HT 2018: Division se mist entre eulx. Politische Spaltungen im spätmittelalterlichen Europa

HT 2018: Division se mist entre eulx. Politische Spaltungen im spätmittelalterlichen Europa

Organisatoren
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD)
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.09.2018 - 28.09.2018
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Von
Julia Bühner, Historisches Seminar, Universität Münster

Kontroverse Diskurse, Friktionen und gesellschaftliche Spaltungen im herrschaftspolitisch gleichermaßen von Einheit und Diversität geprägten Spätmittelalter standen im Fokus der von Martin Kintzinger geleiteten Sektion. Von verschiedenen Schauplätzen West- und Ostmitteleuropas aus wurden nicht nur die Konfliktlinien zwischen gehorsamen Untertanen und Verrätern, Katholiken und Ketzern, Adel und König oder Papsttreuen und Papstgegnern in den unterschiedlichsten historischen Kontexten nachgezeichnet, sondern auch die Nützlichkeit und die Bedeutung des Begriffs der politischen „Spaltung“ und ihre Ursachen und Folgen vergleichend diskutiert.

Bezugnehmend auf die Streittheorie Dahrendorfs und Simmels betonte MARTIN KINTZINGER (Münster) einleitend, dass Konflikte und Krisen nicht immer nur als Abstiegstendenzen und Anzeichen eines „gescheiterten Staats“ interpretiert werden dürften. Denn gesellschaftlicher Dissens könne neben zerstörerischen auch konstitutive Kräfte entfalten. Als Leitfragen für die Vorträge und Diskussionen regte er an, Faktoren, die das Konfliktpotenzial begünstigten, in den Blick zu nehmen. Darüber hinaus stelle sich die grundsätzliche Frage, ob Kontroversen immer ein Anzeichen von Spaltungen sind oder es sich nicht schlicht um einen integralen Bestandteil politischer Kultur handeln kann. Neben den Ursachen sollte schließlich auch nach den Auswirkungen von Spaltungen zeitgenössischer Gesellschaften gefragt werden. Waren diese nur temporär oder führten die Auseinandersetzungen zu einer dauerhaften Veränderung?

Eine latente Ursache des Hundertjährigen Krieges (1337–1453) zwischen England und Frankreich habe unmittelbar in der französischen Gesellschaft selbst gelegen, konstatierte JEAN-MARIE MOEGLIN (Paris) zu Beginn seines Vortrags. Erst die Überwindung der Spaltung der politischen Gesellschaft in königstreue Untertanen und Verräter hätte die Zurückdrängung der englischen Eroberer aus Frankreich ermöglicht. Diese Zwietracht sei insbesondere im zeitgenössischen Diskurs gesät worden, indem man Oppositionelle als Verräter und damit politischen Dissens als Rebellion inszenierte; ein Narrativ, welches sich in zuvor noch ungekanntem Ausmaß verfestigte. Anhand von vier Beispielen zeigte Moeglin, auf welche Weise sich die Spaltung der französischen Gesellschaft in der Historiographie widerspiegelt. Gehorsam avancierte in dieser Zeit zur politischen Tugend, was auch in den folgenden Begrifflichkeiten Ausdruck fand, die besonders zu Beginn und in der zweiten Hälfte des Hundertjährigen Krieges Konjunktur hatten: Während man gute Untertanen in Chroniken und Briefen als „bon et loyal Français“ bezeichnete, habe man politische Gegner als „rebellis“ gebrandmarkt. Aufgrund ihres Bündnisses mit dem englischen König Edward III. wurden etwa der König von Navarra und Robert von Artois in einigen Chroniken, wie den Grandes Chroniques de Frances, als ebensolche „Erzverräter“ und „Brandstifter“ dargestellt. Während Letzterer zwar für die einen als Anstifter des englischen Königs und sogar Hauptverantwortlicher des Hundertjährigen Krieges galt, erklärten ihn andere Chronisten mit Blick auf die Zeit vor seiner Verbannung und Flucht nach England zum „Förderer des französischen Königs“ und „Opfer grober Justiz“. Somit war zwar das Kriterium der gesellschaftlichen Spaltung, nämlich Gehorsam bzw. Ungehorsam, klar bestimmt. Wer auf welche Seite gehörte, war jedoch weniger eindeutig und vielfach historiographisches Konstrukt. Auch den zivilen Krieg der Armagnacs und der Bourguignons machte Moeglin zum Thema, die er nicht nur als um Macht und Einfluss konkurrierende Netzwerke, sondern als Parteien mit einer gegensätzlichen Auffassung von politischer Ordnung beschrieb. Die aufrührerischen Herzöge von Orleáns und Burgund, Anführer der Bewegungen, deren Streit das Reich unregierbar machten, galten beide als „Rebellen“. Erst die Rückbesinnung auf die Gehorsamspflicht gegenüber der „nacion de France“ unter Karl VII., der „Triumph des Gehorsams gegenüber der Zwietracht“, so beispielsweise in der Chronik von Jean Chartier berichtet, habe das „düstere Zeitalter“ der englischen Invasion beendet.

Jahrzehntelange Kirchenspaltung und der politische Bedeutungsverlust Böhmens durch die Absetzung König Wenzels hatten zu einer existenziellen Krise geführt. Während die Bevölkerungsmehrheit böhmischer Abstammung war, war die Oberschicht vor allem deutscher Herkunft. 1415 warnte deshalb der Prediger Jan Hus, bereits im Konstanzer Gefängnis eingekerkert, seine Mitstreiter in der Reformbewegung vor der Verbreitung unbesonnener Gedanken, um die Gesellschaft Böhmens nicht weiter zu spalten. Auf diese Weise schloss KLARA HÜBNER (Brno) ihren Vortrag und verwies zugleich auf ein Desiderat in der Forschung zur Hussitenrevolution. Während die meisten Arbeiten vor allem die konfessionellen Aspekte der ersten Reformation Europas beleuchteten, seien Medien und Kommunikation sowie die herrschaftspolitische Ebene weitgehend vernachlässigt worden. Mit ihrem Fokus auf so genannte „Hochwertworte“ versuchte Hübner die sich in Begriffen niederschlagenden sozialen Grenzziehungen innerhalb der böhmischen Gesellschaft nachzuzeichnen. „Hochwertworte“, ein Terminus aus der politischen Linguistik, sind wertvermittelnde und emotional gefärbte Wörter, die in politischen Diskursen Anwendung finden. Während der Hussitenrevolution seien Begriffe wie Kirche, Ketzer, Heimat und Nation auf solche Weise gebraucht und damit politisch manipuliert worden. Hieronymus von Prag klagte beispielsweise in einer Rede im Jahr 1409 darüber, dass die natio bohemica − „Nation“ hier das zentrale Hochwertwort − „der Schwanz und nicht das Haupt in seinem Land“ sei. Die Zugehörigkeit zur Nation setze den rechten Glauben voraus, womit „kein reiner Tscheche“ (purus bohemicus) ein „Ketzer“ sein konnte. Auf der anderen Seite standen in diesem Bild der Polemik der Hussitenrevolution die Gegner der Reformation, katholisch-orthodoxe Deutsche. Dennoch sei der konfessionelle Aspekt und nicht so sehr Sprache oder Nationalität für die Spaltung der böhmischen Gesellschaft zunächst entscheidend gewesen. Erst unter Georg von Podiebrad trat dieser hinter das Merkmal der ethnischen und sprachlichen Zugehörigkeit zurück, was die Referentin am Bedeutungswandel des tschechischen Wortes „Fremder“ exemplarisch zeigte. Zu Beginn im Sinne von „Gast“, „Zuwanderer“ und „Fremdländer“ gebraucht, dominierte schließlich die Bedeutung „anderswo geboren, später hinzugekommen“. Die Verwendung von Begriffen wie „Ethnie“ und „Abstammung“ im Zusammenhang mit der Unterscheidung zwischen Ausländern und Einheimischen wurde in der anschließenden Diskussion kritisch hinterfragt. Ging es hierbei um die Reinheit der Nation beziehungsweise des Blutes und damit um Abstammung im biologischen Sinne? Die Referentin des Folgevortrags, Julia Burkhardt, antwortete trefflich darauf, dass Abstammung hier im Sinne der mittelalterlichen Ständegesellschaft verstanden werden müsse.

Mit dem Attentat des Felicián Zách im Jahre 1330, der Ermordung der ungarischen Königsfamilie, führte JULIA BURKHARD (Heidelberg) in ihren Vortrag ein. Sie befasste sich vor allem mit den häufigen Herrschaftswechseln in Ostmitteleuropa und der Frage, ob diese als „Spaltungsphänomene“ zu verstehen seien. Parteiungen um die Thronprätendenten, Zugeständnisse an den Adel und schließlich eine fehlende Herrschaftsanerkennung führten hier zu Friktionen, Spaltungen und Zwietracht. Durch Kriege gegen Widersacher, diplomatische Schachzüge und gezielte Heiratspolitik versuchten die fremden Könige ihre Herrschaft zu stabilisieren. Aber auch symbolisch, so in der anschließenden Diskussion vertieft, strebten die Könige danach, ihre Traditionslinien mit denen ihrer neuen Reiche zu verbinden. So gaben die Anjou ihren Kindern etwa traditionelle ungarische Namen. Vor allem ihre Fremdheit und die damit verbundene konzeptionelle Trennung von Reich und Krone, wie von der Vortragenden an zahlreichen Beispielen vorgeführt, war der Grund für die mangelnde Akzeptanz der Könige in Ostmitteleuropa. Nicht Neid auf den König, sondern der Dynastiewechsel von Árpáden zu Anjou (1301–1308) und die damit einhergehende Regentschaft eines „fremden Königs“ habe auch Felicián Zách zu seinem Attentat bewogen. „Ausländerbegünstigung“ bei der Vergabe von Ämtern lautete darüber hinaus ein gängiger Vorwurf von Seiten des Adels, der im Jahr 1401 zur Inhaftierung König Sigismunds nach seiner ungarischen Herrschaftsübernahme führte. Nach Zugeständnissen an die ungarischen Barone, der vorübergehenden Entlassung fremder Amtsträger und einer Akzeptanz der Reformforderungen, wurde er jedoch wieder freigelassen. Zum Abschluss ihres Vortrags plädierte Burkhardt dafür, eher von „Friktionen“ als von „Spaltungen“ zu sprechen. Während Friktionen auch nur vorübergehend entstehen könnten, verlieh der Begriff Spaltung den analysierten Prozessen einen zu finalen Charakter. In den meisten Fällen führten die Herrschaftswechsel zwar zu gesellschaftlichen Spannungen und nachhaltigen Veränderungen, etwa die Königserhebung betreffend, jedoch zu keinem endgültigen gesellschaftlichen Bruch.

BÉNÉDICTE SÈRE (Paris) stellte in ihrem Vortag hingegen Friktionen und Spaltungen in einen engen Zusammenhang. Nicht nur das Kardinalskolleg und die europäischen Mächte seien in ihrer Unterstützung von Papst und Gegenpapst gespalten gewesen, sondern auch innerhalb der Herrschaftsgebiete habe das große Abendländische Schisma zu Friktionen geführt. Um diese Ebenen zu unterscheiden, sprach die Vortragende − einem neuen Forschungsansatz der Ekklesiologie folgend − von einer komplexen Verflechtung von „inter-obödienzialen“ und „intra-obödienzialen“ Strukturen. Als die französische Botschaft sich beispielsweise an den Papst in Avignon, Benedikt XIII., wandte und ihn zum Amtsrücktritt aufforderte, kam es in Frankreich zu einer Radikalisierung politischer Tendenzen. Auf der einen Seite standen papsttreue, gemäßigte und konservative Parteien, Anhänger Benedikts XIII., auf der anderen Seite von persönlichem Hass Motivierte, deren Hauptanliegen nicht die Beilegung des Schismas, sondern einzig und allein die Abdankung des Papstes gewesen sei. Schauplätze dieser internen Auseinandersetzungen waren etwa die Universitäten Paris und Toulouse. Auch beim Konstanzer Konzil 1414–1418 verfolgten die einzelnen nationes keine einheitliche politische Linie. So schlugen sich etwa Angehörige der französischen Nation auf die Seite Sigismunds und damit auf die des Heiligen Römischen Reiches. Das Konzil von Konstanz war somit gewissermaßen ein Mikrokosmos, der die europäische Politik von Spaltungen und Spannungen widerspiegelte, so Sére.

Kontroversen, Friktionen und Spannungen – unter welchem Begriff man die in der Sektion analysierten Ereignisse auch fassen will bzw. die Zeitgenossen sie interpretierten, so waren sie doch zumeist die Folge von Erosionen im politischen Machtgefüge. Ob bei Dynastiewechseln und Unklarheiten in der Herrschaftsfolge, Kirchenspaltungen oder externen Kriegen, wurde es für die Mitglieder spätmittelalterlicher Gesellschaft notwendig, Position zu beziehen. Verhandlungen und der Wille zur Einheit führten in den dargestellten Beispielen jedoch meist dazu, dass sich die Parteien aufeinander zubewegten. Mit dem Schritt der tatsächlichen Eskalation, mit Ausbruch interner militärischer Konflikte, beschäftigte sich die Sektion von NILS BOCK (Münster) und JESSIKA NOWAK (Basel).

Sektionsübersicht:

Sektionsleitung: Martin Kintzinger (Münster)

Martin Kintzinger (Münster): Methodische Einleitung

Jean-Marie Moeglin (Paris): Das gespaltene Königreich: Frankreich im Hundertjährigen Krieg

Klara Hübner (Brno): Fragile Herrschaft: Die Hussitenunruhen und die Spaltung des Königreichs Böhmens

Julia Burkhardt (Heidelberg): Fremde Herrschaft und eigene Elite: Spaltungsrisiken in den Reichen Ostmitteleuropas

Bénédicte Sère (Paris): Political division in time of the Great Western Schism


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