Tagung des Zeithistorischen Arbeitskreises Extreme Rechte (ZAER)
und des Potsdamer Forschungsprojekts „Die radikale Rechte in Deutschland, 1945–2000“ (https://projekt.radikale-rechte.de/), 27.-28. Juni 2024, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF)
Organisation: Frank Bösch / Gideon Botsch
Der Aufstieg der radikalen Rechten in Deutschland und in anderen Teilen der Welt wird vor allem am Erfolg rechter Parteien ausgemacht, die im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Allerdings beruhen erfolgreiche Parteien auf weltanschaulichen Milieus im Sinne von kulturellen Lebenswelten, die ihre gesellschaftliche Grundlage bilden. Gerade in Deutschland basierte die radikale Rechte lange weniger auf gut organisierten Parteien denn auf vernetzten Gruppen und Individuen, die im Alltag interagieren und so ihre Wertordnung entwickeln.
Die Tagung untersucht, wie sich die Lebenswelten der radikalen Rechten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wandelten, welche Strukturen und Orte der Begegnung entstanden und welche Deutungen bei solchen Begegnungen aufkamen und tradiert wurden. Eine Leitfrage ist dabei, inwieweit sich die von der Weimarer Republik und dem Nationalsozialismus geprägte Lebenswelt nach dem Zweiten Weltkrieg im Generationswechsel und Gesellschaftswandel neu formierte und jene Praktiken, Ideologien und Strukturen aufkamen, die die radikale Rechte zum Teil bis heute prägen.
Die Lebenswelten der radikalen Rechten lassen sich als ein kommunikatives Handeln verstehen, das gemeinsame Vorstellungen und habituelles Auftreten festigt, etwa durch Jugendverbände, Szenen, Begegnungen an festen Orten, Ausflüge, Vereine, Sport, Medien, Musik, Kleidung. Die Lebenswelten sollen für sich untersucht werden, aber auch die Interaktionen zu anderen Teilen der Gesellschaft, etwa in Schützenvereinen, Burschenschaften, alltäglichen rassistischen Handlungen bis hin zur Auseinandersetzung mit linken Gruppen. Der Blick auf die Lebenswelt schließt programmatische Diskussionen, Gewalt und provokative Proteste ebenso ein wie bewusst abgeschottete Treffen. Geschlechterrollen und spezifische körperliche Formen der Vergemeinschaftung sollen besondere Aufmerksamkeit finden. Ebenso ist der Alltag in Familien und Freundschaften zu berücksichtigen. Der Zugang über die Lebenswelt erleichtert zudem den Blick auf die Geschichte der ostdeut-schen Rechten vor 1990.
Ihren Ort haben rechte Lebenswelten bereits in den 1990er Jahren nicht mehr nur in realen Territorien (von Siedlungen und Stadtvierteln bis hin zu ganzen Regionen), sondern auch in digitalen Räumen. Von Interesse sind daher auch Vorträge, die sich historisch informiert mit rechten Lebenswelten im frühen World Wide Web der 1990/2000er beschäftigen. Ost- und Westdeutschland stehen im Vordergrund der Tagung, aber vergleichende Beiträge oder internationale Vorträge mit Bezügen zur deutschen Rechten sind sehr willkommen.
Der Call for Papers richtet sich an Historikerinnen und Historiker sowie an historisch arbeitende Politik-, Sozial- und Kulturwissenschaftler:innen, die an einem interdisziplinären Austausch interessiert sind. Untersuchungsfelder können dabei etwa sein:
- Alltag von radikalen Rechten zwischen Arbeit, Freizeit und Wochenend-Begegnungen
- Vereine und informelle Treffpunkte der radikalen Rechten
- Binnenleben der Parteien und Bezüge zu Parteien
- Netzwerke an der Schnittstelle von Politik und Lebenswelt
- Familien-, Erziehungs- und Bildungsstrukturen
- Genderrollen und körperliche Praktiken
- Rechte bzw. rechts dominierte Jugend- und Populärkultur und Musikszenen
- Praktiken rechter Gewalt
- Erziehungsideale zwischen Jugendbewegung, NS-Erbe und Wandel
- Orte der rechten Begegnung
- Medien und Ideologie im Alltag
- Übergänge des „nationalen“ zum „konservativen“ Milieu
- Ländliche, städtische und digitale Lebenswelten
Wir freuen uns über elektronische Beitragsvorschläge in Form von Abstracts von max. 6000 Zeichen und einer Kurzvita mit Angaben zu den Forschungsschwerpunkten bis zum 10. Februar 2024 an: rechtelebenswelten@zzf-potsdam.de.
Für Referent:innen werden die Reisekosten übernommen.