Forum. V. Adam: FID Nahost-, Nordafrika- und Islamstudien

Von
Volker Adam, Zweigbibliothek Vorderer Orient, Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt (Halle)

Der Fachinformationsdienst Nahost-, Nordafrika- und Islamstudien (im Folgenden kurz: FID Nahost) wird seit dem Januar 2016 an der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in Halle (Saale) aufgebaut. Es handelt sich um einen der sogenannten regionalen FID, der aber mit dem Thema Islam auch eine fachliche Komponente umfasst. Er fokussiert auf die Regionen arabischsprachiges Nordafrika (inklusive des Horns von Afrika), Naher Osten, Mittelasien sowie den Kaukasus (im Folgenden kurz: MENA-Region). Neben dem arabischen Sprachraum umfasst der FID auch die iranischen sowie türkischsprachigen Länder, soweit sie muslimisch geprägt sind, aber auch den multiethnischen und –religiösen Kaukasus. Die hier aufgezählten Gebiete und Sprachfamilien stehen in enger Verbindung zu den historischen Wurzeln des Islams sowie des orientalischen Christentums.1

In fachlicher Hinsicht gibt es starke Überschneidungen wenn nicht Deckungsgleichheit mit den Forschungsinteressen folgender Disziplinen:

- Islamwissenschaft bzw. islamischen Theologie

- Arabistik und Semitistik

- Iranistik

- Turkologie

- Armenologie

- Kaukasiologie

- Nahostwissenschaft

Die hier aufgezählten Disziplinen, die sich auf ca. 25 Hochschul- und Forschungsinstitute in Deutschland verteilen, behandeln neben religionswissenschaftlichen und philologischen Fragen traditionell meist auch historische, kultur- und sozialgeschichtliche sowie politologische Aspekte mit Bezug zur MENA-Region. Sie besitzen somit Überschneidungsfelder mit der europäischen Geschichtswissenschaft (z.B. hinsichtlich der Spätantike, Byzanz/Osmanischen Reichs, Zeitalters des Kolonialismus und Imperialismus).

Unerlässlich für ihre Forschungen sind dabei Quellenmaterial sowie Sekundärliteratur aus und in den Sprachen der MENA-Region. Der FID Nahost sieht eine seiner wesentlichen Funktionen darin, den Forschenden Zugang zu außereuropäischen Primär- und Sekundärquellen der Region zu gewährleisten.

Der FID Nahost baut dabei auf die vorhandenen Bestände und die Infrastruktur des Sondersammelgebietes Vorderer Orient einschl. Nordafrika auf, das in Halle von 1998 bis 2015 betreut wurde. Insgesamt standen somit bereits bei der Implementierung des FID Nahost ca. 250.000 Bände mit einschlägiger Forschungsliteratur für die Fachcommunity zur Verfügung. Über die virtuelle Fachbibliothek MENALIB (http://www.menalib.de) werden die Forscher an diese Bestände mittels Fachkatalogen und Tutorials herangeführt.

Seit 2009 verfügt MENALIB über ein Volltextrepositorium für digitale Ressourcen zur Nahost- und Islamwissenschaft: MENAdoc. Hier werden neben digitalisiertem Altbestand (z.B. arabische Primärquellen) auch urheberrechtsbewehrte Publikationen aus fachspezifischen Reihen, Fachzeitschriften und born digital-Dokumente frei zugänglich (Open Access) angeboten, nachdem die entsprechenden Rechte eingeholt worden sind. Diese Serviceleistungen sollen in der FID-Projektzeit weiter ausgebaut werden, in dem z.B. MENAdoc um einen Publikationsservice für die Nahost- und Islamwissenschaft erweitert wird.

Neben dem Ausbau des Angebotes an frei zugänglichen e-Ressourcen (auch in Kooperation mit Instituten aus der MENA-Region) wird der FID Nahost erstmals auch für die eigene Fachcommunity Lizenzverhandlungen mit einem Anbieter arabischer e-book-Pakete aufnehmen. Diese Materialien sind bislang in Deutschland nirgendwo zugänglich und sollen an den Instituten, die sich schwerpunktmäßig mit Arabistik bzw. Islamwissenschaft beschäftigen, autorisierten ForscherInnen zur Verfügung stehen. Der FID Nahost möchte die drei Jahre Förderzeit nutzen, um die Akzeptanz solcher e-Angebote aus der MENA-Region im deutschen Hochschulwesen zu erhöhen.

Ein Schwerpunkt der Aktivitäten wird aber weiter auf dem Erwerb von Printmaterialien liegen. Im Unterschied zur Erwerbungspolitik der Sondersammelgebiete werden dabei in allererster Linie Publikationen aus der MENA-Region erworben, da deren Beschaffung erfahrungsgemäß aufgrund wenig transparenter Buchmärkte, komplizierter und zeitaufwendiger Erwerbungswege, politischer Instabilität in den Ländern der MENA-Region und anderer erschwerender Rahmenbedingung für einzelne kleinere Institutsbibliotheken mit großen Unsicherheiten verbunden ist. Westliche Sekundärliteratur wird hingegen künftig nur noch in Ausnahmefällen (Quelleneditionen, entlegenere Publikationsorte) erworben, da der Bezug solcher Medien zum allgemeinen Grundversorgungsauftrag der Universitätsbibliotheken zählt. In dieser Hinsicht wird sich das Angebot des FID Nahost von dem der Sondersammelgebiete grundlegend unterscheiden.

In enger Absprache mit der Islam- und Nahostwissenschaftlichen Fachcommunity (z.B. Fachgesellschaften) wurde diese Strategie in den Jahren 2014 und 2015 entwickelt. Aus den Statements der Fachwissenschaftler ging der Auftrag an den FID Nahost, in den Jahren 2016–2018 bewusst eine Art Reservefunktion auch für solche Literatur aus der MENA-Region wahrzunehmen, die vielleicht erst in künftigen Jahren forschungsrelevant werden wird, dann aber möglicherweise nicht mehr lieferbar ist. Die Sicherstellung solcher Materialien hat aus Sicht der von der ULB Halle befragten Wissenschaftler Vorrang vor dem Angebot westlicher (vergleichsweise auch zukünftig leicht zugänglicher) Veröffentlichungen. Auch ein „just in time“ Zugriff auf westliche e-Materialien, so wünschenswert dieser im Bedarfsfall auch wäre, sollte im Falle hochpreisiger Angebote nicht zu Ungunsten des Erwerbs von Medien aus dem Nahen Osten favorisiert werden. Die bislang im Vorfeld des FID-Antrages von der ULB Sachsen-Anhalt eingeholten Angebote westlicher Verlage in Bezug auf einen FID-konformen Zugriff auf e-Angebote waren preislich nicht zu rechtfertigen, weswegen der FID Nahost zumindest für den Zeitraum 2016–2018 vor einer Lizenzierung solcher Produkte Abstand genommen hat.

Die drei Jahre 2016–2018 sollen unter anderem dazu genutzt werden festzustellen, an welchen Punkten durch den Rückgang des Erwerbs westlicher Sekundärliteratur potentielle Versorgungslücken für die Fachcommunity entstehen. Es sollte geprüft werden, ob es möglich sein wird, die Verlage, in denen forschungsrelevante Literatur erscheint, für eine Kooperation z.B. im Bereich e-book-Fernleihe (noch in der Testphase befindlich) oder für „finanzierbare“ FID-Lizenzmodelle zu gewinnen.

Ein Desiderat bildet auch die Möglichkeit in der Zukunft kleinere, spezifischere FID-NutzerInnenkreise für Lizenzprodukte zu definieren, was in der ersten Förderphase der FID noch nicht möglich war. Die Forschungsschwerpunkte der Islam- oder NahostwissenschaftlerInnen sind zu verschieden, um Produkte zu finden, die disziplinübergreifend von Relevanz wären. Ein Aushandeln von e-Angeboten für kleinere Subdisziplinen wäre zielführender und sicherlich auch kostengünstiger.

Das Problem einer langfristigen Verfügbarkeit der einmal lizenzierten e-Produkte für FID-NutzerInnenkreise, deren Mitglieder über die Jahre (Jahrzehnte) fluktuieren werden, bleibt eine weitere, noch zu lösende Herausforderung.

Anmerkung:
1 Eine Ausnahme bildet Israel, das vom FID Jüdische Studien an der UB Frankfurt am Main betreut wird. Siehe auch den Beitrag zum FID Jüdische Studien, R. Heuberger, FID Jüdische Studien, in: H-Soz-Kult, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/type=diskussionen&id=38813881.