Studying East and Southeast Euope as Area Studies: Paradigms – Themes – Methods for the 21st Century

Studying East and Southeast Euope as Area Studies: Paradigms – Themes – Methods for the 21st Century

Organisatoren
Graduiertenschule für Ost- und Südosteuropastudien, München
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.10.2018 - 27.10.2018
Url der Konferenzwebsite
Von
Johannes Gleixner, Collegium Carolinum – Forschungsinstitut für die Geschichte Tschechiens und der Slowakei

Die fünfte Jahrestagung der Graduiertenschule für Ost- und Südosteuropastudien wollte gleichermaßen eine Zwischenbilanz der geleisteten Forschung sowie ein kritischer Ausblick auf die Reichweite von area studies im Raum Ost- und Südosteuropa sein. Folgerichtig griff sie konzeptionell auf die erste Jahrestagung aus dem Jahr 2014 zurück.

Bereits in der Eröffnung durch MARTIN SCHULZE WESSEL (München) klangen daher einige Leitfragen an, wie etwa die nach dem interdisziplinären Charakter der area studies und der kontinentalübergreifenden Relevanz von Osteuropa als Region.

Der Abendvortrag von DIANE P. KOENKER (London), der sich der Öffnung und Kosmopolitisierung der sowjetischen Küche angesichts der höheren Durchlässigkeit internationaler Grenzen in den 1960er-Jahren widmete, griff dann sogleich einen weiteren Topos der osteuropäischen area studies auf: Auf ihren Reisen wurden die Sowjetbürger – oder zumindest der kleine Teil, der außer Landes durfte – einerseits neuen kulturellen Referenzen ausgesetzt; andererseits konnten sie sich dadurch aber auch selbst als Weltbürger neu erfinden. Die Wahrnehmung anderer Gerichte konnte somit eine neue Begründung der eigenen Identität liefern.

Inwiefern diese Funktion der Region als Rezipient und Auslöser von Globalisierungsschüben zugleich als spezifisch für Osteuropa zu gelten habe, blieb eine Leitfrage der Tagung. Zunächst beschäftigte sich YUGUANG ZHOU (München) mit der Interdependenz zwischen der Volksrepublik China und dem sozialistischen Jugoslawien, deren Beziehungen sich in den späten 1970er-Jahren geradezu sprunghaft verbesserten. Er wies dabei auf die Tatsache hin, dass Regionen und geopolitische Konzepte wie Osteuropa oder auch Eurasien ihre Entwicklung nicht aus der bipolaren Struktur des Ost-West-Konflikts ableiteten, ohne diesen zu vernachlässigen. Auch die beiden weiteren Vorträge von MARINA KLYSHKO (München) und HELENA HOLZBERGER (München) richteten den Blick von Osteuropa aus nach Osten. Die „eurasische“ beziehungsweise asiatische Perspektive hob dabei auch die Widersprüchlichkeiten der sowjetischen Moderne, die in Abgrenzung zum Westen gleichsam ihre eigenen Orientalismen schuf oder auf vorsowjetische Traditionslinien zurückgriff, hervor.

Der nächste Tag begann mit einem dezidiert transkontinentalen Panel, in dem zunächst JASPER TRAUTSCH (Regensburg) den „Westen“ als Konzept diskutierte. Anhand von vier Kategorien (politisch, ökonomisch, "rassisch", kulturell) rekonstruierte er Zuschreibungen und Distinktionsmerkmale, aber auch die Mitwirkung „nichtwestlicher“ Akteure an diesem Prozess. Thematisch verwandt gestaltete sich der Vortrag von KAI WILLMS (München), der das Wirken polnischer Emigranten in der amerikanischen Sowjetwissenschaft untersuchte: Obwohl die präsentierten Denker im Detail unterschiedliche Ansätze vertraten, ließen sich hier auch Gemeinsamkeiten wie die Vorstellung eines überdauernden westlich-russischen Antagonismus finden. Beide Vorträge griffen damit die Frage nach dem wechselseitigen Blick und nach der Abgrenzung geohistorischer Regionen ebenso auf wie die epochenübergreifende Konstruktion (jedoch nicht unbedingt Wirkung) solcher Muster. MAX TRECKER (Berlin) wiederum lieferte einen Blick auf die sozialistische Staatenwelt als weltwirtschaftlicher Akteur. Nachdem sich der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW/CMEA) angesichts der kapitalistischen Konkurrenz neue Absatzmärkte im globalen Süden erschlossen hatte, geriet er dennoch in nahezu unmittelbare Abhängigkeit zur westlichen Geldpolitik, da die Schrumpfung der Kredite aus dem kapitalistischen Ausland zugleich die Zahlungsfähigkeit der „Dritten Welt“ gegenüber der „Zweiten“ negativ beeinflusste.

Im anschließenden Abschnitt widmeten sich die Vortragenden der bildlichen und künstlerischen Darstellung transnationaler Vorstellungen. Wiederum kam die Rede dabei auf die spezifischen Orientalismen, die der Blick aus Osteuropa auf die Welt seinerseits erzeugte. Dass ein solcher Blick auch dem bewussten Spiel mit „westlichen“ Annahmen entstammen konnte, zeigte ANNA BAUMGARTNER (München) anhand des Œuvre des polnischer Malers Józef Brandt. Stärker gegenwartsbezogen waren die Beiträge von NINA WELLER (Berlin) und PATRICIA PFEIFER (Zürich). Während Weller auf die Re-Nationalisierung einer vormals transnationalen Perspektive auf historische Ereignisse in der Darstellung des Zweiten Weltkriegs in heutigen ukrainischen Romanen hinwies, präsentierte Pfeifer Ortlosigkeit als Motiv künstlerischer Erinnerung an ein verschwundenes Osteuropa (hier das ehemalige Jugoslawien). Auf die Ambivalenz der Kunst im Sozialismus machten im Anschluss sowohl HENRIETTE REISNER (München) als auch KATALIN CSEH-VARGA (Wien) aufmerksam: Der sozialistische Realismus wirke auf mehreren Ebenen und eröffne so kritische Potentiale, die jedoch immer unterhalb der offiziellen Oberfläche laufen mussten.

Deutlich empirischer ging es im dazwischen liegenden sprachwissenschaftlichen Panel zu. PETAR KEHAYOV, BAJRO MURIĆ und DÓRA VUK (alle Regensburg) widmeten sich den Praktiken gesprochener Sprache in einer sich stark wandelnden Welt mit sich überlagernden Einflüssen. Während Kehayov auf Probleme bei der Anwendung von Konzepten linguistischer Vielfalt aufmerksam machte, da diese oft unzureichend zwischen dialektalem und nationalem Rahmen unterschieden, erörterte Murić Mehrsprachigkeit als soziale Ressource im Rahmen familienbezogenem Sprachmanagements. Vuk hingegen bezog auch durch soziale und psychologische Faktoren entstehende methodologische Schwierigkeiten bei der Analyse von Sprachfähigkeiten bei kroatischen Minderheiten in ihren Vortrag ein.

Gerade im Kontrast zu den vorangehenden Diskussionen machten diese Panel deutlich, worin die Berührungspunkte interdisziplinärer Forschung bestehen: (Kunst-)Historiker ebenso wie Linguisten arbeiten mit der Schwierigkeit, Referenzpunkte nur selbst wieder in Relation zu anderen zu setzen, mithin also Begrifflichkeiten erst im Prozess, weniger in der Struktur der Untersuchungsgegenstände entstehen lassen beziehungsweise operationalisieren zu können. Dennoch sind gerade in den area studies diese Referenzen eben nicht willkürlich gesetzt, sondern beruhen auf einem übergreifenden Rahmen.

Dass nationale Prägungen auch in der Wissenschaft erst im internationalen Austausch tatsächlich greifbar werden, zeigten JAN AREND (Tübingen), MELANIE ARNDT (Regensburg) und RUSLAN MITROFANOV (München). Bereits die Übersetzungen wissenschaftlicher Diskussionen in andere Sprachen transformierten deren Inhalt, auch wenn – wie etwa im Fall der russischen Bodenkunde – ein nationalwissenschaftlicher Schwerpunkt bestehen blieb.

Im freitäglichen Abendvortrag von FRANK HADLER (Leipzig) über Osteuropa als globale Region liefen viele Diskussionsfäden zusammen: Was als Problem von Orientialisierungen eigener Art bereits diskutiert wurde, kehrte in Hadlers Vortrag als die Frage von Ideologien des Ostens zurück. Obwohl Osteuropa weder als homogener Staatenblock noch überhaupt statisch definiert werden könne, lasse sich eine spezifische osteuropäische Wahrnehmung und Interaktion mit der globalen Bühne feststellen. In dieser Hinsicht waren Marksteine der osteuropäischen Geschichte wie das Jahr 1918 eben nicht nur globale Ereignisse, sondern auch Ausgangspunkte eines „globalen“ Osteuropas, das mitnichten durch Dichtomien wie Kolonialisierung/Entkolonialisierung, Imperium/Nationalstaat oder gar Ost/West in seiner Komplexität erfasst werden kann. Die globale Dimension transzendiert damit auch die ewige Frage, wie „europäisch“ Osteuropa eigentlich sein könne.

Der dritte Tag der Konferenz stellte den anthropologischen Blick ins Zentrum und damit das Handeln lokaler Akteure. Sowohl EVA-MARIA WALTHER, als auch ANDREY VOZYANOV und DRIVALDA DELIA (alle Regensburg) verwiesen in ihren jeweiligen Vorträgen auf die Spielräume lokalpolitischer und staatsbürgerlicher Partizipation. Auch diese anthropologischen Studien betonten die Prozesshaftigkeit sozialen Verhaltens, ohne weiter gefasste regionale – und damit auch ausdrücklich europäische – Strukturbedingungen zu vernachlässigen.

Das abschließende Panel konzentrierte sich wiederum stärker auf methodische Implikationen des area studies-Ansatzes. ADELE DEL SORDI (München) und ebenso FABIAN BURKHARDT (Moskau) fragten nach dessen Nutzen bei der Anwendung politikwissenschaftlicher Modelle, die in der Regel regionale Besonderheiten zugunsten der Modellbildung zurückstellen. Beide Vorträge waren sich darin einig, dass ein starker regionaler Fokus das komparative Potential von Länderstudien durchaus erhöhe. Auf der Grundlage breiten Datenmaterials ging schließlich KARINA SHYROKYKH (Stockholm) der Aktivität des staatsnahen russischen Auslandsfernsehens nach.

Abschließend griffen CAROLINE VON GALL (Köln), ULF BRUNNBAUER (Regensburg), RICCARDO NICOLOSI, ALEXANDER LIBMAN (beide München) und ADA RAEV (Bamberg) noch einmal die Leitfrage der Tagung auf, was denn area studies mit Blick auf die Osteuropaforschung eigentlich leisteten. Die Diskussion bildete im Grunde die produktive Spannung, die der interdisziplinäre Rahmen zwischen den einzelnen Fächern erzeugt, gut ab: Während die sozialwissenschaftliche Perspektive den heuristischen Wert des Konzepts „Osteuropa“ betonte und – gewissermaßen konstruktivistisch – die Tatsache einer Zunft von Osteuropa-Experten als relevantes Faktum für das Studium der Region hervorhob, drohe aus literaturwissenschaftlicher Sicht durchaus die Gefahr von deren Exotisierung. Der große Vorteil von area studies sei demnach auch darin zu sehen, wechselseitig interdisziplinär kontrafaktische Positionen einzunehmen. Zusammenfassend bemerkte ein Teilnehmer, die gemeinsam untersuchte Region produziere unverändert spezifische Fragestellungen. Diese empirisch zu unterfüttern, nicht jedoch zu essentialisieren sei Chance und Herausforderung des Ansatzes. Gewissermaßen stehe hier noch nach fast 30 Jahren unausgesprochen der Postsozialismus als Strukturprinzip im Raum. Dies im Kontakt mit anderen area studies zu hinterfragen, birgt offenbar beträchtliches Potential.

Konferenzübersicht:

Opening Keynote
Diane P. Koenker (London): Encounters with Others: Tourism and the Internationalization of Soviet Cuisine

Spaces of Entanglement and Perception in Eurasia

Chair: Hans van Ess (Munich)

Commentator: Julia Obertreis (Erlangen)

Yuguang Zhou (Munich): The Portrayal of Yugoslavia in Chinese Newspapers 1975-1980

Marina Klyshko (Munich): The Revival of Eurasianism: Figurations of the Russian Space in Ideological and Literary Discourses

Helena Holzberger (Munich): Photography in Central Asia – Colonial Images or Socialist Achievement?

Transcontinental Projects and Their Premises

Chair: Ulf Brunnbauer (Regensburg)

Commentator: Volker Depkat (Regensburg)

Jasper Trautsch (Regensburg): Who Belongs to “the West”? Contesting the Meaning of a Key Concept in International Relations

Max Trecker (Berlin): Circle of Debt: How the Crisis of the Global South in the 1980s Affected the Socialist East

Kai Willms (Munich): An Old Stereotype in a New Environment? The Impact of Polish Émigré Scholars on American Sovietology after 1945

Travelling Genres and Transnational Imaginations in the Arts / Wandernde Genres und transnationale Imaginationen der Kunst

Chair: Burcu Dogramaci (Munich)

Commentator: Peter Zusi (London)

Nina Weller (Berlin): Kitsch und Affekt. Reaktualisierung verdrängter Erinnerung in ukrainischen Romanen und Filmen der 2000er

Anna Baumgartner (Munich): Wandernde Kosaken und polnischer Orientalismus. Ein transnationaler Blick auf den Maler Józef Brandt in München (1862–1915)

Patricia Pfeifer (Zurich): Uncertain Territories. Zwischenbildliche Bewegung und Verschiebung nach 1989

Language Practices in a Dynamic World

Chair: Björn Hansen (Regensburg)

Commentator: Daniel Weiss (Zurich)

Petar Kehayov (Regensburg): Indigenous Language Death: Beyond the Drama

Bajro Murić (Regensburg): Perceived Multicultural Climate and Linguistic Norm Negotiation. An Ethnographic Account of Language Practices in the Bosnian Muslim Family in Stuttgart, Germany

Dóra Vuk (Regensburg): Subjekt-Prädikat-Kongruenz im Sprachkontakt: Methodologische Herausforderungen

Performativity and Cultural Adaptation / Performativität und kulturelle Aneignung

Chair: Małgorzata Sugiera (Kraków)

Commentator: Ada Raev (Bamberg)

Henriette Reisner (Munich): Between Propaganda and Poetry. Did early Soviet Animation Foster Cultural Appropriation?

Katalin Cseh-Varga (Vienna): On the Second Public Sphere. Process-Based Art in Hungary of the Late Sixties

Production and Circulation of Knowledge in a Transnational World

Chair: Martin Schulze Wessel (Munich)

Commentator: Kärin Nickelsen (Munich)

Jan Arend (Tübingen): East-to-West Knowledge Transfer Stories. The Example of Soil Science, 1910-1945

Melanie Arndt (Regensburg): Knowledge and Ignorance on the Move: The Power of Disaster (Non-)Knowledge

Ruslan Mitrofanov (Munich): Legislative Initiatives Regarding the Foreign Mentally Ill of the Russian Empire: A Transnational Perspective

Keynote
Frank Hadler (Leipzig): How to Study Eastern Europe as a Global Area

Area Studies from an Everyday Perspective

Chair: Ger Duijzings (Regensburg)

Commentator: Marek Mikuš (Halle/Saale)

Eva-Maria Walther (Regensburg): Anthropological Approaches to Engaged Subjects. Studying Actors in Slovak Refugee Care Services

Andrey Vozyanov (Regensburg): Infrastructures in Trouble: Public Transit, Crisis, and Citizens at the Peripheries of Europe

Drivalda Delia (Regensburg): Tracing Silenced Participation of Women in Nation and State-building Processes in Kosovo

Areas Studies from a Social Sciences Perspective

Chair: Alexander Libman (Munich)

Commentator: Vladimir Gel’man (St. Petersburg)

Adele Del Sordi (Munich): The Relation Between External and Internal Authoritarian Legitimation: The Religious Foreign Policy of Morocco and Kazakhstan

Karina Shyrokykh (Stockholm): Question Even More: A Comparative Analysis of the Activity of Russian State-Sponsored News Media on Twitter

Fabian Burkhardt (Moscow): On Presidents and Presidencies: Single-Country Studies and Comparative Authoritarianism, the Case of Russia

Concluding Discussion
Caroline von Gall (Cologne) / Ulf Brunnbauer (Regensburg) / Riccardo Nicolosi (Munich) / Alexander Libman (Munich) / Ada Raev (Bamberg)


Redaktion
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