Wort und Stein. Differenz und Kohärenz kultureller Ausdrucksformen

Wort und Stein. Differenz und Kohärenz kultureller Ausdrucksformen

Organisatoren
Dietrich Boschung / Ludwig Jäger, Internationales Kolleg Morphomata, Universität zu Köln
Ort
Köln
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.10.2019 - 18.10.2019
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Von
Joern Lang, Historisches Seminar, Klassische Archäologie, Universität Leipzig

Während jeder sprach- oder literaturwissenschaftliche Blick auf kulturelle Ausdrucksformen mit dem Zitat „Im Anfang war das Wort” (Joh 1, 1) begonnen werden könnte, stehen am Anfang jeder archäologischen Annäherung an die Vergangenheit deren greifbare, materielle Überreste. Diese sind zu einem wesentlichen Bestandteil in Form verschiedener Gesteinsarten überliefert, deren materielle Präsenz in einem Gegensatz zur Immaterialität des Wortes steht. In diesem Sinne besitzen Steine und Worte den Charakter eigenwertiger kultureller Ausdrucksformen, an die sich regelhaft Begriffe wie Dauerhaftigkeit und Vergänglichkeit anlagern. Dem vergänglichen, da situativ erzeugten Wort wird die Fähigkeit des Steins entgegengesetzt, die Zeiten zu überdauern und zu erinnern. 1 Noch weit vor der Diskussion des vielbeschworenen material turn2 wurden die Ausdrucksformen als bewusste Gegensatzpaare konstruiert und immer wieder konkurrierend zueinander in Beziehung setzt. So entwarf etwa der römische Schriftsteller Marcus Annaeus Lucanus ein Szenario des Gegensatzes zwischen Worten und Steinen, als er C. Iulius Caesar in Troia landen und die dortigen Ruinen durchstreifen ließ (Lucan. 9, 961–979). 3 In dieser Auseinandersetzung über den Vorzug kultureller Ausdrucksformen und ihre Fähigkeit, Zeiten zu überdauern, behält letztlich das Wort die Oberhand. Während die Worte Homers auf ewig an den Ruhm Trojas erinnern, ist die Materialität des Ortes längst vergangen.

Dem skizzierten Spannungsfeld war eine internationale Tagung gewidmet, die am Käte Hamburger Kolleg „Morphomata. Genese, Dynamik und Medialität kultureller Figurationen“ der Universität zu Köln ausgerichtet wurde. Die Fokussierung auf Wort und Stein als Gegensatzpaar spiegelt nicht allein „diametral entgegengesetzte Pole eines begrifflichen Feldes“, sondern zugleich die sprach- bzw. objektwissenschaftliche Ausrichtung der Organisatoren. 4

Für die einführende Keynote konnte mit JAN ASSMANN (Konstanz) ein Redner gewonnen werden, dessen Auseinandersetzung mit der Thematik von Erinnerung innerhalb Ägyptens grundlegende Ansätze zu Dauerhaftigkeit oder Zeitlichkeit zu verdanken sind und der gemeinsam mit Aleida Assmann wesentlich den Ansatz des „kulturellen Gedächtnisses“ geprägt hat. 5 Ausgehend von seinem Fachgebiet Ägyptologie thematisierte er in einem breiten Bogen grundlegende Aspekte, die im Kontext der folgenden Tage immer wieder zum Vorschein traten. Insbesondere die Besonderheit der ägyptischen Kultur, einen ausgeprägten Willen zur Kontinuierung zu entwickeln und Worte als Erinnerung gleichsam zu vergegenständlichen, bot nicht allein ein eindrückliches Zeugnis für die Kohärenz differenter Ausdrucksformen, sondern zugleich einen perspektivreichen Ausgangspunkt für die folgenden Tage.

Die Annäherung an das Themenfeld ging von drei Begriffspaaren aus, die zumeist auf Basis von Fallbeispielen aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven in den Blick genommen wurden. Den Auftakt stellte der Bereich Hierarchie und Paragone von Wort und Stein dar, der aus je zwei Beiträgen in klassisch-archäologischer und literaturwissenschaftlicher Sicht entwickelt wurde und chronologisch den Rahmen zwischen dem 18. und 21. Jahrhundert abdeckte, wobei die drei ersten Beiträge mit dem 18. Jahrhundert einen gemeinsamen chronologischen Bezugspunkt aufwiesen. Die bereits in der Antike etwa durch Horaz eröffnete Paragone zwischen Wort und Stein (Hor. Epist. 31) 6 gewann in dieser Zeit, am Übergang zwischen antiquarischer Tradition und der Etablierung der Ästhetik als wissenschaftlicher Disziplin, eine neue Dynamik. Über die Terminologie der Sektion hinaus war dieser erste Teil durch implizite und explizite Bezüge auf Lessings bereits von Johann Wolfgang von Goethe als epochal wahrgenommene Schrift Laokoon oder über die Grenzen der Mahlerey und Poesie aus dem Jahre 1766 geprägt 7.

Die beim Publikum der Zeit höchst erfolgreiche Polymetis des Joseph Spence, die CHRISTOPH BERNS (Hamburg) als Beispiel für Text-Bild-Kombinationen vorstellte, erklärte Lessing in seinem Laokoon für „ganz unerträglich“. Insbesondere die gegenseitigen Erklärungen zwischen Texten von Dichtern und Statuen fanden sein Missfallen. Verständlich wird dies vor allem vor dem Hintergrund der Kunsttheorie Lessings, als deren Zentrum FRIEDRICH VOLLHARDT (München) überzeugend die Imagination herausstellte. Wenn mit Lessing die Kunst der Einbildung in Bewegung gesetzt wurde und sich vom Betrachteten löst, so musste Spence‘ Auffassung, dass sich Texte und Monumente unmittelbar erklärend aufeinander beziehen lassen, wie ein Relikt einer überholten antiquarischen Tradition wirken.

Die Lessing‘sche Betonung der Imagination stellte auch ein zentrales verbindendes Element zum Werk Johann Joachim Winckelmanns dar, dem sich ELISABETH DÈCULTOT (Halle) unter dem Aspekt der inter- und binnenmedialen Übersetzungsprozesse widmete. In der Diskussion führte sie diese Ähnlichkeit plausibel auf die gemeinsamen Quellen zurück, auf die sich sowohl Lessing als auch Winckelmann beriefen.

Der anschließende Sprung in die Welten von Materialität und Digitalität ließ sich an dieses Feld nicht ohne Weiteres anschließen. Dennoch waren die von KATHARINA LORENZ (Gießen) aufgeworfenen Fragen nach der medialen Transformation der haptisch erfahrbaren Skulptur auch für das 18. Jahrhundert insofern relevant, als dass hier den Texten keine unmittelbaren Steine gegenübergestellt wurden, sondern diese bereits in medialer Transformation vor allem als Kupferstiche an die Seite des Wortes traten. Die Frage, in welchen Formen Steine und Worte als digital-immaterielle Informationen in Konkurrenz treten und welche Hierarchiemechanismen durch die Digitalisierung in Gang gesetzt werden, wäre an anderer Stelle weiterführend zu diskutieren.

Die Aspekte von Flüchtigkeit und Dauer wurden vor allem aus der Perspektive der Klassischen Altertumswissenschaften dargestellt. In einem inhaltlich fruchtbaren Kontrast standen hier vor allem die beiden ersten Beiträge von WERNER ECK (Köln) und ALAIN SCHNAPP (Paris). Während Eck mit Blick auf die Inschriften die Kohärenz von Wort und Stein mit dem Ziel einer dauerhaften Präsenz sozial bedeutender Akte hervorhob, widmete sich Schnapp in einem interkulturellen Ansatz der Vergänglichkeit des Dauerhaften, in dem die bereits in der Antike präsente Konkurrenz um das Erinnern deutlich hervortrat. Während auch die Ruinen als steinerne Zeichen der Vergangenheit einstürzen und damit selbst der Vergänglichkeit, die sie zeigen, anheimfallen, bleiben die Schriften bestehen.

Einen ähnlich deutlichen Kontrast bot auch der zweite Teil der Sektion. CHRISTIAN KUNZE (Regensburg) thematisierte auf der Basis von Fallbeispielen aus der hellenistischen Skulptur eine Umsetzung und damit ein Aufdauerstellen von Motiven aus der Epigrammdichtung, MARTIN DINTER (London) widmete sich unter dem Aspekt der – definitorisch schwer präzise zu bestimmenden – Intermedialität den dauerhaften Statuen in Texten. Im Kontrast zu diesem altertumswissenschaftlichen Fokus hob LOTHAR LEDDEROSE (München) in einer Gegenüberstellung zu Entwicklungen des europäischen Raumes vor allem die politische Dimension der großen Persistenz chinesischer Schriftzeichen hervor und schrieb ebendieser Persistenz die Fähigkeit zu, kulturelle Kohärenz herzustellen, so dass der Dauerhaftigkeit in diesem Sinne letztlich eine hochgradig politische Dimension zugesprochen werden kann.

Das dritte Themenfeld Wechselwirkung und Bezugnahme wurde über zwei archäologische und zwei literatur- bzw. sprachwissenschaftliche Beiträge erschlossen. Zunächst standen bildliche Phänomene im Blickpunkt, bei denen Worte unmittelbaren Einfluss auf die formale Gestaltung von Stein besaßen. So beleuchtete DIETRICH BOSCHUNG (Köln) am Beispiel von römischen Grabaltären Darstellungen, die ihren Bezugspunkt in onomastischen Besonderheiten der Verstorbenen hatten. Auf ihnen konnten Teile des Namens und Bilder ineinsfallen, wenn etwa für einen Mann des Namens Ti. Octavius Diadumenos die gleichnamige Statue klassischer Zeit als Bildmotiv gewählt wurde.

Aus einer anderen Perspektive betrachtete CHRISTIANE VORSTER (Bonn) diesen Vorgang. Sie widmete sich auf der Basis eindrücklicher Fallbeispiele wie dem Ganymed des Benvenuto Cellini oder der Kleopatra Grimani der Ergänzung antiker Skulpturen im 16. Jahrhundert. Diese Ergänzungen zielten auf eine unmittelbare Vergegenwärtigung der Vergangenheit und semantisierten diese zugleich. Der Wunsch, antike Überreste bildlich festzulegen, führte in diesem Kontext dazu, dass fragmentierte Werke nach literarisch überlieferten Vorlagen gestaltet wurden und zumindest bis zur vielfachen Abnahme solcher Ergänzungen ab dem späten 19. Jahrhundert erneut das Wort über den Stein zu dominieren schien.

Diese Dominanz der Worte über den Stein trat auch im Vortrag von ANDREAS KABLITZ (Köln) hervor, da in Dantes Divina Commedia das steinerne Höllentor überhaupt erst durch den dichterischen Akt in Erscheinung treten konnte. In einer filigranen Detailstudie zu Dantes Versen widmete sich Kablitz unter anderem der sinnlichen Präsenz, die Dantes Worte erhielten. Repräsentierte der Stein die rohe Materie, waren durch einen Akt der Schöpfung in diese selbst Worte eingeschrieben, die im Bild so wahrhaftig erschienen, dass man meinte, sie zu hören oder zu riechen. Hier tritt der antike Topos von der mimetischen Leistungsfähigkeit der Kunst deutlich hervor, allerdings nicht in Hinsicht auf die Optik, sondern etwa die Akustik des Wortes.

Der abschließende Beitrag von LUDWIG JÄGER (Aachen / Köln) nahm über das Thema der eigentlichen Sektion hinaus das Gesamttableau der Tagung aus einer zeichentheoretischen Perspektive in den Blick. Den Bogen schlug er über Jean-François Champollion, dessen Erkenntnis zu den Hieroglyphen im damaligen Deutschland vor allem durch Wilhelm von Humboldt durchgesetzt wurde, der seine eigenen Überlegungen zu den Hieroglyphen revidierte. Gemeinsam mit der eröffnenden Keynote ergab sich so eine materiell-zeichentheoretische Rahmung des aus unterschiedlichen disziplinären und methodischen Ausgangspunkten zusammengefügten Tagungsthemas. Jäger legte seine Überlegungen zu den Polen Wort/Zeichen und Stein/Materie ausgehend von Georg Friedrich Wilhelm Hegels Vorlesungen über die Ästhetik dar. Hegel entfaltete seine Überlegungen zum Zeichenproblem vor einem dezidiert „ägyptischen Tableau“, indem er immer wieder auf Sprachbilder aus diesem Bereich zurückgriff, um seine Modelle zu verdeutlichen. Nach Hegel erreichte die Kunst ihre höchste Innigkeit im Wort und damit letztlich in der Befreiung von Materie. Auch wenn man sich hier an die bei Lucan überlieferte Auffassung von der Überlegenheit des Wortes erinnert fühlt, so lässt sich doch eine Verschiebung greifen. War nach der antiken Auffassung das Wort dem Stein in Hinsicht auf seine Dauerhaftigkeit und erinnernde Wirkmacht überlegen, so konstruierte Hegel die Überlegenheit aus einer ästhetischen Perspektive. Hier wäre im Anschluss zu fragen, inwiefern Wort und Stein als mediale Ausdrucksformen nicht allein Gegenpole in Hinsicht auf „Vergänglichkeit bzw. Zeitenthobenheit“, sondern auch in Hinsicht auf die Ästhetik der jeweiligen medialen Ausdrucksform darstellen.

Dies ist nur ein Aspekt, der ausgehend vom breiten Tableau von Fallbeispielen einer systematischen Untersuchung Wert wäre. Doch war es auch nicht erklärtes Ziel der Tagung, Multiperspektivität in ein kohärentes System zu überführen. Möglicherweise wären die impliziten Gemeinsamkeiten dieser Perspektiven vor einem interkulturellen Hintergrund mit Fallbeispielen, die keine signifikante Überlieferung entweder von Worten oder Steinen aufweisen, noch präziser hervorgetreten. Doch auch auf der Basis der vertretenen Beiträge wurde insbesondere die Vielschichtigkeit, in der Worte und Steine in immer wieder neue Konstellationen eintreten konnten, deutlich. Ihre Kohärenzen und Differenzen ergeben sich gerade nicht allein aus ihrer erinnernden Leistung, sondern zugleich aus ihren ästhetischen Qualitäten. Diese bestehen im Anschluss an Lessings Laokoon einerseits in der Bestimmung des Verhältnisses zwischen Kunstform und ihrer Erfahrung, sind aber andererseits grundlegend auch in Hinsicht auf das Verhältnis von sinnlicher Erfahrbarkeit und Materialität zu denken.

Konferenzübersicht:

Keynote
Jan Assmann (Konstanz): Schrift und Stein: Der „monumentale“ Diskurs in der altägyptischen Kultur

Hierarchie und Paragone

Christoph Berns (Hamburg): „Beautifying what was known before“ – Antike Dichtung und Skulptur in Joseph Spence’ Polymetis

Elisabeth Décultot (Halle-Wittenberg): Übersetzen. Winckelmanns Arbeit an der Sprache

Friedrich Vollhardt (München): Visible Gebilde. Grenzbestimmungen der Künste in Lessings Laokoon

Katharina Lorenz (Gießen): Skulpturen im Digitalen: Zum Umgang mit Materialität im Horizont der Transformation

Flüchtigkeit und Dauer

Werner Eck (Köln): Über den Tag hinaus: Petrifizierte Ehrungen

Alain Schnapp (Paris): Ruinen – Die Verflüchtigung der Form

Christian Kunze (Regensburg): Skulpturen mit literarischem Potenzial: die Löwin des Arkesilaos und das Kentaurenpaar von Papias und Aristeas

Martin Dinter (London): Sound and Fury: Intermedial Strategies in the Statuary of Ancient Epigram

Lothar Ledderose (Heidelberg): China schreibt anders

Wechselwirkung und Bezugnahme

Dietrich Boschung (Köln): Das Bild als Name

Christiane Vorster (Bonn): Und das Wort ward Stein – Sinnstiftung durch Ergänzung

Andreas Kablitz (Köln): Gemeißelt in imaginären Stein. Dantes Inschrift des Höllentors

Ludwig Jäger (Aachen / Köln): Wort und Stein. Zeichentheoretische Überlegungen im Anschluss an Hegel

Anmerkungen:
1 Vgl. umfassend etwa Jan Assmann, Stein und Zeit. Mensch und Gesellschaft im alten Ägypten, 3. Aufl. München 2003 (1. Aufl. 1991).
2 Vgl. zusammenfassend etwa Peter J. Bräunlein, Material Turn, in: Georg-August-Universität Göttingen (Hrsg.), Dinge des Wissens. Die Sammlungen, Museen und Gärten der Universität Göttingen, Göttingen 2012, S. 30–44.
3 Lucanus: Bellum civile. Der Bürgerkrieg. Herausgegeben und übersetzt von Wilhelm Ehlers, München 1973; vgl. dazu Otto Zwierlein, Lucans Caesar in Troja, in: Hermes 114 (1986), S. 460–478.
4 Sie führten ihre dezidierten Schwerpunkte nicht zum ersten Mal für übergreifende Fragestellungen zusammen; vgl. Dietrich Boschung/Ludwig Jäger (Hrsg.), Formkonstanz und Bedeutungswandel. Archäologische Fallstudien und medienwissenschaftliche Reflexionen, München 2014.
5 Vgl. etwa Jan Assmann/Aleida Assmann/Christof Hardmeier, Schrift und Gedächtnis, München 1984; Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen Beck, München 1992; Jan Assmann, Steinzeit und Sternzeit. Altägyptische Zeitkonzepte, München 2010.
6 Quintus Horatius Flaccus, Epistulae, in: Horaz: Sämtliche Werke, hrsg. von Hans Färber, Sammlung Tusculum, 10. Aufl., München 1993.
7 Gotthold Ephraim Lessing, Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie. Studienausgabe, hrsg. von Ludwig Vollhardt, Stuttgart 2012.