Urbane Sozialformen des Religiösen zwischen Pluralisierung und Regulierung

Urbane Sozialformen des Religiösen zwischen Pluralisierung und Regulierung

Veranstalter
Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg (FZH)/ Institut für die Geschichte der deutschen Juden (IGdJ)/ Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg (AWR)
Veranstaltungsort
Beim Schlump 83
Gefördert durch
Ideen- und Risikofonds der Universität Hamburg
PLZ
20144
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
21.09.2022 - 23.09.2022
Von
Anne Kunhardt, Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg (FZH)/ Institut für die Geschichte der deutschen JUden (IGdJ)/ Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg (AWR)

Vor dem Hintergrund vielfältiger Erscheinungsformen einer neuen urbanen religiösen Diversität und ihrer Regulierung thematisiert der Workshop urbane Sozialformen des Religiösen der letzten Jahrzehnte unter den Perspektiven von Pluralisierung, Globalisierung und Regulierung. Der Workshop findet vom 21.-23. September 2022 in Hamburg statt und ist für Gäste geöffnet. Der Eintritt ist frei.

Urbane Sozialformen des Religiösen zwischen Pluralisierung und Regulierung

Hintergrund
Religiöse und weltanschauliche Pluralisierung und Stadtgesellschaft wurden lange Zeit als ein Widerspruch betrachtet und ihre Verbindungen blieben in der Forschung weitgehend vernachlässigt. Beide entwickelten sich im Kontext einer sich modernisierenden Gesellschaft, in der die moderne Metropole als „secular space per se“ (Berking, Schwenk & Steets 2018) und städtische Religion als „historisches Phänomen“ (Lanz 2013) galten. Inzwischen hat sich empirisch gezeigt, dass moderne Gesellschaften – und dabei insbesondere Stadtgesellschaften – von der Gleichzeitigkeit mindestens zweier Pluralisierungsprozesse geprägt sind: von der Koexistenz von sowohl verschiedenen religiösen Weltanschauungen als auch von säkularen und religiösen Diskursen und Institutionen (Berger 2015).

Multireligiöse säkulare Stadtgesellschaften haben sich damit – begründet durch die Globalisierung und damit verbundene Migrationsströme sowie durch bestehende unterschiedliche religiöse Traditionen und religiöse Innovationen in lokalen urbanen Kontexten – einerseits zu Entwicklungsräumen hochindividualisierter und hybrider Sozialformen des Religiösen entwickelt. Andererseits sind sie als Laboratorien des Zusammenlebens selbst zum Gegenstand (nationalstaatlich gerahmter) politischer Regulierung geworden, die sich in zunehmend institutionalisierten Verfahren und etablierten Formen des Austauschs vollzieht und eine schrittweise Anerkennung religiöser Vielfalt hervorbringt.

Fokus der Tagung
Sowohl die vielfältigen Erscheinungsformen einer neuen urbanen religiösen Diversität als auch ihre Regulierung sind in den letzten Jahren in den Blick unterschiedlicher Disziplinen gerückt und erforscht worden. Auffällig ist allerdings, dass die verschiedenen Forschungsstränge meist unverbunden nebeneinanderstehen. Während die einen die Individualisierung religiöser Praxen und neue fluide Sozialformen des Religiösen thematisieren, untersuchen andere die auf organisierte Formen bezogene Regulierung religiöser Pluralität. In Zusammenschau beider Perspektiven wird deutlich, dass die institutionalisierten Formen religiöser Vielfalt und die damit verbundenen politischen Anerkennungsverfahren selbst erneut Ein- und Ausschlüsse produzieren und oftmals hinter den komplexen Entwicklungen und vielgestaltigen Prozessen religiöser Verge-meinschaftungen im urbanen Raum zurückbleiben.

Vor diesem Hintergrund soll der Workshop urbane Sozialformen des Religiösen der letzten Jahrzehnte unter den Perspektiven von Pluralisierung, Glokalisierung und Regulierung thematisieren und dazu dienen, die sich teilweise isoliert entwickelnden Forschungsstränge miteinander in Beziehung zu setzen. Der Fokus richtet sich darauf, die Verbindungen, Wechselwirkungen sowie Spannungsverhältnisse auszuloten, die zwischen beiden Entwicklungen bestehen, und diese auch hinsichtlich normativer Implikationen und Herausforderungen seitens Politik, Religi-onsgemeinschaften und Gesellschaft zu reflektieren.

Der Workshop ist in drei Sektionen organisiert: Urbane Sozialformen des Religiösen: Individualisierte Praxen, Interaktionen (1), Urbane Formen der Regulierung (2) und Dialog, Materialität und Raum (3). Die Beiträge sollen eines oder mehrere dieser Themen behandeln, wobei religions- und/oder städtevergleichende Perspektiven von besonderem Interesse sind und in ihren Erkenntnissen und Herausforderungen für auch die jeweils anderen Sektionen und hinsichtlich daraus resultierenden Forschungsbedarfen diskutiert werden sollen.

Sektion 1: Urbane Sozialformen des Religiösen: Individualisierte Praxen, Interaktionen
Sektion 1 befasst sich mit Forschungen zu individueller Religiosität und neuen Sozialformen des Religiösen im urbanen Raum. Zum einen sind dabei Studien von Interesse, die auf stadträumliche Prozesse schauen, die durch vornehmlich migrantisch geprägte religiöse Gruppen ausgelöst worden sind und dementsprechend auf die Dynamik religiöser Raumproduktionen im urbanen Kontext in der Folge von Glokalisierungsprozessen schauen. Zum anderen richtet sich das Interesse auf Spielarten alternativer und neuer Spiritualitäten, die sich durch fluide Formen der Zugehörigkeit sowie fließende und vergängliche Sichtbarkeiten auszeichnen und sich weniger räumlich-materiell manifestieren, sondern eher in kaum wahrnehmbaren, aber an öffentlichen Orten stattfindenden Ritualen zur Geltung kommen.

Sektion 2: Urbane Formen der Regulierung
Diese Dynamik befördert Austausch und Kooperation, aber auch Konflikte, womit die Frage der Steuerung religiöser Vielfalt an Bedeutung gewinnt. Sektion 2 lenkt den Blick auf Städte als Orte der Mesoebene zwischen den übergeordneten Entwicklungen und Regulierungen der Makroebene und dem individuellen Handeln auf der Mikroebene und fragt nach institutionellen Entwicklungen, Ansätzen und Bedingungen für das Zusammenleben in multireligiösen säkularen Stadtgesellschaften. Damit sind Forschungen von Interesse, die sich damit befassen, wie und mit welchen Intentionen und Wirkungen religiöse und weltanschauliche Vielfalt im urbanen Raum von Religionsgemeinschaften, Staat, Zivilgesellschaft in unterschiedlichen Akteurskonstellationen und -kooperationen gestaltet, geregelt und reguliert wird.

Sektion 3: Dialog, Raum und Materialität
Die Regulierung religiöser Diversität im stadt- und raumbezogenen Handlungsfeld zeigt sich in besonderer Weise anhand von mitunter konflikthaften Aushandlungsprozessen zwischen verschiedenen Akteursgruppen um die Frage der (Um-)Gestaltung des Räumlich-Materiellen im urbanen Raum. Sektion 3 nimmt daher die Transformation religiöser Räume in den Blick und thematisiert die verschiedenen Raumtypen – von Kirchen (-umnutzungen), Moscheen und Synagogen bis zu interreligiösen Umnutzungen und multireligiösen Sakralbauten – in ihrem Verhältnis zu multireligiösen säkularen Stadtgesellschaften

Programm

PROGRAMM

MITTWOCH, 21. SEPTEMBER 2022

17:00 Registrierung

17:30 Begrüßung: Thomas Großbölting (FZH, UHH), Karen Körber (IGdJ), Anna Körs (AWR/UHH)

18:00 Keynote
Prof. Dr. Gritt Klinkhammer, Universität Bremen

Religiöse Pluralität(en) im städtischen Raum: Komplexe Netze, Konvivenzen und Grenzen

19:30 Reception

DONNERSTAG, 22. SEPTEMBER 2022

Sektion 1: Urbane Sozialformen des Religiösen: Individualisierte Praxen, Interaktionen (Chair: Prof. Dr. Thomas Großbölting, FZH, UHH)

09:15
- Dr. Vanessa Rau, MPI Göttingen
„Jewishness Berlin-style“. Transformationen in jüdischen Räumen in Berlin und die Bedeutung der religiösen Szene in der Religionsforschung
- Prof. Dr. Karsten Lehmann, KPH Wien/Krems
Religiöse Milieus und religiöse Vielfalt im Wien der Zwischenkriegszeit
- PD Dr. Victoria Hegner, Georg-August-Universität Göttingen
Unsichtbar bleiben – sichtbar werden: neuheidnische Hexen und das magische Spiel mit urbanen Räumen und Zeiten

10:45 Kaffeepause

11.15
- Dr. Arndt Emmerich, Universität Heidelberg
In Search of Conviviality - Jewish-Muslim Encounters in Frankfurt’s Bahnhofsviertel
- Gerrit Weitzel M.A., Universität Bielefeld/ IKG
Radikalisierung und Raum: Die Beziehung zwischen urbanen Strukturen und lokalen Radikalisierungsprozessen am Beispiel einer (ethnographischen) Fallstudie

13:00 Lunch

Sektion 2: Urbane Formen der Regulierung (Chair: Dr. Anna Körs, AWR UHH)

14:15
- Dr. Dominik Mattes, Freie Universität Berlin
Von Trauerspiel bis Leuchtturmprojekt. Affektive Schlaglichter auf die Regulierung religiöser Diversität in Berlin
- Prof. Dr. Alexander-Kenneth Nagel, Georg-August-Universität Göttingen
Jenseits der Metropole: Zur Governance religiöser Diversität in Klein- und Mittelstädten
- Tobias Meier, M.A., Universität Göttingen
Das streitbare Wir. Community Organizing in der kommunalen Religionspolitik

15:45 Kaffeepause

16:15
- Mareike Ritter, M.A., CRM, Universität Münster
Jüdisch-muslimische Bündnisse in deutschen Städten im Spannungsfeld zwischen Regulierung und Selbstregulierung
- Prof. Dr. Peter Beyer, University of Ottawa
Die zunehmende Dominanz nichtreligiöser Weltanschauungen/Lebensführungen im westlichen urbanen Raum: Wie erkennen/regulieren wir eine formlose Vielfalt?”

18:00
Roundtable „Religiöse Vielfalt in Wissenschaft, Praxis und Transfer“

- Dr. Sarah Jahn, HSPV, NRW
„Wissen über Religion(en) vermitteln. Möglichkeiten und Hausforderungen des religionsbezogenen Wissenstransfer in urbane Praxisfelder“
- Dr. Yasemin El-Menouar, Bertelsmann Stiftung
Religiöse Vielfalt vor Ort gestalten
- Dr. Ellen Ueberschär, Stephanus-Stiftung

20:00 Dinner

FREITAG, 23. SEPTEMBER 2022

Sektion 3: Dialog, Materialität und Raum (Chair: Dr. Karen Körber, IGdJ Hamburg)

09:15
- Dr. Hannah Tzuberi, Freie Universität Berlin
Bringing “Religion as Such” to the City: Sacred History and Nation Branding in Contemporary Berlin
- Prof. Dr. Marian Burchardt, Universität Leipzig
Das Versprechen der Architektur: Religiöse Vielfalt, Ikonizität und Affekt in Berlins House of One
- Dr. Alexandra Klei, IGdJ
Einen neuen Raum finden: ‚Jüdisches Bauen‘ in Nachkriegsdeutschland

10:45 Kaffeepause

11:15
- Prof. Dr. Bärbel Beinhauer-Köhler, Philipps-Universität Marburg
Mauern im historischen Kairo. Elemente sozialer Organisation einer religiös pluralen Gesellschaft
- Dr. Laura Haddad, Altonaer Museum
Außen Kirche, innen Moschee?! Zur transreligiösen Umwandlung eines Gotteshauses
- Adrian Totaro M.A., Universität Koblenz-Landau
Die Un/Sichtbarkeit des Religiösen

12:45 Schlussbemerkungen

13:00 Ende der Konferenz

Organisator:innen
Prof. Dr. Thomas Großbölting, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg
Dr. Karen Körber, Institut für die Geschichte der deutschen Juden
Dr. Anna Körs, Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg

Der Workshop wird mit Förderung durch den Ideen- und Risikofonds der Universität Hamburg in Kooperation der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH), des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden (IGdJ) und der Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg durchgeführt.

Kontakt

Anne Kunhardt (studentische Hilfskraft)
anne.kunhardt@gmx.de

https://www.zeitgeschichte-hamburg.de/contao/index.php/startseite.html
Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
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Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Deutsch
Sprache der Ankündigung