66. Jahrestagung der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg

66. Jahrestagung der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg

Organisatoren
Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg
Ort
Offenburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.06.2019 - 28.06.2019
Url der Konferenzwebsite
Von
Boris Bigott / Martin Furtwängler (Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg)

Die Teilnehmer der 66. Jahrestagung der Kommission wurden zunächst von Marion Hermann-Malecha und Cornelia Kalt-Jopen durch die gastgebende Stadt Offenburg geführt. Valerie Schoenenberg stellte die Offenburger Mikwe vor, zu der sie am Folgetag ausführlich referieren sollte. Der öffentliche Abendvortrag von SYLVIA SCHRAUT (Mannheim/München) galt der historisch verankerten kommunalen Identität in der „Freiheitsstadt“. Tags darauf traten parallel zwei Arbeitsgruppen zu den Themen „Jüdisches Leben in Offenburg und den Städten am Oberrhein“ und „Der Rhein in der Neuzeit – historischer Akteur oder nationale Projektionsfläche?“ zusammen.

Zu Beginn der Sitzung der Arbeitsgruppe 1 erinnerte SIGRID HIRBODIAN (Tübingen) an den im vergangenen Jahr verstorbenen Stefan Weinfurter, mit dem gemeinsam sie diese Arbeitsgruppe konzipiert hatte. Die im Jahr 2015 begonnene Sanierung der Offenburger Mikwe hatte zu dem Gedanken geführt, sich im Rahmen der Offenburger Jahrestagung mit der mittelalterlichen jüdischen Geschichte zu beschäftigen. Der Oberrhein war in jener Zeit ein Zentrum des aschkenasischen Judentums. Bekannt sind vor allem die Gemeinden der sogenannten SchUM-Städte Mainz, Worms und Speyer, doch auch weiter südlich am Oberrhein gab es Gemeinden – so auch in Offenburg.

GERD MENTGEN (Trier/Frankfurt) gab einen Überblick über jüdisches Leben am Oberrhein im Mittelalter. Er wies darauf hin, dass es oftmals allein die Nachrichten über Verfolgung der Juden sind, die Aufschluss über ihre Präsenz an einzelnen Orten geben. Vor 1200 ist ungewiss, ob es, außer in Straßburg, in weiteren Städten am südlichen Oberrhein überhaupt jüdische Gemeinden gab. Als im 13. und 14. Jahrhundert die Städte am Oberrhein entstanden, erlangten die Juden dort eine wichtige Rolle als Geldverleiher. Etliche der im Jahr 1306 aus Frankreich vertriebenen Juden kamen in die deutschen Städte am Oberrhein, was zu einem Anwachsen der jüdischen Bevölkerung dort und zu einer Blütezeit jüdischen Lebens führte. Im Lauf der Zeit waren die städtische Oberschicht und der Adel bei den Juden hoch verschuldet. Diese waren sich der bedrohlichen Lage, die sich hieraus ergab, durchaus bewusst. Trotz königlicher bzw. stadtherrlicher Schutzprivilegien kam es im Verlauf der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts zu schweren Pogromen – besonders in den Vierzigern im Umfeld der Pestepidemie, was zur weitgehenden Vernichtung und Vertreibung der jüdischen Gemeinden führte. Ab den sechziger Jahren gab es in etlichen Städten wieder Neuansiedlungen. Gegen Ende des Jahrhunderts und im folgenden 15. Jahrhundert wurden die Juden dann jedoch aus den meisten Städten dauerhaft ausgewiesen. In der anschließenden Diskussion wurde die teil- und zeitweise starke Integration der Juden als Bürger ihrer Städte thematisiert, ferner ihr Verhältnis zu den Kaisern als ihren obersten Schutzherren.

MATTHIAS UNTERMANN (Heidelberg) untersuchte die hochmittelalterlichen Judenhöfe in Speyer und Worms im urbanistischen Kontext. Dabei arbeitete er signifikante Unterschiede heraus. In Speyer wurden die Juden bereits im 11. Jahrhundert durch den Bischof angesiedelt. Ihr Judenhof befand sich innerhalb des ältesten, bischöflichen Stadtbereichs südwestlich des Doms. Der Bereich war abgesondert von den übrigen, christlichen Teilen der Stadt und besaß als Zugang einen Gebäudedurchgang (Sopron). Zu dem Ensemble gehörten die Synagoge, ein Frauenhaus, eine Jeschiwa und eine sehr aufwendig gestaltete Mikwe. Die Synagoge entstand noch vor den Speyrer Stiften. Nach 1349 wurde sie als Zeughaus genutzt, fiel später einem Brand zum Opfer und blieb als Ruine erhalten. In Worms dagegen, wo die jüdische Gemeinde eine nahezu ununterbrochene Kontinuität hatte bzw. nach Verfolgungen immer wieder neu gegründet wurde, lag die Synagoge nicht nahe des Doms, sondern am Nordrand der Stadt. Ein erster Synagogenbau entstand 1034, ein zweiter 1174/75. Als die Franzosen im Pfälzischen Erbfolgekrieg Worms 1689 niederbrannten, wurde auch die Synagoge zerstört, aber bald danach wiedererrichtet. Zum Ensemble gehörten auch in Worms eine „Frauenschul“, eine Jeschiwa, eine nach Speyrer Vorbild gestaltete Mikwe sowie eine sogenannte Judenratsstube.

In der Diskussion wurden die Unterschiede zwischen Worms und Speyer konkretisiert. Anders als in Mainz und Worms war es dem Speyrer Bischof bei den Pogromen im Umfeld des Ersten Kreuzzugs weitgehend gelungen, seine jüdischen Bürger zu beschützen. Dies war unter anderem möglich wegen der in Speyer existierenden Trennung von bischöflicher Stadt, wo auch der Judenhof lag, und bürgerlicher Stadt. Eine vergleichbare Trennung gab es in Worms dagegen nicht. Weitere Fragen galten den Handwerkern, die die jüdischen Gebäude errichtet hatten. Hierbei handelte es sich um das örtliche Bauhandwerk. Lediglich für den aufwendigen Bau der Mikwen sind Spezialisten, etwa aus dem Berg- oder Brunnenbau, denkbar.

Über die jüdische Gemeinde in Offenburg referierte VALERIE SCHOENENBERG (Freiburg), unter besonderer Berücksichtigung des ehemaligen jüdischen Ritualbads, der Mikwe. In solchen Mikwen fand die rituelle Reinigung von Personen und Gegenständen statt. Hierzu war nach den religiösen Regeln „lebendiges Wasser“ erforderlich, das nicht von Menschen geschöpft sein durfte. Da die Stadt Offenburg nicht von einem Bach durchflossen wird, kam hier nur Grundwasser in Frage. Wegen der Lage der Stadt auf einem Lössrücken war es allerdings nötig, mit großem Aufwand in die Tiefe zu bauen. Von einem Gewölbekeller aus führt eine 17 Meter lange, gerade Treppe zum eigentlichen Tauchbecken hinab in 14 Meter Tiefe. Da sich in den Schriftquellen kein Hinweis auf die Mikwe findet, kann ihre Entstehung lediglich nach typologischen Gesichtspunkten der verbauten Steine erfolgen. Dies wird aber erschwert, da sich vielfache Anzeichen einer sekundären Verwendung dieser Steine finden. In der Diskussion steht daher eine Entstehung der Mikwe frühestens im 13. und spätestens im 17. Jahrhundert. Fraglich ist jedoch, wann es denn eine ausreichend prosperierende jüdische Gemeinde in Offenburg gab, die als Erbauer überhaupt in Frage kommt. Da die Auslöschung der Offenburger Juden im Rahmen der Pestpogrome in Urkunden von 1349 belegt ist, wäre dies ein möglicher Terminus ante. Indizien für eine spätere jüdische Präsenz sind schwach, erst während und nach dem Dreißigjährigen Krieg lebten bis zu ihrer Ausweisung 1680 wieder Juden in der Stadt – allerdings wohl in einer eher prekären Situation. Damit erscheint die Entstehung der Mikwe im 14. Jahrhundert am naheliegendsten. Die Diskussion kreiste um verschiedene Einzelaspekte, vor allem aber um praktische und bautechnische Fragen.

Die Vorträge und Diskussionen zeigen eindrücklich die Bedeutung, die jüdisches Leben im Mittelalter in den oberrheinischen Städten einmal besaß, zugleich aber auch die quellenbedingten Schwierigkeiten seiner Erforschung.

Die Arbeitsgruppe 2 tagte unter der Leitung von WOLFGANG ZIMMERMANN (Karlsruhe/Heidelberg). In seiner Einführung verwies er u. a. darauf, dass bezüglich des Rheins in Deutschland und Frankreich lange Zeit zwei konkurrierende Geschichtskonstrukte bestimmend gewesen seien: der Rhein als Deutschlands Strom bzw. als natürliche Grenze Frankreichs. Demgegenüber habe Lucien Febvre bereits 1931 ein Gegenkonzept formuliert, das den Rhein zum europäischen Fluss und zur deutsch-französischen Geschichtslandschaft erhoben habe. Nicht Grenzen, sondern Kohärenzen, Austausch und Begegnung sollten demnach Leitthemen sein.

In seinem Beitrag griff SYLVAIN SCHIRMANN (Strasbourg) diese Gedanken Febvres auf. Er betrachtete die Geschichte des Rheins seit Beginn des 19. Jahrhunderts und beschrieb den Fluss als ein Symbol für eine paneuropäische Geschichte. Schon 1815 war mit der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt (ZKR) eine zwischenstaatliche Institution geschaffen worden, die die Nutzung des Flusses durch seine Anrainer regelte. Die Politik der ZKR war dabei lange Zeit geprägt durch politischen und wirtschaftlichen Liberalismus. Dies sicherte u. a. die Bewegungsfreiheit aller Anrainerstaaten auf dem Fluss, eine gemeinsame Verwaltung des Stromes sowie eine starke Berücksichtigung auch der Interessen der kleineren Anrainerstaaten. Erst mit dem zunehmenden Gewicht der Nationalstaaten und aufkommender Nationalismen in Deutschland und Frankreich bestimmten zwischen 1871 und 1945 nationale Rivalitäten und Konflikte die Geschichte des Flusses. Führte dies nach 1871 zu einer weitgehenden Ausrichtung der Rheinpolitik nach deutschen Zielvorstellungen, kehrte sich dies mit dem Vertrag von Versailles um – nun dominierte Frankreich am Rhein. Gleichzeitig kamen mit Belgien und Großbritannien zwei Nichtanrainerstaaten in die ZKR, wobei Großbritannien um eine Milderung der französischen Politik bemüht war. Nach 1945 konstatierte der Referent einen erneuten Paradigmenwechsel. Nicht mehr nationale Ziele bestimmten die Rheinpolitik, sondern internationale Zusammenarbeit. Dabei konkurrierten zwei Konzepte miteinander: Verfolgten die kontinentaleuropäischen Staaten in der ZKR das Ziel einer Freizügigkeit auf dem Rhein zum Nutzen der Mitgliedsländer, versuchten Großbritannien und die USA (Mitglied 1950–1964), eine gänzliche Freizügigkeit zu erreichen. Im Zuge der europäischen Integration verlagerte sich dieser Interessengegensatz auf das Verhältnis Brüssel – ZKR, wobei letztere ihre Position behaupten konnte. Resümierend wies Schirmann darauf hin, dass in der ZKR die Staaten vertreten seien, die auch am Anfang des europäischen Einigungsprojekts gestanden hätten: „Am Rhein arbeiteten sie schon seit 1815 zusammen“. Die anschließende kurze Diskussion drehte sich um die Frage, wie es die Nichtanrainerstaaten Großbritannien und USA erreichen konnten, Mitglieder der Rheinschifffahrtskommission zu werden.

Das zweite Referat von ARMIN SCHLECHTER (Speyer) über den Rhein als Reiseland zwischen romantischer Emotionalisierung und nationaler Aufladung basierte auf der Analyse von ausgewählten Beispielen von Druckwerken, die sich im 19. Jahrhundert mit dem Rhein beschäftigten: Reiseberichte, Reiseführer, Rheinlaufkarten, Ansichten in Form von Leporellos sowie illustrierte Bücher. Verfasst wurden derartige Medien vor allem von deutschen, englischen und französischen Autoren. Neben logistischen Erläuterungen über den Ablauf einer Rheinreise spielt die Darstellung und Bewertung historischer Vorgänge in dieser Quellengattung meist eine große Rolle. Aus der Neuzeit wurden insbesondere der Bauernkrieg, der Dreißigjährige Krieg, der Pfälzische Erbfolgekrieg, die französischen Revolutionskriege, der Fall Napoleons und die Entscheidungen des Wiener Kongresses thematisiert. Eine nationale „Aufladung“ in der Beurteilung der angeführten Ereignisse machte der Referent im zeitlichen Umfeld der Befreiungskriege fest, als z. B. die Modernisierungen der napoleonischen Zeit von deutschen Autoren negiert wurden. Um die Jahrhundertmitte setzte sich jedoch eine positivere Neubewertung dieser Epoche durch. Gefördert wurde diese Entwicklung durch den ökonomischen Fortschritt, der einen Handel über den Rhein nötig machte, sowie durch den grenzüberschreitenden Rheintourismus. Letzterer ging Hand in Hand mit einer Romantisierung der Rheingegenden: Aus entfunktionalisierten Kriegsruinen wurden malerische touristische Ziele, bei denen die Geschichte ihrer Zerstörung und damit auch ein historisch abgeleiteter deutsch-französischer Antagonismus zunehmend in den Hintergrund traten. Eine erneute und folgenschwerere nationale „Aufladung“ fand dann wieder mit dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 statt. Resümierend hielt Schlechter fest, dass die analysierten Druckwerke des 19. Jahrhunderts über den Rhein keine Geschichtsschreibung darstellten, sondern subjektive Geschichtswertungen lieferten.

Schließlich schlug CHRISTOPH BERNHARDT (Berlin) mit seinem Vortrag über den Rhein als Schauplatz grenzüberschreitender Umweltprobleme und Umweltpolitik einen umweltgeschichtlichen Bogen vom frühen 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Nach einer einleitenden Reflexion über methodische Fragen, in der er unter anderem den Wechsel von Nutzungen des Wassers und den Wandel in den juristisch-institutionellen Regelungen im längerfristigen Zeitverlauf als übergreifende Fragestellung thematisierte, wandte er sich zunächst dem bekannten Projekt der Korrektion des Oberrheins im frühen 19. Jahrhundert zu. Dabei galt sein besonderes Augenmerk einigen bisher weniger beachteten Aspekten dieses Großprojekts, u. a. den Einsprüchen von Städten wie etwa Speyer und Unteranliegern wie Preußen und den Niederlanden, sowie den finanziellen Rahmenbedingungen. Zudem stellte Bernhardt eine Neubewertung einiger Forschungspositionen zur Rolle des führenden Protagonisten J. G. Tulla zur Diskussion und verwies auf die Bedeutung des Faschinenbaus sowie der Steindeckung der Ufer für das Projekt. Im weiteren Verlauf diskutierte er zentrale Merkmale der späteren sogenannten Niederwasserregulierung auf der Strecke zwischen Straßburg und Sondernheim zugunsten der Schifffahrt (1906–1913) sowie der Entwicklung der Wasserverschmutzung und der Programme zur Wasserreinhaltung im Verlauf des 20. Jahrhunderts. Abschließend analysierte Bernhardt die Bemühungen um einen besseren Hochwasserschutz nach dem Zweiten Weltkrieg bis hin zum „Integrierten Rheinprogramm“ Baden-Württembergs von 1988. Hier galt das besondere Augenmerk Zielkonflikten in der jüngeren Umweltpolitik – insbesondere bei der Rückgewinnung von Hochwasser-Rückhalteräumen – sowie der Rolle historischer Landschaftszustände in Zukunftsvisionen für den Oberrhein.

Die Diskussion der beiden letzten Beiträge erfolgte zusammen am Ende der Sitzung und konzentrierte sich auf den umweltgeschichtlichen Beitrag Bernhardts. Einmal wurde das Problem thematisiert, ob historische Zustände Referenzpunkte einer modernen Umweltpolitik des Rheins sein können, sodann die Frage nach gesundheitspolitischen Motiven für die Rheinkorrektion aufgeworfen (Bekämpfung der Malaria). Letzteres habe, so der Referent, zunächst nur eine untergeordnete Rolle gespielt, ab den 1870er-Jahren aber an Bedeutung gewonnen. Größeren Raum in der Diskussion nahm die Frage nach der Finanzierung der Rheinkorrektion ein.

Insgesamt machten die Beiträge und die Diskussionen in der Arbeitsgruppe deutlich, wie vielfältig und eng die Beziehungen der einzelnen Länder am Rhein verwoben waren und sind, ja, dass die wirtschaftliche, politische und ökologische Bedeutung des Flusses auf ganz Europa ausstrahlt.

Konferenzübersicht:

Arbeitsgruppe 1: Jüdisches Leben in Offenburg und den Städten am Oberrhein

Leitung: Sigrid Hirbodian

Gerd Mentgen (Trier): Jüdisches Leben am Oberrhein im Mittelalter

Matthias Untermann (Heidelberg): Die hochmittelalterlichen Judenhöfe in Speyer und Worms im urbanistischen Kontext

Valerie Schoenenberg (Freiburg): Stumme Steine: interdisziplinäre Forschung zur jüdischen Gemeinde in Offenburg

Arbeitsgruppe 2: Der Rhein in der Neuzeit – historischer Akteur oder nationale Projektionsfläche?

Leitung: Wolfgang Zimmermann

Sylvain Schirmann (Strasbourg): Der Rhein – natürliche Grenze von „Erbfeinden“?

Armin Schlechter (Speyer): Der Rhein im Spiegel von Rheinalben – Reiseland zwischen romantischer Emotionalisierung und nationaler „Aufladung“.

Christoph Bernhardt (Berlin): Der Rhein – Schauplatz grenzüberschreitender Umweltprobleme und Umweltpolitik