Eine Kooperation von Johannes Schütz, DFG-Projekt „Polyphonie der Heimat“ am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der TU Dresden, Antje Reppe und Henrik Schwanitz, Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde, Dresden und Anna Strommenger, Arbeitsbereich Zeitgeschichte, Abteilung Geschichtswissenschaft, Universität Bielefeld.
Die Auseinandersetzung mit Heimat hat gegenwärtig nicht allein Konjunktur, sie ist mittlerweile fast zu einer Art Dauerbrenner avanciert. Dies betrifft tagesaktuelle Debatten ebenso wie die Auseinandersetzung in zahlreichen kultur- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen. Die geschichtswissenschaftliche Perspektive hat sich dabei vorwiegend auf die Begriffs- und Ideengeschichte sowie die institutionalisierte Heimatbewegung gerichtet. Anders als in soziologischen und kulturanthropologischen Forschungsarbeiten wurde dabei der praxeologischen Dimension von Heimat und deren Wechselwirkungen mit den gesellschaftlich jeweils wirkmächtigen Heimatvorstellungen weit weniger Beachtung zuteil. Angesichts dieses Befunds rückt der Workshop Heimat-Praktiken in den Fokus und nähert sich deren Analyse aus zweifacher Richtung: Zum einen werden die theoretischen Implikationen, methodischen Herausforderungen und interdisziplinären Möglichkeiten einer praxeologischen Erforschung von Heimat problematisiert. Zum anderen werden Untersuchungen zu empirischen Fallbeispielen herangezogen und zur Diskussion gestellt, wobei der zeitliche Schwerpunkt auf dem 19. und 20. Jahrhundert liegt. Ein solches Vorgehen verspricht Klärung darüber, welche historischen Phänomene sich unter dem Begriff „Heimat-Praktiken“ subsumieren lassen.
In dem geplanten Workshop werden Praktiken im Fokus stehen, mit denen historische Akteur:innen „ihre“ Heimat aneigneten und herstellten. Dabei ist davon auszugehen, dass diese Praktiken in einem wechselseitigen Bezug zu den ideellen Heimatvorstellungen stehen. In welcher Form sich aber Vorstellungen und Praktiken beeinflussten, wird Gegenstand der Diskussionen sein. Weiterhin wird in Auseinandersetzung mit dem bereits etablierten Konzept der Beheimatung über einen dezidiert praxistheoretischen Zugang nach Aneignungsformen und alltäglichen Routinen gefragt, die Heimat als Ort herstellten und emotional besetzten: Welche Heimat-Praktiken prägten den Alltag von Menschen in verschiedenen politischen Systemen? Wie beeinflussten unterschiedliche gesellschaftliche, politische oder kulturelle Konstellationen diese Heimat-Praktiken? Lassen sich durch diachrone und synchrone Vergleiche Kontinuitäten und Brüche aufzeigen? Was bedeutete beispielsweise die Einrichtung eines Heimatmuseums im Kaiserreich, in der Weimarer Republik oder in den beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften? In die Analyse von Heimat-Praktiken sollen sowohl alltägliche Routinen als auch reflexive Praktiken zur Herstellung von Heimat – seien es das Filme Machen oder Heimatbücher Schreiben – einbezogen werden, um den Begriff nicht zu stark einzugrenzen und der Polyvalenz von Heimatvorstellungen zu entsprechen. Auf diese Weise kann das Potenzial der Analyse von Heimat-Praktiken für die weitere ideengeschichtliche Erforschung von Heimat diskutiert und zugleich um internationale Vergleiche erweitert werden.
Zudem wirft ein solches Vorgehen die Frage nach den theoretischen und methodischen Herausforderungen einer geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Heimat-Praktiken auf. Was ist überhaupt unter dem Begriff zu verstehen? Wie trennscharf ist er, insbesondere jenseits der institutionalisierten Heimatbewegung? Wie lassen sich Heimat-Praktiken erforschen? Lassen sich begriffliche Unterscheidungen zwischen Beheimatungsprozessen und Heimat-Praktiken machen? Welche Quellen können für eine praxeologische Untersuchung von Heimatkonstruktionen herangezogen werden? Welche theoretischen Zugänge eignen sich für historische Analysen und inwiefern lassen sich interdisziplinäre Perspektiven eröffnen? Ausgehend von diesen Fragen sollen im Workshop Forschungsvorhaben besprochen und Nachwuchswissenschaftler:innen ins Gespräch gebracht werden. Impulse für die Diskussion werden durch keynote lectures von ausgewählten Expert:innen auf diesem Gebiet gegeben. Alle historisch und kulturwissenschaftlich arbeitenden Disziplinen sind dazu eingeladen, sich über den Call for Papers mit Ihren Projekten für die Teilnahme zu bewerben.
Zusendungen von Vortragsvorschlägen (max. 500 Wörter) und einer kurzen Biografie (max. 200 Wörter) bitte bis zum 31.10.2021 an: Johannes.Schuetz1@tu-dresden.de