Verein(te) Militärgeschichte: Der Arbeitskreis Militärgeschichte e.V. und die Entwicklung einer historischen Subdisziplin

Verein(te) Militärgeschichte: Der Arbeitskreis Militärgeschichte e.V. und die Entwicklung einer historischen Subdisziplin

Organisatoren
Arbeitskreis Militärgeschichte e.V.; Wencke Meteling, Washington, D.C.; Christoph Nübel, Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam
Ort
digital (Chemnitz)
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.03.2021 - 25.03.2021
Url der Konferenzwebsite
Von
Linus Birrel, Neuere und Neueste Geschichte Westeuropas, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Arbeitskreises Militärgeschichte e.V. (AKM) veranstaltete dessen Vorstand eine Paneldiskussion, um mit Expert:innen über die Lage der Militärgeschichte und die Tätigkeit des Vereins zu diskutieren1. Nach einführenden Worten von Christoph Nübel (Potsdam) begrüßte der Erste Vorsitzende des Arbeitskreises MARTIN CLAUSS (Chemnitz) die Teilnehmer:innen des Jubiläumspanels. Clauss bezeichnete die Vergangenheit des Vereins als Erfolgsgeschichte, die durch die Mitgliedschaft von über 500 Forscher:innen und Interessierten bezeugt wird. Bei bislang 23 Jahrestagungen sei der AKM dem Vereinszweck der Förderung der Militärgeschichte nachgekommen. Die Internetpräsenz des Arbeitskreises, das Portal Militärgeschichte, habe sich zudem seit 2012 zu einer festen Größe der Wissenschaftskommunikation im In- und Ausland entwickelt. Als Markenzeichen bezeichnete Clauss die Rolle des AKM bei der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Seit 2006 drücke sich diese in der jährlichen Vergabe des Wilhelm-Deist-Preises aus, der nach dem Gründer des Vereins benannt ist.

In einem Impulsvortrag zur Geschichte des AKM ging dessen Gründungsmitglied SÖNKE NEITZEL (Potsdam) der Frage nach, weshalb sich der Verein so gut etablieren konnte. Bereits seine Gründung im Oktober 1995 sei ein voller Erfolg gewesen. Sie ging auf Wilhelm Deist zurück, den ehemaligen leitenden Historiker des Militärgeschichtlichen Forschungsamts (MGFA, heute Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, ZMSBw), der bis 2002 als Erster Vorsitzender des Vereins fungierte. Die Vereinsgründung habe auf einem bestehenden Forschungsnetzwerk beruht, zu dem Forschende wie Stig Förster, Gerd Krumeich und Gerhard Hirschfeld sowie die beiden Mitarbeiter des MGFA Bernd Wegner und Bernhard Kroener gehörten. Neitzel zufolge bildete die Gründung des AKM mit der Kultur- und Mentalitätsgeschichte einen Megatrend der Geschichtswissenschaft ab, der seit den frühen 1990er-Jahren zunehmend die Erforschung von Militär und Krieg erfasst habe. Die ersten Jahrestagungen des AKM hätten außerdem weitere Trends der Forschung aufgegriffen, wie beispielsweise die Geschlechtergeschichte. Gesamtgesellschaftlich verortete Neitzel die Entstehung des Vereins im Rahmen der Auseinandersetzung mit sicherheitspolitischen Fragen im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands und der Jugoslawienkriege sowie dem Interesse an den Wehrmachtsausstellungen. Er konstatierte, dass der Verein trotz hoher Mitgliederzahlen nur diskursiven, nicht aber institutionellen Anschluss an die allgemeine Historikerschaft gewonnen habe, der sich etwa durch die AKM-Mitgliedschaft von Vorstandsangehörigen des Verbands der Historiker und Historikerinnen hätte ausdrücken können. Jedoch habe der AKM eine epochenübergreifende Vereinigung aller denkbaren wissenschaftlichen Zugänge dargestellt, was Neitzel als besonderes Merkmal und Geheimnis von dessen langfristigem Erfolg wertete. Die Jahrestagungen stellten einen Diskussions- und Begegnungsraum dar, der die Trends der Geschichtswissenschaft abgebildet hat. Hier habe sich ein universitäres Milieu – von Studierenden bis zu Lehrstuhlinhaber:innen – wiedergefunden, das sich im weitesten Sinn für Militärgeschichte interessierte. Neben den Erfolgen der Vereinsgeschichte verwies Neitzel auch auf negative Entwicklungen. So seien, nachdem die Angehörigen des AKM-Gründernetzwerks Krumeich, Förster und Wegner in den Ruhestand gegangen waren, deren Professuren nicht mit Nachfolger:innen besetzt worden, die sich ebenfalls mit Militärgeschichte befassten. Außerdem konstatierte Neitzel, dass die Militärgeschichte in den großen Institutionen der Zeitgeschichte so gut wie keine Rolle spiele, ähnlich wie bei den meisten einflussreichen Stellen in der Geschichtswissenschaft.

Die anschließende Podiumsdiskussion wurde von Christa Ehrmann-Hämmerle (Wien) moderiert und widmete sich in drei Blöcken erstens der Arbeit des AKM, zweitens der Entwicklung der deutschsprachigen Militärgeschichte im Lichte der internationalen Militärgeschichte und drittens deren Problemen und Perspektiven. An ihr nahmen STIG FÖRSTER (Bern), MARIAN FÜSSEL (Göttingen), WENCKE METELING (Washington, D.C.), SÖNKE NEITZEL (Potsdam) und MARKUS PÖHLMANN (Potsdam) teil.

Eingangs hatten die Teilnehmenden Gelegenheit, allgemeine Gedanken zum AKM und der Militärgeschichte auszutauschen. Meteling hob die kommunikative Funktion des Arbeitskreises hervor. Für sie stehe die Militärgeschichte als Subdisziplin mit ihrem klaren Gegenstandsbezug für die Einheit der Geschichtswissenschaft über Epochengrenzen hinweg. Förster ging auf den „todernsten“ Hintergrund der Untersuchungsgegenstände von Militärhistoriker:innen ein, den er als „widerlich“ bezeichnete. Umso wichtiger sei es deshalb, eine innere Distanz zum Thema zu bewahren. Füssel und Pöhlmann betonten den Wert von Exkursionen im Rahmen der Tätigkeiten des AKM, schließlich sei ihre „Raumgebundenheit“ ein Merkmal der Militärgeschichte. Die anderen Diskussionsteilnehmer:innen schlossen sich diesem Plädoyer an, trotz der hohen logistischen Hürden solcher Exkursionen, auf die Neitzel hinwies.

Im zweiten Block, der die Entwicklung der deutschsprachigen Militärgeschichte im Kontext der internationalen Militärgeschichte behandelte, argumentierte Neitzel, die länderspezifischen Ausprägungen des Fachs lägen sowohl in unterschiedlichen Fachkulturen als auch im Verhältnis der jeweiligen Gesellschaft zum Militär begründet. Meteling sprach sich für die Erhaltung von Deutsch als Wissenschaftssprache aus, betonte aber gleichzeitig die Bedeutung englischsprachiger Publikationen und Tagungen für die Sichtbarkeit auf internationaler Ebene. Füssel zufolge zeichne sich die Militärgeschichte durch eine große Offenheit gegenüber kulturgeschichtlichen Konzepten aus, nicht aber durch methodische Innovation, die er als Desiderat für die zukünftige Entwicklung bezeichnete. Pöhlmann konstatierte, dass die Militärgeschichte auf nationaler Ebene keine besonders relevante Subdisziplin sei. Bedeutsam sei die Mittlerposition zwischen unterschiedlichen nationalen Fachkulturen, die langfristig im Ausland tätige deutschsprachige Militärhistoriker:innen einnehmen.

Anschließend an diese Überlegungen bezeichnete Förster im dritten Block zu Problemen und Perspektiven den üblichen Fokus auf den angelsächsischen Sprachraum als zu einseitig und appellierte, die internationale Kooperation auszubauen. Auf nationaler Ebene sprach er sich für mehr Austausch von Militärhistoriker:innen mit dem Verband der Historiker und Historikerinnen aus. Ausgehend von ihren persönlichen Beobachtungen, stellte Meteling die These auf, das englischsprachige Ausland werde zukünftig für deutsche Forschende als Arbeitsplatz weniger in Frage kommen, im britischen Fall aufgrund von Stellenstreichungen wegen Haushaltsengpässen und in den USA wegen der nachlassenden studentischen Nachfrage an History Departments, die ebenfalls drastische Personalkürzungen nach sich gezogen habe. Neitzel betonte das große öffentliche Interesse an Militärgeschichte und leitete daraus deren Verpflichtung ab, alle Themenbereiche rund um Krieg und Militär abzubilden. So sei es ein Fehler professioneller Historiker:innen gewesen, die Operationsgeschichte lange dem „Bahnhofskiosk“ überlassen zu haben. Wenn sich die Forschung früher mit der Taktik der Wehrmacht auseinandergesetzt hätte, wäre dem Mythos der Wehrmacht als „Superarmee“ früher Einhalt geboten worden, so Neitzel. Füssel plädierte hinsichtlich methodischer Zugänge für mehr Längsschnitte. Die longue durée sei anderen Fächern überlassen worden. Die der Militärgeschichte eigenen Historisierungsqualitäten bei der Erforschung von Krieg und Gewalt sollten Füssel zufolge mehr ausgespielt werden. Pöhlmann bezeichnete den epochenübergreifenden Ansatz des AKM als Stärke. Er sprach sich für eine intensivere Auseinandersetzung mit der Begriffsgeschichte aus, um deren Potential für die Militärgeschichte zu nutzen, indem grundlegende Begriffe einer strukturierten Betrachtung unterzogen würden. Darüber hinaus gelte es, Schnittstellen zur Gewaltgeschichte auszuloten und nach dem Stellenwert des Militärs darin zu fragen. Ehrmann-Hämmerle ergänzte, Gleiches gelte auch für die historische Friedens- und Konfliktforschung.

Martin Clauss (Chemnitz): Begrüßung

Sönke Neitzel (Potsdam): Impulsvortrag

Podiumsdiskussion

Moderatorin: Christa Ehrmann-Hämmerle (Wien)

Stig Förster (Bern), Marian Füssel (Göttingen), Sönke Neitzel (Potsdam), Wencke Meteling (Washington, D.C.), Markus Pöhlmann (Potsdam)

Anmerkung:
1 Die Veranstaltung wurde aufgezeichnet. Das Video ist unter http://portal-militaergeschichte.de/content/tagungsstream-jubil%C3%A4umspanel-25-jahre-arbeitskreis-milit%C3%A4rgeschichte-ev abrufbar.


Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger