Urheberrechtsnovelle - Jetzt noch Nutzungsrechte sichern!

Von
Klaus Graf, RWTH Aachen

Ein besonderes "Dezemberfieber" hat Teile der deutschen Wissenschaft befallen. Open-Access-Anhänger bangen: Wieviele Wissenschaftler werden sich bis zum Jahresende motivieren lassen, dem für sie zuständigen Open-Access-Schriftenserver einfache Nutzungsrechte ihrer älteren, vor 1995 erschienenen Fachpublikationen einzuräumen? Reicht das womöglich für eine deutsche Mini-Ausgabe "Cream of Science"? Cream of Science ist ja das einzigartige Open-Access-Projekt unserer niederländischen Nachbarn, die es geschafft haben, etwa 60 Prozent der über 48.000 wissenschaftlichen Publikationen der Forscher-Elite, nämlich von 229 prominenten Hochschullehrern, kostenfrei im Repositorien-Verbund DAREnet bereit zu stellen.1

Über die Urheberrechtsänderung zum 1. Januar 2008 und die Empfehlung der DFG und vieler Universitäten, unbedingt die im kommenden § 137 l Urheberrechtsgesetz vorgesehene Jahresfrist für einen Widerspruch gegenüber den Verlagen zu wahren, habe ich in H-SOZ-U-KULT Ende August 2007 berichtet.2 Unmittelbar darauf hatte der Ilmenauer Bibliothekar und Jurist Eric Steinhauer eine zündende Idee: Der Widerspruch gegenüber den Verlagen bringt kein einziges Dokument automatisch in die Hochschulschriftenserver. Werden (nicht-ausschließliche) Nutzungsrechte aber vor dem Inkrafttreten am 1. Januar 2008 einem Dritten eingeräumt, unterbleibt der automatische Anfall der Rechte der früheren "unbekannten Nutzungsarten" an die Verlage. Der Autor muss sich in diesem Fall überhaupt nicht beim Verlag melden oder einen Widerspruch einlegen. Kommt der Verlag auf ihn zu, kann und sollte er diesem eine digitale Publikation gestatten. Der Verlag gewinnt aber nicht automatisch das ausschließliche Nutzungsrecht, denn ein Nutzungsrecht liegt ja bereits rechtmäßig bei einem Dritten. Und dieser Dritte sind die Hochschulschriftenserver und fachlichen Repositorien!3

Leider haben die Bibliotheken diese elegante Idee nur sehr zögerlich aufgegriffen. Erst in der zweiten Novemberhälfte haben einige Hochschulleitungen und Bibliotheken die Wissenschaftler der Universität gebeten, formlos dem Hochschulschriftenserver noch bis zum Jahresende einfache Nutzungsrechte an allen vor 1995 erschienenen Fachpublikationen zu übertragen.4 Am 6. Dezember haben DINI und das Aktionsbündnis "Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft" (http://www.urheberrechtsbuendnis.de) einen Rundbrief versandt, in dem sie alle Wissenschaftler dringend aufriefen, den Stichtag 31.12.2007 nicht verstreichen zu lassen und ihrem zuständigen Schriftenserver die Nutzungsrechte einzuräumen.5 Eine kleine Sammlung von Antworten auf aktuelle Fragen zum Thema hat das Projekt open-access.net (http://www.open-access.net) zur Verfügung gestellt.6

Fast alle deutschen Universitäten unterhalten einen Open-Access-Schriftenserver, an den die Rechteeinräumung bis zum 31. Dezember formlos gerichtet werden kann. Die ihn betreibende Universitätsbibliothek bestätigt dann dem Autor die Rechteübertragung. Damit kann dieser später gegenüber einem Verlag belegen, dass er die Online-Rechte vor Inkrafttreten des Gesetzes einem Dritten eingeräumt hat. Es ist nicht erforderlich, die Schriften noch 2007 zu digitalisieren oder zugänglich zu machen. Schriftenserver und Autoren können 2008 in aller Ruhe sich über die Modalitäten der Einstellung einigen: Ob der Autor selbst scannt und hochlädt oder ob die Bibliothek für ihn digitalisiert.

In Hochschulschriftenservern können grundsätzlich immer nur die Angehörigen der Hochschule publizieren. Wer nicht einer Hochschule angehört, hat aber die Möglichkeit, die Rechte einem fachlichen Repositorium zu übertragen. Im Bereich der Kunstgeschichte betreibt die Universitätsbibliothek Heidelberg einen solchen Server: ART-Dok.7 Für die Geschichtswissenschaft existiert noch kein fachliches Repositorium. Um aber auch Historikerinnen und Historikern ohne universitäre Anbindung die Möglichkeit zu bieten, ihre Fachpublikationen vor 1995 durch eine solche Rechteeinräumung "Open Access" zugänglich zu machen, ruft Gudrun Gersmann (Paris), die Mitbegründerin von historicum.net, dazu auf, dass die Autoren der "Bayerischen Staatsbibliothek als Betreiberin des geschichtswissenschaftlichen Informationsportals historicum.net" ein einfaches Nutzungsrecht einräumen sollen.

Für eine flächendeckende Mobilisierung der Wissenschaftler ist die Zeit vor der Weihnachtspause viel zu knapp. Die meisten werden von der Möglichkeit der Rechteeinräumung nichts mehr erfahren oder erst Anfang 2008, wenn es für den hier beschriebenen Weg zu spät ist. 2008 müssen Wissenschaftler, die Verlage daran hindern wollen, dass diese ihnen mittels eines ausschließlichen Nutzungsrechtes eine Open-Access-Publikation ihrer älteren Studien verbieten, möglichst bald gegenüber dem Verlag widersprechen. Der Verlag kann eine digitale Nutzung aufnehmen, wenn er den Autor unter der letzten bekannten Adresse davon unterrichtet. Dann hat der Autor drei Monate Zeit für einen Widerspruch. Es liegt auf der Hand, dass bei älteren Veröffentlichungen der Anteil der Briefe, die an den Verlag unzustellbar zurückgehen, sehr hoch sein dürfte. Daher empfehlen Urheberrechtsbündnis und DINI den Wissenschaftlern, möglichst innerhalb der ersten drei Monate von 2008 Widerspruch bei den Verlagen einzulegen.

Als "Schlag ins Wasser" sehen Open-Access-Anhänger die späte Kampagne trotzdem nicht. Sie setzt ein Zeichen für Open Access, macht die Repositorien, die ja dem "grünen Weg" von Open Access entsprechen8, bekannter und verdeutlicht, dass die Hochschulleitungen hinter Open Access stehen und die eigenen Schriftenserver unterstützen. Weltweit beklagen Open-Access-Aktivisten die schwache Resonanz der Repositorien bei den Wissenschaftlern. Als Königsweg, sie mehr zu füllen, gelten ausdrückliche Verpflichtungen (Mandate) seitens der Hochschulen und Förderorganisationen. Bei deutschen Universitäten verbaut aber Verfassungsrecht nach Ansicht vieler Juristen diesen Weg: Universitäten dürfen ihre Wissenschaftler nicht zwingen, Open Access zu veröffentlichen.

Bereits jetzt lässt sich absehen, dass durch die Aktion in absehbarer Zeit eine große Anzahl wertvoller Fachbeiträge, etwa ältere Habilitationsschriften, kostenfrei im Internet einsehbar sein werden. Denn bei den (vergleichsweise wenigen) Universitäten, die ihre Wissenschaftler um Nutzungsrechte gebeten haben, ist die bisherige Resonanz durchaus positiv. Von der Universitätsbibliothek Bielefeld verlautete etwa: "Der Rücklauf ist inzwischen so gewaltig, dass wir für das Beschaffen, Scannen und Einstellen der Dokumente im nächsten Jahr wahrscheinlich zusätzliche Hilfskräfte einstellen müssen."9

(Die freie Verbreitung dieses Textes mit Quellenangabe ist gestattet.)

Anmerkungen:
1 <http://www.creamofscience.org/> (12.12.2007).
2 Graf, Klaus, Urheberrechtsnovelle - Implikationen für die Wissenschaft, in: H-Soz-u-Kult, 29.08.2007, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/type=diskussionen&id=930=930> (12.12.2007). Siehe auch meinen Beitrag zum gleichen Thema: Neues Urheberrecht: Autoren müssen reagieren, in: Kunstchronik 60 (2007), S. 530-523 (Themenheft Open Access), in ergänzter Form online: <http://archiv.twoday.net/stories/4477889/> (12.12.2007).
3 Eric Steinhauer, § 137 l UrhG und die Rolle der Bibliotheken, <http://bibliotheksrecht.blog.de/2007/09/03/s_137_l_urhg_und_die_rolle_der_bibliothe~2915206> (14.12.2007)
4 Lückenhafte Liste von Informationsseiten: <http://archiv.twoday.net/stories/4474892/>. Exemplarisch die Seite der Humboldt-Universität Berlin: <http://edoc.hu-berlin.de/e_info/copyright.php>
5 <http://www.urheberrechtsbuendnis.de/docs/Rundbrief1207.html> (12.12.2007) mit Mustertexten.
6 <http://open-access.net/de/austausch/news/news/anzeige/aktuelle_fragen_zur_recht/> (12.12.2007).
7 <http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/> (12.12.2007).
8 Ulrich Herb, Die Farbenlehre des Open Access, in: Telepolis vom 14.10.2006 <http://www.heise.de/tp/r4/artikel/23/23672/1.html> (12.12.2007).
9 Laufende Berichterstattung unter <http://archiv.twoday.net/topics/Open+Access/> (12.12.2007).

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