Hinter Gittern. Zur Geschichte der Inhaftierung zwischen Bestrafung, Besserung und (politischem) Ausschluss

Hinter Gittern. Zur Geschichte der Inhaftierung zwischen Bestrafung, Besserung und (politischem) Ausschluss

Organisatoren
Gedenkstätte Bautzen
Ort
Bautzen
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.11.2005 - 05.11.2005
Url der Konferenzwebsite
Von
Ulrich Huemer, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam e.V.

Vom 3. bis 5. November widmete sich eine Tagung in den Räumen des ehemaligen Gefängnisses Bautzen II der Geschichte der Inhaftierung. Die Organisatoren – Silke Klewin (Gedenkstätte Bautzen), Gerhard Sälter (Dokumentationszentrum Berliner Mauer), Herbert Reinke (Berlin) – haben das sehr umfassende Thema dabei nicht in Epochen eingeteilt, sondern eine rein thematische Untergliederung in vier Sektionen vorgenommen. Zeitlich umfassten die Vorträge und Diskussionen eine Spanne von der frühen Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert und mit der abschließenden Führung durch die JVA Bautzen bis in die Gegenwart.1

In der Einleitung konstatierte Herbert Reinke, dass die Gefängnisforschung sich erst langsam als eigene Disziplin entwickelt, und vor allem zur DDR noch am Anfang steht. Dies sei umso mehr ein Manko, als die DDR im europäischen Vergleich sehr hohe Häftlingszahlen aufwies, etwa vergleichbar mit denen der USA oder Großbritanniens. Gerhard Sälter warf grundlegende Fragen zur Begründung der Institution Gefängnis auf, insbesondere zur Frage der Reintegration – ein Thema, auf das die Diskussion im Verlauf der Tagung immer wieder zurückkam. Silke Klewin gab einen kurzen Einblick in die Arbeit der Gedenkstätte. Diese konzentriert sich, entsprechend ihrem Auftrag, thematisch auf die politische Haft in beiden Bautzener Gefängnissen. In der größeren Anstalt, Bautzen I, heute die JVA Bautzen, auch “Gelbes Elend” benannt, war im Nationalsozialismus und in der SBZ eine große Zahl politischer Häftlinge eingesperrt. Sitz der Gedenkstätte ist das kleinere, ans Gericht angeschlossene ehemalige Gefängnis Bautzen II.

Die erste Sektion beschäftigte sich mit Haft im Kontext politischer Instrumentalisierung in Deutschland, und war damit inhaltlich auf die DDR und den Nationalsozialismus begrenzt. Tobias Wunschik (BStU, Berlin) stellte einen Vergleich der Haftsysteme in der DDR und im „Dritten Reich“ an. Dieser brachte, neben Ähnlichkeiten in der Nutzung von Funktionshäftlingen und Spitzeln, vor allem die Unterschiede zu Tage. Während die SA auf eine Säuberung des Volkskörpers abzielte, waren in der DDR Erziehung und Reintegration zumindest als Anspruch der Haft formuliert. Körperliche Strafen, etwa die Entmannung von Sexualstraftätern, gab es in der DDR nicht. Auch der Häftlingsverkauf der DDR an die BRD stellt eine Besonderheit dar, für die es im Nationalsozialismus kein Äquivalent gab.

Leonore Ahnsorg (Berlin) verglich in ihrem Referat die politische Haft im Nationalsozialismus und der DDR am Haftort Brandenburg. Brandenburg wurde in der DDR zwar als ehemaliger Haftort von Kommunisten gewürdigt, eine wissenschaftliche Aufarbeitung fand aber nicht statt. Parallelen zwischen Nationalsozialismus und DDR gab es im Blick auf die Weimarer Reformvorstellungen. Während die Nationalsozialisten die Generalprävention betonten, und höhnten, die Gefängnisse glichen Sanatorien, stellte die DDR Sicherheit statt “falscher Humanität” in den Vordergrund. Wahre Humanität bestünde darin, dass die Haft als Instrument des Klassenkampfes dem Volk diene. Trotzdem sind die Unterschiede nicht zu übersehen: Während im Nationalsozialismus in Brandenburg mehr als 2000 Hinrichtungen meist politischer Häftlinge stattfanden, nahm in der DDR die Bedeutung des Besserungsgedanken ab den 1960er-Jahren zu.

In der anschließenden Diskussion wurde immer wieder die BRD als dritter Vergleichsmaßstab herangezogen: Auch hier standen bis in die 1960er-Jahre in vielen Zellen Kübel anstatt von Toiletten. Kontrovers diskutiert wurde die Frage, inwieweit Informationszuträger in Gefängnissen der BRD mit Spitzelsystemen im Nationalsozialismus und der DDR vergleichbar sind. Die Forschung zu Haftanstalten in der BRD folgt allerdings in der Regel ganz anderen Fragestellungen, da es scheinbar an Distanz zum Forschungsgegenstand fehlt. Erörtert wurde auch die These, dass die Hafterfahrung vieler SED-Funktionäre einen entscheidenden Einfluss auf die konkrete Ausgestaltung der Haftbedingungen in der frühen DDR hatte.

Ronny Heidenreich (Berlin) berichtete über die Häftlingsproteste im Herbst 1989 in Bautzen I. Hier gelang es den Häftlingen, zunächst eine Amnestie für Republikflüchtlinge zu erreichen und am 6. Dezember 1989 für alle Häftlinge mit Strafen bis zu drei Jahren. Auch die Urteile der übrigen Häftlinge wurden überprüft, und viele von ihnen amnestiert. Erst im folgenden Sommer wurde das Gefängnis allmählich wieder gefüllt und ist seither wieder voll bzw. überbelegt.

Zum Abschluss des ersten Tages führte Jörg Morré (Gedenkstätte Bautzen) durch die Gedenkstätte Bautzen II. Der besondere Ruf dieses Gefängnisses kommt daher, dass sich das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) einen speziellen Zugriff auf die “Sonderhaftanstalt” Bautzen II sicherte, obgleich das Gefängnis, wie alle Strafvollzugsgefängnisse der DDR, formell unter Verwaltung des Ministerium des Inneren (MdI) stand. Hier wurden für das MfS besonders wichtige Häftlinge untergebracht: einige herausragende Oppositionelle, Fluchthelfer, westliche Spione und ehemalige MfS-Mitarbeiter.

Im Anschluss ergaben sich Diskussionen darüber, was eigentlich als politische Haft zu werten sei. Illegaler Grenzübertritt und auch Fluchthilfe galten im Kontext der DDR allgemein als politisches Delikt. Traf dies auch dann zu, wenn dabei Schusswaffen getragen wurden? Und was ist mit Spionage, die sicher vielfach politisch motiviert war? Zumindest im Einzelfall lassen sich solche Fragen kaum entscheiden, bzw. es hängt davon ab, welche Perspektive man einnimmt.

Den zweiten Tag eröffnete Rüdiger Wenzke (Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam) mit einem Referat über den Strafvollzug in der Nationalen Volksarmee (NVA). Diese war von Anfang an bemüht, Disziplinarstrafen selbst zu verhängen und durchzuführen. Eine Strafkompanie nach sowjetischem Vorbild wurde in der DDR allerdings nicht eingeführt, stattdessen erreichte die NVA, dass ihre Mitglieder getrennt vom normalen Vollzug des MdI ihre Strafe verbüßten, und ab 1982 unterstand die gefürchtete “Disziplinareinheit II” in Schwedt der NVA selbst.

Christoph Bitterburg (Hamburg) beschäftigt sich mit der Entlassenenfürsorge der Weimarer Republik und ihrer Veränderung im Nationalsozialismus in Hamburg. Die zumeist lokal arbeitenden kirchlichen Vereine, die ab 1910 in einem Verband zusammengeschlossen waren, wurden 1933 in die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) eingegliedert. Damit wurden sie einerseits von der Justiz offiziell anerkannt und finanziert, gleichzeitig aber auch zu einem Instrument nationalsozialistischer Politik, indem sie die Familien von Inhaftierten unabhängig von ihrer Bedürftigkeit und die Haftentlassenen über die Haftzeit hinaus kontrollierten.

In der die erste Sektion beschließenden Diskussion wurde deutlich, dass der Begriff der politischen Haft keine Schöpfung des 20. Jahrhunderts ist, sondern bereits im 19. Jahrhundert weit verbreitet war. Schon in der frühen Neuzeit wurde zwischen politischen und kriminellen Delikten unterschieden. Besonderen Wert auf diese Unterscheidung legten zunächst die politischen Häftlinge selbst, in vielen Fällen erhielten sie einen von Kriminellen getrennten und leichteren manchmal auch verschärften Strafvollzug. Auffällig ist dabei, dass auch Staaten, die den Begriff der politischen Haft für sich ablehnen, und darauf beharren, dass alle Gefangenen nach allgemeingültigen Gesetzen verurteilt wurden, doch häufig in ihrer Praxis zwischen den verschiedenen Häftlingsgruppen unterscheiden.

Die zweite Sektion warf die Frage auf Bessern durch das Einsperren? Zunächst referierte Falk Brettschneider (Paris) über die Entwicklung des Besserungsgedankens im 18. und 19. Jahrhundert und seine Praxis in Sachsen. Dabei problematisierte er die Vorstellung, der zufolge es eine kontinuierliche Entwicklung hin zu einem liberaleren Strafvollzug gegeben hätte. Charakteristisch sei vielmehr ein ständiges, regional oft gegenläufiges Auf und Ab, wobei zeitweise der Besserungsgedanke stärker betont wurde und dann wieder Sühne und Generalprävention im Vordergrund standen.

Gerhard Ammerer und Alfred Weiss (beide Universität Salzburg) berichteten über das österreichische Zuchthauswesen zwischen 1750 und 1850. Dabei stand eindeutig die Arbeit im Vordergrund, wobei Häftlinge auch für mehrere Jahre an Manufakturen verliehen wurden. Der Wiener Kaplan und spätere Erzbischof Vincenz Eduard Milde kritisierte diese Praxis, in der Zuchthäuser wie Fabriken geführt wurden. Der Anstaltsleiter sollte stattdessen ein “Arzt der Moral” sein. Auch als Konsequenz seiner Bemühungen wurde im Verlauf des 19. Jahrhunderts die Gefangenenseelsorge institutionalisiert.

Jörg Morré (Gedenkstätte Bautzen) stellte die These auf, dass mit der Verlagerung der Zuständigkeit für die Haftanstalten vom Justiz- zum Innenministerium im Jahr 1949 der Gedanke der Besserung aus dem Strafvollzug der DDR verschwand. Als zentrale gescheiterte Figur porträtierte er dabei Werner Gens, der nach dem Krieg die Abteilung Strafvollzug im Justizministerium geleitet hatte.

In der die Sektion abschließenden Diskussion wurde das Verhältnis von Besserung und Gefangenarbeit thematisiert, das sich über die Jahrhunderte hinweg kaum änderte. Zwar gilt allgemein, dass Gefangenenarbeit kaum rentabel sein kann – die Verwahrungskosten sind zu hoch – doch waren die Bekenntnisse zur “Erziehung durch Arbeit” häufig eben nicht mehr als Bekenntnisse, während die Arbeit hauptsächlich dazu dienen sollte, wenigstens einen Teil der Haftkosten einzubringen. “Erziehung durch Arbeit” wurde insofern auch gar nicht als Besserungskonzept diskutiert.

Im Vordergrund der von Martin Scheutz (Universität Wien) geschilderten Konversionshäuser stand die Besserung. Hier wurden in Österreich im 18. Jahrhundert geheime Protestanten eingewiesen, um zum katholischen Glauben zurückgeführt zu werden. Arbeit spielte dabei nur eine geringe Rolle, die “Besserung” sollte vor allem durch religiöse Unterweisung bewirkt werden. Die Einrichtungen waren allerdings nicht ausreichend erfolgreich und wurden nach einigen Jahrzehnten wieder geschlossen, die Betroffenen wurden stattdessen nach Siebenbürgen deportiert.

Die dritte Sektion beschäftigte sich mit der Quellenbasis. Eva-Maria Lerche (Münster) stellte eine Fallstudie über das westfälische Landarmenhaus Benninghausen vor. Dabei versuchte sie, durch die Auswertung von Fallakten die Sicht der Insassen auf die Anstalt in den Mittelpunkt zu nehmen. Schriftliche Zeugnisse sind allerdings nur in geringem Umfang vorhanden.

Andreas Fleiter (Bochum) verglich in seinem Vortrag den Strafvollzug in den USA und der Weimarer Republik. Während für die Maryland Penitentiary keine personenbezogenen Akten vorliegen, und auf Presseberichte und einen 1912 eingesetzten Untersuchungsausschuss zurückgegriffen werden muss, um etwas über die Sicht der Häftlinge zu erfahren, liegen für die Weimarer Zeit umfangreiche Gefangenen-Personalakten vor. Allerdings wurde in darin enthaltenen Briefen der Gefängnisalltag oft absichtlich zu positiv geschildert, sei es um Verwandte zu beruhigen, sei es weil zu negative Berichte ohnehin zensiert wurden.

Sylvia de Pasquale (Berlin) referierte über die Baugeschichte der Strafanstalt Brandenburg-Görden von 1927 bis 1934. Die Planung erfolgte für einen Stufenstrafvollzug, der eine Besserung der Häftlinge in drei Stufen vorsah, wobei die Arbeit großen Raum einnahm. Dieser Reformansatz wurde allerdings im Nationalsozialismus fallengelassen, die Anstalt aber wegen der hohen Ausbruchssicherheit dennoch geschätzt.

Warren Rosenblum (Webster University, St. Louis, USA) behandelte in seinem Vortrag die Unterstützung, die Haftentlassene im späten Kaiserreich und der Weimarer Republik von privater Seite erhielten. Typisch für die Zeit war etwa das von der Schauspielerin Hedwig Wangel eingerichtete Heim “Tor der Hoffnung” in dem aus der Haft entlassene Frauen Aufnahme fanden. Das Heim in Storkow wurde aber auch zu einem Treffpunkt für Künstlerkollegen aus dem nahe gelegenen Berlin, die hier gemeinsam mit den vorbestraften Frauen Partys feierten.

Die letzten beiden Referate der offenen Sektion standen thematisch weniger im Verhältnis zum Rest der Tagung. Klaus Weinhauer (Universität Hamburg) vertrat in seinem Referat die These, dass die Probleme um den Drogenkonsum in der Haftanstalt Moabit in den 1970er-Jahren den Anstoß für die Änderung der Berliner Drogenpolitik gaben.

Frank Hiekel (Direktor der JVA Görlitz, früher tätig in der Haftanstalt Bautzen I) referierte über die Entwicklung des Gefängnisgeldes in der DDR. Damit wurden unter anderem die Löhne der Häftlinge ausbezahlt. Sie erhielten dabei zuletzt 18% der Lohnhöhe der jeweiligen Branche, wovon noch allfällige Schulden zu begleichen waren und Rücklagen gebildet werden mussten. Diese wurden bei der Entlassung 1:1 in DDR-Mark gewechselt und ausgehändigt.

Insgesamt lässt sich sagen, dass die zeitlich übergreifende Behandlung des Themas Haft sehr positiv gewirkt hat. Manches was in anderen Zusammenhängen vielleicht als für die DDR oder für Diktaturen typisches Phänomen gewertet worden wäre, konnte so in einen größeren Kontext gestellt werden. Bedauerlich ist, dass das Gefängniswesen der BRD nur am Rande zur Sprache kam, wie auch in Bezug auf die DDR und den Nationalsozialismus meist nur die politische Haft behandelt wurde. Dies entspricht sicher den allgemeinen Forschungsschwerpunkten und ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass den politischen Häftlingen mehr Sympathie entgegengebracht oder dem Thema der politischen Haft mehr Bedeutung beigemessen wird. Zufrieden stellend ist es aber nicht.

Zum Abschluss der Tagung führte der Direktor Burghart Jäckel durch die JVA Bautzen.

Anmerkungen:
1 Vollständiges Programm unter: http://www.stsg.de/main/bautzen/ueberblick/veranstaltungen/index_details.php?id=1155


Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts