Historikertag 2014: Mittelalterliche Geschichte

Von
Jörg Bölling, Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte, Georg-August-Universität Göttingen / Bergische Universität Wuppertal

Besprochene Sektionen:

Gewinner und Verlierer im Normenwandel? Spätmittelalterliche Praktiken der Güterwegnahme an Land und auf See im Vergleich

Aufstieg und Fall frühmittelalterlicher Warlords

Reich ist, wer Geld hat? Ökonomischer Gewinn und Verlust im Blick von Zeitgenossen und Forschung

„Gewinner” in der Kritik. „Verlierer” ernten Lob. Jenseits der Panegyrik des „guten Herrschers” in der hochmittelalterlichen Chronistik

AND THE WINNER TAKES IT ALL? Gewinnen und Verlieren an den europäischen Höfen des Mittelalters

Räuber und Piraten, Krieger und Kriegsherren, Banken-Boom und Hanse-Handel, Verliererlob und Herrscherkritik, Interessen und Intrigen bei Hofe - die Mittelalter-Sektionen des in Göttingen abgehaltenen 50. Historikertages boten facettenreiche Beiträge. Doch das diesmalige Oberthema, "Gewinner und Verlierer", prägte weniger die Forschungsgegenstände als vielmehr die Fragestellungen der verschiedenen Mittelalter-Sektionen.

Die von MICHAEL JUCKER (Luzern) und GREGOR ROHMANN (Frankfurt am Main) organisierte Sektion „Gewinner und Verlierer im Normenwandel? Spätmittelalterliche Praktiken der Güterwegnahme an Land und auf See im Vergleich“ hob die traditionelle Frage nach materiellem Gewinn und Verlust bestimmter beteiligter Akteure auf ein neues Niveau.

Wie Moderator JAN RÜDIGER (Basel) eingangs bemerkte, ging es gerade nicht darum, „wer wem“ etwas entwendet haben mag, sondern um die gewandelte Beurteilung der „Güterappropriation“. Der Vergleich zwischen Land und See ließ diese Sektion dabei zusätzlich an Konturenschärfe gewinnen. GREGOR ROHMANN (Frankfurt am Main/Köln) hob überzeugend hervor, das Kaperrecht habe nur dem Souverän zugestanden, dessen sich die gleichsam fehdeberechtigten Kaufleute mit der Zeit bemächtigt hätten. Kennzeichnend für das Spätmittelalter sei – im Unterschied zu antiken und mittelalterlichen Begriffsbildungen – ein ausgeprägter Rechtspluralismus („legal pluralism“) gewesen. MICHAEL JUCKER (Luzern) betonte die Bedeutung des faktischen Ressourcentransfers gegenüber fehlenden Normen, wie sie später die Haager Konvention bieten sollte, jedoch auch Tabus gegenüber Kirchen und deren Gütern und Angehörigen, verbunden mit einer „göttlichen Drohkulisse“ angesichts „schwacher Herrscher“, nicht zuletzt durch Heilige. Die von Jucker beobachteten Beispiele der Tabuisierung von deren Reliquien ergänzen überzeugend die von Patrick Geary behandelten „Furta scara“. Juckers Gegenbeispiel der Eroberung Konstantinopels im Jahre 1204 bestätigte letztlich nur die bereits aufgestellte These vom Rechtspluralismus. Seine Feststellung, akkumuliertes Raubgut habe oft nicht weiter distribuiert und damit auch nicht kommodifiziert werden können, spricht für die von ihm beobachtete symbolische Dimension vieler Aktionen, zu deren Analyse er insbesondere auf Arjun Appadurai, Wim van Binsbergen und Pierre Bourdieu verwies.

BASTIAN WALTER-BOGEDAIN (Wuppertal) stellte sein laufendes Habilitationsprojekt zum „rex captivus“ an zwei Beispielen vor: der Gefangennahme Johanns des Guten in der Schlacht von Poitiers (19. September 1356) und der Franz’ I. in der Schlacht von Pavia (24. Februar 1525). Das Reich erschien daraufhin jeweils – völlig ungewohnt – „acephalum“, kopflos. Von Königen wurde zwar die Teilnahme auf dem Schlachtfeld erwartet, und Abbildungen lassen sie dort (auf der Darstellungsebene) eigens mit Kronen erscheinen (die sie auf der dargestellten Handlungsebene freilich nie getragen haben). Gleichwohl sei es nicht üblich gewesen, einen König gefangen zu nehmen oder gar zu töten. Allenfalls Waffenrock und Helm wurden, etwa im Fall Johanns des Guten, als dezidiert erkennbar königliche Beute mitgeführt, sofern der König nicht von sich aus – wie noch im 19. Jahrhundert üblich – kapituliert und wie ein Schuldner dem Gläubiger Waffen oder Handschuhe übergeben hatte. Auf dieser symbolischen Ebene tauschten Gewinner und Verlierer bei den gezeigten Beispielen die Rollen.

STEFAN XENAKIS (Gießen) stellte aus dem Projekt „Gewaltgemeinschaften“ als Beispiel die Verhandlungen um eine Beutenahme in Schwäbisch Gmünd aus dem Jahre 1519 vor. Im Anschluss an seine Dissertation konnte er aufzeigen, dass selbst unkontrolliertes Plündern von den Obrigkeiten in Kauf genommen wurde, wenn diese den nötigen Sold nicht auszahlen konnten. Der Kontrolle unterworfen war jedoch offenbar, wer plünderte: Oft entschied das Los. Umgekehrt verzichteten bereits saturierte Söldner auf weitere Kriegszüge samt dem dafür vereinbarten Lohn. Neben dem regulierten Plündern zeigte der Vortragende als Alternative die Schatzung, die Erpressung von Gütern – oder auch Gefangenen – unter Androhung zerstörerischer Gewalt vor. Doch nicht alle Vermittlungsversuche waren erfolgreich, so dass am Ende einmal mehr angewandte Gewalt über die faktischen Gewinner und Verlierer entschied.

Den im Sektionsuntertitel anklingenden Vergleich von See und Land zeigte PHILIPP HÖHN (Saarbrücken/Frankfurt am Main) am Beispiel kaufmännischer Konfliktaustragungen im Hanseraum auf. Die See erschien dabei keineswegs als rechtsfreier Raum, wie noch Carl Schmitt meinte. Statt auf offener See ereigneten sich Überfälle offenbar eher „im Küstengebiet oder auf Pässen“. Wiederum galt als Gewinner, wer sein Recht durchsetzen konnte – allerdings unter „Aktivierung des sozialen Umfeldes“, Beachtung geltender Normen und Einsatz von Gewalt nur als ultima ratio. Die im Vortragstitel gestellte Frage „Konsens durch Konfrontation?“ konnte somit zu Recht bejaht werden – allerdings nicht im Sinne unüberlegter Angriffslust, sondern als „Strategie“.

Nach diesem Übergang zwischen Land und Meer widmete sich NICOLAI CLARUS (Hamburg) nun dezidiert der See. Er beleuchtete den Fall des in England als „Soldkämpfer“ angeworbenen Bartholomäus Voet. Dieser um die Mitte des 15. Jahrhunderts in Diensten Lübecks stehende Auslieger führte den Ergebnissen von Clarus zufolge das Kaperwesen erstmals effizient und als „legitimes Mittel der Fehdeführung in den Hansestädten“ ein. Davon profitierte er oftmals als Gewinner, handelte sich aber mit seinem Gefolge auch den Ruf des Unrechtmäßigen ein, somit den eines moralischen Verlierers. Der in der zeitgenössischen Chronistik verwendete Begriff „Vitalienbrüder“ sollte diesen Zusammenhang in ablehnender Tendenz verdeutlichen, freilich ohne dadurch gleich den dauerhaften und medienwirksamen Ruhm eines Störtebeker zu begründen.

Der resümierende Kommentar von CHRISTINE REINLE (Gießen) warf auch einige interessante neue Fragen auf, an die sich eine anregende Diskussion anschließen konnte. Das Meer kann demnach nicht als rechtsfreier Raum gelten, Schädigung – nicht zuletzt des symbolischen Kapitals – spielte offenbar eine größere Rolle als Tötung, die Sache selbst war entscheidender als die geschädigte Person, wobei Kaufleute eine Art „Mitunternehmerschaft“ (Peter Moraw) königlicher Beamten „auf Zeit“ übernehmen konnten. Seeraub schien einerseits weitaus lukrativer als Fehdeführung, doch konnten Dörfer oft mehrere Male geplündert werden. Lösegelder spielten symbolisch wie ökonomisch eine Rolle. Das außergewöhnliche Beispiel eines erbeuteten Altares bei Rohmann relativiere die sonst vorherrschende Tabuisierung sakraler Gegenstände. Erlangte Fahnen und Wimpel mögen als Beute oder auch zum bloßen Recycling verwendet worden sein. Neben den behandelten Geiseln, so Reinle, könnte die Einbeziehung von Sklaven das Blickfeld weiten.

Die Sektion überzeugte in ihrer Gesamtkonzeption wie auch in ihren Einzelvorträgen, indem die für sich gesehen mitunter traditionell anmutende Frage nach Gewinnern und Verlierern innovativ auf bisher weniger beachtete Akteure und Vermittler, Verfahren und Strategien sowie – vielfach symbolisch aufgeladene – Eigen- und Fremdzuschreibungen überaus gewinnbringend angewandt wurde.

Fokussieren traditionelle Ansätze den Übergang von der Antike zum Mittelalter meist von einer der beiden Epochen aus, um den „Aufstieg und Niedergang“ bestimmter, als jeweils maßgeblich erachteter Herrschafts- und Kulturformen in den Blick zu nehmen, so war die Sektion „Aufstieg und Fall frühmittelalterlicher Warlords“ einem frühmittelalterlichen Phänomen gewidmet, das sich dem Bedeutungs- und Machtverlust des Imperium Romanum verdankte. „Warlords“, aus eigenem Antrieb Krieg führende Machthaber, lassen sich weder mit spätantiken noch mit frühmittelalterlichen Herrschern gleichsetzen, auch wenn diese in Quellen mitunter gleichlautende oder ähnliche Bezeichnungen tragen. Vor diesem Hintergrund zog MATTHIAS BECHER (Bonn) in seiner Einführung zu Recht einen Vergleich zwischen gescheiterten Staaten des 20. Jahrhunderts, in deren Kontext der Begriff des „Warlord“ meist Verwendung findet, und dem Imperium Romanum. Mit Hilfe dieses Forschungsbegriffs sollten auch neue Fragen an die Quellen gestellt werden können.

GUIDO BERNDT (Erlangen/Nürnberg) konnte zeigen, dass das Phänomen des „Warlord“ in der Regel nur auf einen Lebensabschnitt bestimmter Anführer zutrifft, die dadurch aber oftmals zu einer erfolgreichen dauerhaften Herrschaft gefunden hätten. Dabei wurde auch deutlich, dass Quellenbegriffe wie „phylarchoí“ keine wirklich anerkannte Führungselite bezeichneten. Als Beispiele dienten ihm drei besonders prominente Persönlichkeiten, die jeweils Hunnen, Franken und Langobarden anführten: Attila, Childerich und Alboin. Berndts vordergründig ernüchternd erscheinendes Resümee, dass sich „kein idealtypischer Warlord“ habe ausfindig machen lassen, bestätigte indirekt letztlich nur, dass dieser Begriff sich gerade deshalb zur Analyse bisher unbeachteter Phänomene eignete.

Den Quellenbegriffen selbst wandte sich daraufhin LAURY SARTI (Berlin) zu, indem sie nach deren tatsächlicher Verwendung zur Bezeichnung einer „Militärelite im nachrömerzeitlichen Gallien“ fragte und vergleichend archäologische Funde hinzuzog. Neben den im Vortragstitel genannten duces, antrustiones und bellatores widmete sie sich weiteren verwandten Begriffen und ordnete sie nach möglichen Rangstufen vier Gruppen zu: Mit den duces bildeten demnach die comites und patricii den höchsten Rang, gefolgt von antrustiones und convivae regis, die sie mit Ringschwertgräbern in Zusammenhang brachte, dann elitären Franci und leudes, schließlich armigeri, bellatores, proeliatores und pugnatores, die mit aufgefundenen reichen Gräbern zu korrespondieren scheinen. Als Fazit zog sie jedoch, dass die Grenzen der frühmittelalterlichen Elite letztlich unscharf geblieben seien – und dies möglicherweise nicht nur in sprachlicher Hinsicht, sondern in Form einer gewissen sozialen „Durchlässigkeit“. Diese Schlussfolgerung entsprach auf einer breiteren gesellschaftlichen Basis Berndts Befund bei den hochrangigen Heerführern: Es gab offenbar nicht nur „Verstetigungen“ von erfolgreichen „Warlords“, sondern insgesamt eine größere soziale Mobilität.

Von der sozialen zur räumlichen Mobilität hin weitete MATTHIAS HARDT (Leipzig) das Blickfeld. Um der Entstehung des slawischen Kulturraums nachzugehen, widmete er sich sechs konkreten Persönlichkeiten des 6. bis 10. Jahrhunderts: Chilbud, Hildigis, Samo, Woynimir, Pribina und Wichmann dem Jüngeren. Diese verband bei allen Unterschieden in Zeit und Raum, Zielen und Möglichkeiten des Handelns der gemeinsame Wunsch, Slawen zu werden. Die in der Forschung umstrittene Frage nach Migration oder Konstruktion beantwortete er mit dem Kompromissvorschlag, beides träfe zu. Hardt hob zu Recht hervor, dass das militärische Engagement über das der eher eigennützigen neueren „Warlords“ hinausgegangen sei und zur Genese der „Slawen“ beigetragen habe. Dieser Befund deckte sich letztlich wiederum mit dem Ergebnis Berndts, dass die Tätigkeit eines erfolgreichen „Warlord“ verstetigt werden konnte – nur dass es im Falle der Slawen um ein größeres Kollektiv ging.

Die anschließende Diskussion rankte sich vor allem um den Begriff des „Warlord“. Kritisiert wurde die negativ-kriegerische Konnotation, die nicht durchgehend für alle behandelten Persönlichkeiten Gültigkeit besitze, wohl aber etwa für Karl den Großen, Fehdeführer des Spätmittelalters oder moderne Terroristen. Kontrovers diskutierte Gegenvorschläge wie „Alpha-Tier mit Bande“ und „charismatischer Herrscher“ (im Sinne Max Webers) zeigten jedoch, dass der Begriff des „Warlord“ nicht nur bestimmte Dichotomien aufgebrochen hat, sondern einen neuen Diskurs in Gang zu bringen vermag, aus dem dann wieder alternative und anknüpfende Konzepte entwickelt werden könnten.

Gewinner und Verlierer in ökonomischer Hinsicht behandelte die von HIRAM KÜMPER (Mannheim) moderierte Sektion „Reich ist, wer Geld hat? Ökonomischer Gewinn und Verlust im Blick von Zeitgenossen und Forschung“, wobei Zeitgenossen und Forschung gleichermaßen in den Blick genommen wurden. TANJA SKAMBRAKS (Mannheim) zeigte die Funktionsweise der als Alternative zu jüdischen und lombardischen Häusern eingerichteten „Monti di Pietà“ auf – von der Schätzung und Verwaltung der Pfänder durch den „Konservator“ bzw. „Stimatore“ über die Auszahlung der Darlehnssumme durch den „Depositarius“ bis hin zur Buchführung durch den Notar. Kirchliche Stücke, unverarbeitete Rohstoffe (etwa Tuch), Schmuck, Kleidung und Bücher sowie venezianisches Achatglas schieden als Pfänder aus. Kritik am Zins, etwa durch Dominikaner, begegneten Franziskaner mit Traktaten. Das Zinsverbot wurde demnach offenbar dadurch umgangen, dass der Darlehnszins als Entlohnung der Arbeit ausgegeben wurde: „Geld produziert kein Geld, sondern Arbeit verlangt nach Lohn“.

CHRISTIAN SCHOLL (Münster) dekonstruierte die Meistererzählungen vom Juden als Gewinner (beim späten Martin Luther, Karl Marx und Werner Sombart, „Geld statt Boden“) wie auch vom Juden als Verlierer, der zur Geldwirtschaft gezwungen worden sei (Abaelard, früher Luther). Juden hätten zum einen bereits in Spätantike und Frühmittelalter willentlich als Geldhändler gewirkt und zum anderen auch andere Berufe ausgeübt. Laut Tora hätten zwar in der Tat von Andersgläubigen Zinsen genommen werden dürfen (Deuteronomium 23, 20-21), doch hätten dadurch auch Christen von Juden Zinsen genommen. Weit verbreitet sei das Pfandleihgeschäft der Juden gewesen. Einerseits seien die Juden aus ökonomischen Gründen unersetzlich und entsprechend erwünscht, dadurch andererseits aber, besonders im Spätmittelalter, der Gefahr von Beraubung ausgesetzt gewesen. Abschließend stellte Scholl einige beeindruckende jüdische Quellen vor: rabbinische Rechtsgutachten, hebräische Geschäftsbücher, Urkunden (Schuldbriefe) mit hebräischen Rückvermerken. Ökonomische Gewinner und moralische Verlierer seien weder ausschließlich bei Juden noch bei Christen zu suchen. Gleichwohl führten Ereignisse wie die Pogrome des Jahres 1348 zu nachhaltigem Verlust auf jüdischer Seite.

NILS BOCK (Münster) untersuchte die Bedeutung der italienischen Kaufleute für das Frankreich Philipps IV. Der bis 1999 übliche „Lombardsatz“ und bestimmte Straßennamen erinnern noch heute an diesen Forschungsgegenstand. Bock wandte sich Albizzo und Musciato Guidi di Franzesi zu, im Französischen mit Vornamen „Biche“ und „Mouche“ genannt, die am französischen Hof von einfachen Kammerdienern zu Schatzmeistern und Steuereinnehmern aufgestiegen waren. Bei diplomatischen Missionen in Italien profitierten alle Seiten. Letztlich scheiterten die Brüder aber aufgrund mangelnder vertraglicher Sicherheiten mit dem König und auch ihrer partiellen eigenen Intransparenz. Die anschließende, sehr rege Diskussion thematisierte das Verhältnis der Italiener zu den Juden. Dabei wurde betont, dass anstelle der erwähnten Meistererzählungen die Verflechtungen zwischen Franziskanern, Monti di Pietà und Juden zu eruieren seien, da Monti etwa durchaus Kredite bei Juden aufgenommen hätten.

ULLA KYPTA (Frankfurt am Main) richtete das Augenmerk anschließend auf die ober- und niederdeutschen Kaufleute. Diese hätten drei Ziele verfolgt: Profit durch Kauf und Verkauf, Vermeidung von Ruin durch Verschriftlichung und Beständigkeit durch Verträge, etwa mit den Fuggern. Ihre Beobachtung, dass keine Aufteilung in Nord und Süd – etwa im Sinne von „Fugger gegen Hanse“ – vorgenommen werden könne, fand in der Diskussion große Zustimmung.

ANGELA HUANG (London) behandelte nun genau diesen Handelsverbund im Norden: die Hanse. Die Frage, ob es sich um ein „Netzwerk von Gewinnern“ handele, konnte eindeutig bejaht werden. Die anschließende Diskussion warf Fragen zur Binnenstruktur auf, etwa zu Hierarchie und dezentralem Netzwerk, zu internen Konflikten sowie zu Verlierern und Gewinnern durch Umverteilung. Hier ließe sich auch die Frage nach Verteilungsgerechtigkeit und Chancengerechtigkeit innerhalb der Hanse anfügen.

HEINRICH LANG (Bamberg) schließlich weitete das Themenfeld zeitlich und räumlich, indem er italienische wie süddeutsche Bankiers während des Dreißigjährigen Kriegs betrachtete. Waren nun diese Geldhändler Kriegsverlierer? Die Familie der Salviati, „Fugger der Toskana jener Zeit“, unterhielten engste Beziehungen zu oberitalienischen wie auch französischen Städten und waren mit der Florentiner Signoria familiär verbunden. Der Augsburger Kaufmann Marx Konrad von Rehlingen war vom Kriegsgeschehen räumlich bedingt unmittelbarer betroffen, hielt aber seine Beziehungen weitestgehend aufrecht. Als Gewinner kann aber insbesondere Vincenzo Salviati gelten – nicht zuletzt aufgrund des erlangten Titels eines Marchese. In der Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass sich mitunter sogar einzelne kriegsbedingte Blockaden in den Rechnungsbüchern minutiös nachweisen ließen.

Die Schlussdiskussion begann mit der von Hiram Kümper aufgeworfenen Frage nach protonationalökonomischen Strukturen, die mit Rekurs auf die jeweiligen Privilegien und den Verweis auf die noch staatenlosen Stadtgemeinden und Gemeinschaften beantwortet wurde. Herausgestellt wurde weiterhin, dass Juden insgesamt ein höheres Risiko zu tragen hatten, im Einzelfall aber sogar einer Zunft beitreten konnten. „Kalkulieren“ könne nicht nur als wirtschaftliche kognitive Fähigkeit, sondern auch als soziale Praxis betrachtet werden, so Bock. Reichtum schließlich sei, mit Blick auf den Vortrag von Lang und die übergeordnete Frage der Sektion, nicht allein eine Frage des Geldes, sondern auch des Einflusses. Schließlich erschienen die Kategorien Gewinner und Verlierer geeignet für die „Schärfung des Instrumentariums“ (Skambrakis). Kontrovers diskutiert wurde abschließend die Frage, inwieweit die Wirtschaftsgeschichte die Kulturgeschichte prägen könne oder der umgekehrte Weg eingeschlagen werden müsse.

„Gewinner” in der Kritik. „Verlierer” ernten Lob. Jenseits der Panegyrik des „guten Herrschers” in der hochmittelalterlichen Chronistik

Die von GRISCHA VERCAMER (Warschau) organisierte Sektion „‘Gewinner‘ in der Kritik. ‚Verlierer‘ ernten Lob. Jenseits der Panegyrik des ‚guten Herrschers‘ in der hochmittelalterlichen Chronistik“ lud zu einem bemerkenswerten Perspektivenwechsel ein: Nicht die Geschichte von sich ins rechte Licht setzenden Siegern sollte hier beleuchtet werden, sondern die zumeist erst in jüngerer Literatur bedachte Kritik an Siegern in Verbindung mit Lob von Verlierern. Der Makel eines durchaus erfolgreichen Herrschers konnte nach Vercamer etwa in seiner mangelnden Fähigkeit als Verwalter oder anderen Fähigkeiten liegen. Gründe für Kritik seien in persönlichem Vorteil, Wahrheitsliebe oder Hoffnung auf Verhaltenskorrektur zu suchen. Neben den narratologischen Inszenierungen, auch durch Urkunden, seien Vergleiche verschiedener Autoren geboten und die tradierte Deutung mit dem modernen, möglicherweise zu revidierenden Forschungsbild zu konfrontieren. Als Diskussionsanregungen dienten dabei zum einen nationale und regionale Eigenarten im Sinne einer „Landkarte der Kritikfreudigkeit“, zum anderen die Idee einer „Enzyklopädie der Andersdenkenden“, gegen den Mainstream.

An seinem eigenen Beispiel, der „Kaiserin“ Mathilde in zwei unterschiedlichen historiographischen Texten, den anonym überlieferten, Mathilde kritisch zeichnenden „Gesta Stephani“ und der ihr und dem Kaiserhaus freundlich gesinnten „Historia Novella“ des William of Malmesbury machte Vercamer deutlich, dass beide Autoren durch geschickte Auswahl Meistererzählungen schufen. Dabei erscheine der Verlierer jeweils als starker Gegner.

NORBERT KERSKEN (Marburg) wandte sich daraufhin der „hochmittelalterlichen Geschichtsschreibung des östlichen Mitteleuropa“ zu: Gallus Anonymus, Vinzenz Kadlubek, Cosmas von Prag und dem „Chronicum Hungaricum“. Narrative Strategien der Kritik bestanden darin, „beredt“ zu verschweigen (etwa: „Die Hintergründe zu beleuchten, bleibt mir versagt“), oder kritikwürdiges Verhalten durch andere beeinflusst darzustellen (etwa schlechte Berater, wie schon in einem Beispiel Vercamers), schließlich die Kritik anderen in den Mund zu legen. Als Fazit zog Kersken, dass der Autor niemals hofunabhängig sei, gleichwohl aber neben fürstenspiegelartige Passagen auch explizite Herrscherkritik trete – als eine Besonderheit des europäischen Ostens.

HEINZ KRIEG (Freiburg im Breisgau) verglich Otto von Freising und Otto von St. Blasien. Bei Otto von Freising erfahren auch die den Staufern unterlegenen Zähringer eine gewisse Würdigung, die sich zwar nicht des Schwaben-, aber des Herzogstitels erfreuen durften. Ebenso erscheine der Zähringer Berthold, der Heinrich IV. im Sachsenaufstand unterlag, als Vorbild. Otto von St. Blasien hielt im Umfeld Bertholds V. sogar die Erinnerung an Berthold IV. als Gegner Friedrichs I. Barbarossa wach, wohingegen hier bei Otto von Freising die Erfolgsgeschichte der Staufer im Mittelpunkt stand.

MARKUS KRUMM (München) wandte sich einer sonst nur negativ konnotierten Gestalt aus dem Alten Testament zu, die in der Ystoria des Alexander von Telese als typisiertes Exemplum für Roger II. von Sizilien fungiere: Nebukadnezar. Dazu untersuchte er zum einen den kommunikativen Kontext, zum anderen die Erzählung selbst. Der Autor war demnach Abt eines von Roger II. mehrfach eroberten Klosters, so dass er nicht einfach nur Gewinner oder Verlierer war. In der Erzählung erscheine Roger II. wie ein läuternder Nebukadnezar, der lediglich die gerechte Strafe Gottes umsetze. Die Empfehlung für die Zukunft sollte dann aber von diesem Konzept abweichen: An die Stelle des babylonischen Königs sollte David treten – ein Hinweis auf die Krönung des Königs.

JULIAN FÜHRER (Paris/Zürich) schließlich stellte Ludwig VI. und Ludwig VII. einander gegenüber: Kann jener in der französischen Historiographie als Gewinner, dieser aber als Verlierer gelten? Dazu untersuchte Führer Helgaud von Fleury, Suger von St. Denis, Odo von Deuil und Rigord und Guillaume le Breton. Dabei ging er auch auf einzelne Handschriften ein und berücksichtigte, soweit rekonstruierbar, die Verbreitung und Rezeption der Werke im Mittelalter. Am Ende stand die Erkenntnis, dass Herrscherbiographien Fürstenspiegel darstellten, so dass sie von Heiligenviten zu unterscheiden seien. Die Diskussion zeigte, dass im Sinne der Ausgangsfrage Vercamers weniger die regionale als die individuelle Zuspitzung eine entscheidende Rolle gespielt habe.

Die Sektion überzeugte insgesamt durch den gewählten Perspektivenwechsel, durch die jedwede Form eindimensional additiven Akkumulierens von Gewinner- und Verliererseite sowie Pro und Contra ihrer jeweiligen Bewertung von vornherein ausgeschlossen war.

Die letzte Mittelalter-Sektion des Historikertages „AND THE WINNER TAKES IT ALL? Gewinnen und Verlieren an den europäischen Höfen des Mittelalters“ beschäftigte sich mit verschiedenen europäischen Höfen. Nach der Einführung von CHRISTOPH MAUNTEL (Heidelberg) und SEBASTIAN ZANKE (München/Speyer) fragte JAN HIRSCHBIEGEL (Kiel) anhand verschiedener Beispiele, etwa Ministerialen der Steiermark im 11. Jahrhundert bis hin zum Umfeld Maximilians I., etwa in Gestalt von Matthäus Lang, nach dem Vertrauen. Dabei unterschied er Vertraute von Günstlingen: Nur Vertraute hätten einen eigenen Handlungsspielraum gehabt und könnten so als – möglicherweise sogar illoyale – Gewinner auftreten. Den Günstling könne man als dienenden Klienten wiederum vom begünstigten Diener als Freund oder Geliebte unterscheiden. In der anschließenden Diskussion wurde darauf verwiesen, dass die meisten Günstlinge auch Vertraute gewesen seien, nur dass der Günstling ein austauschbares Strukturphänomen, der Vertraute hingegen ein persönliches Phänomen dargestellt habe: Der erwähnte kaiserliche Vertraute Matthäus Lang etwa habe deshalb lange auf die Kardinalswürde verzichtet.

KLAUS OSCHEMA (Heidelberg) suchte in seinem anschließenden Beitrag „Freund“ und „Favorit“ zu unterscheiden. Im Favoriten sah er den bereits von Vorredner konturierten Günstling, im Freund einen Chambellan (Kammerherren) oder Geldgeber. Die Unterscheidung zwischen Freund und Favorit liege heute wie damals im Auge des Betrachters: Handelt es sich um einen Freund oder Vertrauten auf Augenhöhe oder um einen untergebenen „Mignon“? Vor allem das Schlafen im gemeinsamen Bett oder der einen Kammer (ohne sexuelle Dimension), die Tischgemeinschaft und das Tragen derselben Kleidung seien Ausdruck von Freundschaft gewesen. In der etablierten sozialen Ordnung seien beim Adel Personen niederer Herkunft als Favoriten unerwünscht gewesen. Ein Perspektivenwechsel sei dahingehend eingetreten, dass die persönliche Haltung des Herrschers entscheidend geworden sei. In der Diskussion wurde auf die beiderseitige Dimension der Freundschaft gegenüber der einseitigen des Favoriten hingewiesen. Letzterer hätte einer glaubhaften Quelle zufolge aufgrund einer erlittenen Enttäuschung sogar zu Gift gegriffen.

CHRISTOPH MAUNTEL (Heidelberg) untersuchte im Anschluss „Konkurrenz und Kooperation“ zwischen Favoriten und Adelsparteien: Johann II. von Frankreich, Karl II. von Navarra („der Böse“), Grag von Harcourt (für den unzufriedenen normannischen Adel), Charles de la Cerda und seine Frau Marguerite de Blois, Arnoul d’Audrehem , als zwei schlichtende Berater Guy de Boulogne (Bischof von Lyon) und Robert le Coq (Bischof von Laon), Étienne Marcel, Propst von Paris und schließlich Pariser Bürger und Händler. Als Fazit zog er, dass Höflinge neben einer königlichen Begünstigung sich oft auch auf einen breiten Rückhalt im Adel stützen konnten und so dann die königliche Gunst mitunter sogar zu erzwingen vermochten. Höflinge bauten sich dabei oft gezielt ein eigenes förderndes Netzwerk auf, das in sich stabil, jedoch in der personalen Zusammensetzung fluide war. Die Interessen dieser Gruppen blieben dementsprechend flexibel, fernab fester Parteiprogramme, bestanden aber offenbar über das Wirken ihrer exponierten Anführer hinaus, mit eigener Gruppendynamik.

Abschließend referierte SEBASTIAN ZANKE über das dynamische Verhältnis von Herrschaft und Krise. Dabei konzentrierte er sich auf gestürzte Favoriten im hoch- und spätmittelalterlichen England. Diese erlitten in der Regel dasselbe Schicksal wie ihre Könige. Im Spätmittelalter sah man die Günstlinge dann laut Zanke nicht als Gründe, sondern als Symbole des schlechten Regiments an. Amt und Person seien aber noch nicht ausdifferenziert gewesen. In der anschließenden Diskussion wurde auch der umgekehrte Fall durchdacht, dass größerer Erfolg von Königen auch deren Günstlingen zugutekommen konnte. Kritisch wurde angemerkt, dass sich der Begriff des Günstlings in den Quellen kaum finden lasse. Eine – womöglich noch auf- und abbaubare – Stellvertreterfunktion mochte Zanke dem Günstling nicht attestieren, wohl aber eine Rolle innerhalb des herrschaftsstabilisierenden Nepotismus.

Die Sektion bot insgesamt facettenreiche Beispiele von Gewinnern und Verlierern an Höfen, die zu engagierten Diskussionen anregten.

Sämtliche Mittelaltersektionen profitierten davon, dass niemand der Versuchung erlag, die Frage nach Gewinnern und Verlierern allein auf den Erfolg und Misserfolg, den Gewinn und Verlust oder den Sieg und die Niederlage einzelner Akteure zu beschränken. Die Kategorie des „Normenwandels“, der moderne Forschungsbegriff des „Warlord“, die Konfrontation zeitgenössischer und forschungsbezogener Konzepte von Reichtum, die paradox wirkende Umkehrung der Verhältnisse von Lob und Tadel im Spiegel historiographischer Quellen und schließlich die dynamisch aufgebrochene Konzentration auf den Hof ermöglichten es, das Thema des Historikertages, „Gewinner und Verlierer“, mit jeweils persönlichen Forschungsinteressen in epochal-disziplinärem Zuschnitt und wechselseitigem Austausch gewinnbringend zu füllen.

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