Charisma als Risikofaktor oder Erfolgsgarantie für Unternehmen. 41. Öffentliche Vortragsveranstaltung der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V.

Charisma als Risikofaktor oder Erfolgsgarantie für Unternehmen. 41. Öffentliche Vortragsveranstaltung der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V.

Organisatoren
Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG) e.V., Frankfurt am Main
Ort
Ditzingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.03.2018 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Christian Schuck, Unternehmensarchiv der Firmengruppe Liebherr, Gesellschaft für Unternehmensgechichte mbH, Biberach an der Riß

ANDREAS MÖLLER (Ditzingen), Leiter des Zentralbereichs Unternehmenskommunikation und Politik, griff in seiner Begrüßung den Titel der Veranstaltung auf und zeigte anhand von Presseausschnitten, wie die TRUMPF GmbH & Co. KG gezielt das Charisma der Geschäftsführerin Nicola Leibinger-Kammüller einsetze, unter anderem beim Employer Branding.

Die historische Perspektive beleuchtete WERNER PLUMPE (Frankfurt am Main): Der Begriff der charismatischen Führung verschiebe das Problem der Führungsqualität hin zu ihrer Wirkung auf die Geführten. Mit Blick auf die Verwendungshäufigkeit des Begriffs „Charisma“, der seinen Ursprung im religiösen Kontext habe, stellte Plumpe fest, dass er erst seit der Max-Weber-Renaissance der 1960er-Jahre Karriere gemacht habe. In der Sache habe es Diskussionen über charismatische Führung bereits früher gegeben, man habe jedoch auf andere Wortschöpfungen zurückgegriffen, wie den der „Führung durch Persönlichkeit“. Vor dem Ersten Weltkrieg habe das deutsche Bürgertum intensiv die Frage nach individueller Führung gestellt; es habe die Biographien großer Persönlichkeiten geradezu verschlungen. Der Niedergang der deutschen Wirtschaft der Zwischenkriegszeit sei bisweilen mit dem Fehlen solcher Persönlichkeiten begründet worden. Wer allerdings meine, dass es sich nur um ikonographische Heldenbeschreibungen im Geiste des Obrigkeitsstaates gehandelt habe, irre: Die Sicht auf Führungspersönlichkeiten sei keine unkritische oder unrealistische gewesen.

Plumpe wies darauf hin, dass die Unternehmen um den Zusammenhang zwischen guter Führung und individuellem Führungsverhalten wussten, sie jedoch vor dem Problem standen, dass sich Führungsfähigkeit nicht erlernen lasse. Bei der Auswahl von Führungskräften habe dann auch die fachliche Qualifikation im Vordergrund gestanden: Sie seien im Normalfall aus dem eigenen Unternehmen gekommen, wo sie sich unter Aufsicht bewähren und mit anderen Nachwuchskräften messen mussten. Die Fähigkeit dem Unternehmen dienen zu können sei hier entscheidend gewesen. Alle erfolgreichen Unternehmen des behandelten Zeitraums zeichne aus, dass sie von Männern geleitet worden seien, die ihren Unternehmen jahre-, oft jahrzehntelang angehörten. Dies gelte nicht nur für Eigentümer, die mit ihrer Firma geradezu verschmelzen konnten, sondern auch für angestellte Manager und Vorstände von Aktiengesellschaften. Selbst Männer, denen jedes Charisma abgesprochen wurde, seien über lange Zeiträume in ihren Unternehmen verblieben, während bei Misserfolgen auch große Persönlichkeiten entmachtet worden seien.

Das Augenmerk der öffentlichen Debatte auf charismatische Persönlichkeiten verdecke aber die wesentlichen Erfolgsfaktoren eines Unternehmens. Dazu zählten die harte Arbeit der nachrangigen Ebenen und Kollektive sowie das Glück gute, sprich loyale und erfolgreiche Mitarbeiter zu beschäftigen. Die Bedeutung des Unternehmensführers sei letztendlich vom Erfolg des Unternehmens abhängig. Plumpe kam zu dem Schluss, dass es charismatische Unternehmensführung faktisch nicht gab und gebe. Unternehmensführung bestehe zum größten Teil aus Routinetätigkeiten; charismatische Akte seien aber gerade nicht wiederholbar. Der Regelfall sei zudem die kollektive Unternehmensführung. Dies schließe nicht aus, dass es darunter auch Individuen mit Charisma gebe. Fehle aber die Bereitschaft zu dienen, so das Fazit Plumpes, könne es brenzlig werden.

ALFRED KIESER (Mannheim) nahm die jüngere Geschichte in den Blick. Er stellte in unserer Zeit ein Bedürfnis nach Heroen oder nach guten Geschichten über Heroen fest. Außerordentlich erfolgreichen Unternehmern werde scheinbar generell Charisma zugeschrieben, so dass man Charisma als Bezeichnung für außerordentlichen Erfolg sehen könne. Dabei werde der Einfluss erfolgreicher Unternehmer auf den Erfolg ihres Unternehmens maßlos überschätzt. Charismatische Helden seien soziale Konstrukte, da Menschen sie gerne um sich hätten. Mit Max Weber definierte Kieser Charisma als außeralltäglich geltende Qualität einer Persönlichkeit. Dabei komme es allein darauf an, wie diese Qualität von den charismatisch Beherrschten, den „Anhängern“, bewertet werde. Ursache für die Überschätzung des Einflusses von CEOs auf den Unternehmenserfolg sei eine „romance of leadership“. Menschen sehnten sich danach, dass Erfolg menschengemacht sei. Das Erläutern komplexer Beziehungen erübrige sich. Glück als Erfolgsfaktor werde hingegen als illegitim angesehen, dabei spiele es eine wesentliche Rolle.

Anders als Plumpe in seinen historischen Ausführungen konstatierte Kieser, dass Biographien moderner Spitzenmanager Hagiographien ähnelten. In den Augen ihrer Anhänger handele es sich um Unternehmer mit übernatürlichen Gaben. Die Schattenseiten des Erfolgs blieben unberücksichtigt. Der „populist capitalism“ verlange nach leicht zu konsumierenden Wirtschaftsinformationen und suche nach Helden, was einer Personalisierung Vorschub leiste. Kieser kritisierte, dass es sich hierbei um eine Idealisierung handele, denn kein Vorgesetzter könne alle an ihn gestellten Erwartungen erfüllen. Die Propagierung der charismatischen Führung habe für Kieser etwas Sektenartiges. Hier würden Glaubensbekenntnisse aufoktroyiert und das ganze Konzept sei wissenschaftlich unbrauchbar. Dennoch erscheine eine ganze Flut von Studien in der Entrepreneurship-Forschung. Kieser bestritt allerdings nicht durchweg, dass es charismatische Führungskräfte gebe, und erwähnte den langjährigen TRUMPF-Gesellschafter Berthold Leibinger.

An der anschließenden Diskussion nahmen neben den Referenten Plumpe und Kieser auch Andreas Möller als Gastgeber sowie der Unternehmer und Berater STEFAN RECKHENRICH (München) und der Coach und Psychotherapeut CHRISTOPH SCHMIDT-LELLEK(Frankfurt am Main) teil. Die Moderation übernahm JOACHIM KÖPPNER (München), Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung.

Die Diskussion warf erneut die grundsätzliche Frage auf, was Charisma überhaupt ausmache. Deutlich wurde die Diskrepanz zwischen dem Wunsch der Öffentlichkeit nach Heldengeschichten und der arbeitsteiligen und banalen Realität. Das Problem charismatischer Führung sei die Verstetigung anfänglicher Begeisterung sowie des Außeralltäglichen. „Charisma: Risikofaktor oder Erfolgsgarantie?“ – die Tagungsfrage wurde daher mit einem klaren „Weder-Noch“ beantwortet.

Im Anschluss an die Diskussion erhielt Luise Stein (Bochum) den diesjährigen Preis für Unternehmensgeschichte aus den Händen von ROLF NONNENMACHER (Frankfurt am Main) für ihre Dissertation „Grenzlandschicksale. Unternehmen evakuieren in Deutschland und Frankreich 1939/1940“. Die Laudatio hielt TONI PIERENKEMPER(Köln).

Konferenzübersicht:

Werner Plumpe (Frankfurt am Main): Zwischen Charisma und Routine: Paradoxien der Führung in großen Unternehmen vor dem Ersten Weltkrieg

Alfred Kieser (Mannheim): Haben manche Unternehmer außerordentlichen Erfolg, weil sie Charisma haben, oder haben sie Charisma, weil sie außerordentlichen Erfolg haben? Eine kritische Betrachtung unseres Bedürfnisses nach Heroen oder zumindest nach guten Geschichten über Heroen

Podiumsdiskussion
Moderation: Joachim Köppner (München)

Diskussionsteilnehmende: Werner Plumpe (Frankfurt am Main) / Alfred Kieser (Mannheim) / Andreas Möller (Ditzingen) / Stefan Reckhenrich (München) / Christoph Schmidt-Lellek (Frankfurt am Main)

Verleihung des Preises für Unternehmensgeschichte

Luise Stein (Bochum): Grenzlandschicksale. Unternehmen evakuieren in Deutschland und Frankreich 1939/1940
Laudatio: Toni Pierenkemper (Köln)