Villa ten Hompel (Hg.): Deutsche Polizeilehrfilme in West und Ost

Titel
Bürger, Rowdys und Rebellen. Deutsche Polizeilehrfilme in West und Ost. Didaktische Handreichung von Stefan Noethen und Volker Pade


Herausgeber
Geschichtsort Villa ten Hompel
Erschienen
Münster 2004: Stadt Münster
Anzahl Seiten
89 S., 26 Abb., mit DVD
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus Weinhauer, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Abteilung Geschichtswissenschaft, Universität Bielefeld

Die hier vorzustellende Publikation (ein Begleitheft nebst DVD) präsentiert Ausschnitte aus Polizeilehrfilmen der 1960er bis 1980er-Jahre, aus der DDR sowie aus der Bundesrepublik. Die zehn Filmausschnitte sind zwischen 3 und 18 Minuten lang, fünf stammen aus Lehrfilmen der DDR-Volkspolizei, die übrigen aus bundesdeutschen Polizeien (drei aus Nordrhein-Westfalen, zwei aus Hamburg). Zu allen Ausschnitten bietet das Begleitheft filmografische Daten, ausführliche Informationen zum Filminhalt sowie didaktische Vorschläge und eine Zusammenstellung der Lernziele für den Einsatz der DVD in der Bildungsarbeit mit heutigen Polizisten. Die Filme sind nur ein kleiner Ausschnitt aus der Lehrfilmsammlung des Geschichtsorts Villa ten Hompel in Münster, einer Forschungs- und Bildungseinrichtung, die sich aus historischer Perspektive mit Polizei, Verwaltung und Verantwortung beschäftigt (<http://www.muenster.de/stadt/villa-ten-hompel/index1.html>). Als Quelle genutzt, lässt sich aus den Polizeifilmen das damalige Selbstbild der jeweiligen Polizei rekonstruieren. Sie spiegeln aber auch gesellschaftliche ebenso wie polizeiliche Entwicklungen.1

In den DDR-Polizeilehrfilmen, zumeist aus den 1970er-Jahren, stehen drei Probleme im Mittelpunkt: das Auftreten gegenüber BürgerInnen, die Ordnung des Alltags in den Wohngebieten sowie der Umgang mit Jugendlichen. Ein Filmausschnitt gibt Hinweise für die „Beseitigung einer Störung durch Rowdys“ (2:39 Minuten, 1976). Der Film zeigt im Jargon durchaus Ähnlichkeiten mit dem Denken bundesdeutscher Polizeien. So geht es um „Rädelsführer“, „Störungsherde“, die isoliert und beseitigt werden, sowie um „Menschenmassen“. Es gibt aber auch DDR-typische Wendungen wie „Rowdytum“. Auch wird die enge politische Bindung der DDR-Polizei an die SED deutlich. Im Filmausschnitt „Das Auskunftsersuchen“ (6:05 Minuten, 1977) steht das angemessene Auftreten gegenüber ratsuchenden BürgerInnen im Mittelpunkt. Der handelnde Volkspolizist ist „Aushängeschild des sozialistischen Staates, nicht der Helfer des Bürgers“; er hat „keine Fehler und kein Privatleben, und auch Gefühlsregungen offenbart er kaum“ (Begleitheft, S. 31).

„Nach Feierabend“ (8:29 Minuten, 1977) mutet eher wie ein Spielfilm an, der für die Öffentlichkeit gemacht wurde. Im Mittelpunkt des Farbfilms steht die idealisierte Tätigkeit eines „Freiwilligen Helfers“. Letztere unterstützten die Volkspolizei bei der sozialen Kontrolle der DDR-Bevölkerung. Der Freiwillige Helfer geht im Film nicht kleinlichen Nörgeleien nach, sondern schützt die DDR-Gesellschaft gegen Straftaten. Der vierte Filmausschnitt zur Tätigkeit der Volkspolizei („Verhalten im Wohngebiet“, 7:00 Minuten, 1976) wendet sich in erzieherischer Absicht an die Öffentlichkeit. Dargestellt werden Störungen der öffentlichen Ordnung (Umweltverschmutzung, Ruhestörung, Sachbeschädigung). Der Film ist unterlegt mit ‚lockerer Musik’ und durchaus ebenso locker gehalten. Er vermittelt die Bedeutung bürgerlicher Sekundärtugenden wie Ruhe, Sauberkeit und Fleiß. Darüber hinaus geht es in einigen Szenen um den Umgang mit Jugendlichen, die sich durch Kleidung, Haartracht und Auftreten selbst als Außenseiter inszenieren und gegen deren Vandalismus die Volkspolizei unnachgiebig einschreiten muss. Der fünfte Filmausschnitt „Personalienfeststellung – Zuführung von Personen“ (12:16 Minuten, 1983), ein Lehrfilm für die Aus- und Fortbildung der Volkspolizei, thematisiert erneut den Umgang mit BürgerInnen, deren Personalien festgestellt bzw. die unter Einsatz von Zwangsmitteln zur Polizeiwache mitgenommen werden.

Die auf der DVD vorhandenen bundesdeutschen Polizeilehrfilme behandeln ebenfalls den angemessenen Umgang mit BürgerInnen, speziell im Straßenverkehr, aber auch polizeiliche Großeinsätze bei Parteiveranstaltungen sowie gegen Jugendliche. Zudem gibt es einen Zustandsbericht über die nordrhein-westfälische Polizei Mitte der 1960er-Jahre. Der Film „NPD-Parteitag in Siegen“ (8:02 Minuten, 1968) vermeidet politische Stellungnahmen in einer Zeit, als die NPD bei Landtagwahlen zweistellige Erfolge verbuchen konnte; es geht allein um den Schutz einer NPD-Veranstaltung im November 1968 vor Gegendemonstrationen. Daneben verdeutlicht der Film aber auch die durch die studentischen Proteste der Vorjahre weiterentwickelte Demonstrationskultur. Denn die Protestierenden blockieren zeitweise eine Straßenkreuzung, marschieren nicht geordnet und gleichmäßig, sondern haben Ketten gebildet, die sich im Laufschritt fortbewegen.

Der ebenfalls aus Nordrhein-Westfalen stammende Film „Polizei – Büttel oder Bürger in Uniform?“ (9 Minuten, 1965) ist ein äußerst aufschlussreicher Zustandsbericht über die damalige Polizei. Die Ausbildung war von (Selbst-)Disziplin, viel Sport sowie von Schieß- und Waffenausbildung geprägt. Grundsätzlich bestand eine enge Anlehnung an die Polizei der Weimarer Republik. Gezeigt wird die ‚alte‘ Polizei vor der durch die Proteste der Jahre 1967/68 ausgelösten Krise. Einzig die steigende Kriminalität beunruhigt und lässt nach mehr zivilgesellschaftlichem Engagement der Bürger rufen. „Ansprechen des Mitbürgers“ (17:21 Minuten, 1965) ist ein Film, der auf Polizeibeamte ausgerichtet ist und in vier Situationen jeweils „richtiges“ und „falsches“ Verhalten im Umgang mit BürgerInnen gegenüberstellt. Es geht um Probleme des Straßenverkehrs, von dem sich die damalige Polizei überlastet fühlte. Der Film wirkt, wie das Begleitheft zutreffend vermerkt, „steif und hölzern“ (S. 51).

Zwei Filmausschnitte thematisieren den polizeilichen Umgang mit Jugendlichen. Der Hamburger Film „The Beatles am 26.6.1966 in Hamburg“ (9:52 Minuten, 1966) ist ein dokumentarischer Lehrfilm (mit Originalaufnahmen des Einsatzes anlässlich des Auftritts). „Hausbesetzung Ekhofstraße in Hamburg“ (11:28 Minuten, 1973) ist ebenfalls ein mit dokumentarischen Material arbeitender Film für den polizeiinternen Gebrauch. Der Vergleich beider Filme ist in zweierlei Hinsicht interessant. Zum einen sehen wir im Juni 1966 kurzhaarige Jugendliche, die überwiegend Anzüge, Mäntel oder Pullover tragen. Bei der Hausbesetzung von 1973 handelt es sich um behelmte und vermummte, sich martialisch inszenierende langhaarige ‚Streetfighter’. Zum anderen wird deutlich, wie sich das Gesicht der Polizei in diesen wenigen Jahren radikal verändert hat. Bei dem als unpolitisch eingestuften Einsatz von 1966 agierten Polizisten ungeschützt mit ihrer Alltagsuniform und weißen Mützen, teilweise wurden Pferde und Motorräder verwendet. Trotz einiger Szenen, in denen Schlagstöcke und Wasserwerfer eingesetzt werden, ist die Situation relativ entspannt. Die Polizisten schienen sich ihrer Überlegenheit sicher. Sieben Jahre später, bei einem nun hochpolitischen Einsatz, ist die Polizei mit Schutzschilden und Helmen ausgerüstet. Zudem wurde die Hausräumung mit gepanzerten Fahrzeugen abgesichert und von ‚Gewaltspezialisten“ durchgeführt, den Männern des kurz zuvor aufgestellten Mobilen Einsatzkommandos (MEK). Die Fronten erscheinen extrem verhärtet. Wie das Begleitheft zutreffend anmerkt, wirkt der Film stellenweise wie eine „mythologisierende Inszenierung eines siegreichen Krieges“. So zeigt der Ausschnitt, wie die Besetzer nach Räumung des Hauses gefesselt auf dem Boden liegen; sie werden als „gedemütigte Verlierer vorgeführt“ (S. 81).

Für die Volkspolizei der DDR besaß der Schutz des Staates Vorrang vor dem Schutz von Bürgerrechten. In bundesdeutschen Polizeien war dieser Staatsbezug weniger direkt (politisch), sondern zumindest bis in die 1960er-Jahre mythologisch verklärt und oft an der Vergangenheit, sprich: an der Weimarer Republik orientiert. Neben der anfangs erwähnten Ähnlichkeit polizeitaktischer Begriffe lassen sich weitere Gemeinsamkeiten benennen. So ist die Bedeutung bürgerlicher Sekundärtugenden in fast allen Filmen erkennbar. Sie bilden die Trennlinie zwischen Mitbürger und Außenseiter. Jugendliche galten in beiden Staaten zeitweise als mehr oder weniger starke Bedrohung, besonders wenn sie in Gruppen auftraten und ihren auf Differenz abzielenden Lebensstil nach außen trugen. Zudem entwickelten Polizisten beider Staaten offenbar kritikwürdige Umgangsformen gegenüber dem ‚normalen’ Bürger, die durch die Filme ‚korrigiert’ werden sollten. Auch im Bemühen um Distanz zum Bürger schienen sich die Polizisten staaten- und systemübergreifend einig: Während bundesdeutsche Polizisten im Dienst sehr oft Handschuhe trugen, pflegten DDR-Polizisten einen emotionslosen, bürokratisch-distanzierten Habitus.

Die DVD-Präsentation ist übersichtlich und professionell gestaltet. Allerdings können die vier Themenfelder, nach denen die Filme geordnet sind, kaum überzeugen („Polizei und Politik“, „Polizeiliches Selbstverständnis“, „Polizei und Bürger“ sowie „Polizeiliches Gegenüber“). Denn sie sind wenig trennscharf. Auch die ständige Kontrastierung von bundesdeutschen und DDR-Polizeifilmen ist nicht unproblematisch, da die DDR-Filme deutlich jüngeren Datums sind. Sie entstanden überwiegend 1976/77 oder noch später, die bundesdeutschen hingegen 1965-1968 (nur einer stammt aus dem Jahr 1973). Leider sind auch keine Kriterien genannt, nach denen die Filme und vor allem die Filmszenen ausgewählt wurden. Trotz dieser kleinen Mängel kann die DVD in der historisch-politischen Bildungsarbeit sicherlich mit Gewinn eingesetzt werden.

Anmerkung:
1 Einzelheiten finden sich bei: Weinhauer, Klaus, Schutzpolizei in der Bundesrepublik. Zwischen Bürgerkrieg und Innerer Sicherheit: Die turbulenten sechziger Jahre, Paderborn 2003; Lindenberger, Thomas, Volkspolizei. Herrschaftspraxis und öffentliche Ordnung im SED-Staat 1952-1968, Köln 2003.

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