M. Epkenhans u.a. (Hrsg.): Militärische Erinnerungskultur

Titel
Militärische Erinnerungskultur. Soldaten im Spiegel von Biographien, Memoiren und Selbstzeugnissen


Herausgeber
Epkenhans, Michael; Förster, Stig; Hagemann, Karen
Reihe
Krieg in der Geschichte 29
Erschienen
Paderborn 2006: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
329 S.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michaela Bachem-Rehm, Historisches Institut, Universität Duisburg-Essen, Campus Essen

Nachdem die biographische Forschung innerhalb der Geschichtswissenschaft lange Zeit ein stiefmütterliches Dasein gefristet hat, ist gegenwärtig ein wahrer „Biographie-Boom“ festzustellen. Historische Biographien haben auf dem wissenschaftlichen Buchmarkt wieder Konjunktur und erzielen – quer durch die historischen Epochendisziplinen – große Erfolge. 1 In der Historiographie von Militär und Krieg haben Biographien und Memoiren eine lange Tradition. So ist beispielsweise die Epoche der Freiheitskriege weitestgehend über diese Darstellungsform aufgearbeitet worden. Im Mittelpunkt der Militärbiographien standen zumeist Offiziere: Zum einen waren sie es, die überwiegend autobiographische Texte zu ihren Erfahrungen im Militär und ihren Kriegserlebnissen publizierten, zum anderen interessierte sich die traditionelle Militärgeschichtsschreibung selbst vorwiegend für die militärischen Eliten und betrachtete deren Leben und Wirken – oft mit apologetischer Absicht. Aufgrund dieser Tradition stand die Geschichtswissenschaft den autobiographischen Überlieferungen und dieser Art von Geschichtsschreibung und -vermittlung oft skeptisch gegenüber. Erst mit dem wachsenden Einfluss der Kulturgeschichte, insbesondere der Beschäftigung mit alltags-, erfahrungs- und erinnerungsgeschichtlichen Themen, setzte hier ein Wandel ein. Mittlerweile sind Selbstzeugnisse aller Art nicht nur eine wichtige, sondern vor allem eine methodisch intensiv reflektierte und diskutierte Quelle. 2

Wie „breit entfaltet, lebendig und vielfältig gerade im Bericht der Geschichte von Militär und Krieg die biographisch ausgerichtete Forschung ist“ (S. IX), zeigt der von Michael Epkenhans, Stig Förster und Karen Hagemann herausgegebene Sammelband, der Beiträge einer Tagung zur militärischen Erinnerungskultur umfasst. Neben einer sehr informativen Einführung der Herausgeber zu den Möglichkeiten und Grenzen von Biographien und Selbstzeugnissen in der Militärgeschichte enthält der Band fünfzehn Beiträge von Historikern aus der Bundesrepublik, der Schweiz, aus Spanien und den USA, die sich im militärgeschichtlichen Kontext in die Kategorien „Selbstzeugnisse“, „Biographien“ und „Gruppenbiographien“ einordnen lassen. Zeitlich wird dabei ein Bogen von der Frühen Neuzeit bis zur Frühgeschichte der Bundesrepublik geschlagen. Als fruchtbar erweist sich die Positionierung von deutschen und europäischen Forschungsansätzen. Gemeinsamer Ansatzpunkt der Beiträge ist das Spannungsverhältnis von Biographie und Selbstzeugnissen. Im Mittelpunkt des Interesses stehen dabei drei Fragen: 1) Welche Möglichkeiten, aber auch welche theoretischen und methodischen Probleme bietet die Verwendung von Selbstzeugnissen für die Erforschung von Militär und Krieg? 2) Welche Folgen haben die theoretischen Erkenntnisse zur Arbeit mit Selbstzeugnissen für das Schreiben einer Militärbiographie? 3) Wie müssen Einzel- und Gruppenbiographien heute angelegt werden, damit sie den hohen methodischen Ansprüchen genügen – und dabei lesbar bleiben?

Kriege bilden einen Kontinuitätsbruch, der in das Leben von gesellschaftlichen Gruppen ebenso wie in das von Individuen eingreift. Die Erfahrung selbst und die Erinnerung daran müssen deshalb kollektiv und individuell bearbeitet werden. Hierzu können Selbstzeugnisse beitragen. Um diese für die Erforschung von Militär und Krieg nutzbar zu machen, muss ihre spezifische Qualität bedacht werden. Selbstzeugnisse sind nur zu verstehen, wenn ausreichend Informationen „über den Verfasser bzw. die Verfasserin, den bzw. die Adressaten, die Entstehungsbedingungen und den historischen Kontext vorliegen“ (S. XIII). Wie produktiv unter diesen Voraussetzungen ihre Auswertung im Bereich der Militärgeschichtsschreibung sein kann, zeigen unter anderem die Beiträge von Lutz Voigtländer über „Lebenszeugnisse“ von Kriegsgefangenen im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert, von Manuel Richter über zwei Briefwechsel im deutsch-französischen Krieg 1870/71 und von Xosé-Manoel Núnez über die Erfahrung von spanischen Soldaten der „Blauen Division“ im Russland-Feldzug. Inwieweit Selbstzeugnisse darüber hinaus geeignet sein können, ein bisheriges biographisches Bild zu revidieren, macht der Aufsatz von Annika Mombauer über Helmuth von Moltke auf überzeugende Weise deutlich: „Das herkömmliche Bild des inkompetenten Moltke, […], tut Moltke nicht nur Unrecht, sondern enthebt ihn gleichzeitig der großen Verantwortung, die er für den Ausbruch des ersten Weltkrieges hatte“ (S. 150f.)

Selbstzeugnisse eignen sich in besonderer Weise für eine Erfahrungsgeschichte von Militär und Krieg. In erster Linie geht es dabei um die Versuche von Akteuren und Beobachtern, der Erfahrung von Militär und Krieg einen Sinn zu geben. Die militärische Erfahrungsgeschichte fragt dabei nicht nur nach den Sinnstiftungs- und Deutungsmustern während des Militärdienstes oder eines Krieges, sondern auch nach den späteren Kommunikations- und Interaktionsprozessen. Christian Koller zeigt in seinem vergleichend angelegten Beitrag über die Memoiren schweizerischer Fremdenlegionäre und Spanienkämpfer, dass der fremde Kriegsdienst eine biographische Krise darstellte, die rückblickend verarbeitet wurde. Er vertritt die These, dass den Erinnerungsschriften an den Kriegsdienst im Ausland in beiden Fällen – wenn auch in unterschiedlichem Sinne – die Funktion zukomme, „der Grenzüberschreitung Sinn abzugewinnen und die eigene Welt durch Abgrenzung von den jeweils anderen zu stabilisieren“ (S. 187).

Deutlich wird in dem Band von Epkenhans, Förster und Hagemann darüber hinaus, welche Möglichkeiten Einzel- und Gruppenbiographien für die militärische Geschichtsschreibung und -vermittlung bieten. Anhand des Schicksals einer Person oder einer militärischen Einheit können politik-, sozial- und erfahrungsgeschichtliche Fragestellungen in exemplarischer Weise bearbeitet und in lesbarer Form vermittelt werden. Alaric Searle plädiert in seinem Beitrag über Wehrmachtsgeneräle in der westdeutschen Nachkriegszeit für eine „epochenbezogene Gruppenbiographie“ (S. 272), um die wesentlichen politischen und kulturellen Entwicklungen einer bestimmten Epoche einbeziehen zu können. Im Falle einer Gruppenbiographie der Wehrmachtsgeneralität nach 1945 heißt das, dass der „Bedeutung der Erfahrungen in der kaiserlichen Armee und Marine, in der Reichswehr und in der Wehrmacht vor und während des Zweiten Weltkrieges Rechnung getragen werden sollte“, jedoch unter bestimmten Fragestellungen, die auf die Bedingungen der Nachkriegszeit und die politischen Kontroversen der Adenauer-Ära abzielen (S. 272).

Als Fazit dieses gelungenen Sammelbandes bleibt festzuhalten, dass Alltags- Erfahrungs- und Erinnerungsgeschichte und biographische Methode außerordentlich viel versprechende Ansätze für die Geschichte von Militär und Krieg sind.

Anmerkungen:
1 Zum Stand der historischen Biographieforschung siehe: Röckelein, Hedwig (Hrsg.), Biographie als Geschichte, Tübingen 1993 und: Hähner, Olaf, Historische Biographik. Die Entwicklung einer geschichtswissenschaftlichen Darstellungsform von der Antike bis ins 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1999.
2 Zur Diskussion um „Selbstzeugnisse“ und die begrifflich weiter gefassten „Ego-Dokumente“ siehe: Krusenstjern, Benigna von, Was sind Selbstzeugnisse? Begriffskritische und quellenkundliche Überlegungen anhand von Beispielen aus dem 17. Jahrhundert, in: Historische Anthropologie 2 (1994), S. 462-471 und: Schulze, Winfried (Hrsg.), Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte, Berlin 1996.