Medizin im Nationalsozialismus: Kulturen, Strukturen, Lebensgeschichten

Medizin im Nationalsozialismus: Kulturen, Strukturen, Lebensgeschichten

Veranstalter
Leopoldina-Zentrum für Wissenschaftsforschung
Veranstaltungsort
Leopoldina, Jägerberg 1
PLZ
06108
Ort
Halle (Saale)
Land
Deutschland
Vom - Bis
13.06.2022 - 14.06.2022
Von
Leopoldina-Zentrum für Wissenschaftsforschung

Frühjahrstagung 2022 des Leopoldina-Zentrums für Wissenschaftsforschung

Medizin im Nationalsozialismus: Kulturen, Strukturen, Lebensgeschichten

Seit den 1980er Jahren hat die Forschung zur deutschen Medizin im Nationalsozialismus einen wesentlichen Aufschwung erlebt. Dies war nicht zuletzt der folgenreichen sozialen Bewegung der sogenannten „1968er“ zu verdanken, die direkte Kontinuitäten vom Dritten Reich zur Bundesrepublik aufzuzeigen versuchte. Seither ist die NS-Medizin zum Thema der breiteren Medizingeschichte geworden und die Zahl der Untersuchungen zu Institutionen, zur „Rassenhygiene“, zur „Euthanasie“ und zur NS-Gesundheitspolitik ist stark gestiegen. Doch grundlegende Fragen bleiben noch immer offen und einige Forschungsbereiche unzureichend beleuchtet. Im Rahmen dieser Tagung sollen diese in mehreren Sektionen und aus internationaler Perspektive diskutiert werden.

So wird etwa die Ebene der persönlichen Lebensgeschichten der Opfer sowie der Patientinnen und Patienten noch immer in der historischen Forschung wenig berücksichtigt. Zur Zwangsemigration existieren vor allem in der Forschung zu Public Health einige Arbeiten, die sich allerdings weitgehend auf die erfolgreichen und prominenten Migrantinnen und Migranten beschränken. Institutionen und Organisationen haben – nicht zuletzt in jüngster Zeit – häufig die Notwendigkeit gesehen, ihre eigene Vergangenheit als Profiteure oder Akteure der NS-medizinischen Forschung historisch zu beleuchten. Hier steht trotz vielfältiger Ansätze einzelner Institutionen eine umfassende Aufarbeitung aller Opfer der NS-Medizin noch aus, seien sie aus Euthanasie- oder aus anderen Zusammenhängen.

Fast 80 Jahre nach Kriegsende und 30 Jahre nach Wiedervereinigung kommt die zeithistorische Frage hinzu, wie die medizinische Erziehung und Forschung der NS-Zeit in den beiden deutschen Staaten nachwirkten. Die spätere Nutzung militärpathologischer Arbeiten aus dem Zweiten Weltkrieg bleibt ebenso ein Forschungsdesiderat wie die Folgen, die die Auschwitz-Forschung zur Reproduktionsmedizin auf die nachfolgenden Generationen hatte. Auch die Nachwirkungen von Dissertationen und Habilitationen aus der NS-Zeit sind bisher nicht ausreichend aufgearbeitet.

Die Tagung will eine Bestandsaufnahme der bisherigen Forschung bieten, vor allem aber entlang der aufgezeigten Linien neue Forschungen präsentieren und Ansätze, Ziele und Ergebnisse kritisch diskutieren.

Wissenschaftliche Leitung: Paul Weindling ML in Kooperation mit Heiner Fangerau ML und Alfons Labisch ML
ML = Mitglied der Leopoldina

Die Teilnahme an der Tagung ist kostenlos. Es wird um eine Anmeldung (s. Veranstaltungswebsite) gebeten.

Programm

Montag, 13. Juni 2022

09.30-09.45
Begrüßung
Alfons Labisch ML, Düsseldorf

09.45-10:30
Einführung
Paul Weindling ML, Oxford: Beyond the Anneliese Maier Prize – Researching victims in the History of Medicine under National Socialism

10.30-11.15
Christian Bonah, Strasbourg (Frankreich): Medicine under German Occupation: KZ Natzweiler, the Medical Faculty of the Reichsuniversität Strassburg and Alsatian Society

11.15-11.45
Kaffeepause

Sektion 1: Emigration

11.45-12.30
Rakefet Zalashik, Tel Aviv: The migration and absorption of medical professionals minorities during WWII - comparative and global perspectives

12.30-13.15
Esther Cuerda Galindo, Berlin: Medical doctors on the run Spain's Miranda de Ebro Campo de concentracion as threat and refugie during and after the Nazi era

13.15-14.30
Mittagspause

Sektion 2: Lager-Medizin und NS-Opfer als medizinische Forschungsobjekte

14.30-15.15
Maria Ciesieklska, Warschau: The „Non-Aryan Doctors” of the Warsaw Ghetto. Who were they?

15.15-16.00
Aleksandra Loewenau, Calgary: Post-war life histories of Polish victims of Nazi medical ex-periments in Canada

16.00-16.30
Kaffeepause

16.30-17.15
Benigna Schönhagen, Tübingen: „Ich möchte höflich anfragen, wo mein Mann beerdigt worden ist, wo sich sein Grab befindet.“ Zur Identifizierung der Anatomie-Toten auf dem Gräberfeld X in Tübingen

17.15-18:00
Jan Erik Schulte, Bochum: Die Nennung der Namen von „Euthanasie“-Ermordeten. Rückblick, aktueller Stand und Herausforderungen unter besonderer Berücksichtigung der Erfahrungen in der Gedenkstätte Hadamar

18:00-18:30
Pause

18.30-19.30
Öffentlicher Abendvortrag
Martina King, Fribourg (Schweiz): Helden, Heilige, Menschenzüchter: nationalsozialistischer Arztroman und biopolitische Diktatur

Dienstag, 14. Juni 2022

Sektion 3: SS-Medizin und Rassenforschung

09.00-09.45
Hans-Joachim Lang, Tübingen: Ausgelöscht. Über 86 Leben vor den Morden für eine jüdi-sche Skelettsammlung - eine Zwischenbilanz nach 25 Jahren biografischen Forschungen

09.45-10:30
Margit Berner, Wien: Die „rassenkundliche“ Untersuchung jüdischer Familien im Ghetto Tarnów 1942

10.30-10.45
Kaffeepause

10.45-11.30
Alexander von Lünen, Huddersfield: Seuchen im Osten: Die Rolle der Wehrmachtsärzte im Holocaust

11.30-12.15
Mathias Schütz, München: Leere Gedanken, blinde Anschauungen? Medizin-ethische Narrative nationalsozialistischer Medizin

12.15-13.15
Mittagspause

Sektion 4: Medizinische Fachrichtungen und ihre NS-Vergangenheit

13:15-14.00
Ralf Forsbach, Hans-Georg Hofer, Münster: Unterstützung, Ehrung, Reintegration: Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin und ihr Umgang mit nationalsozialistisch belasteten Mitgliedern

14.00-14.45
Dominik Groß, Aachen: Pathologie im Nationalsozialismus – ein Fach und seine Vertreter

14.45-15:30
Matthis Krischel, Düsseldorf: Zahnärzte im nationalsozialistischen Deutschland: Biografien und Erinnerungskulturen

15:30-15:45
Kaffeepause

Sektion 5: Kliniken und PatientInnen

15.45-16:30
Aisling Shalvey, Halle/ S.: Paediatrics in German-annexed Alsace

16.30-17:15
Michal Palacz, Paul Weindling ML, Oxford: The Brains from Warsaw: German Military Pathologists and the Transfer of Brains to Berlin-Buch

17.15-18.00
Schlussdiskussion

Kontakt

lzfw@leopoldina.org

https://www.leopoldina.org/veranstaltungen/veranstaltung/event/2964/