Forum: R. Heuberger: FID Jüdische Studien

Von
Rachel Heuberger, Universitätsbibliothek J. C. Senckenberg

Der Fachinformationsdienst Jüdische Studien (FID Jüdische Studien) versteht sich als zentrale fachspezifische Informationskompetenz in den Disziplinen Jüdische Studien sowie Israel-Studien für die Forschung in Deutschland. Inhaltlich umfasst der FID Jüdische Studien beide bis 2015 an der der UB Frankfurt am Main betriebenen Sondersammelgebiete, das Sondersammelgebiet (SSG) Wissenschaft vom Judentum sowie das SSG Israel. Er ist in Kooperation mit Prof. Dr. Kai Eckert von der Hochschule der Medien in Stuttgart beantragt worden, der für das Modul der Datenanreicherung und Kontextualisierung verantwortlich zeichnet.

Zur Ermittlung des Bedarfs der Fachcommunity und zur Evaluation der fachspezifischen Anforderungen an den FID Jüdische Studien wurde mit Unterstützung der zwei Fachgesellschaften, dem Verband der Judaisten in Deutschland e. V. und der Vereinigung für Jüdische Studien e. V., eine Umfrage unter den Mitgliedern durchgeführt, deren Ergebnisse mit Hilfe von studiumdigitale, Zentrale eLearning-Einrichtung der Goethe Universität Frankfurt am Main ausgewertet wurden. Die Resultate der Umfrage führten zum Aufbau des FID mit 4 Modulen, in denen die diversen Serviceleistungen gebündelt sind.

1. Nachweis hebräischer Literatur in Originalschrift

Das oberste Desiderat der Wissenschaftler bestand in der Verbesserung der Recherchemöglichkeiten nach hebräisch sprachigen Werken in den OPACs der deutschen Bibliotheken. Da die Bereitstellung der Spezialliteratur zu den wichtigsten Aufgaben eines FID zählt, gilt es diese Forderung vorrangig umzusetzen. Der Nachweis von Werken in hebräischer Schrift, analog den Werken in anderen nichtlateinischen Schriftzeichen, erfolgt in den OPACs der deutschen Bibliotheken in lateinischer Umschrift. Hierbei handelte es sich bis zum Jahr 2006 um eine spezifische, für den deutschen Sprachraum eigens entwickelte Umschrift des Hebräischen, die auf Tabellen aus dem Ende des 19. Jahrhunderts beruhte und Grundlage der 1982 verbindlichen Norm DIN 31636 wurde. Der stetig zunehmende Literaturbestand in modernem Hebräisch in deutschen Bibliotheken seit den 1980er Jahren in Folge der Ausweitung der Jüdischen Studien führte zu einer Überarbeitung und Neuversion der DIN entsprechend der amerikanischen Norm. Seit 2010 werden in der UB Frankfurt, wie auch in einigen anderen Bibliotheken, bereits Teile der Titelaufnahme die Angaben für den Autor und den Titel in hebräischer Originalschrift katalogisiert, so dass auch eine Recherche in der Originalschrift möglich ist, ohne den Umweg über die Umschrift nehmen zu müssen.

Durch das Einspielen der alten Zettelkataloge in die Online-Kataloge finden sich dort gegenwärtig parallel völlig unterschiedliche Varianten von der Umschrift hebräischer Titel, wobei die „alten“, vor 2006 erfassten Bestände mittlerweile auf Grund der wachsenden Unkenntnis der spezifischen Transliterationsregeln für eine stetig steigende Zahl von Nutzern oft nicht auffindbar und damit „nicht vorhanden“ sind. Die dringend notwenige Umarbeitung der Titel durch den Einsatz von Personal ist aus Mengen- und Kostengründen nicht realistisch. Deshalb wird der FID ein automatisiertes Verfahren entwickeln, das die älteren Titel aus der Zeitspanne von 1900 - 2010, die nur in unterschiedlicher lateinischer Umschrift vorliegen, in die hebräische Originalschrift zurückwandelt und ausgewählte Felder wie Verfasser und Titel im Verbundkatalog in der Originalschrift anzeigt. Die Nationalbibliothek in Israel hat bei der Überprüfung der Ergebnisse ihre Unterstützung zugesagt. Somit wird es zukünftig möglich sein, auch ältere hebräische Bücher und Zeitschriften in der hebräischen Originalschrift im Online-Katalog der UB zu recherchieren, was ein Auffinden der älteren Fachliteratur in Hebräisch wesentlich erleichtert und bislang „verschüttete“ Quellenliteratur und historische Ausgaben zugänglich macht. Die im Projekt entwickelte Software sowie die angereicherten Titeldaten werden anderen Bibliotheken zur Nachnutzung zur Verfügung gestellt.

2. Kontextualisierung und Datenanreicherung

In Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Kai Eckert von der Hochschule der Medien, Stuttgart, wird die Kontextualisierung des historischen Altbestandes des ehemaligen SSG Wissenschaft vom Judentum, der mittlerweile fast vollständig als Digitale Sammlung Judaica vorliegt, vorgenommen. Die entsprechenden Metadaten der Werke werden im Linked Open Data Format bereitgestellt und in einem mehrstufigen Standardverfahren mit umfangreichen Informationen aus weiteren Quellen verlinkt und so in neue Kontexte eingeordnet. Einige fachspezifischen Nachschlagewerke liegen bereits im Linked Open Data Format vor, so z. Bsp. die englischsprachige YIVO Encyclopedia, die russischsprachige Enyclopedia of Russian Jewry (Rujen) und die deutschsprachige Enzyklopädie Das Jüdische Hamburg.

Auf diese Weise werden die einzelnen Werke der Digitalen Sammlungen Judaica mit Hilfe der normierten Referenzpunkte, die unterschiedliche digitale Ressourcen miteinander verbinden, in einen größeren wissenschaftlichen Zusammenhang gestellt und es entstehen automatisierte Verknüpfungen der Verfasser- und Titelangabe eines digitalisierten Werkes (bei Kapitelerfassung oder Volltexterkennung auch weiterer Segmente des Werkes bzw. des gesamten Textes) mit ausführlichen Informationen über den Verfasser, entsprechenden Abbildungen, Orten, und Sachbergriffen. Zum Einsatz kommt eine Open Source Software, die kontinuierlich weiter entwickelt wird.

3. Aufbau eines FID Portals

Die Ergebnisse dieser beiden informationstechnisch innovativen Projekte werden in das Portal des FID Jüdische Studien münden, das den überregionalen Zugang sowie die internationale Sichtbarkeit der Angebote einer fachrelevanten und nachhaltigen Informationsversorgung gewährleistet, die es als Single Access Point in dieser Form für Jüdische Studien nicht gegeben hat. Unter einer Weboberfläche werden neuentwickelte Recherchetools unter Einbindung der bereits vorhandenen Ressourcen und Nachweise ein umfassendes und leistungsfähiges Spektrum an unterschiedlichen Funktionalitäten bieten. Die Rechercheoberfläche wird in den Sprachen Deutsch, Englisch und Hebräisch und in unterschiedlicher Schreibrichtung für die europäischen und die hebräische Sprache angeboten.

Eine zentrale Dienstleistung stellt die Einrichtung von Fachkatalogen jeweils für die Bestände der Wissenschaft vom Judentum sowie für Israel Studien dar. Für die Veröffentlichungen zum Themenkomplex Israel / Palästina wird in Kooperation mit der ULB Sachsen-Anhalt, Halle (Saale), die die Virtuelle Fachbibliothek Vorderer Orient (MENALIB) verantwortet und sich im FID Nahost-, Nordafrika- und Islamstudien auf arabischsprachiges (sowie türkisches und persisches) Material konzentriert, ein gemeinsamer, bestandsübergreifender Online-Katalog zu diesem Spezialthema aufgebaut, welcher erstmals hebräische und arabische Literaturbestände zusammenführt.

Die Recherche greift dann auf den gesamten Bestand an gedruckten sowie frei zugänglichen elektronischen Veröffentlichungen zum Themenbereich Israel / Palästina und der Nahostregion in beiden Bibliotheken, insbesondere auf Arabisch und Hebräisch, zu und generiert durch den Aufbau integrierter Abfragemechanismen Resultate auch für ganz spezifische Anfragen. Hierbei wird der Fachkatalog um weitere heterogene Datenquellen aus frei zugänglichen Internetressourcen sowie aus Datenbanken und Zeitschrifteninhaltsdiensten erweitert. Damit entsteht ein Recherche- und Nachweisportal, in dem auch in den von rechts nach links ausgerichteten Originalsprachen gearbeitet werden kann, welches den Wissenschaftlern einen umfassenden Überblick über die Spezialliteratur ohne Unterschied der Sprache und Anbieterbibliothek bietet.

Für die Disziplin der Jüdischen Studien außerhalb Israels (ehemals SSG Wissenschaft vom Judentum) wird auf der Einstiegsseite des Portals ebenfalls ein Fachausschnitt angeboten, der eine zielgerichtete Recherche nach Spezialliteratur ermöglicht. Zu dem Teilaspekt in Bezug auf das Thema der Juden im Nahen Osten und in Nordafrika wird ebenfalls mit der ULB Halle kooperiert, um eine indexbasierte Recherche auf die dortigen Ressourcen zu erstellen. So wird die Literatur für die Themenkomplexe „Jüdisches Leben im Nahen Osten“ sowie „Islamisch-jüdische Beziehungen“, welche vom FID Jüdische Studien in hebräischer Sprache erworben wird, um das Angebot in Arabisch aus Halle ergänzt. Die bereits über Jahre praktizierte Erwerbungsabsprache beider Bibliotheken hinsichtlich einer sprachlichen Abgrenzung untereinander (Frankfurt erwarb die Literatur für die SSG Wissenschaft vom Judentum und Israel in Hebräisch, Halle erwarb die diesbezügliche Literatur in Arabisch) wird fortgesetzt und für die Recherche nutzbar gemacht. Durch den Einbezug der bislang durch die UB Frankfurt für die SSGs in umfassendem Maße erworbenen Literatur in die neuen Online-Fachkataloge wird der umfangreiche historische Bestand sichtbar und die Kontinuität gewahrt.

Weiterhin wird das Portal einen direkten Einstieg in die Datenbank zur Literatur der Jüdischen Aufklärung Library of the Haskala (http://www.haskala-library.net/) bieten, einer von der UB Frankfurt als Web-Applikation gehosteten Spezialbibliographie der Werke der Jüdischen Aufklärung des 17. und 18. Jahrhunderts in hebräischer und deutscher Sprache. Die Verknüpfung der Titeldaten mit frei zugänglichen digitalisierten Werken und mit der im Suchportal der UB angezeigten Sekundärliteratur sichert die ständige Aktualisierung und Ergänzung der Datenbank; die spätere Einbindung weiterer Kataloge und Spezialwebseiten zur Thematik der Haskala dient als Pilotprojekt für die zukünftige Erweiterung von reinen bibliographischen Datenbanken und ihre Anbindung an Forschungsprozesse in Kollaboration mit der Wissenschaft.

Die Einbindung der Haskala Datenbank wird von einem wissenschaftlichen Beirat mit international ausgewiesenen Experten begleitet, die den Arbeitsprozess kontinuierlich betreuen, für die nötige Akzeptanz in der Fachcommunity sorgen und mit Beiträgen auch für die nötigen Impulse zur aktiven Beteiligung der Fachkollegen beitragen werden.

Der direkte Zugriff auf fachwissenschaftlich relevante Publikationen in elektronischer Form mittels moderner Suchmaschinentechnologie ist für die Fachcommunity dieses kleinen Faches besonders wichtig, da das Angebot an Zeitschriften und Datenbanken dieser Disziplin in den entsprechenden Nachweissystemen nicht sichtbar ist. Sowohl in der Elektronischen Zeitschriftendatenbank (EZB) als auch im Datenbank-Infosystem (DBIS), die jeweils die entsprechenden Publikationen verzeichnen, gibt es in der Liste der Fachgebiete keine Fachbezeichnung „Jüdische Studien“ und keine entsprechende Markierung, so dass die Zeitschriften und Datenbanken einer Vielzahl von Fachgebieten, wie z. B. Allgemeines, Soziologie, Geschichte sowie Theologie und Religionswissenschaft zugeteilt sind. Um den Anforderungen der Forschung nach einem umfassenden Informationsangebot zu genügen, wird im Rahmen des FID Portals ein möglichst vollständiges Verzeichnis der frei verfügbaren elektronischen Ressourcen sowie eine an den Anforderungen der Spitzenforschung ausgerichtete Auswahl von kostenpflichtigen Datenbanken und elektronischen Zeitschriften in lizensierter Form angeboten.

Auswahlkriterium der kostenpflichtigen, für die Lizensierung vorgeschlagenen Datenbanken ist die Tatsache, dass es sich um Produkte in hebräischer Sprache handelt, die im Alleinbesitz der UB Frankfurt nachgewiesen waren. Für das Fach Jüdische Studien ist das Angebot der elektronischen Zeitschriften noch sehr begrenzt, viele Titel, insbesondere regional oder themenspezifisch eng gefasste Publikationen, erscheinen weiterhin lediglich in gedruckter Form.

Ein weiteres Segment des Portals ist der Aufbau einer Plattform für Wissenschaftsinformation, wie sie von der Fachcommunity gewünscht wurde. In Kooperation mit den beiden Fachverbänden wird eine intensive Öffentlichkeitsarbeit entwickelt, die die bereits vorhandene Vernetzung fortsetzen und Verzahnung von Forschung, Infrastruktur und Interessengruppen mit gegenseitigen Synergieeffekte sichern wird. Die Social Media werden weiterhin ein Forum der Kommunikation darstellen und der bereits betriebene Facebook-Account der Digitalen Sammlungen Judaica der UB Frankfurt, der fortlaufend Neuigkeiten aus dem Digitalisierungsprozess berichtet, ausgebaut. Ein mehrsprachiger Fachservice wird die Nutzer mit Informationen versorgen, so u. a. über Dissertationen und Forschungsberichte, dem Nachweis Visueller und Audio-Datenbanken sowie laufender Projekte.

4. Bedarfsorientierter Bestandsaufbau

Als Resultat der Umfrage innerhalb der Fachcommunity, die sich weiterhin einstimmig für die Beibehaltung des umfassenden Themenspektrums des bisherigen Erwerbungsprofils der SSGs aussprach, wird der FID einen fokussierten Bestandsaufbau betreiben. Dieser zielt vor allem auf die Bereitstellung wissenschaftlicher Literatur ab, die in Deutschland auf Grund ihres speziellen Charakters, ihrer Sprache oder ihres Druckortes nicht zu erwarten ist und welche somit eine Ergänzung der an anderen akademischen Einrichtungen der Jüdischen Studien in Deutschland zumeist vorhandenen Literatur aus Europa und Nordamerika darstellt. Hierbei kann der FID auf die nötige Erfahrung der UB Frankfurt mit den Lieferanten und seine Sprachkompetenz zurückgreifen.

Was die Monographien betrifft, gibt die Mehrheit der Wissenschaftler der gedruckten Ausgabe den Vorzug. Zudem erscheinen wichtige Publikationen des Faches Jüdische Studien / Israel Studien weiterhin in überwiegendem Maße in gedruckter Form, so dass dieses Medium für die Erwerbung in absehbarer Zukunft weiterhin eine zentrale Rolle spielt. Diese Publikationen, insbesondere die hebräischen Werke aus Israel, werden deshalb kontinuierlich gesammelt und die bereits an der FID-Bibliothek umfangreich vorhandenen Bestände erweitern. Mittels Subito und Fernleihe wird die Fachcommunity in Deutschland mit der vom FID Jüdische Studien erworbene Spezialliteratur sehr schnell versorgt. Eine Reihe von Fachzeitschriften aus den beiden ehemaligen SSGs, ist unikaler Bestand der UB und wird deshalb weiterhin erworben, wobei die Umstellung auf die elektronische Version beabsichtigt ist. Zudem wird ein überregional ausgerichteter Dienst zur benutzergesteuerten Erwerbung eingerichtet, der eine bedarfsorientierte Literaturversorgung sicherstellt.