Forum: G. Wirtz: FID Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa

Von
Gudrun Wirtz, Bayerische Staatsbibliothek München (BSB)

Der FID soll die gegenwärtige und künftige deutsche geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung zum östlichen und südöstlichen Europa auf drei Ebenen infrastrukturell maßgeblich unterstützen: erstens durch Dienstleistungen zur unmittelbaren Nutzung durch die Wissenschaftler, zweitens durch Dienstleistungen für andere Bibliotheken und Informationseinrichtungen, die den Wissenschaftlern mittelbar zu Gute kommen, sowie drittens durch die strukturelle Unterstützung der deutschen Forschungslandschaft zum östlichen und südöstlichen Europa. Im Einzelnen stehen folgende Dienste und Ziele im Vordergrund:

Welche neuen elektronischen Dienste werden in den FID entwickelt und auf welche Bedürfnisse in der Fachcommunity wird damit reagiert?

1. Tiefenerschließung zur Verbesserung der Recherche- und Zugriffsmöglichkeiten

1.1. Kataloganreicherung für Monographien

Um die ca. 1.500 monatlich für die Osteuropasammlung im Rahmen des FID erworbenen Monographien und Sammelbände für Wissenschaftler besser auffindbar zu machen, werden über die Metadaten hinausgehende Zusatzinformationen bereitgestellt: Zu den Inhaltsverzeichnissen und Zusammenfassungen, die seit 2006 für den gesamten SSG-Bestand digital verfügbar gemacht werden, kommen nun Literaturverzeichnisse und Register hinzu. Digitale Register ermöglichen die Vertiefung der Suchmöglichkeiten bis auf Kapitel- und Seitenebene, die Literaturverzeichnisse bieten weitere systematische und – aufgrund der verwendeten Sekundärliteratur – häufig auch mehrsprachige Sucheinstiege. Außerdem wird der FID-Bestand mit Rezensionen aus der Rezensionsplattform für europäische Geschichtswissenschaft recensio.net angereichert (ca. 5.000 Rezensionen im FID-Bereich, jährlich kommen ca. 1.100 hinzu). Zu ausgewählten besonderen Drucken oder umfangreichen Datenbanken werden Zusatzinformationen in Form von Kataloganreicherungen bereitgestellt. Besondere Aufmerksamkeit wird der Kataloganreicherung für mikroverfilmte Archivmaterialien gewidmet. Hintergrund ist, dass die relativ geringe Nutzung der weltweit einzigartigen Sammlung mikroverfilmter Archivmaterialien der BSB in Widerspruch zu ihrem Quellenwert für die Forschung steht. Alle Kataloganreicherungsdaten werden sowohl über den OPAC der BSB als auch über das Portal im Volltext durchsuchbar sein.

1.2. Aufsatzerschließung mit automatisierter mehrsprachiger Sacherschließung für Zeitschriften

Im Rahmen des FID soll die Tiefenerschließung von Zeitschriften neu konzipiert und erheblich ausgeweitet werden. Ziel ist es, die an verschiedenen Institutionen betriebene Aufsatzerschließung für den Inhaltsbereich des FID im deutschsprachigen Raum zu koordinieren und sodann unter Ausnutzung kommerzieller und nichtkommerzieller Bezugsquellen sowie durch eigene Erschließungsarbeit zu einer umfassenden Aufsatzdatenbank auszubauen. Die Crux nahezu aller Aufsatzdatenbanken, nämlich das Fehlen einer Durchsuchbarkeit nach inhaltlichen Kriterien (Schlagwort statt nur Titelstichwort) soll durch die Anwendung eines automatisierten Verfahrens zur mehrsprachigen inhaltlichen Erschließung aller Zeitschriftenartikel behoben werden. Dies erfolgt in Zusammenarbeit mit einem in diesem Bereich ausgewiesenen kommerziellen Anbieter. Im Endergebnis für den Forscher wird eine umfassende Aufsatzdatenbank sein, die mit nicht normierten deutschen, englischen, französischen, italienischen, russischen, polnischen und tschechischen Schlagwörtern recherchierbar ist. Bei erfolgreichem Verlauf des Projekts erfolgt eine Ausweitung auf weitere ost- und südosteuropäische Sprachen.

2. Open Access:

Um Wissenschaftlern einen schnellen und schrankenlosen Zugriff auf Informationsressourcen zu ermöglichen, setzt sich der FID zum Ziel, möglichst viele für die Forschung wichtige Materialien im Open Access zur Verfügung zu stellen, wo möglich versehen mit Creative-Commons-Lizenzen. Aufgrund intensiver Digitalisierungsaktivitäten seit dem Jahr 2000 stellt die BSB heute einen wesentlichen Teil ihrer Bestände zum östlichen und südöstlichen Europa bereits digital frei zur Verfügung, darunter den gesamten urheberrechtsfreien Bestand bis zum Erscheinungsjahr 1875 (ca. 80.000 Bände). Zudem konnten in dem seit 2009 von der DFG geförderten Projekt OstDok wesentliche Schritte zur digitalen Bereitstellung aktueller urheberrechtlich geschützter wissenschaftlicher Literatur (ca. 3.000 Bände) sowie für das originär elektronische Publizieren unternommen und Kooperationsstrukturen für eine Fortführung dieser Bemühungen etabliert werden. Seit 2000 stellt die BSB zudem wissenschaftliche Zeitschriften für die Osteuropaforschung digital bereit – zuletzt die Bohemia und die Zeitschrift für Ostmitteleuropaforschung. Diese Aktivitäten werden im FID fortgeführt und ausgebaut. Die Recherchierbarkeit all dieser Volltexte wird im Förderzeitraum nicht nur über das FID-Portal (in www.vifaost.de ist sie derzeit schon gegeben), sondern weitest möglich auch für den Katalog der BSB umgesetzt und steht in der Folge auch über die Bibliotheksverbünde deutschlandweit anderen Bibliothekskatalogen zur Verfügung.

3. Forschungsdaten und Egodokumente: Pilotierung von Strukturen für die Akquise und Bereitstellung

Die Sicherung, Aufbereitung und Nachnutzung von Forschungsdaten ist seit Jahren ein wichtiges wissenschaftspolitisches Anliegen und die Einrichtung einer entsprechenden, die fachspezifischen Anforderungen berücksichtigenden Plattform ist ein Desiderat der Osteuropaforschung. Anfang 2015 wurden in der BSB für eine Dissertation die ersten Forschungsdaten (schriftlich fixierte Interviews) gesichert und bereitgestellt. Im Rahmen des FID sollen in enger Kooperation mit vier außeruniversitären Instituten und einer Graduiertenschule Workflows und Konzepte des Umgangs mit Forschungsdaten erarbeitet werden – im Zentrum stehen u.a. Fragen der Metadaten und Zitation, Formaten, Urheber-, Persönlichkeits- und Verwertungsrechten. Mit dem Aufbau einer Sektion für Ego-Dokumente soll im FID dem historisch-anthropologischen Forschungs-ansatz in der Ost- und Südosteuropaforschung Rechnung getragen werden. In der Förderphase soll, gemeinsam mit einschlägigen Kooperationspartnern, ein Grundkonzept für die Digitalisierung und Langzeitarchivierung von in Nachlässen befindlichen Selbstzeugnissen erarbeitet werden. Der inhaltliche Schwerpunkt wird zunächst auf Selbstzeugnissen des 18. bis 20. Jahrhunderts (Autobiographien, Tagebüchern, Memoiren, Interviews und Briefen) von osteuropäischen Migranten im deutschsprachigen Raum sowie von Deutschen im östlichen Eu-ropa liegen. Zwei außeruniversitäre Institute werden dieses Projekt gemeinsam mit der BSB pilotieren. Ziel ist es, die Anforderungen an Nachweis, Erschließung und digitale Bereitstellung einschließlich des Einbringens von Elementen der Quellenkritik zu erproben.

4. Archivierung und Bereitstellung freier Internetressourcen (Elektronische Zeitschriften und Webseiten)

Im Sinne der von der DFG geforderten e-only-policy sollen Zeitschriften, die sowohl gedruckt als auch elektronisch verfügbar sind, zukünftig im Print abbestellt werden, wenn die E-Version frei zugänglich ist. Die Online-Auftritte einer nicht geringen Zahl dieser Zeitschriften müssen jedoch als unsicher eingestuft werden, weil davon auszugehen ist, dass sie aus technischen, organisatorischen oder politischen Gründen nicht langfristig verfügbar sein werden. Die BSB sieht sich daher in der Verpflichtung, diese Zeitschriften zu archivieren und – falls der Webauftritt nicht mehr erreichbar ist – die archivierte Version bereitzustellen. Hürden dürften bei der Akzeptanz der Zeitschriftenverlage und -herausgeber liegen, deren Einverständnis aus rechtlichen Gründen eingeholt werden muss. Analog zu elektronischen Zeitschriften sollen auch gefährdete forschungsrelevante Websites aus den Ländern des östlichen und südöstlichen Europa regelmäßig archiviert werden.

5. Portal

In seinem Gutachten über die außeruniversitäre Osteuropaforschung von 2013 hat der Wissenschaftsrat die ViFaOst ausdrücklich als Portal für eine Bündelung der Serviceangebote der deutschen Osteuropaforschung empfohlen. Dementsprechend ist ein wesentliches Ziel des FID, das Portal zu einem möglichst umfassenden Nachweis in Deutschland verfügbarer Informationsressourcen auszubauen und verbesserte Verfügbarkeits- und Zugriffsservices bereitzustellen. Das Portal soll die regionale und fachliche Breite der Forschungslandschaft widerspiegeln und zugleich die Heterogenität der bisherigen Sammelschwerpunkte nach Möglichkeit digital auffangen sowie Verknüpfungen zu zentralen Portalen angrenzender Disziplinen und Forschungsfelder bieten, womit speziell transregionale Forschung unterstützt wird. Zudem soll das Portal den Zugang zu in Deutschland nicht verfügbarer Literatur erleichtern, indem es international Datenquellen einbindet.
Eine stetige Verbesserung des Portals erfolgt durch Anpassung an moderne Technologien (z.B. E-Pub-Format, Responsive Design)

Alle unter 1. bis 4. aufgeführten Services und generierten Daten werden anderen Bibliotheken, Repositorien und Projekten zur Nachnutzung und Einbindung in eigene Angebote zur Verfügung gestellt. Ziel des FID ist zudem das gezielte und flächendeckende Informieren der Forschenden über die Dienstleistungen des FID mittels traditioneller und moderner Informationskanäle sowie Etablierung von Mechanismen zur ständigen Rückkopplung mit der Forschung zwecks Weiterentwicklung aller FID-Aktivitäten.

Welche Kontinuitäten der bisherigen Bibliotheksangebote als SSG-Bibliothek und als „Virtuelle Fachbibliothek“ sind vorgesehen?

Die Angebote des FID stellen in allen Bereichen eine Fortsetzung der Sondersammelgebietsangebote dar – in der Erwerbung, in den einzelnen Services wie im Portal. Allerdings sind im FID vier ehemalige Sondersammelgebiete zusammengefasst (Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa, Albanische Philologie und Volkskunde, Rumänische Philologie und Volkskunde, Griechenland) sowie ein bis 1997 an der BSB gepflegtes Sondersammelgebiet (Baltische Länder, Baltische Philologie, 1998-2014 als SSG an der UB Greifswald).

Welche Veränderungen in der Erwerbungspolitik bzw. im Erwerbungsprofil sind vorgesehen bzw. folgen aus den neuen Angeboten?

Die Änderungen in der Erwerbungspolitik beinhalten auf der einen Seite eine inhaltliche Ausweitung, auf der anderen Seite eine Profilschärfung:

Ausweitung der regionalen und fachlichen Zuständigkeit

Die überregionale Literaturversorgung für die geistes- und sozialwissenschaftliche Ost- und Südosteuropaforschung in Deutschland wurde bis 2013/2015 fachlich und regional flächendeckend durch eine Reihe von durch die DFG geförderten (SSG)-Bibliotheken gewährleistet. Seit den Umstellungen vom SSG- auf das FID-System ist diese Flächendeckung weder regional noch fachlich gewährleistet. Zahlreiche fachlich definierte FIDs haben im Zuge ihrer „Profilschärfung“ die Osteuropaerwerbung aufgegeben oder drastisch reduziert (z.B. Kunst, Recht, Theologie), ein regional definiertes SSG (Baltikum) wurde ebenso wie einige weitere fachlich definierte SSGs (z.B. Philosophie) ganz aufgegeben. Der bewilligte FID Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa weitet aufgrund dessen zur Gewährleistung multidisziplinärer Osteuropaforschung seinen Gegenstand auf die Baltischen Länder sowie für die osteuropäische Kirchengeschichte, Theologie und Soziologie aus.

Profilschärfung

Um die Notwendigkeit der Profilschärfung beim Bestandsaufbau des FID mit den hohen Erwartungen der Ost- und Südosteuropa-forschung in ihrer disziplinären Vielfalt in Einklang zu bringen, werden je nach Fachgebiet und Publikationstyp verschiedene Vorgehensweisen gewählt:

1.) In einem regelmäßig zu evaluierenden inhaltlichen Kernbereich werden nach formalen Prinzipien und differenziert nach Ländern wissenschaftliche Literatur und Quellen in der Tiefe und vorausschauend erworben. Das Kriterium der Wissenschaftlichkeit und Güte der Publikation wird dabei strenger angewandt als bislang.

2.) In einigen Bereichen wird stark selektiv erworben: Bei Zeitschriften, die von Universitäten herausgegeben werden, insbesondere aus Russland, bei Belletristik sowie in einigen verlässlich über internationale Fernleihe zu bedienenden Randbereichen der Osteuropaforschung.

3.) Für einige Publikationstypen erfolgt eine Abstimmung mit Spezialbibliotheken und/oder der Community auf der Ebene von Einzeltiteln: Dies gilt für hochspezialisierte, kleine regionale Einheiten behandelnde Zeitschriften, für Datenbanken sowie für Zeitungen.

4.) Für bestimmte Publikationstypen werden mit absehbar langfristig leistungsfähigen Service-Einrichtungen grundsätzliche Erwerbungsabsprachen getroffen.

5.) In einigen Randbereichen der Osteuropaforschung und für Bereiche, in denen stark selektiv erworben wird (s.o.), soll 2016-2018 die Erwerbung „on demand“ erprobt werden.

6.) Im Open-Access verfügbare Publikationen werden grundsätzlich nicht mehr käuflich erworben.

Insgesamt werden auf diese Weise etwa 15 Prozent weniger Publikationen erworben als bislang.

Welche Rolle spielen zukünftig rein elektronische Publikationen und welche langfristigen Auswirkungen werden diese auf Verlage und Lizenzpolitik haben?

Der kommerzielle E-Book-Sektor für wissenschaftliche Publikationen ist im östlichen Europa insgesamt wenig entwickelt und wird auch für den Zeitraum 2016-2018 nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Nicht selten erscheinen wissenschaftliche E-Books mit erheblichem Verzug im Vergleich zur Print-Version, erweisen sich als Raubpublikationen oder als nicht gekennzeichnete elektronische Nachfolgeprodukte urheberrechtsfreier Titel. Einschlägige Angebote an kommerziellen Datenbanken zu Osteuropa entstehen dagegen nach wie vor primär im Westen oder aber in Kooperation mit westlichen Verlagen. Hierfür konnten auch bereits erfolgreich FID-Lizenzen verhandelt werden.

Grundsätzlich stellen E-Books für die FID-Bibliothek ein Problem bei der überregionalen Bereitstellung dar und müssen infolgedessen gesondert mit den Anbietern verhandelt werden. Hier gibt es zwei Möglichkeiten – die Aushandlung einer Lizenz, die den überregionalen Zugriff erlaubt oder die Aushandlung der Option der E-Book-Fernleihe. Die erste Option lässt sich gegebenenfalls für Pakete verhandeln, ist bei einzelnen Büchern aus Kosten- und Aufwandsgründen eher unrealistisch. Die zweite Option ist i.d.R. (die BSB hat erste erfolgreiche Verhandlungen geführt) kostenneutral oder kostengünstig, jedoch personell und technisch aufwändig. Die Situation wird sich anders darstellen, sobald wichtige Verlage standardmäßig E-Books anbieten.

Relativ gut entwickelt ist hingegen in einigen Ländern des östlichen Europa das Open-Access-Publizieren oder mindestens die parallele Open-Access Bereitstellung wissenschaftlicher Zeitschriften. Die FID-Bibliothek hat den Anspruch, diese Informationen bestmöglich zugänglich zu machen, wobei angesichts fehlender zentraler Nachweise in den Ländern selbst Lücken unvermeidbar sind. Darüber hinaus muss in jedem Einzelfall die Entscheidung getroffen werden, ob derlei Publikationen im Bibliothekskatalog oder in der Internetressourcendatenbank erfasst werden (je nach Stabilität der Quelle), möglicherweise für das Volltextrepositorium geharvestet werden können, oder aber eine Archivierung erfolgen soll (s.o.).

Die Lizenzpolitik der Verlage dürfte mittel- und langfristig weniger durch das FID-spezifische Anliegen überregionaler Verfügbarkeit elektronischer Ressourcen – unter Umständen mit Ausnahme der E-Book-Fernleihe – beeinflusst werden, als vielmehr durch die Zunahme von Open-Access-Initiativen mit entsprechenden Auswirkungen auf den Subskriptionsmarkt.