KOOP - LITERA Deutschland 2018

KOOP - LITERA Deutschland 2018

Organisatoren
Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek; KOOP-LITERA Netzwerk
Ort
Kiel
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.06.2018 - 06.06.2018
Url der Konferenzwebsite
Von
Tatjana Trautmann, Ferdinand-Tönnies-Gesellschaft e.V Kiel / Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek

Das KOOP-LITERA Netzwerk verbindet deutsche, luxemburgische, österreichische und schweizerische Institutionen, die Nachlässe und Autographen erwerben, erschließen, bewahren und der Öffentlichkeit zugänglich machen. Die 7. KOOP-LITERA Deutschland Tagung, ausgerichtet von der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek unter Federführung von Maike Manske, widmete sich dem Austausch regionaler Institutionen und Projekte sowie der Diskussion aktueller Herausforderungen für die beteiligten Institutionen.

MARCO PETERSEN (Flensburg), FRANK LUBOWITZ (Aabenraa), HARALD WOLBERSEN (Bredstedt) sowie URSULA SCHNEIDER und ANNETTE STEINSIEK (Innsbruck) beschäftigten sich mit den Herausforderungen für Minderheitenarchive im Grenzland. Petersen und Lubowitz gaben einen Überblick über die Geschichte der dänischen und deutschen Minderheit auf beiden Seiten der Grenze1 und erläuterten die daraus resultierenden Aufgaben für ihre Institutionen. Das Archiv der dänischen Zentralbibliothek sammelt seit seiner Gründung 1989 Archivalien privater Personen sowie von Vereinen, Institutionen und Betrieben, die eine Verbindung zur dänischen Volksgruppe in Südschleswig haben. Seine Arbeitsweise orientiert sich an skandinavischen Prinzipien. Das Archiv der deutschen Volksgruppe wiederum umfasst Materialien der deutschen Minderheit in Dänemark, ein zentraler Registraturbildner ist der Bund Deutscher Nordschleswiger. Lubowitz hob Probleme durch eine fehlende Abgabepflicht und bei der Durchsetzung der Kassation hervor.2 Wolbersen erläuterte dann nach einer kurzen Einführung in die Geschichte des Nordfriisk Instituuts dessen Aufbau und seine Hauptaufgabe, die Archivierung und Bereitstellung nordfriesischen Kulturgutes. Neben den Archivbeständen, die auch Nachlässe von einigen für die friesische Volksgruppe bedeutsamen Persönlichkeiten umfassten, gebe es eine wissenschaftliche Spezialbibliothek mit aktuell ca. 20.000 Bänden. Er ging auch auf die Sichtbarmachung der Bestände mithilfe des Portals http://findbuch.net ein. Schneider und Steinsiek hoben in ihrem Vortrag besonders hervor, wie sich im Bestand des Brenner-Archivs historische Entwicklungslinien widerspiegeln. Ältere AutorInnen, die vor der Abtrennung Südtirols von Österreich geboren wurden, hätten die Einheitsidee sehr stark in ihrem Werk propagiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg kämpften die „Südtirol-Aktivisten“ politisch wie auch gewaltsam für das Selbstbestimmungsrecht der Südtiroler Bevölkerung.3 Seit 1969 bzw. den 1970er-Jahren, parallel zum politischen Ausbau der Autonomie Südtirols, beschäftigten sich neue Tiroler LiteratInnen mit gesellschaftlichen Fragen und schrieben vermehrt zwei- oder mehrsprachig.

In der Sektion Biografie und Edition wurden drei Projekte vorgestellt. KERSTIN KLEIN (Lübeck) und TILMANN LAHME (Lüneburg) präsentierten ihr Buch „Die Briefe der Manns“. Hierbei handelt es sich, wie auch der Untertitel betont, um ein Familienporträt, nicht um eine historisch-kritische Edition. Bei Recherche und Auswahl der Briefe für die Edition sei sehr deutlich sichtbar geworden, dass Katia Mann das Zentrum der Familienkommunikation war. Für die Edition wurden 199 Briefe von insgesamt ca. 2.000 nachgewiesenen ausgewählt. Auswahlkriterien seien dabei unter anderem die Relevanz für die Familienbiografie gewesen. Auch fänden sich viele bisher unveröffentlichte oder nur in Auszügen abgedruckte Briefe in dieser Edition. HARGEN THOMSEN (Lohe-Rickelshof) thematisierte Herausforderungen für die geplante Gesamtausgabe des Werkes von Klaus Groth anlässlich seines 200. Geburtstages im Jahr 2019. Eine ältere Werkausgabe sei unvollständig, wie Thomsen berichtete. Besondere Schwierigkeit für eine historisch-textkritische Edition rufe vor allem Groths Hauptwerk, die Gedichtsammlung „Quickborn“, hervor. Sie sei zu Groths Lebzeiten mehrfach verändert und ergänzt worden, auch unter dem Einfluss des Germanisten Karl Müllenhoff. SEBASTIAN KLAUKE, TATJANA TRAUTMANN und MAIKE MANSKE (Kiel) stellten ein neues Kooperationsprojekt der Ferdinand-Tönnies-Gesellschaft e.V. Kiel und der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek vor, das sich mit der Erschließung und Edition der Notizbücher und -kalender des Soziologen Ferdinand Tönnies befasst. Hierbei ging es um Aspekte wie Erschließungstiefe, Nutzbarmachung der Notizbücher für die Forschung und die Tönnies Gesamtausgabe sowie die Frage, wie eine Edition gestaltet werden sollte, damit sie den besonderen Charakter des Dokumenttyps Notizbücher abbildet.

In der Sektion „Institutionen der Region stellen sich vor“ informierten FRANK BAUDACH (Eutin), ANGELA BUSKE (Lübeck), JÜRGEN NEUBACHER (Hamburg) über die umfangreichen Nachlassbestände und Autographensammlungen ihrer jeweiligen Institute und den Grad der Erschließung. Die Erschließung sei häufig, verstärkt bei personell nicht reichhaltig ausgestatteten Institutionen, eine große zeitliche Herausforderung, die erst einmal bewältigt werden müsse. Angela Buske betonte in diesem Zusammenhang explizit den großen Wert von Kooperationsprojekten zwischen Bibliotheken untereinander und Bibliotheken und Forschungsinstitutionen. BRITTA DITTMANN (Lübeck) stellte das Heinrich-Mann-Konvolut in ihrem Haus vor, welches nur einen Teilnachlass Heinrich Manns umfasst, darunter Werkmanuskripte und Briefe. Das Haus werde daraus für seine Forschungs- und Ausstellungstätigkeit schöpfen.

HARTMUT PETZAK (Seebüll) und PAUL ONASCH (Rostock) befassten sich mit Künstlernachlässen und deren Besonderheiten. Petzak präsentierte den Nachlass „Ada und Emil Nolde“. Er ging auf Fragen einer Erweiterung des Nachlasses durch Zukäufe sowie die digitale Verzeichnung und Sichtbarmachung des Nachlasses ein. Hierbei warf er die Frage auf, ob es nicht problematisch sei, dass zunehmend nicht mehr mit Originalen, sondern nur noch mit Repräsentationen gearbeitet werde. Onasch stellte das Projekt „Barlach 2020“ vor, einer neuen Ausgabe der Briefe Ernst Barlachs anlässlich seines 150. Geburtstages. Obwohl es schon mehrere Editionen gibt, seien noch über 400 Briefe unveröffentlicht. Da einige Originale unauffindbar seien, werde für die Edition auch die „Materialsammlung Friedrich Droß“ erschlossen, Nachlassverwalter Ernst Barlachs und Herausgeber der ersten Briefedition. Hierbei sei problematisch, dass Droß die Briefe bearbeitet habe. Die Edition bemühe sich um eine Rekonstruktion nach dem Lachmann-Prinzip.4 Für die Transkription wird das Programm Transkribus genutzt, welches Handschriften erkennt. Laut Onasch funktioniere, nachdem ein Wörterbuch eingepflegt wurde, die Erkennung semantischer Zeichenketten hinlänglich, die Fehlerquote läge bei knapp über 12 Prozent. Schwierigkeiten bereiten vor allem die Grundlinienerkennung, Buchstabenauslassungen sowie Texte mit verschiedenen Ausrichtungen.

Im Hinblick auf die digitale Vernetzung präsentierte GERNOT A. FINK (Dortmund) eine alternative informationstechnologische Herangehensweise zur Erschließung historischer Dokumente, das im Fachbereich Informatik entwickelte „Word Spotting“. Dies bedeute die Suche nach Begriffen in handschriftlichen Dokumenten. Ein mögliches Einsatzfeld wäre hierbei die Erschließung von Dokumenten, bei denen keine vollständige Transkription benötigt wird. In diesem Bereich gebe es zwei Varianten: Zum einen die Form der Bildsuche, bei der ein Wort als visuelles Beispiel markiert werden muss, nach dem dann gesucht wird, zum anderen die Suche nach Wörtern als Zeichenketten. Dabei werden Forschungsergebnisse aus dem Bereich der künstlichen neuronalen Netzwerke angewandt.5 Das Programm müsse hierbei allerdings zunächst mithilfe von annotierten Beispielen (Transkriptionen) die Handschrift lernen. ALEXANDER WIERZOCK und UWE DÖRK (Essen) stellten ihr Projekt einer Online-Plattform zur Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) vor. Bei dem gemeinsamen Projekt des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen und des Sozialwissenschaftlichen Archivs der Universität Konstanz sei zunächst die DGS, vor allem über Personen (über 1.700) und Strukturen, von 1909 bis 1990 in einer Access-Datenbank erfasst worden. Ziel war es, die Entwicklung der Disziplin Soziologie anhand der DGS nachzuvollziehen. Zur Nachnutzung der Projektergebnisse wurde die Idee einer enzyklopädischen Online-Plattform entwickelt, welche auf die Access-Datenbank zugreift. Dort sollen auch neue AutorInnen nach Anmeldung Einträge ergänzen oder neue erstellen können und die Plattform soll um weitere Aspekte wie z. B. Theorien und Interviews erweitert werden. Auch wissenschaftliche Forschungsprojekte könnten diese Plattform für ihre Arbeit nutzen, so ist zum Beispiel eine digitale Edition der Briefe Ferdinand Tönnies‘ mit anderen DGS-Mitgliedern geplant. Noch gelöst werden müsse das Problem der Anbindung der Online-Plattform an die Gemeinsame Normdatei (GND) und überregionale Verbund-Datenbanken, wie z. B. Kalliope.

Zum Abschluss erfolgte bei einem Workshop von VOLKER KAUKOREIT (Wien) und RALF BRESLAU (Berlin) ein Einblick in das neue Regelwerk „Ressourcenerschließung mit Normdaten in Archiven und Bibliotheken“ (RNAB), welches die bisher geltenden Regeln zur Erschließung von Nachlässen und Autographen (RNA) zeitnah ablösen soll. Die RNAB ist angelehnt an das neue bibliothekarische Regelwerk zur Katalogisierung von Veröffentlichungen: Resource Description and Access (RDA). Entscheidende Neuerungen seien die verpflichtende Verknüpfung mit Normdaten (GND) sowie neue begriffliche Standards. So seien die Ausgangspunkte Entitäten (Informationsobjekte) und ihre Beziehungen zueinander, es muss also z. B. bei zu einem Brief gehörenden Personen gekennzeichnet werden, ob sie z. B. als VerfasserIn oder AdressatIn auftreten oder nur im Text erwähnt sind. Eine beispielhafte Übung anhand eines Faxes brachte interessante Erkenntnisse.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die ganz unterschiedlichen Institutionen – die häufig von historischen Entwicklungen geprägt sind, die manchmal auch gewisse Erwartungen mit sich bringen – doch vor ähnlichen Herausforderungen stehen. Diese umfassen Fragen der Erschließung – hierbei spielen gemeinsame Normen eine wichtige Rolle –, der Sichtbarmachung – nicht nur auf technischem Weg über Programme, Kataloge, Verbund-Datenbanken oder Online-Plattformen, sondern auch in Form von (digitalen oder papiernen) Editionen, wobei hier Fragen nach Auswahlkriterien und Gestaltung der Editionen auftauchen, – sowie der Nutzung und Auswertung der Nachlässe für die wissenschaftliche Forschung.

Konferenzübersicht:

Jens Ahlers / Maike Manske (Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek Kiel): Begrüßung

Ralf Breslau (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz): Eröffnung

Minderheitenarchive im Grenzland: Herausforderungen und Chancen

Marco Petersen (Dansk Centralbibliotek for Sydslesvig e.V, Flensburg): Nachlässe der dänischen Minderheit in Südschleswig

Frank Lubowitz (Archiv und Historische Forschungsstelle der deutschen Volksgruppe, Aabenraa): Archiv der deutschen Minderheit in Nordschleswig

Harald Wolbersen (Nordfriisk Instituut, Bräist/Bredstedt): Archiv und Bibliothek der nordfriesischen Volksgruppe in Schleswig-Holstein

Ursula Schneider und Annette Steinsiek (Forschungsinstitut Brenner-Archiv, Innsbruck): Das Brenner-Archiv als „Grenzarchiv“

Biografie und Edition

Kerstin Klein (Zentrum für Kulturwissenschaftliche Forschung Lübeck) und Tilmann Lahme (Leuphana Universität Lüneburg): „Die Briefe der Manns – ein Familienporträt“

Hargen Thomsen (Klaus-Groth-Gesellschaft e.V.): Der Klaus Groth-Nachlass in Kiel in Hinblick auf eine zukünftige Gesamtausgabe

Sebastian Klauke, Tatjana Trautmann (Ferdinand-Tönnies-Gesellschaft e.V. Kiel) und Maike Manske (Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek Kiel): „Steinbrüche des Geistes“ – Erschließung und Edition der Notizbücher von Ferdinand Tönnies

Institutionen der Region stellen sich vor

Frank Baudach (Eutiner Landesbibliothek): Autographen und Nachlässe in der Eutiner Landesbibliothek

Angela Buske (Stadtbibliothek Lübeck): Der Altbestand der Stadtbibliothek Lübeck

Jürgen Neubacher (Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky): Die Theatersammlung der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg

Britta Dittmann (Buddenbrookhaus - Heinrich-und-Thomas-Mann-Zentrum): Das Heinrich-Mann-Konvolut im Buddenbrookhaus/Heinrich-und Thomas-Mann-Zentrum, Lübeck

Künstlernachlässe – Besonderheiten, Erschließung, Sichtbarmachung

Hartmut Petzak (Nolde-Stiftung Seebüll): Original und Repräsentationen in der aktuellen Nachlasserschließung von Forschungseinrichtungen: Archiv der Nolde-Stiftung

Paul Onasch (Universität Rostock, Institut für Germanistik): „Barlach 2020“ – kritische Studienausgabe der Briefe von Ernst Barlach

Kulturelles Erbe – digitale Vernetzung

Gernot A. Fink (Technische Universität Dortmund, Fakultät für Informatik): „Word Spotting“ – Schlüsselwortsuche in historischen Dokumenten

Alexander Wierzock und Uwe Dörk (Kulturwissenschaftliches Institut Essen): Soziologie-historische Online-Plattform zur Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS)

Ralf Breslau (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz) und Volker Kaukoreit (Österreichische Nationalbibliothek, Literaturarchiv): Workshop: Das neue Regelwerk „Ressourcenerschließung mit Normdaten in Archiven und Bibliotheken“ (RNAB)

Ralf Breslau (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz): KOOP-LITERA – Berichte

Anmerkungen:
1 Mehr zur Geschichte der deutsch-dänischen Grenzregion siehe Martin Krieger / Frank Lubowitz / Steen Bo Frandsen (Hrsg.), 1200 Jahre deutsch-dänische Grenze. Aspekte einer Nachbarschaft, Neumünster 2013.
2 Universitätsarchiv Leipzig, Was ist eigentlich „Kassation“?, in: https://www.archiv.uni-leipzig.de/archivierung/was-ist-eigentlich-kassation/ (13.06.2018).
3 Mehr zur Geschichte Südtirols siehe Michael Gehler, Tirol im 20. Jahrhundert. Vom Kronland zur Europaregion, Innsbruck 2008.
4 Mehr dazu siehe Harald Weigel, »Nur was du nie gesehn wird ewig dauern«. Carl Lachmann und die Entstehung der wissenschaftlichen Edition, Freiburg 1989.
5 Details zu diesem Konzept bei Gernot A. Fink / Sebastian Sudholt, Attribute CNNs for Word Spotting in Handwritten Documents, in: International Journal on Document Analysis and Recognition (2018), im Druck, http://patrec.cs.tu-dortmund.de/pubs/papers/Sudholt2018-ACF (12.06.2018).