bis zum Jahr 1992 sei über die Massengewalt im Gottscheer Raum kaum etwas bekannt gewesen, sodass Kočevje für die Massengewalt und Massenmorde erst nach der demokratischen Wende bekannt geworden sei. Die Minderheitenrechte der Gottscheer Deutschen seien erst 1948 anerkannt worden, nachdem die gesamte Minderheit vernichtet worden war. Im Zuge der tragischen Ereignisse sei die deutsche Siedlungskultur verschwunden, indem 176 Siedlungen, 123 Kirchen und 400 Kapellen absichtlich zerstört worden seien. Die freiwillige Auswanderung der Deutschen vor dem Zweiten Weltkrieg, die Zwangsumsiedlungen in die Untersteiermark während des Zweiten Weltkrieges und die Abschiebung und Ermordung nach dem Krieg seien die wesentlichen Faktoren für die Zerstörung der deutschen Kultur in Slowenien gewesen. Jedoch sei nicht von der Hand zu weisen, dass das Kulturerbe der Gottscheer Deutschen nicht ein „deutsches“ Kulturerbe gewesen sei, sondern das Kulturerbe Sloweniens, das nunmehr verschwunden sei.1 Viele dieser tragischen Ereignisse harren noch der historischen Aufarbeitung. ANA BEGOVAC (Regensburg) nannte in ihrem Vortrag Gottschee einen „Spielball der Politik“ und zeichnete die Behandlung der deutschen Minderheit von unterschiedlichen politischen Mächten je nach politischer Lage nach. Sie hob hervor, dass seit 1939 die „Nazifizierung“ der Gottscheer Deutschen voranschritt und sie Affinität zum Nationalsozialismus zeigten. Ein wesentlicher Einschnitt ins Leben der Gottscheer Deutschen war die Zwangsumsiedlung in das Deutsche Reich im Jahr 1941, als Gottschee an Italien fiel. Die antideutsche Stimmung in Jugoslawien und das Vorgehen gegen die deutsche Minderheit verhinderten die Entwicklung dieser Minderheit in Jugoslawien.

Die Stadtgeschichte und Diasporabildung wurden am Beispiel der slowenischen Stadt Maribor diskutiert. GREGOR JENUŠ (Ljubljana) untersuchte die Rolle der Deutschen in der Geschichte Maribors anhand der Quellen aus dem Staatsarchiv der Republik Slowenien. Maribor bildete im 19. Jahrhundert eine Art Sprachinsel, denn die Stadt sei vorwiegend deutschsprachig gewesen, während die Umgebung überwiegend Slowenisch gesprochen habe. Die Stadtgeschichte Maribors sei insofern von gegenseitigen Feindbildern geprägt: Auf der einen Seite seien Deutsche aus slowenischer Sicht als „Unterdrücker“ angesehen worden, auf der anderen Seite haben Slowenen aus deutscher Sicht als „undankbare Unruhestifter“ gegolten. Die Zuspitzung nationaler Gegensätze habe sich während des Ersten Weltkrieges vollzogen, als jegliche Kompromisslösungen und Entwürfe des friedlichen Zusammenlebens beider Sprachgemeinschaften abgelehnt worden seien. Ungeachtet der deutschsprachigen Bevölkerungsmehrheit fiel Maribor nach dem Ende des Ersten Weltkrieges an den SHS-Staat, wo die Gewalt gegen Deutsche im Zuge der sogenannten „Entaustrifizierung der Untersteiermark“ entfesselt worden sei. Die Flucht, Vertreibung und Verstaatlichung des „deutschen Eigentums, Gewerbes und Betriebs“ seien die Folgen gewesen. Die Minderheitenrechte seien erst 1924 anerkannt geworden, als Deutsche in Maribor zu einer kaum sichtbaren Minderheit gemacht worden seien. JERNEJA FERLEŽ (Maribor) stellte die Ausstellung „Deutsche in Maribor“ vor, die als die erste öffentliche Auseinandersetzung mit Problemen der Stadtgeschichte Maribors gilt. Die Exponate beziehen sich auf den Zeitraum von 1846 bis 1996. Die Ausstellung stelle dabei die erste Reflexion über das Leben der deutschen Bevölkerung in Maribor dar. Solchen Themen wie nationale Identität, berühmte Deutsche, ökonomische Tätigkeit, der Bau der Südeisenbahn und deutsche Motive in der Architektur standen im Vordergrund des Forschungsinteresses.

Auch wenn viele Vorträge einen ausgesprochen zeithistorischen Fokus hatten, wurde deutlich, dass die Erforschung älterer historischer Epochen ebenfalls einen großen Stellenwert hat. EGOR LYKOV (Wien) bot einen Forschungsüberblick über die Forschungsgegenstände und -gebiete der Volga German Studies an und verdeutlichte Forschungsperspektiven auf die Geschichte, Sprache, Kultur und Literatur der Wolgadeutschen. Ausgehend von den aktuellen Publikationen wurden Forschungsnetzwerke und Kollaborationen im Forschungsgebiet skizziert. Als die wichtigsten Forschungsschwerpunkte seien Genealogie, Biographieforschung, Migration und Kolonisierung, Zwangsmigrationen und Gewalt, kollektives Gedächtnis und Identität definiert worden2, wobei die Anschlussfähigkeit an andere Forschungsdesiderate (z.B. der Genealogie an Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Religionsgeschichte an die Literaturwissenschaft etc.) kritisch diskutiert worden seien. Komparative Studien mit anderen deutschen Minderheiten (im östlichen Europa) und anderen Minderheiten in Russland seien dabei für die Weiterentwicklung des Fachs absolut notwendig. Es komme darauf an, adäquate Techniken des Vergleichs zu entwickeln. Disziplinen wie die Musikwissenschaft, Komparatistik, Theater-, Film- und Medienwissenschaft sollten in die Untersuchung der Geschichte, Kultur und Literatur der Wolgadeutschen ebenfalls miteinbezogen werden. MARIJAN BOBINAC (Zagreb) behandelte das deutsche bürgerliche Theater in Zagreb im 19. Jahrhundert. Die Komödien von Johann Nepomuk Nestroy und Ferdinand Raymund und die Tragödien Theodor Körners seien dort besonders beliebt gewesen. Während in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Theater von Deutschen dominiert worden sei, habe sich die Lage ab den 1850er-Jahren rasant verändert. Das Theater sei zunehmend als ein „Nationaltheater“ aufgefasst worden, sodass die deutschsprachigen Aufführungen, die Zweisprachigkeit der Zagreber Bühne und der Bilingualismus des Publikums (Deutsch und Slawisch) verdrängt worden seien. Die Vertreibung der deutschen Theatertruppen, die nunmehr an Prestige verloren hätten, sei stillschweigend hingenommen worden und habe dem deutschen Theater in Zagreb ein Ende gesetzt. ANSELM HEINRICH (Glasgow) setzte sich mit der „Germanisierung“ Osteuropas durch die NS-Theateraufführungen in Form einer Fallstudie zum Theater in Łódź und mit der Kulturpolitik des „Dritten Reiches“ auseinander. Łódź sei von dem NS-Regime zu einer „Festung der deutschen Kultur“ hochstilisiert worden, obwohl die Stadt nie deutsch geprägt gewesen sei. Dem Theater käme dabei eine wichtige Rolle im Sinne eines Kulturauftrages zu, die „Menschen Deutsche werden zu lassen“. Die Besucherzahlen seien hoch gewesen, demzufolge habe es großzügige Förderungen für das Theater seitens des NS-Propagandaministeriums gegeben. Zugleich sei das deutsche Theater lediglich von Angehörigen des Militärs besucht worden, während das Objekt dieser Kulturpolitik – die Stadtbevölkerung – das deutsche Theater beinahe gar nicht aufgesucht habe.

Die aktuelle Lage der deutschen Minderheiten im östlichen Europa behandelten drei darauffolgende Vorträge. HERMANN SCHEURINGER (Regensburg) stellte einen Statusvergleich der deutschen Minderheiten in Ungarn, Rumänien und Slowenien anhand der sogenannten „Namenssymptomatik“ an. Dabei geht es darum, die Einstellungen der lokalen Bevölkerung gegenüber Bezeichnungen von Städten in verschiedenen Sprachen zu untersuchen. Die deutschen Namen seien sehr gebräuchlich in Ungarn und es gebe keine Einschränkungen des Gebrauchs von staatlicher Seite. Z.B. seien Sopron und Ödenburg gleichberechtigte Namen einer Stadt. Auch in Rumänien habe das Deutsche einen hohen Stellenwert, und die deutschen Bezeichnungen seien in Rumänien problemlos nutzbar (z.B. Hermannstadt für Sibiu, Großwardein für Oradea etc.). Dies sei als Anspruch auf Kosmopolitismus durch linguistic landscaping (z.B. auf den Kanaldeckeln) zu werten, wobei diese mehrsprachigen Bezeichnungen nicht die reale sprachliche Zusammensetzung der Bevölkerung widerspiegelten.3 Die deutschen Namen seien in Slowenien hingegen eine „heikle Angelegenheit“. Die Distanzierung von der deutschen Dominanz in der Vergangenheit und der radikale Bruch mit der deutschen Geschichte seien dabei zu beachten. Hier haben die deutschen Bezeichnungen eine negative Markierung (z.B. Laibach statt Ljubljana). Dies habe allerdings einen tagesaktuellen politischen Beigeschmack, der sich permanent ändere. THOMAS NICKLAS (Reims) präsentierte sprachenpolitische Grundlagen der Dreisprachigkeit im Elsass (Französisch, Elsässisch und Deutsch), wobei von der Kontinuität der französischen Sprachenpolitik seit 1539 bis heute die Rede war. Die Triglossie hänge dabei mit der sozialen Schicht und mit der Funktion einer Sprache zusammen. So sei Französisch Amts- und Elitensprache gewesen, während Elsässisch als Sprache des gemeinen Volkes und Deutsch als Schriftsprache fungierte. Die Herrschaftswechsel in den Jahren 1870, 1918, 1940 und 1944/45 seien vom Sprachwechsel begleitet gewesen. Im Elsass werden im Vergleich zu osteuropäischen Staaten keine Minderheitenrechte eingeräumt, da das konstitutionell verankerte Gleichheitsprinzip dies nicht erlaube. Die aktuelle Stellung des Deutschen im Elsass wurde ebenfalls diskutiert. Deutsch sei zurzeit keine Regionalsprache, da es kaum noch gesprochen werde. Bis 1970 sei Deutsch als Schriftsprache gebraucht worden, und ab 1970 befinde sich Deutsch im Verschwinden. Damit einher gehe die Tatsache, dass Elsässisch 2016 verschriftlicht worden sei. Mit dem Verschwinden der traditionellen Agrargesellschaft verschwinde auch das Deutsche und das Elsässische. KOLOMAN BRENNER (Budapest) behandelte den Sprachverlust und die Assimilation der ungarndeutschen Minderheit, wobei die Neubelebungsattitüden vorhanden seien. Die sprachpolitischen Grundlagen des ungarischen Staates seien für den Ausbau der kulturellen Autonomie, der nationalen Selbstverwaltung und des bilingualen Schulunterrichts als fördernd anzusehen.4

Die Tagung brachte mehrere Perspektiven zur Erforschung der deutschen Minderheiten im östlichen Europa zusammen. Auch wenn sich die meisten Beiträge auf zeithistorische Fragestellungen konzentrierten, zeigte die Tagung die Ergiebigkeit und wissenschaftliche Relevanz epochenübergreifender und vergleichender Fragestellungen, die in künftigen Forschungen vertieft und aufgearbeitet werden.

Konferenzübersicht:

Plenarvortrag
Mitja Ferenc (Ljubljana): Das Schicksal der deutschen Sprachminderheit in Slowenien (mit besonderer Berücksichtigung der Gottscheer Deutschen)

Matej Šekli (Ljubljana): Deutsche Lehnwörter im Slowenischen: Versuch einer relativen Chronologie

Heinz-Dieter Pohl (Klagenfurt): Slowenisch-deutscher Sprachkontakt – gezeigt an der Sprachinsel Zarz im Vergleich mit Kärnten

Hermann Scheuringer (Regensburg): Deutsche Sprache und Sprachminderheiten im Statusvergleich – aufgezeigt anhand der „Namensymptomatik“

Thomas Nicklas (Reims): Deutschsprachigkeit im französischen Elsass: Rechtliche, politische und kulturelle Rahmenbedingungen

Felicja Księżyk (Oppeln): Implizite Sprachmischung im Kontaktidiom der deutschen Sprachminderheit in Oberschlesien

Robert Marchl (Budweis): Zur sprachlichen Situation der deutschen Minderheit in Tschechien: Historische Entwicklungslinien, Status quo und Ausblick

Marijan Bobinac (Zagreb): Ein großer, herzerhebender Moment. Zu den Wechselwirkungen zwischen dem Zagreber deutschen Theater und der neubegründeten kroatischen Nationalbühne

Gabriela Jelitto-Piechulik (Oppeln): Zeitgenössische deutschsprachige Lyrik aus und in Schlesien. Lebensspuren deutscher DichterInnen im heutigen Polen

Gregor Jenuš (Ljubljana): Die vergessene Minderheit. Zur Geschichte der deutschen Minderheit in Slowenien". Mit besonderem Blick auf Deutsche in Maribor

Sorin Gădeanu (Wien): Identitäts- und Alteritätskonstruktionen im minderheitlichen Kulturraum. Immersion, Submersion und Autarkie als Zugehörigkeitserfahrungen am Fallbeispiel des Banater Schrifttums

Jerneja Ferlež (Maribor): Ausstellung „Deutsche in Maribor“

Koloman Brenner (Budapest): Neue Tendenzen im Bildungssystem der deutschen Minderheit in Ungarn

Egor Lykov (Wien): Die wolgadeutsche Sprache, Kultur und Literatur im Spiegel der unveröffentlichten Archivquellen: Forschungsfelder, -probleme und -desiderate

Sigurd Paul Scheichl (Innsbruck): Das „Zentrum“ und die Literatur von den „Ränder“. Die Rezeption der Literatur der deutschen Minderheiten in Deutschland und Österreich

Anselm Heinrich (Glasgow): Die Germanisierung des Kontinents. Deutsches Theater in Osteuropa während des Zweiten Weltkriegs

Mihai Crudu (Suceava): Deutsche Spuren im Rumänischen, am Beispiel ausgewählter, in der Bukowina kursierender Regionalismen

Alja Lipavic Oštir (Maribor/Trnava): Positionieren von substandardsprachlichen Germanismen in verschiedenen Lebensabschnitten der Sprecher in Maribor

Ana Begovac (Regensburg): Die deutsche Sprachinsel Gottschee: Spielball der Politik

Mihael Petrovič (Kočevje): Selbstdarstellung der Gottscheer in Karl Rom's historischen Roman „Rebellion in der Gottschee“

Matjaž Birk (Maribor): Sagengut der Gottscheer: Aspekte des Raumes

Grzegorz Chromik (Krakau): Wilmesau/Wilamowice - die noch existierende deutsche Sprachinsel im schlesisch-kleinpolnischen Grenzraum und die Legende über ihren niederländischen Ursprung

Uršula Krevs Birk (Ljubljana): Gottscheerisch zwischen Verschwinden und Erhalt

Exkursion: Auf den Spuren der Gottscheer Deutschen und ihrer Sprache
Leitung: Mitja Ferenc (Ljubljana)

Anmerkungen:
1 Für weitere Informationen siehe Mitja Ferenc, Gottschee. The Lost Cultural Heritage of the Gottscheer Germans, Louisville 2001.
2 Siehe auch Victor Dönninghaus / Jannis Panagiotidis / Hans-Christian Petersen (Hrsg.), Jenseits der „Volksgruppe“. Neue Perspektiven auf die Russlanddeutschen zwischen Russland, Deutschland und Amerika, Oldenburg 2018.
3 Elana Shohamy / Durk Gorter, Linguistic Landscape. Expanding the Scenery, New York 2009.
4 Siehe dazu Koloman Brenner, Deutsche Minderheit(en) und Institutionen, Budapest 2018.