Verbotene Frucht. Sexualleben und Kirchen in Ostmitteleuropa in unterschiedlichen Epochen

Verbotene Frucht. Sexualleben und Kirchen in Ostmitteleuropa in unterschiedlichen Epochen

Veranstalter
Deutsches Historisches Institut Warschau
Veranstaltungsort
Warschau
PLZ
00-540
Ort
Warszawa
Land
Poland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
24.11.2022 - 25.11.2022
Deadline
09.07.2022
Von
Dorota Zielinska, Pałac Karnickich, Niemiecki Instytut Historyczny w Warszawie (DHI Warschau)

Verbotene Frucht. Sexualleben und Kirchen in Ostmitteleuropa in unterschiedlichen Epochen

Die Konferenz hat zum Ziel, das Verhältnis zwischen den offiziellen Lehren von kirchlich ‚erwünschten‘ und untersagten sexuellen Verhaltensweisen und alltäglichen Praktiken anhand einer Perspektive ‚von unten‘ zu beleuchten. Uns interessieren verschiedene Fragen, die mit dem Sexual – und Liebesleben des Menschen zusammenhängen. Wir wollen ebenso das Geflecht zwischen Religion-Norm-Moral sowie Gemeinschaft-Staat-Recht einerseits und Individuum andererseits beleuchten.

Forbidden fruit. Sex lives and Churches in Central Eastern Europe in different epochs

Focussing on a perspective from below, the conference aims to analyse
the relation between the Churches’ official teachings regarding ‘desired’
and forbidden sexual behaviour on the one hand, and mundane practice
on the other hand. We intend to analyse interdependences
between religion-norm-moral and community-state-law regarding this
most intimate sphere of human life.

Verbotene Frucht. Sexualleben und Kirchen in Ostmitteleuropa in unterschiedlichen Epochen

Seit der Entstehung der Christenheit existierte in ihren Lehren eine klare Unterscheidung zwischen erwünschten und ‚unsittlichen‘ sexuellen Verhaltensweisen, wodurch das Liebesleben der Gläubigen geformt werden sollte. Die Kirchen verschiedener Konfessionen nutzten zu diesem Ziel ein breites Spektrum an Mitteln, u.a. Predigten, Beichte, Flüche, Exkommunikation sowie andere Strafen. Mit dem wachsenden Einfluss der Geistlichkeit auf weltliche und staatliche Institutionen drückte die christliche Sexualethik Rechtsnormen, Schulbildung, Wissenschaft und Kunst ihren Stempel auf. Die kirchliche Missionierung traf alle Bereiche des sozialen, privaten, kulturellen sowie politischen Lebens. „So dumm hat uns der Herrgott beim Sexuellen eingerichtet“ – dieses Zitat spiegelt das Schamgefühl wider, das junge Polen während Kursen zur Vorbereitung auf das Familienleben über Sex in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts empfanden. Menschliche Sexualität war in den kirchlichen Lehren durch Scham und Schuldgefühle gekennzeichnet, und die Kirchen sahen in ihr einen Hort der Sünde.

Auf der anderen Seite unterschied sich der Alltag breiter Bevölkerungsschichten im christlichen Europa zu verschiedenen Epochen deutlich von den durch die Geistlichen propagierten Normen. Verschiedene von den Kirchen abgelehnte Praktiken wie Prostitution, Masturbation, vorehelicher Geschlechtsverkehr oder sexualisierte Gewalt waren allgegenwärtig. Somit misslangen (teilweise) die Versuche der auf religiösen Dogmen basierenden Normierung sexuellen Verhaltens. Trotz der jahrhundertelangen Anwendung kirchlicher, sozialer und staatlicher Zwangsmaßnahmen ließen sich diese Praktiken nicht aus dem gesellschaftlichen Leben verbannen.

Die von Michel Foucault eingeführten Konzepte der Biopolitik und Gouvernementalität sowie sein Standardwerk „Geschichte der Sexualität“ führten dazu, dass die historische Forschung sich vor allem dem Viktorianischen England mit seiner prüden, puritanischen Sexualmoral widmete. Zugleich nähren neue Forschungen Zweifel daran, dass sich Sexualität durch religiöse sowie durch staatliche bzw. rechtliche Maßnahmen im umfassenden Maße normieren ließe. Im Mittelpunkt der Konferenz stehen die Prozesse der Beeinflussung des Sexuallebens durch christliche Konfessionen in Ostmitteleuropa. Wir fragen in diesem Zusammenhang, ob man von einer erfolgreichen Verbreitung und Verwurzelung kirchlicher Normen in Bezug auf das sexuelle Verhalten seit dem Mittelalter sprechen kann.

Die Konferenz hat zum Ziel, das Verhältnis zwischen den offiziellen Lehren von kirchlich ‚erwünschten‘ und untersagten sexuellen Verhaltensweisen und alltäglichen Praktiken anhand einer Perspektive ‚von unten‘ zu beleuchten. Uns interessieren verschiedene Fragen, die mit dem Sexual – und Liebesleben des Menschen zusammenhängen: u.a. vorehelicher Geschlechtsverkehr, außereheliche Beziehungen (Ehebruch), Virginität, Schwangerschaftsabbruch, Verhütung, sexuelle Abweichungen, gleichgeschlechtliche Beziehungen, das „erste Mal“ und das „richtige Alter“ für dieses, die Bewertung von Sex. Wir wollen ebenso das Geflecht zwischen Religion-Norm-Moral sowie Gemeinschaft-Staat-Recht einerseits und Individuum andererseits beleuchten. Im Zusammenhang damit interessieren uns folgende Forschungsfragen:

- Wie positionierten sich Menschen (lokale Gemeinschaften, soziale Gruppen) zu den von den Kirchen akzeptierten, propagierten und abgelehnten sexuellen Verhaltensweisen in verschiedenen Epochen?
- Welche sozialen Folgen hatte die Einführung der christlichen Sexualethik auf verschiedene Gemeinschaften und in verschiedenen Epochen? Welche politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Konsequenzen folgten daraus?
- Welchen Implikationen waren Kultur und Wissen(schaft) ausgesetzt?
- Woraus speiste sich der individuelle sowie Gruppenwiderstand gegen die kirchlichen Normen, und welche Bereiche betraf er?
- Existierten parallele das Sexualleben betreffende Rechtsnormen und Wertesysteme und kam es zu Überlappungen?
- Welche Unterschiede zwischen den Konfessionen traten auf? Welchen Einfluss hatten diese Unterschiede auf das Zusammenleben in multikonfessionellen Gemeinschaften?
- Welche Unterschiede im Bereich der Normen im Sexualleben existierten zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Milieus, Regionen, Nationen, Ethnien? Woraus speisten sich diese Unterschiede?
- Welchen Einfluss hatten die Aktivitäten der Kirche auf das Sexualleben von Frauen, welchen auf dasjenige von Männern? Rezipierten Frauen die Lehren der Kirchen anders als Männer?
- Wie änderte sich die Durchdringung von gesellschaftlichen Praktiken durch kirchliche Normen im Laufe der Zeit?

Wir laden Forschende, die sich mit den oben genannten Fragestellungen im Ostmitteleuropa im Zeitraum zwischen dem Mittelalter und dem 20. Jahrhunderts beschäftigen, ein, an der geplanten Konferenz teilzunehmen. Ebenso sind Vorträge zu anderen Religionsgemeinschaften erwünscht.

Die Konferenz findet am 24. und 25. November 2022 am Deutschen Historischen Institut Warschau statt. Im Falle von Reisebeschränkungen im Zusammenhang mit der CoViD-Pandemie wird die Konferenz entweder in hybrider oder digitaler Form stattfinden. Die Reisekosten der eingeladenen Referentinnen und Referenten werden erstattet, die Unterkunft wird vom Deutschen Historischen Institut Warschau gestellt.

Vorschläge für eine 20-minütige Präsentation, inklusive eines kurzen Abstracts (ca. 300-400 Wörter), eines Titels und einer Kurzbiografie, sind an Dr. Jaśmina Korczak-Siedlecka (korczak-siedlecka@dhi.waw.pl) und Dr. Michael Zok (zok@dhi.waw.pl), zu richten. Einsendeschluss ist der 9. Juli 2022.

Forbidden fruit. Sex lives and Churches in Central Eastern Europe in different epochs

Since the beginning of Christianity there has existed a clear distinction between desired and ‘immoral’ sexual behaviour with the aim of forming the love lives of believers. Different confessions and Churches used a wide range of different means, such as sermons, confessions, curses, excommunication, and other punishments, to achieve this aim. The clergy’s growing influence on secular and state institutions and the introduction of Christian sexual ethics left its mark on law, education, science, and arts. The Churches’ proselytization affected all spheres of social, private, culture, and political life. In the teachings of the Christian Churches, human sexuality was presented as a source of sin and thus characterised by feelings of shame and guilt. “In such a stupid way did the Lord create us with regard to sexual things”—this citation illustrates the feeling of shame as expressed by young Poles during pre-marital courses on sexuality in the second half of the twentieth century.

On the other hand, the everyday lives of most citizens in Christian Europe had little in common with the sexual norms propagated by clerics. Actions condemned by the Churches, such as prostitution, masturbation, pre-marital intercourse, or sexualised violence remained omnipresent. Thus, the efforts to normalize sexual behaviour according to existing religious dogmas failed (at least partly). Different kinds of ecclesiastical, social, and public sanctions did not remove these phenomena from social life.

Michel Foucault’s ideas of “biopolitics” and “governmentality” as well as his book History of Sexuality turned the focus of researchers onto Victorian England and its prudish sexual morals. However, new findings show that religious, as well as public and legislative sanctions are not always efficient in regulating sexuality. During the conference, we want to discuss the ways in which Churches in Central and Eastern Europe have tried to influence human sexuality from the Middle Ages to the present day. In our conference, we ask whether the Churches succeeded in their efforts to impose their ideas about sexuality and to regulate sexual behaviour?

Focussing on a perspective from below, the conference aims to analyse the relation between the Churches’ official teachings regarding ‘desired’ and forbidden sexual behaviour on the one hand, and mundane practice on the other hand. At the core of our interest are questions related to human sexual and love lives, such as pre-marital and extramarital intercourse (adultery), virginity, termination of pregnancies, contraception, ‘sexual aberrations’, homosexual relationships, ‘the first time’ or the appraisal of sex. We intend to analyse interdependences between religion-norm-moral and community-state-law regarding this most intimate sphere of human life. We are interested, among others, in the following questions:
- How did people (local communities, social groups) in different epochs relate to Church teachings and the propagated, accepted, and forbidden forms of sexual behaviour?
- How did Christian sexual ethics affect different communities throughout history? Which political, economic, and legislative consequences of its implementation followed? How did it influence arts and science?
- What were the origins of individual or social resistance against the ecclesiastical norms, and which spheres were at the core of this resistance?
- Did different legal norms and systems of values regarding to sex lives exist at the same time and did they overlap?
- What differences between the confessions are visible? Did these
differences impact everyday life in a multi-denominational community?
- What differences existed between different social and ethnic groups, milieus, regions, nations? Where did these differences originate?
- How did the Churches’ activities affect female and male sex lives? Did women adopt the teachings in a different way than men?
- How did the penetration of social practice by ecclesiastical norms change in the course of history?

We also invite scholars who work on sexual, moral, and teachings of other religious groups in Central Eastern Europe to join our conference. In case of travel restrictions due to the pandemic, the conference will be held in a hybrid or online format. Travel expenses of invited speakers will be reimbursed, accommodation will be provided by the German Historical Institute Warsaw.

Please send proposals for 20-minute presentations to Dr. Jaśmina Korczak-Siedlecka (korczak-siedlecka@dhi.waw.pl) and Dr. Michael Zok (zok@dhi.waw.pl). The submissions should include an abstract of approx. 300 to 400 words, a title, and a short bio. Submission deadline is 2 July 2022.

Kontakt

Dr. Jaśmina Korczak-Siedlecka (korczak-siedlecka@dhi.waw.pl),
Dr. Michael Zok (zok@dhi.waw.pl)

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